Erlebe, was du glaubst - 9783865917249

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Darren Whitehead & Jon Tyson

Erlebe, was du glaubst Neue Kraft f端r m端de Christen

Aus dem Englischen 端bersetzt von Beate Zobel


Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vorbemerkung der Autoren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1. In der Werkstatt des Bildhauers. . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Gerüchte über ein Leben in Fülle 2. Im Denken gefangen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Gerüchte über einen anderen Traum 3. Der große Umschwung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 Gerüchte über Freigebigkeit 4. Glaube, den man nur vom Hörensagen kannte . . . . . 75 Gerüchte über Liebe 5. Das richtige Evangelium. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 Gerüchte über Gnade 6. Auf Rechte verzichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 Gerüchte über Freiheit


7. Der selbstbestimmte Mensch. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 Gerüchte über Hingabe 8. Liebe unter der Oberfläche. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 Gerüchte über Gemeinschaft 9. Der Backstage-Bereich. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 Gerüchte über Gerechtigkeit 10. Die lang ersehnte Revolution. . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 Gerüchte über Hoffnung Nachwort. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 Anregungen zum Nachdenken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245


Vorbemerkung der Autoren Jeder von uns hat, wenn ihm etwas besonders Gutes oder richtig Schlimmes widerfährt, eine Person, die er als Erste anruft. Uns beide verbindet inzwischen eine zwanzigjährige Freundschaft (2011). In den zurückliegenden Jahrzehnten gab es Hunderte solcher Anrufe zwischen uns. Wer seine Heimat verlässt, um auf die andere Seite der Erdkugel zu ziehen, dessen Lebensweg bekommt einen Bruch, und er verliert die Freunde, die sein Leben bis dahin begleitet haben. Wer auswandert, fängt sein Leben noch einmal von vorn an. Unsere Freundschaft ist das Einzige, das bei uns noch von dem Leben in Australien übrig geblieben ist. Selbst unsere Frauen kennen uns erst, seit wir in den Vereinigten Staaten leben. Diese besonderen Umstände verleihen unserer Beziehung eine besondere Dynamik. Wir lernten uns kennen, als wir an einem Jugendcamp in Mt. Barker/Südaustralien teilnahmen. Wir waren noch Teens und beide nur wegen der Mädchen dort. Als wir zum ersten Mal „zusammengearbeitet“ haben, ging es darum, während des Gottesdienstes in den Schlafraum der Mädchen zu schleichen und mitten im Raum über fünfzig Matratzen aufeinander­ zustapeln. (Unsere zweite Zusammenarbeit folgte schon wenig später: Nachdem man uns erwischt hatte, mussten wir alle 11


­ oiletten putzen.) Damals hätten wir uns niemals träumen lasT sen, dass wir eines Tages Pastoren großer amerikanischer Gemeinden sein würden. Vieles ist in den vergangenen zwanzig Jahren passiert. Jeder war Gast auf der Hochzeit des anderen, wir besuchten uns anlässlich der Geburten unserer Kinder und erlebten so manche Höhen und Tiefen zusammen. Doch während sich um uns herum vieles veränderte, hielten wir an einer Gewohnheit fest. Sie stammte noch aus unserer Zeit in Australien. Wenn einer von uns den Eindruck hatte, dass Gott einen Auftrag beendete oder eine Tür schloss, um eine neue zu öffnen, dann besuchte der andere ihn, wir saßen in den hinteren Reihen des Gemeindesaals zusammen und nahmen uns oft stundenlang Zeit, um zu erzählen, was Gott in diesem zu Ende gehenden Dienst getan hatte. Wir versuchten, das Gewesene noch einmal intensiv nachzuerleben, ehe ein neuer Abschnitt begann. Mit diesem Buch schreiben wir nun zum ersten Mal auch konkrete Kapitel zusammen. Die Gedanken, die wir darin ausbreiten, stammen von uns beiden, aber an einigen Stellen war es uns auch wichtig, dass der Leser erkennen kann, wer von uns dahintersteckt. Diese Stellen haben wir entsprechend gekennzeichnet. Wir haben dieses Buch geschrieben, weil wir die Gemeinde Jesu lieben. Viele denken, dass die Kirche ihre beste Zeit längst hinter sich habe. Doch ohne jemandem zu nahe treten zu wollen: Das sehen wir anders. Dieses Buch ist im Grunde unser Protest gegen diese Anschauung. Wir sind überzeugt, wenn man genau auf die „Gerüchte“ über Gottes Handeln achtet, 12


wird jeder feststellen können, dass Gott in seiner Gemeinde durchaus Neues bewirkt. Und unser Leben soll ein Beleg dafür sein. Liebe Grüße, Darren Whitehead | Jon Tyson

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1. In der Werkstatt des Bildhauers Gerüchte über ein Leben in Fülle

Herr, von deinen Ruhmestaten habe ich gehört, sie erfüllen mich mit Schrecken und Staunen. Erneuere sie doch, jetzt, in unserer Zeit! Lass uns noch sehen, wie du eingreifst! Auch wenn du zornig bist – hab mit uns Erbarmen! Gebet des Propheten Habakuk1

In den ersten Reihen saßen an jenem Sonntagmorgen einige ganz spezielle Frauen. Bevor der Gottesdienst begann, flüsterten sie aufgeregt miteinander. Offensichtlich fühlten sie sich unbehaglich und ein wenig fehl am Platz. Vielleicht bereuten sie auch schon, dass sie überhaupt gekommen waren. Sie wirkten nicht wie typische Kirchgänger, sie waren Frauen, die sich normalerweise an ganz anderen, finsteren Orten aufhielten. Doch heute waren sie hier, um die Taufe einer Frau aus ihren Reihen mitzuerleben. Auch diese Frau, Rebecca, hatte eine bewegte Vergangenheit. Doch nun hatte für sie ein neues Leben begonnen.

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Ganz anders war das Leben meiner (Darrens) Bekannten ­Catherine verlaufen. Von klein auf hatte sie die biblischen ­Geschichten gehört und war eine regelmäßige Teilnehmerin verschiedener Bibelgruppen gewesen, und selbstverständlich hatte sie jeden Sonntag den Gottesdienst besucht. Sie war eine fleißige Mitarbeiterin in der Arbeit mit Kindern gewesen und hatte sich auch in der Schülerarbeit zu Hause gefühlt. Doch als sie zwanzig war, stellte sie fest, dass sie eigentlich zutiefst unzufrieden war. Obwohl sie seit zwei Jahrzehnten alles gegeben und alle Erwartungen der Gemeinde erfüllt hatte, schien sie geistlich nicht weiterzukommen. In ihrem tiefsten Inneren ahnte sie, dass an einem Leben mit Jesus noch wesentlich mehr dran sein musste. Hinzu kam, dass die Geschichten in der Bibel so wenig mit ihren eigenen, alltäglichen Erfahrungen zu tun hatten. Sie war zwar nicht die Einzige, der es so ging, aber den anderen schien das nichts auszumachen. Für Catherine war der christliche Glaube langweilig und unattraktiv geworden, Enttäuschung hatte sich in ihr breitgemacht. Sie wollte aus diesem christlichen Trott ausbrechen und machte sich auf die Suche nach Alterna­tiven. Catherine begann eine Ausbildung zur Visagistin und arbeitete anschließend unter Models und Prominenten in der Unterhaltungsindustrie in Chicago. Ihr Lebensstil veränderte sich völlig, folgte immer den neuesten Trends, war von hohem Tempo bestimmt und zunächst sehr faszinierend. Zu ihren Kunden zählten die berühmten und einflussreichen Persönlichkeiten der Modewelt. Trotzdem ließ sich das Gefühl von Unzufriedenheit nicht abschütteln. 16


Eines Tages erhielt sie einen Anruf von einer älteren Dame aus ihrer Gemeinde, die sie zu einem Einsatz unter Frauen in Costa Rica einlud, die aus der Prostitution aussteigen wollten. Das Team wollte den Frauen verschiedene Alternativen aufzeigen und ihnen dabei helfen, ein neues Leben zu beginnen und ihr Einkommen auf andere Weise zu verdienen. Als Visagistin wäre Catherine eine wichtige Ergänzung des Teams und könnte den Frauen zeigen, wie sie sich dezent und zurückhaltend schminken könnten. Ohne zu zögern willigte Catherine ein. Drei Monate lang war sie in Costa Rica und erlebte dort etwas, das ihr bis dahin völlig fremd gewesen war. Nie hatte sie sich so lebendig gefühlt wie jetzt, als sie Zeit mit diesen Frauen verbrachte und ihnen half, sich eine neue Zukunft aufzubauen. Der Dienst an diesen Frauen schenkte auch ihr neue Kraft und neue Begeisterung. Ihr Glaube wurde wieder lebendig, und sie fand einen ganz neuen Zugang zu Gott. Als die drei Monate sich dem Ende zuneigten, stand für sie fest, dass sie nie wieder in die ausgetretenen Pfade christlicher Routine zurückkehren würde. In ihr war etwas zum Leben erwacht, und sie fragte sich, wie sie das neben ihrer Arbeit zu Hause weiterentfalten konnte. Als sie wieder zurück in Chicago war, machte Catherine sich auf die Suche und fand schließlich einen höchst ungewöhnlichen Weg, um Frauen zu dienen. Sie begann, hinter den Kulissen eines Striptease-Klubs im Stadtzentrum zu arbeiten und die Frauen für ihre Auftritte zu schminken. Während sie diesen Frauen selbstlos half, fassten sie Vertrauen, und Beziehungen entstanden. Eines Tages beschloss sie, die Predigten aus ihrer Gemeinde auf CD mitzunehmen und den Frauen anzubieten. Ohne ein großes Thema daraus zu machen, 17


stellte sie einige der CDs in den Backstage-Bereich, damit die Frauen sich eine CD ausleihen konnten, wenn sie wollten. Monate vergingen, bis eines Abends eine Stripperin namens Rebecca zum ersten Mal einige CDs mitnahm und Gefallen daran fand. Eine Woche später erkundigte sie sich, ob sie den ganzen Stapel ausleihen könnte. „Natürlich!“, antwortete Catherine erfreut. Innerhalb weniger Tage hatte Rebecca sich sämtliche Predigten angehört. „Möchtest du einmal mit in den Gottesdienst kommen?“, frage Catherine. „Meinst du, man würde mich dort reinlassen?“, fragte ­Rebecca. „Ganz bestimmt. Alle würden sich freuen, wenn du kommst.“ Als Rebecca mit Catherine in unsere Gemeinde kam, traf ich sie nach dem Gottesdienst im Café, und wir setzten uns zusammen an einen Tisch. „Sie sind also der Pastor?“, fragte mich Rebecca. „Ja, der bin ich.“ Sie sah mir in die Augen und meinte: „Wissen Sie, womit ich mein Geld verdiene?“ „Ja, das weiß ich.“ „Catherine will mir weismachen, dass Gott solche Leute wie mich mag, Leute, die, hmm, meinem ... Beruf nachgehen.“ Tränen traten ihr in die Augen und rollten dann über ihre Wangen. Auch mir standen Tränen in den Augen. „Es stimmt, Rebecca, Gott liebt Sie von Herzen.“ „Wie kann das sein?“, hakte sie nach und erzählte mir von den furchtbaren Dingen, die die Leute ihr zuriefen, während 18


sie tanzte. „Wie kann Gott mich lieben, wenn ich mich doch selbst nicht ausstehen kann?“ „Rebecca, Jesus kam als Mensch auf die Welt, um unsere Schuld und unsere Schande auf sich zu nehmen und sie durch Gnade und Erbarmen zu ersetzen. Das ist die Gute Nachricht, das Evangelium Gottes.“ Noch an diesem Tag nahm Rebecca die Vergebung Gottes für sich in Anspruch und öffnete sich seiner unerklärlichen Liebe. Einige Wochen später taufte ich sie in unserem Gemeindesaal. Nie werde ich ihren Gesichtsausdruck vergessen. Sie strahlte vor Freude, war glücklich wie ein kleines Kind. Und in den ersten Reihen des Gemeindesaals saßen Stripperinnen und andere Mitarbeiter des Klubs. Sie feierten Rebeccas großen Augenblick mit lautem Jubel. Einige von ihnen weinten, andere lachten. Sie konnten miterleben, wie unsere Gemeinde eine Frau aus ihren Reihen mit herzlicher Liebe aufnahm. Was das wohl in ihnen auslösen mochte, fragte ich mich. Ich kann mich genau daran erinnern, dass ich dachte: So sieht es aus, wenn das Reich Gottes anbricht. Rebecca arbeitete nicht länger in diesem Striptease-Klub; stattdessen brachte Catherine ihr das professionelle Schminken bei. Seither dienen sie gemeinsam den anderen Frauen. Bald begannen sie, während ihrer Arbeit hinter der Bühne christliche Anbetungsmusik abzuspielen. An diesem Ort, wo Ausbeutung, Demütigung und Schmerz regierten, breitete sich plötzlich das Gerücht von der Liebe Gottes aus. Als ich Catherine fragte, wie sie diese Erfahrung beschreiben würde, erwiderte sie: „Es ist, als wäre ich zum Leben erwacht.“

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Wenn neues Leben aufbricht Sehnen wir uns nicht alle nach dem, was Catherine erlebte? Tief im Inneren hofft jeder von uns, Spuren zu hinterlassen und ein Leben zu führen, das alles andere als mittelmäßig ist. Wir streben nach Leben, neuem Leben. In seinem berühmten Buch „Pardon, ich bin Christ“ verwendet C. S. Lewis ein beeindruckendes Bild, um zu beschreiben, in welcher Weise der christliche Glaube lebendig machen kann: „Und genau darum geht es beim Christentum. Diese Welt ist eine große Bildhauerwerkstatt. Wir sind die Statuen, und es geht das Gerücht in der Werkstatt um, dass einige von uns eines Tages zum Leben erwachen werden.“2 Wie würden Sie Ihre eigenen Erfahrungen mit dem Glauben beschreiben? Kennen Sie das Leben, das in der Bibel beschrieben wird, nur vom Hörensagen, oder hat es etwas mit Ihrer Lebenswirklichkeit zu tun? Sind Sie auch so festgefahren, wie Catherine es am Anfang ihrer Geschichte war? Jesus sagte: „Ich bin gekommen, um ihnen das Leben zu geben, Leben im Überfluss.“3 Sieht so Ihr Leben aus? Wenn nicht, dann geht es Ihnen wie vielen anderen auch. Viele unserer Kirchen sind gefüllt mit Christen, deren Glaube leblos, starr und kalt ist wie die Statue eines Bildhauers. Während in Südamerika, China und Indien die Zahl der Christen rasch zunimmt, beobachten wir hier im Westen etwas ganz anderes. Das christliche Lager nimmt zahlenmäßig ab und verliert an Einfluss, während die Gruppe der Konfessionslosen die am schnellsten wachsende „Religionszugehörigkeit“ geworden ist.4 20


Diese Veränderung ist nahezu greifbar; die Kirchen in der westlichen Welt verlieren zunehmend an Bedeutung. Während der säkulare Humanismus unsere Gesellschaft immer weiter durchdringt, sind die Christen zu schwach, um dieser Entwicklung etwas entgegenzusetzen. Verrückterweise wird die Gesellschaft dabei immer „spiritueller“, während sich die Christenheit immer mehr dem Diesseitigen verpflichtet fühlt. Wen wundert es da, dass die meisten Menschen kein Interesse am Christentum verspüren. Aber viele Kirchen und Gemeinden haben nicht nur den Bezug zu ihrem Umfeld verloren und sind für die Menschen, die Gott noch nicht kennen, nicht mehr alltagsrelevant, auch innerhalb der eigenen Reihen scheint es an Einigkeit zu fehlen. Kirchenführer und Gemeindeleiter verstricken sich in den Diskussionen ihrer eigenen Subkultur und verlieren den Bezug zu den Nöten der Menschen. Da streiten Konservative mit Liberalen, die Gästezentrierten mit den Christuszentrierten, die Stadtgemeinden mit den Dorfkirchen. Die einen sind evangelistisch, die anderen setzen sich für soziale Gerechtigkeit ein oder kämpfen gegen Säkularisierung, Unmoral, Konsumrausch und Globalisierung an. Manche predigen die Hölle, andere den Himmel, wieder andere die Allversöhnung – um nur einige Schlagworte zu nennen. Wir Christen reden oft zu viel über alles, was wir tun und wie wir es tun, aber wir machen uns zu selten Gedanken darüber, ob unsere Aktivitäten überhaupt sinnvoll und unsere Themen relevant sind. Erinnert uns das nicht an die Szene im Film „Titanic“, in der das Streichquartett spielt und spielt, während das Schiff 21


sinkt? Die Musiker bemühen sich, nicht von ihren herumrutschenden Stühlen zu fallen, und tun so, als hätten sie nicht bemerkt, dass ihr Schiff untergeht. Das Schicksal der Kirchen und Gemeinden in der westlichen Welt scheint ungewiss.

Wenn Hoffnung keimt Der Prophet Habakuk lebte auch in einer Zeit, in der das Schicksal von Gottes Volk ungewiss war. Die Israeliten übertraten fleißig Gottes Gebote, das Gericht drohte, sie waren umgeben von einer immer gottloser werdenden Welt, und es herrschte Unklarheit darüber, was Gott eigentlich von ihnen wollte. Der Prophet fasste die Fragen seines Volkes im folgenden Gebet zusammen: Herr, von deinen Ruhmestaten habe ich gehört, sie erfüllen mich mit Schrecken und Staunen. Erneuere sie doch, jetzt, in unserer Zeit! Lass uns noch sehen, wie du eingreifst! Auch wenn du zornig bist – hab mit uns Erbarmen.5 Leidenschaftlich fasste Habakuk die Not seiner Zeit in Worte. Er hatte von Gottes Taten gehört, man hatte ihm von den Wundern erzählt, die Gott früher vollbracht hatte, aber er wollte sich nicht damit zufriedengeben. Die übernatürliche Kraft Gottes sollte sich auch in seinem Leben zeigen. Habakuk fing an, um etwas zu beten, das er noch nie selbst erlebt hatte. 22


Er sehnte sich von ganzem Herzen danach, Gott in all seiner Kraft zu erleben – in seiner Zeit, in seiner Generation. Als wir Teenager waren, durften wir einen geistlichen Aufbruch miterleben. Ursprünglich stammen wir beide aus einem christlichen Umfeld, in dem die Verbote im Vordergrund standen. Christen legten Wert darauf, nicht zu rauchen, keinen Alkohol zu trinken, nicht zu fluchen und nicht tanzen zu gehen. Das war unser Verständnis vom Christentum. Wir lebten beide in Südaustralien und lernten uns als Teenager kennen, da wir dieselbe christliche Jugendgruppe besuchten. Jon war damals zum Glauben gekommen, und auch ich war dabei, Gott neu als einen Vater zu entdecken, dem es gar nicht in erster Linie um die korrekte Einhaltung der christlichen Vorschriften ging. Damals wurden wir beide von derselben für uns völlig neuen Idee erfasst: Gottes Plan, die Welt zu erretten, sollte durch die Gemeinde Wirklichkeit werden. Diese verschlafene, langweilige Einrichtung, die wir von klein auf notgedrungen ertragen hatten, war ein von Gott auserwählter und von ihm gestatteter Organismus. Gott hatte eine Vision für unsere Gemeinde, einen Auftrag und eine Bestimmung, größer als alles, was wir uns vorstellen konnten. Diese neue Sicht der Dinge faszinierte uns, und wir begannen zu beten. Oft standen wir morgens früh auf und beteten auf dem Parkplatz unserer Gemeinde, wir trafen uns in der Stadt zum Beten oder auf dem Hügel, von dem aus wir einen guten Blick über die Stadt hatten. Wir sehnten uns danach, dass unsere Gemeinde so werden würde, wie Gott sie sich vorgestellt hatte. Unabhängig voneinander trafen wir beide innerhalb der nächsten sechs Monate die Entscheidung, in den USA zu 23


s­ tudieren und zu arbeiten. Das ist nun dreizehn Jahre her. In diesen Jahren waren wir Mitarbeiter in sieben verschiedenen Gemeinden. Inzwischen ist Jon der Hauptpastor der Trinity Grace Church in New York – einer lebendigen, wachsenden Gemeinde mit fünf Tochtergemeinden in der Stadt. Ich selbst bin als Pastor in der Willow Creek Community Church angestellt, einer der größten Gemeinden in Nordamerika. Wir waren in die USA ausgewandert, weil wir der Meinung waren, dass die Gemeinden, die die westliche Welt prägen könnten, dort entstehen würden. In gewisser Weise sind wir beide in vollkommen entgegengesetzten Welten gelandet – der eine gründet Gemeinden in einer Metropole, der andere lehrt in einer Vorstadtgemeinde. Was verbindet uns? Wir sind seit zwanzig Jahren befreundet, wir empfinden eine tiefe Liebe zu den christlichen Gemeinden, und wir träumen davon, dass die Gemeinden den Platz einnehmen, den Gott eigentlich für sie vorgesehen hat. Wir sind beide überzeugt, dass wir in einer bedeutsamen Zeit leben, und sehnen uns danach, dass Gott in unserer Generation große Dinge tut. Wir haben dieses Buch geschrieben, weil wir nicht wollen, dass unsere Generation alt wird, ohne Gottes großartiges Handeln hautnah erlebt zu haben. Gottes Wirken soll unsere Lebensgeschichte und die Geschichte unserer Generation bestimmen. In den göttlichen Geschichtsbüchern, in denen die Weltgeschichte und die Erlösungsgeschichte aufgezeichnet werden, soll jeder von uns die Rolle ausfüllen, die ihm von Anfang an zugedacht war. Wir wollen von unseren Erfahrungen berichten, aus unserem Leben und aus unserem Dienst, Erfahrungen von Men24


schen wie Catherine, die aus ihrem geistlichen Trott ausgebrochen sind und ein neues Leben begonnen haben. Dazu wollen wir die kulturellen und geistlichen Blockaden aufzeigen, die die Kirchen und Gemeinden in der westlichen Welt behindern, und wir wollen Hilfestellung leisten, um diese zu überwinden. Täglich dürfen wir erleben, dass Gottes Reich auf dieser Erde errichtet wird. Und wir beten, dass jeder Leser von der Sehnsucht erfasst wird, auch in seinem Leben, in seiner Gemeinde und in seiner Heimatstadt zu erleben, dass Gottes Reich sich immer weiter ausbreitet. Wir wollen Habakuks Gebet zu unserem eigenen Gebet ­machen und dazu beitragen, dass die Gemeinde sich zu ihrer vollen Größe und Schönheit entfalten kann. Dabei sind wir davon überzeugt, dass Gott neue Dinge geplant hat und niemand enttäuscht werden wird, der nach seinem Willen lebt. Was wir bisher nur aus Büchern und vom Hörensagen kennen, das wollen wir selbst erleben. Die Statuen sollen zum Leben erwachen, das Gerücht soll Realität werden.

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8. Liebe unter der Oberfläche Gerüchte über Gemeinschaft

Das englische Wort für „Gastfreundschaft“ (hospitality) hat die gleiche lateinische Wurzel wie das Wort für „Krankenhaus“ (hospital). Ein Krankenhaus ist ein Ort, an dem Fremde ­zusammen wohnen können. Natürlich ist es auch ein Ort, an dem man gesund werden kann. Dort, wo man willkommen ist, da kann man auch gesund werden. Skye Jethani97

Vor allem lasst nicht nach in der Liebe zueinander! Denn die Liebe macht viele Sünden wieder gut. Petrus98

Ich (Jon) habe dieses Gespräch schon Hunderte von Malen geführt: Jemand bittet um einen Gesprächstermin. Und fast immer liege ich richtig mit meiner Vermutung. Irgendwann im Verlauf der einstündigen Unterredung fällt der Satz: „Die Leute aus der Gemeinde haben mich verletzt.“ Wie herrlich die Vorstellung von einer verbindlichen, liebevollen Gemeinschaft auch sein mag, nicht alle steigen immer voll mit ein. Wer schon 157


viele zerbrochene Beziehungen hinter sich hat und wen die vielen gebrochenen Versprechen noch schmerzen, dem kann das Leben in einer Gemeinschaft alles andere als verlockend erscheinen. Viele Menschen sind zwar einsam, haben aber auch große Angst, sich anderen zu öffnen. Der Schriftsteller Neil Gaiman hat das treffend in Worte gefasst: Waren Sie jemals verliebt? Es ist entsetzlich, nicht wahr? Man wird so verletzlich. Der Brustkorb ist weit geöffnet, das Herz steht offen, und jeder kann hineingehen und sein Unwesen treiben … Liebe nimmt uns gefangen. Sie dringt in uns ein. Sie frisst uns auf und lässt uns weinend in der ­Dunkelheit zurück. Ein einfacher Satz wie „Vielleicht können wir ja Freunde bleiben“ verwandelt sich in einen verletzenden Glassplitter, der bis in unser Herz vordringt. Das kann so ­furchtbar wehtun. Der Schmerz ist nicht nur in den Gedanken, nicht nur in der Erinnerung, er frisst sich mitten ins Herz. Er trifft uns im Innersten und reißt uns in Stücke. Ich hasse Liebe.99

Widersacher der Liebe Ein Hindernis auf dem Weg zu echter Gemeinschaft ist unser Verlangen nach dem Lob anderer. Es ist so schwer, sich anderen zu öffnen, offen zu bleiben und gleichzeitig doch Gefahr zu laufen, von anderen abgelehnt oder zurückgewiesen zu werden. Wir werden unsicher und wissen nicht mehr, wo unser Platz in der sozialen Rangordnung ist, bis wir uns in irgendeine Ecke 158


der Gemeinschaft hineinzwängen, um überhaupt einen Platz zu haben. Der englische Autor Alain de Botton bezeichnet diese Furcht als „Statusangst“ und schreibt darüber Folgendes: Man könnte sagen, das Verhalten der anderen ist von ­grundlegender Bedeutung für uns, weil wir mit einem ­angeborenen Selbstzweifel behaftet sind, und so bestimmt das, was andere von uns halten, entscheidend mit, wie wir uns selbst sehen. Das Urteil der anderen hält unser Selbstbild am ­Gängelband … Unser „Ego“ oder Selbstbild könnte man sich als undichten Luftballon vorstellen, in den ständig Liebe ­hineingepumpt werden muss, während schon die kleinsten Sticheleien fatale Folgen haben. Es ist schon deprimierend und absurd, wie sehr wir unter dem Lob der anderen aufleben und wie sehr wir unter ihrer Missachtung leiden.100 Viele von uns kennen das. Ich (Jon) hörte einmal, wie jemand sagte, wir bezögen unser Selbstwertgefühl von den Menschen, deren Meinungen uns am wichtigsten sind. Das beginnt schon früh in unserem Leben. Wir können uns vielleicht noch daran erinnern, dass wir so gern zu den coolen Kids in der Schule gehört hätten, dass wir alles darangesetzt haben, so auszusehen, dass wir in einer bestimmten Clique ankommen würden, oder dass wir versucht haben, der Person zu gefallen, mit der wir uns gern angefreundet hätten. Auf dem Weg zum Erwachsenwerden nimmt das Verlangen, anderen gefallen zu wollen, erstaunlicherweise eher noch zu. Was ist eine Bewerbungsmappe? Im Grunde nur unsere Bemühung, uns selbst so gut wie möglich zu verkaufen, um den 159


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