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Fuhrmanns Früchtekorb

Marcus Fuhrmann. Wenn in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern die weißen 7,5-Tonnen-Kühltransporter mit dem Zeichen der Kirsche Hotels, Restaurants, Kantinen, Krankenhäuser und Kitas ansteuern, heißt es bei den Küchenchefs dort meist kurz und knapp: Fuhrmann kommt.

Mit Dieter und Marcus Fuhrmann lenkte jahrelang eine Vater-SohnDoppelspitze die Geschicke des renommierten Fruchtgroßhandels mit Sitz auf dem Berliner Großmarkt an der Beusselstraße. Nach dem plötzlichen Tod seines Vaters im Mai 2020 trägt nun Marcus Fuhrmann die alleinige Verantwortung für das 1977 gegründete Unternehmen.

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Der 55-Jährige trat nach seinem BWL-Studium in Bochum und einem Intermezzo als Tennistrainer 1996 in die Firma seines Vaters ein, absolvierte eine Großhandelsausbildung und lernte die Besonderheiten des Geschäfts mit Obst, Gemüse, Kartoffeln und Kräutern von der Pike auf. Sein unternehmerisches Credo fasst er heute so zusammen: Zuverlässigkeit, unbedingte Serviceorientierung und ein ausgeprägtes Bewusstseins für Qualität. Dem fühlen sich auch die 28 „Fuhrmänner” verpflichtet, die ihre Kunden täglich mit rund 500 Produkten beliefern – von A wie Artischocke bis Z wie Zitronengras. Für unser Magazin stellt Marcus Fuhrmann seine „Früchtchen” vor. Heute: Spitzkohl

KOHLDAMPF AUF KOHLKOPF

VON MARCUS FUHRMANN

Es gibt glamouröseres Gemüse als den Spitzkohl – kein Wunder, dass die Kopfkohlart hierzulande jahrzehntelang als altbackenes Kraut verschrieen war und im Ranking der beliebtesten Gemüsesorten über einen Platz in der letzten Reihe nicht hinauskam. Das änderte sich, als Coleslaw, die amerikanische Variante des Krautsalats und das koreanische Kimchi die deutschen Küchen eroberten. Kohl liegt inzwischen im Trend, Spitzkohl insbesondere.

Vor allem jüngere Köche entdecken den kulinarischen Allrounder, der mit seiner zarten Struktur, einem feinen, ganz und gar nicht kohligen Geschmack sowie reichlich gesunden Inhaltsstoffen punktet. So enthalten die kegelförmigen, blassgrünen Köpfe neben reichlich Mineralstoffen jede Menge der Vitamine C, B1 und B2, viel Betacarotin und Eisen.

Der weiße Spitzkohl ist eine besondere Variante des gleichfarbigen runden Kopfkohls, allerdings mit feineren Blattrispen, zarteren Blättern und – wie gesagt – einem milderen Geschmack. Ob er durch Mutation entstand oder durch Züchtung, blieb bisher im Dunkeln.

Tatsache ist dagegen, dass bereits die antiken Hochkulturen den Kopfkohl kannten und um seine Heilkraft wussten. Der griechische Philosoph Aristoteles beispielsweise aß das Gemüse, um die Auswirkungen übermäßigen Alkoholgenusses zu mildern. Und der römische Staatsmann Cato hielt es sogar für ein probates Mittel gegen die Pest, empfahl aber auch die Wundheilung durch Auflegen von Kohlblättern – eine Methode, die sich bis ins 19. Jahrhundert hielt. Aus dieser Zeit stammt auch die älteste Abbildung eines Spitzkohls, die ich während meiner Kohlrecherche entdeckte – veröffentlicht 1876 in einem Katalog der Erfurter Saatgutfirma Ernst Benary und dort mit dem Begriff „Spitzes Filderkraut” bezeichnet.

Diese Benennung des Spitzkohls geht auf ein traditionelles Anbaugebiet in der Nähe von Stuttgart zurück – die Fildern. Dort, auf einer fruchtbaren Hochebene, wird seit über 500 Jahren Kohl angebaut, sogar ein Denkmal rühmt die regionale Spezialität.

Den Wert der spitzen Variante des Filderkrauts beschrieb übrigens erstmals 1772 der Bernhäuser Pfarrer Bischoff: „Was das weiße Spitzkraut besonders geschätzt macht, ist seine feine Zartheit in den Blättern und überhaupt ein besserer Wohlgeschmack, worin es sich von dem in anderen Gegenden Gepflanzten auszeichnet.”

Dennoch wurde mit der Industrialisierung der Gemüseverarbeitung im 19. Jahrhundert auf den Fildern (und nicht nur dort) immer weniger Spitzkohl angebaut, weil die Konservenindustrie runde Köpfe verlangte, die sich maschinell besser verarbeiten ließen. Die Folge: Die Anbaufläche von Spitzkohl sank auf den Fildern auf bescheidene 40 Hektar. Um es vor dem endgültigen Aussterben zu bewahren, holte Slow Food das Filder-Spitzkraut 2005 in seine Arche des Geschmacks.

Die Krautmarie von Filderstadt: Ein Hoch aufs „Haible” (schwäbisch für Kohlkopf).

Es wurde gerettet, und auch in anderen Regionen – SchleswigHolstein, Nordrhein-Westfalen und Bayern sind neben Baden-Württemberg die größten deutschen Kohlanbauer – wächst inzwischen wieder mehr Spitzkohl. Gemessen an dem, was unsere Nachbarn kultivieren, sind die 1.200 Hektar, auf denen in Deutschland das Gemüse angebaut wird, allerdings Peanuts (die Weißkohl-Anbaufläche insgesamt beträgt hierzulande übrigens rund 5.600 Hektar).

Und so handeln wir neben heimischer Ware auch Spitzkohl aus den Niederlanden und Frankreich. Tendenz steigend. Das hat – ich habe anfangs schon darauf hingewiesen – damit zu tun, dass sowohl das Kohlgemüse im Allgemeinen als auch der Spitzkohl im Besonderen ihr muffiges Image zunehmend ablegen.

Jüngere Köche kennen die Abneigung ihrer kulinarischen Väter gegenüber jeglicher Art Kohl nicht. Sie interpretieren das Gemüse neu, und ihre Gäste sind überrascht, wie vielseitig und modern eben auch der Spitzkohl sein kann.

Ich erinnere mich zum Beispiel gut an einen Klassiker meines Freundes Thomas Kammeier, der vor Jahren im Restaurant Hugos eine Brandenburger Landente mit Holunderbeeren und Spitzkohl servierte. Neueren Datums ist ein Gericht, das ich im Café im Literaturhaus in der Fasanenstraße probiert habe: gepökeltes Eisbeinragout, Jakobsmuschel, Petersilienwurzel, Spitzkohl und Mango-Chutney, (Bild oben re.), ein Mix, der für mich absolut stimmig war.

Ja, was bleibt noch? Natürlich Kimchi. Als Fan der asiatischen Esskultur liebe ich die scharfe koreanische Kohlzubereitung (Bild unten li.) ganz besonders, auch wenn sie für europäische Geschmacksnerven vielleicht etwas gewöhnungsbedürftig ist. Und auch dem Barbecue-must-have, dem Coleslaw, kann ich durchaus etwas abgewinnen – am besten mit einer leichten Mayonnaise und geriebenen Karotten zubereitet (Bild Mitte).

www.dieter-fuhrmann.de