Kulturmagazin 2018

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Weltmuseum Wien

Einblick in den Saal »Der Orient vor der Haustür« Weltmuseum Wien, © KHM Museumsverband men »Ethnos« und dem von Ostermayer favorisierten »Haus der Kulturen« ist das neue Leitungsteam nicht glücklich. Diese Begriffe suggerieren, dass (fremde) Kulturen in Kategorien eingeteilt werden können und reflektieren nicht die vermehrte Zuwendung zur eigenen Kultur und Gesellschaft. Letzten Endes ist es das »Weltmuseum Wien« geworden, mit der Idee des Museums als Brücke zwischen Wien und der Welt. Mit einem fulminanten, von André Heller gestalteten Fest wird das Weltmuseum am 25. Oktober 2017 eröffnet. Bei freiem Eintritt stürmen die Wienerinnen und Wiener am darauffolgenden Nationalfeiertag das Haus. Wie eine »Perlenkette von Geschichten« reihen sich die 14 neu gestalteten Säle aneinander, in denen die wichtigsten Objekte der Schausammlung gezeigt und aus zeitgemäßer Sicht interpretiert werden. Bei der Gestaltung konnten die Museumsmacher aus dem Vollen schöpfen: Die ständige Sammlung verfügt insgesamt über rund 200 000 ethnographische Objekte, 100 000 Photographien und 146 000 Druckwerken aus verschiedensten Teilen der Welt. Die neuen Ausstellungsräume reflektieren einerseits die großen (geographischen) Sammlungsbereiche, so zum Beispiel Benin und Äthiopien, Brasilien, Mesoamerika, Indonesien, Japan und China. Andererseits finden sich inhaltliche Schwerpunkte wie Kolonialismus, Sammlerwahn oder Migration-Themen, die nicht nur von ethnologischer, sondern allgemein gesellschaftlicher Relevanz sind. Sonderausstellungen in den Eingangsbereichen, gestaltet von zeitgenössischen Künstlern wie Lisl Ponger, spiegeln ebenfalls diese großen Themen der Ethnologie wider. In der Schausammlung wechseln einander dunkel und hell gestaltete Räume ab: Prunkstücke wie der altmexikanische Federkopfschmuck mit hunderten langen Quetzal-Federn und mehr als tausend Goldplättchen, die berühmte BeninSammlung oder die mehr als 400 Jahre alten Puppentheaterfiguren aus Java werden in ihrer ganzen Pracht präsentiert. Mit Touchscreens und andere technischen Gadgets ist man auf dem neuesten museologischen Stand.

In den heller gestalteten Sälen kann sich das Publikum mit Themen wie Kolonialismus und Migration auseinandersetzen. Neu ist auch, dass die Geschichten, wie verschiedene Gegenstände in die Sammlungen kamen, gleich mit erzählt werden. Oft ist die Provenienz ebenso spannend wie das Objekt. Im Saal »Der Orient vor der Haustür« findet man zum Beispiel Alltagsgegenstände, die österreichische Kriegsgefangene nach dem Ersten Weltkrieg aus Turkmenistan in die Heimat mitbrachten. Dem Anspruch von Direktor Engelsman auf »Multiperspektivität« wird die neue Präsentation ebenfalls gerecht: Wie heute international oft üblich, waren Menschen aus den Herkunftsländern der Ausstellungsstücke in den Prozess der Neuaufstellung eingebunden. Im Nordamerikasaal ist nicht nur ein Kopfschmuck mehreren Baseballkappen gegenübergestellt, es wurde auch ein Saaltext von einem Amerikaner mit indianischen Wurzeln verfasst. Ein breit gefächertes Angebot an Sonderausstellungen begleitet die ständige Sammlung. 2018 soll ein Schaudepot eröffnet werden, der »Korridor des Staunens«. Insgesamt verfügt das Museum

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über 3 900 m2 Ausstellungsfläche. Neben der Ausstellungs- und Vermittlungsarbeit ist die Erweiterung und Bewahrung des materiellen und immateriellen Erbes eine zentrale Aufgabe des Museums. Forschungsprojekte bilden die unerlässliche Basis der Museumsarbeit, sie dienen dem Wissenstransfer und nicht zuletzt auch der Konservierung der wertvollen Sammlungsobjekte. Ein weiteres wichtiges Projekt ist die Rekatalogisierung und Digitalisierung der Bibliothekssammlung: Altbestände im Umfang von ca. 250 000 Katalogkarten werden bereits seit einigen Jahren elektronisch erfasst und in den Online-Bibliothekskatalog integriert. So werden die Bestände bewahrt und stehen weltweit für wissenschaftliche Recherchen zur Verfügung. Nach der erfolgreichen Neueröffnung des Hauses dreht sich das personelle Karussell weiter: Steven Engelsman verlässt Wien schon mit Ende 2017; Christian Schicklgruber, langjähriger Kurator des Hauses, übernimmt die Leitung für drei Jahre. Die endgültige Entscheidung wird dann bei Eike Schmidt, dem neuen Direktor des KHM ab 2019, liegen.

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