Kulturmagazin 2018

Page 86

Anniversarium

150 Jahre

Marie Valerie

»Engel von Wallsee«

Zum 150. Geburtstag von Erzherzogin Marie Valerie

M

Christine Stabel

arie Valerie Mathilde Amalie – auf diesen Namen wurde das am 22. April 1868 in Ofen/Buda (heute Budapest) geborene Kind von Kaiser Franz Joseph und Kaiserin Elisabeth getauft. Der Geburtsort war von Elisabeth, deren Begeisterung für Ungarn bekannt war, bewusst gewählt und für die Ungarn Anlass zu großer Freude, war doch seit Jahrhunderten kein kaiserliches Kind mehr in Ungarn geboren worden. So wurde das Mädchen »Ungarnmädel«, »das ungarische Kind« oder das »Gödöllöer Königsfräulein« genannt. In Wien dagegen waren Gerüchte im Umlauf, der Erzeuger dieses Kindes sei nicht Kaiser Franz Joseph, sondern Gyula Graf Andrássy. Brigitte Hamann schreibt

dazu in ihrer vielbeachteten Biographie »Elisabeth. Kaiserin wider Willen«: »Trotz riesiger Neugier und geradezu kriminalistischem Spürsinn mancher Hofchargen, einen ‚Fehltritt‘ der Kaiserin mit Andrássy nachweisen zu können, ist dies doch nie gelungen…, ist geradezu undenkbar.« Marie Valerie wurde von Elisabeth besonders verwöhnt und behütet. Am Hof nannte man das jüngste Kind des Kaiserpaares sehr bald »die Einzige«. Sie war unbestritten Sisis Lieblingskind. Trotz oder auch gerade wegen dieser Bevorzugung erhielt auch Marie Valerie eine sorgfältige und sehr umfassende Erziehung. Elisabeths Verehrung für alles Ungarische ging so weit, dass ausschließlich ungarisch mit Marie Valerie gesprochen wurde. Dies

Marie Valerie und Franz Salvator, 1890

86

führte bei Marie Valerie aber zu einer starken Abneigung gegen das Ungarische, und sie war glücklich, als ihr Franz Joseph erlaubte, mit ihm deutsch zu sprechen. Der Tagesablauf der zwölfjährigen Erzherzogin war streng geregelt: Religion, Französisch, Rechnen, Englisch, Klavierspielen, Tanzen, Schönschreiben, Literatur, Theaterspielen, Kunstgeschichte. Auch auf den Reisen mit ihrer Mutter wurde ihre Bildung vervollständigt. Marie Valerie war auf dem »Heiratsmarkt« begehrt, an Kandidaten fehlte es nicht, allerdings hatte sie schon 1886 auf dem Hofball Erzherzog Franz Salvator aus dem Haus Österreich-Toskana kennengelernt. Unterstützt von der Mutter fand die Verlobung am Heiligen Abend 1888 statt. Vier Jahre nach dem ersten Zusammentreffen heirateten Marie Valerie und Franz Salvator am 31. Juli 1890 in der Pfarrkirche von Bad Ischl. Nach einer ausgedehnten Hochzeitsreise zog das junge Ehepaar auf Schloss Lichtenegg bei Wels. Schon bald wurde Marie Valerie schwanger, die erste Tochter wurde nach der Kaiserin Elisabeth genannt. Zwischen 1892 und 1911 bekam das Paar zehn Kinder, die zuletzt geborene Tochter Agnes verstarb nach der Geburt. Nach der Ermordung Kaiserin Elisabeths 1898 erbte Marie Valerie, gemeinsam mit ihrer Schwester Gisela und der Tochter des toten Kronprinzen Rudolf, ein erhebliches Vermögen. Ihre Verbundenheit mit dem Kaiser wurde noch größer, und sie besuchte ihn auch häufig in Bad Ischl. Marie Valerie war sehr gläubig und fromm, wurde Ehrenprotektorin des Roten Kreuzes und ließ während des Ersten Weltkrieges Lazarette einrichten. Man nannte sie aufgrund ihrer großzügigen Unterstützung Notleidender auch den »Engel von Wallsee« – seit 1897 lebte Marie Valerie mit ihrer Familie auf dem 1895 gekauften Schloss Wallsee in der Nähe von Amstetten. Marie Valerie erkrankte mit nur 56 Jahren an Lymphdrüsenkrebs und verstarb am 6. September 1924. Unter außerordentlich großer Anteilnahme von Menschen aller Bevölkerungsschichten wurde sie in der Krypta der Pfarrkirche von Wallsee-Sindelburg beigesetzt.

Kulturmagazin der Wiener Fremdenführer 2018


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.