Kapitel 1 New York, 1822 Sie konnte es nicht mehr ertragen. Nicht eine Minute länger! Sie musste weg von hier – an einen Ort, an dem es Menschen gab, Lachen, Leben. Laina Brightons Blick schweifte durch ihren schönen, luxuriös ausgestatteten Salon. Sie spürte erneut diese Verzweiflung in sich, die inzwischen zu ihrem täglichen Begleiter geworden war. Dieser Raum war so elegant, so vollkommen, so leer. Stanford fehlte ihr. Oh, wie sehr er ihr fehlte. Wenn sie doch nur Kinder gehabt hätten, dann vielleicht . . . Laina verdrängte diese herzzerreißenden Gedanken, unterdrückte die Tränen, die ihr in der letzten Zeit immer so schnell und so häufig kamen, und ging mit schnellen Schritten zur Tür. Ihre Gestalt erschien in dem goldgerahmten Spiegel, als sie daran vorbeieilte. Sie verlangsamte ihre Schritte. Dann drehte sie sich um und warf einen Blick in den Spiegel. Der Schmerz war noch immer in ihren Gesichtszügen sichtbar, aber auch eine Entschlossenheit, die sie nicht mehr gesehen hatte, seitdem Stanford vor neun Monaten so überraschend gestorben war. Sie drehte sich rasch um und riss die Tür auf. „Beaumont?“ Der tadellos gekleidete Butler erschien so plötzlich, als hätte er hinter der Tür gelauert. Laina runzelte missbilligend die Stirn. Das war auch so etwas. Die Dienstboten waren ständig um sie bemüht. Laina fühlte sich förmlich erdrückt von so viel Fürsorglichkeit. „Ja, gnädige Frau?“ „Ich fahre nach Philadelphia, Beaumont.“ Sie ignorierte die rasch unterdrückte Missbilligung in seinen Augen. Beaumont war die Verkörperung eines idealen Dienstboten. „Sagen Sie Carlson, dass er die Kutsche sofort fertig machen soll. Ich möchte innerhalb der nächsten Stunde abreisen.“ 5