Ernst Heise

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tum gibt es unzählige Flußläufe, das Wasser ist schlammig gelb, und mittelalterlich anmutende Dschunken ziehen ihre Bahn. Bis zu unserem ersten Ziel, der Provinzstadt Vinh, müssen wir 245 Brücken passieren, oder besser das, was die Amerikaner davon übrigließen, denn 243 von ihnen sind zerstört und mußten bis zu 15 Mal wieder aufgebaut werden! Notbrücken. Wir schaffen zehn bis zwölf in einer Stunde, denn nun, weiter im Süden, ist auch die Straße durch jahrelange Bombenangriffe völlig zerstört. Immer wieder sehen wir Beispiele für den praktischen Sinn und den zähen Lebenswillen des Volkes: in den Ortschaften liegt über weite Strekken der Straßen Reisstroh, eine einfache und doch gute Methode, mit Hilfe der Autoräder den letzten Reis aus dem Stroh zu dreschen. Oder: Bombentrichter werden zur Fischzucht benutzt, denn bei der großen Feuchtigkeit laufen sie sofort voll Wasser; sie dienen auch als Wasserstellen für die umliegenden wieder hergestellten großen Reisfelder (Reisfelder müssen genau waagerecht angelegt sein, damit das Wasser alle Teile des Ackers gleichmäßig benetzt). Für die Wasserbüffel sind die „Trichterteiche“ willkommene Badegelegenheiten. Die Flußdurchfahrten bei zerstörten Brücken werden durch Behälter amerikanischer Kugelbomben (einer besonders brutalen Waffe gegen die Zivilbevölkerung) markiert, und aus den Metallteilen abgeschossener amerikanischer Flugzeuge verfertigt man Gebrauchsgegenstände, ja sogar Souvenirs. Nach circa 300 Kilometer beschwerlicher Fahrt kommen wir, schon bei Dunkelheit, nach Vinh, einer ehemals 80 000 Einwohner zählenden Stadt. Heute ist Vinh völlig zerstört. Mit unbeschreiblicher Mühe und Sorgfalt hat man uns im Haus der Bezirksleitung Quartier vorbereitet. Das Haus liegt am Rande der ehemaligen Stadt und ist eines der wenigne erhaltenen. Alle Büroräume wurden extra ausgeräumt und mit Betten versehen, damit wir schlafen können. Wir werden großartig empfangen und verpflegt, wie liebe, alte Freunde, obwohl wir in Vinh nur eine Nacht schlafen und nicht einmal eine Vorstellung geben können. Morgen nun erreichen wir unser Ziel, Dông-hoi, Hauptstadt der Kampfprovinz Quang-binh, wenige Kilometer vor dem 17. Breitengrad. Von Vinh nach Dông-hoi Bei Vinh setzen wir mit einer Fähre über, einem abenteuerlichen Monstrum, das voll Menschen (mit Fahrrädern natürlich) und Autos gepackt, jedem Wasserschutzpolizisten bei uns Alpträume und graue Haare bringen würde. Man berichtet uns, daß zur Zeit der Bombenangriffe junge Mädchen mit Angeln, an denen Metallplatten befestigt waren, singend am Ufer saßen und nach den heimtückischen Magnetbomben fischten, um so die wichtige Wasserstraße wieder frei zu bekommen. Junge Burschen fischten 168

vietnam


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