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SBV – «Blind Date» im Restaurant ����������������������������������������������������������������������

SBV Schweizerischer Blinden- und Sehbehindertenverband

«Blind Date» im Restaurant

Hallo! Ich bin Lili und von Geburt an blind� Ich habe mich mit meiner sehbehinderten ehemaligen Klassenkollegin aus der Blindenschule verabredet� Wir sind mit dem ÖV angereist� Selber Autofahren macht bei uns keinen grossen Sinn�

Auf dem Weg zu unserem Restaurant und Stammlokal stolpert eine Person in der Feierabendhektik über meinen weissen Stock, auf den ich zur Orientierung und Hindernisanzeige angewiesen bin� Na ja, die Sehenden benützen ihre Augen auch nicht immer� Der Weg zu unserem Stammlokal ist nicht weit� Von der Haltestelle aus den Häuserreihen entlang, über den Fussgängerstreifen, den ich mittels akustischen Signals an der Ampel an der richtigen Stelle überqueren kann, kommen wir ans Ziel� Meine Freundin Dora schwärmt von der sehr gut markierten Treppe mit Handlauf und der kontrastreichen Markierung an der Glastür� Diese Markierungen sind sehr wertvoll für eine sehbehinderte Person� Auch mit ihrer Grossmutter geht sie oft zum Kaffee trinken hin� Diese hört nicht nur schlecht, sondern die Sehkraft lässt auch zu wünschen übrig� Dies würde sie jedoch niemals zugeben� Im Restaurant herrscht trotz vielen Gästen eine sehr angenehme Atmosphäre� Wurde hier vielleicht etwas für die Lärmdämmung gemacht? Schon bald vernehmen wir eine warme und freundliche Stimme: der Kellner� Dora informiert ihn, dass sie reserviert hat� Pablo stellt sich vor und bietet seinen Arm an, so dass wir an den Tisch geführt werden� Er stoppt jeweils am Stuhl, führt unsere Hand an die Stuhllehne und wir können uns setzen� Auch wir stellen uns mit Namen vor, denn Pablo geht es auf diese Weise einfacher, da Blickkontakt nicht wirklich praktisch ist� Wo stehen die Trinkgläser, hat es Dekorationen oder ist irgendwo ein Gewürzständer auf dem Tisch? Dies sind wichtige Infos für uns� Sonst muss das Servicepersonal bereits vor dem Apero mit einem Putzlappen zu uns kommen�

Pablo bringt uns beiden umgehend die Speisenkarten� Dora kann mittels Lupe lesen, aber ich nicht� Pablo erkennt sein Missgeschick, was mich jedoch nicht stört, und sagt keck: «Ich dachte sie möchten mal spüren, wie sich unsere Speisenkarten anfühlen� Darf ich ihnen die Speisen Vorlesen oder haben sie bereits Lust auf etwas Bestimmtes?» Pablo macht uns Vorschläge und empfiehlt auch gleich den passende Wein dazu� Als wir die Vorspeise erhalten spricht er uns mit Lili oder Dora an und informiert uns, von welcher Seite er die Teller hinstellt� Der Hauptgang wird serviert: auf 6 Uhr das Fleisch, auf 3 Uhr Stärkebeilage und auf 9 Uhr das Gemüse� So ist es toll�

Wo befindet sich das WC? Etwas gerade aus und nach dem Buffet links� Das Buffet habe ich akustisch wahrgenommen� Ups, die abgestellten Kindersitze werden auf dem Weg zur Stolperfalle, zum Glück war ich nicht so schnell unterwegs� Neben den WC-Türen kann ich die taktil visuellen Schilder ertasten und bin gut bei den Frauen angelangt�

Wir haben unseren Aufenthalt im Restaurant genossen und entscheiden zu bezahlen� Die Rechnung wird uns natürlich vorgelesen� Pablo lässt es sich nicht nehmen, uns bis zum Ausgang zu begleiten� Auf dem Weg zur Tür sagt Pablo voller Stolz, dass die Website des Restaurants nun barrierefrei zugänglich sei� Super, da kann ich als blinde Person die Menukarte vorgängig zu Hause «anschauen»� Das muss ich unbedingt meinen blinden und Sehbehinderten Kolleg:innen weitersagen�

Zu Hause angekommen gehe ich voller Freude die Website anschauen� Es ist sogar ersichtlich, dass das Restaurant rollstuhlgängig ist (Eingang, WC usw�)�

Herzlichen Dank an den Eigentümer des Restaurants, dass er uns blinde und sehbehinderte Menschen akzeptiert und wir herzlich und unkompliziert willkommen sind� Bis bald, Lili und Dora�

ZIEL: EIN HINDERNISFREIER ZUGANG FÜR IHRE GÄSTE

Ein blinder- und sehbehindertengerechter Zugang ist verhältnismässig mit einem minimalen Aufwand umsetzbar.

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FAST DAS GANZE LEBEN IM GASTGEWERBE

Franziska Roggli, Interessenvertreterin des Schweizerischen Blinden- und Sehbehindertenverbands SBV, ist Expertin für die hindernisfreie Gestaltung des öffentlichen Raums in Baufragen�

Sie kennt die Problematiken im Gastgewerbe� Mit der Lehre als Servicefachangestellte hat ihre Karriere im Gastgewerbe begonnen� Saisonstellen, Weiterbildungen, Wirtepatent, Betriebsleiter, Lehrmeister usw� grüssen von ihrem Weg� Von 2003 bis 2017 führte sie mit ihrem Mann erfolgreich den Gasthof Dörfli in Mühledorf� In den zehn letzten Wintersaisons führten sie jeweils im Zivilschutzkeller, in absoluter Finsternis, den Event «Essen im Dunkeln» durch� Hier entstanden die Kontakte zum blinden und sehbehinderten Servicepersonal, dass es für solche Anlässe braucht�

Nachdem der Pachtvertrag seitens Vermieter gekündigt worden war, erhielt Franziska Roggli ein Stellenangebot des SBV, das sie gerne annahm�

Franziska Roggli, SBV Fotos zVg Scheibenmarkierung an der Hotelfachschule Thun

WC-Schild in Relief- und Brailleschrift

Geschenkgutscheine vom Weiterbildungszentrum: Das sinnvolle Geschenk! Arbeitgeberverband für Restauration und Hotellerie

Standstrasse 8 Postfach 766 3000 Bern 22 Telefon 031 330 88 88 Fax 031 330 88 90 info@gastrobern.ch www.gastrobern.ch

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