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Klein, aber oho!
from FSMM 2/2023
Nischenbrands schiessen wie Pilze aus dem warmen Boden.
Vor allem in der Beautyszene tummeln sich immer mehr kleine Parfümlabels, genauso wie exklusive Pflegemarken. Hier geht es um wertvolle Inhaltsstoffe, einzigartige Wirkstoffkombinationen und geringe Stückzahlen, entwickelt nicht nur für Individualisten.
Die Nische boomt. Doch was unterscheidet eine Nischenmarke von anderen? Hier geht es primär auch um den Marketing-Begriff «Branding», der eigentlich aus der Viehzucht (Rinder brandmarken) stammt. So soll im Wesentlichen ein Abgrenzen von Mitbewerbern und der Gewinn loyaler Kunden erreicht werden. Das Vermitteln eines bestimmten Savoir-vivre und das Erwecken von Emotionen und Assoziationen, stehen dabei im Vordergrund. Idealerweise wird so eine Bindung zur Marke oder zum Produkt sowie ein emotionaler Bezug hergestellt. Bei der kleinen neuseeländischen Sonnenschutzmarke Skinnies steht neben der innovativen Formulierung, die ohne Zugabe von Wasser auskommt, ein emotionales Verpackungsdesign ebenfalls auf dem Programm. Besonders die Sonnencremes für Kinder erwecken durch den bunten Aufdruck von Manga- Emojis, entworfen vom japanischen Pop-up-Künstler Jun Arita, viel Aufmerksamkeit. «Seit 2011 produzieren wir das transparente und hautfreundliche Sonnengel, das keinen weissen Fettfilm hinterlässt und bei schweisstreibendem Sport nicht in den Augen brennt», so Olly Van Arts, der Co-Founder von Skinnies.
Zum Altern in «Serenity», also Gelassenheit, ruft das Ostschweizer Kosmetikunternehmen Mila d’Opiz auf. Hier werden Kosmetikprodukte in dritter Generation produziert. «Wir wollen mit unseren hochwirksamen Formulierungen dazu inspirieren, gelassen zu altern», sagt Caroline Studer, CEO und Enkelin der Gründerin Emilia Opiz-Altherr. Der kleine Konzern verfügt über einen grossen Vorteil gegenüber vielen Konkurrenten: eine eigene Forschungs- und Entwicklungsabteilung. «Wo grosse Konzerne oft mehrere Jahre für die Forschung und Entwicklung neuer Produkte benötigen, haben wir kurze Entscheidungssowie Produktionswege und können viel schneller Innovationen lancieren», erklärt Studer.
Mila d'Opiz
Enthält einen hochwirksamen Anti-Aging-Wirkstoff, das neue Phyto de Luxe Lift-Fluid vom Schweizer Kosmetikhersteller Mila d'Opiz.

Individualität versus Massenmarkt
Ein Produkt eines Nischenbrands findet seine Anhänger meist bei den Individualisten. Kunden, die nicht «mit der Herde laufen» wollen, die neugierig sind, entdecken möchten und sich von der Masse abheben wollen, greifen gerne zur noch weniger bekannten Marke. Beim Parfüm-Label der kleinen Nischen-Manufaktur «Maison Noir» ist Individualität Programm. 2022 von den beiden Schweizern Claudio Denz und David Weber lanciert, sind die fünf Parfüms heute bereits in 35 Ländern erhältlich, ein sechster ist aktuell in der Entwicklung und soll diesen Herbst präsentiert werden. «Maison Noir» ist durch die Leidenschaft für luxuriöse und hochwertige Düfte entstanden, welche ich während meiner langjährigen Tätigkeit in unserem Familienunternehmen Lalique entwickelt habe. Wir versuchen, der Tradition des französischen Parfümhandwerks zu huldigen, indem wir der Marke diesen nostalgischen, aber dennoch modernen Charakter verleihen», sagt Denz zu seiner Marke. Dank seiner Berufserfahrung, die er im Familienunternehmen sammeln konnte, ist es ihm gelungen, alle wichtigen Faktoren einer Gründung abzudecken: die Zusammenarbeit mit erfahrenen Parfümeuren, ein Konzept mit einer aussergewöhnlichen Geschichte und das Know-how über die entsprechenden Vertriebskanäle.
Gesunde Haut von innen
Nahrungsergänzungsmittel speziell für die Haut wurden lange belächelt. Hyaluron und Kollagen, um das Hautbild zu verbessern und die Haut von innen aufzupolstern, vegane Gummibärchen als Vorbereitung für die Sonne. Immer mehr Menschen vertrauen auf immer umfassendere Studien zum Thema. Noch vor wenigen Jahren gehörten diese Produkte zur «Nische in der Nische». Diese füllt sich jedoch schnell und der Markt wächst zunehmend. Laut dem Statistik-Portal Statista wird der Umsatz in der Schweiz im Segment Vitamine und Mineralstoffe in diesem Jahr circa 125 Millionen Schweizer Franken betragen und bis 2027 ein jährliches Umsatzwachstum von fast 5% erreichen, auf ein Marktvolumen von rund 152 Millionen Schweizer Franken. Die Marke Timeblock behauptet sich nun seit über zehn Jahren auf dem Schweizer Markt. Und dank dem Gründer und Entwickler, der Biologe und Spezialist in der Epigenetik ist, gibt es mit Collagen Max einen Kollagendrink, der laut Juerg Daniel Schmid tatsächlich in der Haut ankommt. Die Herausforderung «Nische» sieht Schmid, CEO der Bluezones Group, als grosse Chance: «Nischenprodukte müssen innovativer und besser sein, da nur wenig Geld für Marketing zur Verfügung steht. Die Kundentreue ist bei Nischenprodukten sehr hoch, da die Wirkung und nicht der Gewinn im Vordergrund steht. Nur so können sie organisch wachsen.»
Zeit für Luxus
Aber auch künstliche Verknappung, wie momentan in der Fashionbranche bei Markenhandtaschen zu beobachten, kann ein Label zum begehrten Nischenprodukt machen. Lange Wartezeiten wie bekanntermassen bei der Hermès Birkin oder Kelly Bag – hier kann der Kunde je nach Farbe und Material schon einmal zwei Jahre auf die Fertigstellung warten –und limitierte Stückzahlen pushen die Begierde. Doch der Hype um Handtaschen zieht sich jetzt nach der Pandemie durch sämtliche Luxusbrands. Hier haben sich die Verkaufspreise immerhin fast verdoppelt. Worüber der Konsument noch staunt, hat die Luxusgüterindustrie ihre Chance zur Nische längst erkannt. Denn die Geschichte wiederholt sich soeben. Nun, nach zwei heftigen und entbehrungsreichen Covid-Jahren erleben viele genau dieses Gefühl der Kauflust, gerne «Lipstick-Effekt» genannt. Dieser beschreibt das Phänomen, dass dekorative Kosmetik sich immer dann besonders gut verkauft, wenn Krisen sich ihrem dunkelsten Moment annähern. Dazu muss allerdings gesagt werden, dass eben die Lippenstift-Verkäufe während der Pandemie-Jahre stark eingebrochen sind – dem Mund- und Nasenschutz geschuldet. Doch die typische Trotzhaltung à la «jetzt erst recht!» macht sich bereits seit 2022 bei Männern wie bei Frauen breit. Der Krise und der Rezession bewusst, reicht das Geld doch noch für einen kleinen Luxus wie z.B. eine teure Tasche, eine exklusive Gesichtspflege oder einen noblen Duft.
Neue Wege bei der Verpackung
Das Thema Nachhaltigkeit spielt beim Kaufentscheid ebenfalls eine immer grössere Rolle. Das internationale Beratungshaus Roland Berger hat zusammen mit dem amerikanischen Software-Unternehmen salesforce.com und dem französischen Verbraucherforschungsunternehmen Potloc eine «After Covid»-Studie mit dem Thema «The new normal» herausgegeben. Zusammenfassend wird hier deutlich,
Noir
Nur hochwertige und luxuriöse Ingredienzien gelangen beim Schweizer Dufthaus Maison Noir in den Flakon.

dass bei den meisten Konsumenten (2 100 Befragte in zwölf Ländern) das Bewusstsein für Qualität und den sorgsamen Umgang mit Natur und Umwelt gestiegen ist. Und genau hier punkten viele Nischenprodukte wie z. B. das Kosmetikunternehmen Rivoli aus dem Schweizer Emmental. Seine veganen Formulierungen werden in recycelten oder wiederverwertbaren Materialien abgepackt, und alle Produktionsprozesse sind auf Nachhaltigkeit konzentriert –hier wird die CO2-Emission jährlich um 2 % reduziert. Dem leidigen Verpackungsthema Plastik widmet sich die Schweizer Pflegemarke Sophie’s Garden auffallend extravagant: Nachfüllbare Tiegel bestehen aus wertvollem Porzellan, hergestellt von der traditionsreichen französischen Manufaktur Bernardaud in Limoges. Die Umverpackung stammt ebenso aus einer Manufaktur, aus der Papierfabrik Gmund am Tegernsee. Auf eine Packungsbeilage wird bewusst verzichtet, alle wichtigen Infos sind über einen aufgedruckten QR-Code abrufbar.
Sophie’s Garden

Der nachfüllbare Porzellan-Tiegel von Sophie’s Garden wird in Limoges gefertigt.
Selbst die Modeindustrie sorgt für Überraschungen: Das neu in der Schweiz lancierte Männermodelabel Theodore Herald aus Peru widmet sich vollkommen seinen Wurzeln. «Als Slow-Fashion-Marke ist unsere Kollektion bewusst so konzipiert, dass sie viel länger hält als der übliche Fashion-Cycle. Unsere Stoffe
Theodore Herald
Setzt auf den nachhaltigen Slow-Fashion-Trend, die peruanische Modemarke für Herren Theodore Herald aus Peru..
stammen aus nachhaltiger Beschaffung und umfassen recycelbare Materialien und Prozesse. Das Alpaka ist ein sanftes Tier mit einem sehr geringen ökologischen Fussabdruck. Wir verwenden die stressfreie Inka-Schermethode und produzieren unsere Garne in unserer zertifizierten Partner-Ökofabrik, die erneuerbare Energien und Solarenergie nutzt und nach guten Fair-Trade-Praktiken zertifiziert ist. Und als stolze peruanische Marke arbeiten wir auch daran, die Gemeinden, mit denen wir zusammenarbeiten, zu beschäftigen und ihnen etwas zurückzugeben», erklärt Ivo Zuazo, Gründer von Theodore Herald.
Onlinehandel versus Kauferlebnis
Hatte sich während der Pandemie das Kaufverhalten der Schweizer gezwungenermassen stark auf den Onlinehandel konzentriert, hat eine Studie mit 2 000 Teilnehmern von Profital, Anbieter für digitale Prospekte und Mobile Retail Marketing, herausgefunden, dass viele Kunden nun wieder den stationären Handel bevorzugen. «Die ganze Einkaufs-Journey wird immer crossmedialer, und die Produktrecherche beginnt bei Konsumentinnen und Konsumenten meist online», so Profital-Geschäftsführer Raphael Thommen. Ein weiterer Pluspunkt für Nischenmarken und vor allem für deren Anbieter, die Depositäre, denn der Kunde wünscht sich heute mehr denn je ein überraschendes Kauferlebnis. Das Entdecken kleiner Marken verstärkt dies. Die meist einzigartigen Geschichten hinter der Marke, hohe Qualität und ein Engagement in Sachen Umwelt und Soziales erfüllen die neue Kauferwartung vieler Konsumenten, und diese bestehen nicht mehr nur aus Individualisten. ●