Archiv Natur- und Landeskunde Mecklenburg-Vorpommern - Die Amphipodenfauna (Crustacea) zwischen...

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Archiv Natur- und Landeskunde Mecklenburg-Vorpommern Band 54 / 2016 / Seiten 43–55 / DOI 10.3285/nlk.54.04 www.natur-und-landeskunde-mv.de

GEOZON SCIENCE MEDIA ISSN 0518-3189

Die Amphipodenfauna (Crustacea) zwischen Plauer See und Müritz (Mecklenburgische Seenplatte) Ulrich Meßner & Michael L. Zettler Kurzfassung:

Die Mecklenburgischen Oberseen (Plauer See bis Müritz) sowie die mit ihnen verbundenen kleineren Seen wurden auf das Vorkommen von Amphipoden untersucht. Dazu wurden alle verfügbaren historischen Befunde gesichtet und die aktuelle Situation (2014–2016) ausführlich beschrieben. Der starke Faunenwandel durch Zuwanderung pontokaspischer Arten geht von den viel befahrenen Schifffahrtswegen (Bundeswasserstraßen) aus. Je nach Durchlässigkeit der Verbindungen erfolgt die Veränderung der Fauna in den umliegenden Seen zeitverzögert. Während Gammarus lacustris G.O. Sars, 1864 bereits seit Mitte des 20. Jhs. nicht mehr nachweisbar ist und der zwischenzeitlich zugewanderte Gammarus varsovi­en­sis Jażdżewski, 1975 in diesen Seen ebenfalls wieder fehlt, sind Gammarus pulex (Linnaeus, 1758) und Gam­ marus roeselii Gervais, 1835 aktuell auf die Zuflüsse in die untersuchten Seen beschränkt. Die Amphipodenfauna der großen Seen besteht derzeit ausschließlich aus allochthonen (pontokaspischen) Arten.

The Amphipoda (Crustacea) between Lake Plau and Müritz (Mecklenburgian Lakeland) Abstract:

The Mecklenburgian Great Lakes (Lake Plau to Müritz) and the connected (adjacent) smaller lakes were investigated for the presence of amphipod species. Both historical data and the present situation (2014 to 2016) were described. Due to high traffic, notable introduction of neozoan species in recent history originates from federal waterways. Species inventory has completely changed from few autochthonous species to several allochthonous amphipods (in this case of Ponto-Caspian origin). Adjacent lakes were colonised with time delay as a function of their connectedness. While Gammarus lacustris G.O. Sars, 1864 already had disappeared in the middle of the 20th century and the probably also introduced Gam­ marus varsoviensis Jażdżewski, 1975 is missing again, Gammarus pulex (Linnaeus, 1758) and Gammarus roeselii Gervais, 1835 are currently restricted to some small tributary waters of the lakes (creeks and wells). The amphipod fauna of the lakes presently consists of allochthonous Ponto-Caspian species only.

Keywords: Amphipoda, Gammarus, Dikerogammarus, Pontogammarus, Echinogammarus, Obesogammarus, Chelicorophium, Synurella, neozoan species, Germany, Mecklenburg-Vorpommern

1 Einleitung In jüngster Zeit hat ein enormer Faunenwandel entlang der Bundeswasserstraßen durch Ein­­ wanderung neuer Arten stattgefunden. Auch wenn einige Einwanderungswege für einzelne Arten schon älter sind, hatte die Fertigstellung des Main-Donau-Kanals 1992 die Ausbreitung allochthoner Arten nochmals beschleunigt (Bij de Vaate et al. 2002). Der Hauptvektor für die sehr schnelle Verbreitung, insbesondere auf den stark befahre-

nen Bundeswasserstraßen, ist der Schiffsverkehr (Tittizer et al. 2000, Tittizer 2001). In Mecklenburg-Vorpommern ist vor allem das hohe Aufkommen von touristischen Sportbooten als Vektor bedeutend. Die Mecklenburgischen Oberseen (Plauer See bis Müritz) sind Teil des Bundeswasserstraßennetzes und stehen in Verbindung mit Elbe und Oder. So stehen Einwanderungswege aus zwei Richtun­gen offen. Neben dem direkten Ausbreitungsprozess über die Bundeswasserstraßen lassen sich in den umliegenden Gewässern die zeitlich

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Ulrich Meßner & Michael L. Zettler

verzögerten Faunenveränderungen durch weitere Vektoren (z.B. Fischerei) aktuell verfolgen. Über die historische Verbreitung von Am­ phi­ poden in den Mecklenburgischen Seen liegt außerordentlich wenig Datenmaterial vor. Offenbar war das Interesse an dieser Tiergruppe gering, selbst als Fischnährtiere wurden sie selten beachtet (Schäperclaus 1938, Wundsch 1948, Bieber-Richter 1949). Historische Faunenverschiebungen sind daher nur lückenhaft belegbar, sollen hier aber weitestgehend nachgezeichnet werden. 2  Material und Methoden Es liegen für unser Untersuchungsgebiet aus dem 20. Jh. nur zwei ältere Belege (1901 und 1903) aus dem Plauer See und der Müritz im Museum für Naturkunde Berlin vor (leg. Weltner, Samter, det. Zettler). Die Suche nach weiteren Belegen in Museen und Instituten blieb erfolglos. Die fischereiwirtschaftlich orientier­ ten Gutachten von Schäperclaus (1938) sowie Wundsch (1948) enthalten hinsichtlich Amphipoda wenige, aber glaubhafte Angaben für die Müritz, die aber mangels Belegen nicht nachbestimmbar sind. Weitere Aufsammlungen für das Untersuchungsgebiet stammen aus 1988 und 1989 (13 Datensätze, Meßner), die archiviert und nachbestimmt wurden. Darauf folgten ab 1997 regelmäßige Aufsammlungen bis 2010 (69 Datensätze, Zettler). 2014–2016 wurden im Untersuchungsgebiet systematische Kartierungen der Amphipoden vor­­­­genommen. Die Beprobungen fanden zu al­­­­­­len Jahreszeiten statt, die Eisbedeckungen in den betreffenden Wintern waren nur sehr kurzzeitig. Für die Probennahmen diente in der Regel ein Keschersieb (Maschenweite 1 mm). Auf diese Weise wurden im Uferbereich alle in Frage kommenden Habitatstrukturen bis max. 1 m Wassertiefe untersucht. Angespülte Pflanzenreste, Blätter, Totholz, Steine und Muschelkolonien (Dreissena bugensis1 (Andrusov, 1897) und Dreissena polymorpha (Pallas, 1771) wurden per Hand oder mit Hilfe eines Messers durchsucht. 44

Zudem wurden 13 Dredgeproben (Dreiecks­ dredge, Maschenweite 0,75 mm) in verschiedenen Tiefen der großen Seen (Plauer See, Fleesensee, Kölpinsee, Müritz) genommen. Einzelne Proben wurden auch tauchend bis in 3 m Tiefe in der Müritz gesammelt (Netzbeutel, Maschenweite 0,5 mm). Im Zuge der Untersuchungen 2014–2016 wur­­­­den ca. 4.700 Amphipoden gefangen und bestimmt. Zur Auswertung kamen dabei 125 Proben (= 347 Datensätze: 2014: 25, 2015: 70, 2016: 252). Alle in dieser Zeit gefangenen Tiere wurden in Alkohol fixiert und sind beim Erstautor archiviert (außer Drewitzer See). Die Datensätze sind in der landesweiten Datenbank für Malacostraca in Mecklenburg-Vorpommern gespeichert. 3  Das Untersuchungsgebiet Die Mecklenburgischen Oberseen (auch Mecklenburgische Großseenlandschaft genannt, vgl. Grundmann 1999, Kaiser 1996) sind Teil der Mecklenburgischen Seenplatte und werden durch den größten See Norddeutschlands, die Müritz, sowie Kölpinsee, Fleesensee und Plauer See charakterisiert (Abb. 1). Sie befinden sich ca. 120 km Luftlinie NNW von Berlin entfernt. In unsere Betrachtung haben wir neben den großen Seen (Müritz, Kölpinsee, Fleesensee, Plauer See) und deren Verbindungen (Petersdorfer See, Recken, Malchower See, Eldekanal) auch Seen einbezogen, die unmittelbare Verbindungen zu ihnen haben (Großer Pätschsee, Jabelscher See, Tiefwarensee, Feisneck) oder bis in jüngste Zeit hatten (Drewitzer See, bis 1998). Somit sollen die mehr oder weniger verzögerten Faunenverschiebungen in angrenzenden Gewässern deutlich werden. Das

1 Wir folgen hier den Ausführungen von Huber (2010) und bezeichnen die Art als Dreissena (Pontodreissena) bu­ gen­­­­sis (Andrusov, 1897). Jüngere molekularbiologische Stu­­­ dien wei­­­­sen darauf hin, dass es sich vermutlich um keine eigenständige Art handelt und demnach Dreissena rostri­ formis (Deshayes, 1838) die korrekte Bezeichnung wäre (Stepien et al. 2014).

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Die Amphipodenfauna

Abb. 1: Blick vom SO-Ufer der Müritz nach NW, im Hintergrund Kölpinsee, Fleesensee und am Horizont in der Bildmitte der Plauer See, Foto: www.luftbild-blossey.de Fig. 1: View from the southeastern coast of Lake Müritz to north-west, in the background Lake Kölpin, Lake Fleesen and at the horizon in the middle Lake Plau are visible, image: www.luftbild-blossey.de Tab. 1: Kurzcharakteristik der untersuchten Seen (Daten aus dem Seenprogramm des Ministeriums für Landwirtschaft und Umwelt Mecklenburg-Vorpommern, Schwerin 2016) Tab. 1: Hydrographical characteristics of investigated lakes (data from the lake program of the Ministry for Agriculture and Environment Mecklenburg-Vorpommern, Schwerin 2016) Gewässer

Fläche ha

Tiefe (mittl.) m

Tiefe (max.) m

Trophie (nach LAWA)

Sichttiefe (ab 2013) m

Müritz

10.786

6,5

30,3

oligotroph

4,3 – 4,8

Plauer See

3.840

6,8

25,5

mesotroph1

2,8 – 3,5

Kölpinsee

2.029

3,5

30

mesotroph1

3,4

Fleesensee

1.077

6,1

26,3

mesotroph2

2,4

Drewitzer See

692

9,7

31,3

mesotroph

4,6

Jabelscher See

244

5,3

22,6

eutroph1

1,4

Malchower See

170

5,4

12,5

mesotroph2

2,6

Feisneck

168

7,0

13,5

mesotroph1

4,7

Tiefwarensee

141

9,6

23,6

mesotroph2

3,8

Petersdorfer See

101

2,3

4,6

eutroph2

1,1

Großer Pätschsee

49

9,5

24,3

mesotroph1

4,2

Recken

21

1,0

2,9

polytroph1

0,8

Untersuchungsgebiet und die darin einbezogenen Gewässer sind in Abb. 2 und Tab. 1 dargestellt. Außerdem sind nahezu alle, bisweilen auch kleinste Zuflüsse mit beprobt worden. Die Mecklenburgischen Oberseen werden von der Elde durchflossen, die aus ihrem Quellgebiet südwestlich der Müritz in einen der südlichen Müritzarme mündet, danach alle weiteren Seen passiert und den Plauer See

über die Schleuse Plau nach Westen verlässt und schließlich bei Dömitz in die Elbe mündet. Der zweite (künstliche) Abfluss erfolgt über die Schleuse Mirow am Südende der Müritz über den Müritz-Havel-Kanal in Richtung Havel und entwässert damit ebenfalls in die Elbe. Die Seenkette zwischen Plauer See und Müritz gehört zu den Bundeswasserstraßen (Müritz-Elde-Wasserstraße). Diese Verbindung war

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Abb. 2: Das Untersuchungs­ gebiet Mecklenburgische Oberseen Fig. 2: Investigation area, the Mecklenburgian Great Lakes

Abb. 3: Verbreitung der Amphipodenarten 2014–2016 im Untersuchungsgebiet (ohne Synurella ambulans (F. Müller, 1846)) Fig. 3: Distribution of amphipod species in 2014 to 2016 within the investigation area (without Synurella ambulans (F. Müller, 1846))

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Die Amphipodenfauna

Anfang des 19. Jhs. für den Frachtverkehr (inkl. Holzflößerei) ausgebaut worden. Im Laufe der Zeit wandelte sich das Nutzungsinteresse erheblich und ist aktuell hauptsächlich touristischen Belangen vorbehalten. Das betrachtete Gebiet liegt unmittelbar südwestlich der Endmoräne des Pommerschen Stadiums der Weichsel-Kaltzeit und damit an der Hauptwasserscheide zwischen Nordund Ostsee. Die Wassereinzugsgebiete sind dementsprechend klein und werden saisonal durch das Niederschlagsgeschehen wesentlich beeinflusst. Der Wasserspiegel der Oberseen wird über die o.g. Schleusen zwischen 61,65 HN (unteres Stauziel) und 62,20 HN (oberes Stauziel) gesteuert (STALU 2016). Morphogenetisch sind die Seen Kombinatio­ nen aus Gletscherzungenbecken, Toteishoh­l­ formen und Schmelzwasserrinnen der Weichselvereisung (vgl. Grundmann 1999). Sie unterlagen erheblichen Wasserspiegelschwankun­ gen von 5 m unter dem heutigen Niveau im Präboreal und 2 m über dem heutigen Niveau nach 1300 u.Z. bis Ausgang des 18. Jhs. (Kaiser 1996). Der sehr hohe Wasserstand der Müritz nach der deutschen Wiederbesiedelung im 12./13. Jh. ist neben klimatischen Veränderungen (feuchter und kälter) auf den Rückstau von

Wassermühlen im Eldeverlauf zurückzuführen. Mit der industriellen Revolution wurden die Wassermühlen unrentabel und der Ausbau der Verkehrswege forciert. So kam es Ende des 18. Jhs. zur ersten Müritzabsenkung und zuletzt 1837 zum Ausbau des Eldekanals und damit Absenkung der Müritz auf das heutige Niveau (Messner 2009). In der Folge wurden Verbindungen nach Hamburg und Berlin schiffbar. Die Wasserqualität der hier untersuchten Gewässer ist gut bis sehr gut (s. Tab. 1). Auffällig ist lediglich der polytrophe Recken, die schmale Rinne südlich der Stadt Malchow. Die oligo- bis mesotrophen Verhältnisse der großen Seen machen sie für die touristische Nutzung besonders attraktiv. Diese Verhältnisse sind allerdings auch erst nach 1990 wieder entstanden, als die Belastungen durch Abwasser­ einleitungen sowie Fischintensivproduktion weitestgehend abgestellt wurden. Der mittlere Jahresniederschlag beträgt 580 mm, die mittlere Jahrestemperatur 8,0°C (Kü­ ster & Kaiser 2010). 4  Ergebnisse und Diskussion Folgende Amphipodenarten wurden im Untersuchungsgebiet nachgewiesen (Tab.2):

Tab. 2: Nachgewiesene Amphipodenarten im Untersuchungsgebiet Tab. 2: Amphipod species of the investigation area Art

Herkunft

Status

Synurella ambulans (F. Müller, 1846)

autochthon

im Einzugsgebiet verbreitet

Gammarus lacustris G.O. Sars, 1864

autochthon

Nachweis bis 1948, verschollen

Gammarus pulex (Linnaeus, 1758)

autochthon

Nachweise ab 1901

Gammarus roeselii Gervais, 1835

SO-Europa

Nachweise ab 1989

Gammarus varsoviensis Jażdżewski, 1975

pontokaspisch

Nachweise 1989-2005, verschollen

Dikerogammarus haemobaphes (Eichwald, 1841)

pontokaspisch

Nachweise ab 2001

Dikerogammarus villosus (Sowinsky, 1894)

pontokaspisch

Nachweise ab 2001

Pontogammarus robustoides (G.O. Sars, 1894)

pontokaspisch

Nachweise ab 1997

Echinogammarus trichiatus (Martynov, 1932)

pontokaspisch

Nachweise ab 2014

Echinogammarus ischnus (Stebbing, 1899)

pontokaspisch

Nachweise ab 1989

Obesogammarus crassus (G.O. Sars, 1894)

pontokaspisch

Nachweis 2005, kein aktueller Fund

Chelicorophium curvispinum (G.O. Sars, 1895)

pontokaspisch

Nachweise ab 1935

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4.1  Das aktuelle Verbreitungsbild Die aktuellen Verbreitungen (2014–2016) der ein­­­zelnen Arten in den untersuchten Seen und deren Zuflüssen sind mit Ausnahme von Synu­ rel­la ambulans (F. Müller, 1846) in Abb. 3 dargestellt. Die Seen der Bundeswasserstraße (Müritz, Kölpinsee, Fleesensee, Plauer See sowie deren Verbindungen) sind ausschließlich durch die neuen pontokaspischen Arten besiedelt. Das gleiche Bild zeigt der Jabelsche See, der durch einen gut befahrbaren Kanal und seine Häfen sehr attraktiv für den Motorbootverkehr aus den benachbarten großen Seen ist. Die dominanteste Art in diesen Seen ist zweifellos Dikerogammarus villosus (Sowinsky, 1894), gefolgt von Pontogammarus robustoides (G.O. Sars, 1894). Im Untersuchungszeitraum schien Echinogammarus trichiatus (Martynov, 1932) deutlich zuzunehmen, der in allen anderen Untersuchungsgewässern (noch) fehlt. Ein anders Bild zeigt die Feisneck, die durch einen sehr kurzen (ca. 130 m), aber nicht durch Boote befahrbaren Durchstich zur Müritz verbunden ist. In niederschlagsarmen Episoden ist die Abflussströmung aus der Feisneck kein Hindernis für einwandernde Arten. Hier dominiert deutlich Dikerogammarus haemobaphes (Eichwald, 1841), begleitet von P. robustoides. Dikerogammarus villosus ist bisher nur an der Nord-Spitze unmittelbar im Umfeld der Verbindung zur Müritz gefunden worden, E. tri­ chiatus wurde bisher noch nicht festgestellt. Die Verbindung zwischen Tiefwarensee und Müritz ist dagegen deutlich länger und passiert in der Stadt Waren den kleinen Herrensee (in Abb. 2 nicht dargestellt), der als Habitat für Amphipoden ungeeignet erscheint. Der Tiefwarensee ist durch Boote auf dem Wasserweg nicht erreichbar, in niederschlagsarmen Jahren stagniert der Abfluss in die Müritz und zeigt anaerobe Abschnitte. Im Tiefwarensee ist D. haemobaphes sehr dominant und kommt hier gemeinsam mit G. pulex vor. Der Große Pätschsee hat zwar einen kurzen, aber stets rege fließenden Abfluss in den 48

Plauer See. Im See dominiert P. robustoides neben G. pulex. In dem Abfluss zum Plauer See (Bach) kommen reichlich G. roeselii und G. pu­­­­­­­lex vor. Gammarus roeselii ist dafür weder im Großen Pätschsee noch im Plauer See zu finden. Die Verbindung zwischen Drewitzer und Plauer See wurde im Rahmen eines EU-LIFEProjektes 1998 verschlossen. Im Drewitzer See kommen ausschließlich P. robustoides und in sehr geringer Zahl G. pulex vor. Wichtig ist, dass nahezu alle Zuläufe in die Seen gute Vorkommen von G. pulex und G. roeselii beherbergen. Selbst kleinste Sickerbäche (z.B. SW-Ufer Plauer See) zeigen sehr gute Vorkommen von G. pulex, die unmittelbar am Spülsaum des Sees abrupt durch das neue Artenspektrum abgelöst werden. Da in diesen kleinen und oft schnell fließenden Zuläufen bisher keine der neuen Arten nachgewiesen wurden, liegt die Vermutung nahe, dass hier auch die künftigen Nischen für G. pulex und G. roeselii liegen. Ponyi (1956) beschreibt eine analoge Situation für den Plattensee nach der Einwanderung von Dikerogammarus-Arten. In Abb. 4 ist die Tiefenverteilung der Arten in den großen Seen (Müritz, Kölpinsee, Fleesensee, Plauer See sowie deren Verbindungen) dargestellt. Die großen Seen haben an ihren Ufern deutlich mehr Wellenschlag und Strömung aufzuweisen, als die kleineren Seen. Die Verbindungen (Petersdorfer See, Malchower See, Elde) sind besonders dem Wellenschlag der Schiffe ausgesetzt und ähneln insofern den großen Seen mit deren Windexposition. Daher darf diese Darstellung nicht auf die kleineren Seen (Drewitzer See, Großer Pätschsee, Jabelscher See, Tiefwarensee, Feisneck) übertragen werden, die sich hydrographisch und in der Artenzusammensetzung wie auch in der Nutzung deutlich unterscheiden. 4.2  Historischer Faunenwandel Auch wenn die Datenlage eine lückenlose Her­­­­­­ leitung der historischen Faunenverschiebungen nicht zulässt, soll hier dennoch eine Be-

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Die Amphipodenfauna

Abb. 4: Tiefenverteilung der Arten in den großen Seen (Müritz, Kölpinsee, Fleesensee, Plauer See sowie deren Verbindungen) Fig. 4: Depth distribution of amphipod species in the greater Lakes (Müritz, Kölpin, Fleesen, Plau and their connecting waterways)

Abb. 5: Zeittafel der Funddaten von Amphipoden von 1901 bis 2016 Fig. 5: Time table of occurrence of amphipod species in the investigation area between 1901 and 2016

trachtung der vorliegenden Daten und Hinweise versucht werden (s. Abb. 5). Mit der Absenkung der Müritz durch den Kanalbau ab dem 19. Jh. wurden vormals isolierte Einzugsgebiete miteinander verbunden und Transportmittel über lange Distanzen be-

wegt (Schiffe, Holzflöße). Die vielleicht erste augenfällige Veränderung in Europa war die Etablierung der Dreikantmuschel (Dreissena polymorpha) Mitte des 19. Jhs. (Bij de Vaate 2002) sowie der Eintrag der Krebspest (Apha­ nomyces astaci Schikora, 1906) und folglich der

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Zusammenbruch der Vorkommen des Edelkrebses (Astacus astacus (Linnaeus, 1758)). Bei den Amphipoden ist für unser Untersuchungsgebiet und die gegebene Datenlage der Fund von G. lacustris 1903 in der Müritz bemerkenswert (leg. Samter, det. Zettler). Die Art dürfte zu der Zeit noch allgemein verbreitet gewesen sein. Auch Wundsch (1948) nennt noch G. lacustris für die Müritz, wobei hier die Restunsicherheit bestehen bleibt, ob ggf. bereits G. varsoviensis vorkam. Heute existieren in der Mecklenburgischen Seenplatte nur noch sehr wenige Vorkommen dieser auch als Glazialrelikt eingestuften Art (Waterstraat 1988) in sehr isolierten Seen. Der Nachweis von G. pulex 1901 erscheint selbstverständlich, nicht jedoch das Fehlen die­­­­ ser einst allgegenwärtigen Art mit der Etablierung der meisten pontokaspischen Arten in den großen Seen, nach Datenlage seit 2005. Wann G. roeselii und G. varsoviensis in das Gebiet gekommen sind, ist durch Funde nicht nachvollziehbar. Gammarus roeselii ist so leicht zu erkennen, dass die Art bei den Probennahmen 1901 und 1903, aber auch bei Schäperclaus (1938) sowie Wundsch (1948) kaum übersehen worden sein dürfte. Die ersten Belege von G. varsoviensis stammen von 1989 aus Kölpinsee, Fleesensee und Müritz (leg./det. Meßner). Vainio et al. (1995) verwendeten Material von G. varsoviensis aus dem Kölpinsee (leg./det. Köhn), so dass zu dieser Zeit von einem gesicherten Vorkommen ausgegangen werden darf. Der letzte Fund stammt von 2005, ebenfalls aus dem Kölpinsee (leg./det. Zettler). Das historische Zeitfenster für das Vorkommen von G. varsoviensis und die Verdrängung durch die neuen pontokaspischen Arten werden auch durch die Verbreitungsmuster in der Oberen Havel suggeriert (Messner & Zettler 2016). Chelicorophium curvispinum (Sars, 1895) wurde erstmals von Schäperclaus (1938) für die Müritz genannt (in Wundsch 1948). Wundsch (1948) deutet an, dass die Art schon längere Zeit im Gebiet ist: „Die größeren Krebstiere sind einmal durch den amerikani50

schen Flußkrebs (Cambarus affinis) vertreten, der ebenso wie der Röhrenkrebs (Corophium curvispinum) innerhalb der letzten 30 Jahre in steigendem Maße von der Havel her eingewandert ist.“ Für Echinogammarus ischnus (Stebbing, 1899) liegen für die Müritz die ersten Nachweise von 1989 vor (leg./det. Meßner). Die Art kam damals schon in großen Mengen vor, so dass von einem früheren Einwanderungszeitpunkt ausgegangen werden muss. Water­ straat & Köhn (1989) machten den Erstfund von E. ischnus im Kummerower See, also nahezu zeitgleich im Einzugsgebiet der Ostsee. Die offenbar sehr konkurrenzstarken pontokaspischen Arten traten erstmalig um die Jahrtausendwende im Untersuchungsgebiet auf (P. robustoides 1997, D. haemobaphes und D. villosus 2001, leg./det. Zettler). Der jüngste Zuwanderer ist E. trichiatus (Daten seit 2014), der sich aktuell in Ausbreitung befindet (Zettler 2015, Messner & Zettler 2016). Obesogammarus crassus (Sars, 1894) wurde bisher nur 2005 an unterschiedlichen Fundorten der S-Müritz nachgewiesen (leg./det. Zettler). Da die Art in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg in mehreren Gewässern aktuell immer wieder gefunden wird, kann mit ihr auch im Untersuchungsgebiet weiterhin gerechnet werden. Zu erwarten ist zukünftig Chelicorophium robustum (G.O. Sars, 1895). Die Art ist im November 2016 (erstmalig für Mecklenburg-Vorpommern) in der Müritz-Elde-Wasserstraße in Lübz in beträchtlicher Zahl gefunden worden (leg./det. Meßner). Der Weg bis in den Plauer See auf der lebhaft befahrenen Wasserstraße beträgt nur 22 km. Eine intensive Kontrolle am Auslauf der Müritz-Elde-Wasserstraße aus dem Plauer See im Dezember 2016 ergab noch keinen Nachweis von C. robustum für unser Untersuchungsgebiet. Ebenfalls als potenzieller Einwanderer muss die nordamerikanische Art Gammarus tigrinus Sexton, 1939 angesehen werden, der u.a. im Unterlauf der Elde bei Neu Kaliß und in der Alten Elde bei Krinitz nachgewiesen wurde (leg. Jueg, det. Zettler).

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Die Amphipodenfauna

Allerdings zeigte diese Art bisher keine Ausbreitungstendenz, obwohl sie in der Elbe und im Unterlauf der Elde seit 1996 häufig beobachtet werden kann. 4.3  Ergänzende Anmerkungen zu den Arten Synurella ambulans (F. Müller, 1846) Synurella ambulans kommt im gesamten Un­ ter­suchungsgebiet vor, hier vor allem in ruhigen, oft quelligen Uferbereichen, vornehmlich in Fall­­laub. Desweiteren ist die Art in der gesamten Seenplatte und Mecklenburg-Vorpommern verbreitet, wird aber übersehen, sofern man nicht dezidiert nach ihr sucht (s.a. Zettler 2002). Gammarus lacustris G.O. Sars, 1864 Die nächsten rezenten G. lacustris-Vorkommen liegen im Müritz-Nationalpark in sehr isolierten Seen im Umfeld der Hauptwasserscheide Nord-Ostsee. Auch dort sind in jüngerer Zeit Vorkommen erloschen, so dass diese Art als hochgradig gefährdet eingestuft werden muss. Gammarus pulex (Linnaeus, 1758) Der erste überprüfbare Nachweis von G. pulex für unser Untersuchungsgebiet stammt vom 27.9.1901 aus dem Plauer See und ist im Naturkundemuseum Berlin hinterlegt (leg. Weltner, det. Zettler). Aus August und September 1989 liegen 3 Nachweise aus der Binnenmüritz, dem Eldekanal und Tiefwarensee vor (leg./det. Meßner). Diese magere Datenlage ist zweifellos kein Abbild der Häufigkeit dieser Art, die mit höchs­ ter Wahrscheinlichkeit sogar die häufigste in allen Seen gewesen war. Vielmehr hat diese gemeine Art kein Interesse hervorgerufen und wurde daher auch nicht aufgesammelt. Indizien für diese Annahme sind die oft massenhaften Vorkommen in anderen Seen, in denen noch immer ausschließlich G. pulex vorkommt als auch das massenhafte Auftreten der Art in vielen Zuflüssen der hier untersuchten Seen. Die Vorkommen im Drewitzer See, Großen Pätschsee und Tiefwarensee sind gegenüber

den neuen Arten eher rar. Gammarus pulex ist hier in der unmittelbaren Kontaktzone zwischen Wasser und Land in angespülten Pflanzenresten, Laub oder überhängenden Wurzeln zu suchen. Die neuen Arten dominieren deutlich, so dass der Nachweis nur über sehr gezielte Suche oder/und durch genügend große Proben gelingt. Im Gegensatz dazu ist G. pulex in den meisten Zuläufen (Bäche, fließende Gräben) ausgesprochen häufig und oft massenhaft anzutreffen, hier auch gemeinsam mit G. roeselii. Gammarus pulex nutzt hier alle denkbaren Habitatstrukturen. Gammarus roeselii Gervais, 1835 Die Analyse vieler zoogeografischer Daten suggeriert, dass die Art ursprünglich aus Südost-Europa und Kleinasien stammt (Karaman & Pinkster 1977). Die Einwanderung nach West- und Mittel-Europa hat vermutlich erst in den letzten Hundert Jahren stattgefunden (Jażdżewski & Roux 1988). Die ersten zwei körperlichen Nachweise von G. roeselii in unserem Untersuchungsgebiet stammen von 1988 aus einem Zufluss in die Feisneck und 1989 aus dem Eldekanal (leg./det. Meßner). Auch dieses Bild entspricht nicht annähernd der Realität über das Vorkommen der Art zu dieser Zeit. Da die Art unverwechselbar ist, darf auch mündlichen Mitteilungen Aufmerksamkeit geschenkt werden. So berichtet J. Rahn (mdl.) von seinen fischereilichen Seebonitierungen, dass G. roeselii ihm bereits in den 1960er Jahren aus den Seen erinnerlich ist. Dass G. roeselii gemeinsam mit G. pulex Seen in großen Mengen besiedeln kann, ist nicht ungewöhnlich (Messner & Zettler 2016). Das heutige Fehlen der Art in den Seen ist nur durch die Konkurrenz der neuen Arten erklärlich. Heute ist G. roeselii (ebenso wie G. pulex) auf die Zuflüsse in die Seen unseres Untersuchungsgebietes beschränkt, dabei vorrangig in eutrophierten Gräben aus landwirtschaftlichen Flächen (z.B. Grenzgraben b. Jabel). Dort kann er bisweilen hohe Abundanzen erreichen. Interessant ist hierbei das Vorkommen

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Ulrich Meßner & Michael L. Zettler

Abb. 6: Dikerogammarus villosus (Sowinsky, 1894) auf der Unterseite eines rostigen Eisenteiles vom Uferbereich der Müritz Fig. 6: Dikerogammarus villosus (Sowinsky, 1894) on the bottom of a rusty part of iron from Lake Müritz

im Abfluss des Großen Pätschsees in den Plauer See (Bachlauf von ca. 230 m). Da im Großen Pätschsee kein G. roeselii nachweisbar war und ebenfalls nicht im Plauer See, dürfte dieser Bachlauf auf seinen 230 m ein isoliertes Vorkommen beherbergen. Gammarus varsoviensis Jażdżewski, 1975 Die Ergebnisse von Grabowski et al. (2012) implizieren, dass G. varsoviensis eine eingewanderte Art mit pontokaspischen Ursprung ist. Offenbar ist diese Art nicht so konkurrenzstark wie andere aus diesem geografischen Raum, denn mit dem Einwandern der Gattung Dikerogammarus ist G. varsoviensis verschwunden. Die Art ist im Untersuchungsgebiet aktuell nicht mehr nachweisbar. Dikerogammarus haemobaphes (Eichwald, 1841) D. haemobaphes ist in Feisneck und Tiefwarensee auffällig dominant und hier auch im unmittelbaren Flachwasser häufig vertreten. Dagegen ist die Art in den großen Seen im Uferbereich selten, in allen Dredgeproben (2– 5 m) aber sehr regelmäßig vorhanden. Dike­ ro­­­­gammarus haemobaphes ist unter den eingewanderten Arten auch die einzige, die in Fließgewässerabschnitten angetroffen wurde, so im Ablauf des Tiefwarensees als auch im 52

Kanal nördlich des Jabelschen Sees, allerdings immer bei sehr mäßiger Fließgeschwindigkeit und in großer Nähe zu den Seen. Ob D. haemo­ baphes weiter in die Fließgewässer geht, bleibt abzuwarten. Ein Fund in der Mildenitz (kleiner Fluss im Einzugsgebiet der Warnow) im Jahre 2016 (leg./det. Meßner) legt dies allerdings nahe. Dikerogammarus villosus (Sowinsky, 1894) Diese große und oft auffällig gefärbte Art ist erst durch Öffnung des Main-Donau-Kanals eingewandert und hat die größte Dominanz unter den Amphipoden im Untersuchungsgebiet erreicht. Dikerogammarus villosus kommt bisweilen in Massen vor (Abb. 6) und besiedelt verschiedene Hartsubstrate, Phytal und Totholz. Ein hervorragendes Habitat sind die Kolonien von Dreissena bugensis (s. Abb. 7–9), die seit etwa 2014 in den Bundeswasserstraßenseen Dreissena polymorpha nahezu komplett abgelöst hat (Messner & Zettler 2015). Anfängliche Kescher- und Dredgeproben in den Chara-Rasen des Ostufers der Müritz brachten zunächst keinen einzigen Amphipoden zu Tage. Beim Greifen von Pflanzen stellte sich aber heraus, dass D. villosus und P. robus­ toides darin in erheblicher Dichte vorkommen und sich dabei außerordentlich stark in diesen Beständen verankern.

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Die Amphipodenfauna

Abb. 7: Dreissena bugensis (Andrusov, 1897) -Bewuchs auf Steinen am Süd­ ostufer der Müritz Fig. 7: Dreissena bugensis (Andrusov, 1897) colonies on boulders at the southeastern coast of Lake Müritz

Abb. 8: Typische lose liegende Dreissena bugensis (Andrusov, 1897) -Klumpen in Chara-Rasen am Ost­ ufer der Müritz (hier mit Grünem Gallertkugeltierchen Ophrydium versatile (O.F. Müller, 1786) Bory, 1824

Abb. 9: Dreissena bugensis bietet optimales Habitat für Dikerogammarus villosus (Sowinsky, 1894) und Echino­ gammarus ischnus (Stebbing, 1899), (Pfeile: Dikerogam­ marus villosus (Sowinsky, 1894))

Fig. 8: Very typical are Dreissena bugensis (Andrusov, 1897) colonies lying on sand between Chara-weeds at the east coast of Lake Müritz (here with the ciliate Ophrydium versatile (O.F. Müller, 1786) Bory, 1824

Fig. 9: Dreissena bugensis colonies offer optimal habitats for the amphipods Dikerogammarus villosus (Sowinsky, 1894) and Echinogammarus ischnus (Stebbing, 1899), (arrows: Dikerogammarus villosus (Sowinsky, 1894))

Pontogammarus robustoides (G.O. Sars, 1894) Ähnlich häufig, aber nicht so massenhaft kommt P. robustoides vor. Die Art scheint eher sandigen bis kiesigen Grund zu bevorzugen. Der Schwerpunkt liegt hier eindeutig in flacheren Regionen bis zu angespülten Pflanzenresten. Hier findet man die Tiere oft in großer Zahl in abgerissenen Wasserpflanzen im Spülsaum oder in Ansammlungen kleiner Schilfund Holzbruchstücken.

Echinogammarus trichiatus (Martynov, 1932) E. trichiatus findet sich vermehrt in den Bundeswasserstraßen und dort ausschließlich im Flachwasser. Dort ist die Art vorzugsweise in dichten Wurzelgeflecht (z.B. Weiden, Grasnarben) zu finden, aber auch im Spülsaum von Wasserpflanzen (manchmal dicht verfilzt) oder unter Totholz-Rinde. Es bleibt zu beobachten ob E. trichiatus diese Habitatpräferenzen noch ausweitet.

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Echinogammarus ischnus (Stebbing, 1899) Nach seinem massenhaften Auftreten, wie Ende der 1980er Jahre beobachtet, schien E. ischnus zunächst stark zurückgegangen zu sein. Aktuell gehört dieser sehr kleine Amphipode doch zu den häufigsten Arten und ist am Einfachsten zwischen den Dreissena-Kolonien zu finden, wo er die untersten Lücken besiedelt. Die Art ist aber auch in den Dredgeproben bis in die Muschelschill-Zone sehr regelmäßig verbreitet. Chelicorophium curvispinum (G.O. Sars, 1895) Chelicorophium curvispinum ist von den pontokaspischen Arten die wohl am längsten etablierte Art. Man findet die Wohnröhren auf Steinen, Holz und an Wasserpflanzen. Der Nachweis gelingt am Einfachsten, wenn man das Wasser von z.B. Holzstücken einige Minuten ablaufen lässt, bis die Tiere ihre Röhren verlassen. Besonders häufig scheint C. curvispinum an den Spuntwänden der Einmündungen der Elde in die Seen zu sein, wo ständig gemäßigte Strömung durch den Schiffsverkehr besteht. 5 Danksagung Wir danken Herrn Dipl. Fischwirt Joachim Rahn (Waren (Müritz)) für wertvolle Hinweise und Vermittlungen, die er aus seinen fischereiwissenschaftlichen Untersuchungen erinnerte. Dr. Jürgen Mathes (Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und Verbraucherschutz Mecklenburg-Vorpommern) übergab uns sehr un­ kom­pliziert die Daten (Tab. 1) aus dem Seen­ programm des Landes. Herr Hans Blossey stellte uns das Luftbild (Abb. 1) für diese Arbeit zur Verfügung. Gerhild Meßner begleitete und assistierte den Erstautor bei vielen Exkursionen und Reimar Meßner (Rostock) digitalisierte die Grafiken der Abbildungen 4 und 5. 6 Literatur Bij de Vaate, A., Jazdzewski, K., Ketelaars, H.A.M., Gollasch, S. & Van der Velde, G. (2002): Geographical patterns in range extension of Ponto-Caspian macroinverte54

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Die Amphipodenfauna

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