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Johannes Habel

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IM INTERNET ENTDECKT: DIE GANZE WELT LIEBT EIER

VON JÖRG TEUSCHER

Zehn Jahre Instagram: 54,9 Millionen Likes und 3,3 Millionen Kommentare – das ist seit Gründung der inzwischen mit mehr als einer Milliarde Nutzer größten Bildplattform der SocialMedia-Welt ein einsamer Rekord. Welches Bild, fragt man sich, ist dermaßen frech, niedlich, witzig oder originell, dass es als meistgeliktes Bild aller Instagram-Zeiten gilt? Die Antwort ist ebenso erstaunlich wie verwunderlich: Weder ein HollywoodMegastar noch ein Guy-Savoy-Superfood sind so sensationell instagramable – nein, es ist ein Ei, ein ganz und gar normales Hühnerei, das im Strom der Bilder an die Spitze trieb.

Das Produkt mehr oder weniger glücklicher Hühner wird aber nicht nur im digitalen Universum gefeiert, auch die gute alte analoge Welt singt ihm Lobeshymnen.

Seit die Luxemburger Sterneköchin Léa Linster gemeinsam mit dem Kölner Cartoonisten Peter Gaymann vor sechs Jahren ihre „Huhnglaublichen Rezepte” unters Volk brachte, gab es eine regelrechte Koch- und Sachbuchschwemme zum Thema. Angeheizt wurde der Titel-Kampf sicher auch dadurch, dass eine Reihe prominenter Zeitgenossen die Hühnerhaltung als Hobby entdeckte.

Unter der Flut von Neuerscheinungen, die in letzter Zeit das – Achtung, neudeutsch! – Homefarming mit Hühnern und die Selbstversorgung mit Eiern (oder heißt es inzwischen Selfsupplying?) propagierten, gehören auch einige wirklich ansprechende und durchaus empfehlenswerte Bücher (s. Seite 54). Wer jedoch das Glück von Manuela von Perfall und Jessica Jungbauer, mit Hühnern zu leben (Callwey Verlag München) aus Mangel an Land und Zeit nicht teilen kann, trotzdem aber gern die wunderbaren Eierspeisen von Kathrin Fritz und Martina Meier (AT Verlag Aarau und München) auf dem Teller hätte, was, bitte, tut der?

Die Antwort führt natürlich nicht zum Supermarktregal, sondern auf Berliner Wochenmärkte in Charlottenburg, Friedrichshain, Schöneberg und Zehlendorf und dort zu einem Mann namens Johannes Habel und seinen Ständen.

Der Mann mit dem Huhn, das ist Johannes Habel. Jahrgang 1961, gebürtiger Münchner, aber das hört man nicht. Konditorlehre in Garmisch-Partenkirchen, Zeitsoldat beim Gebirgsjägerbataillon 234 in Mittenwald, Sanitätsunteroffizier. Arbeit als Patissier in Überlingen und im Berliner InterContinental. Ausbildung zum Hotelkaufmann, später zum Immobilienfachmann. Nach dem Mauerfall Projektentwickler für Einzelhandelsimmobilien in den neuen Bundesländern, danach für Biogasanlagen. 2012 wieder eine berufliche Neuorientierung. Landwirtschaftslehre und Abschluss als Landwirtschaftsmeister. „Mein Schlüsselerlebnis war ein Praktikum in einem Mastbetrieb mit 200.000 Hühnern” , erzählt er, „als ich das gesehen hatte, waren die Würfel gefallen.”

Johannes Habel zog nach Falkenhagen im Landkreis MärkischOderland, pachtete Wiesen und Weiden und begann, Hühner zu halten – in allem das ganze Gegenteil der brutalen Tiernutzungsindustrie, die er erlebt hatte.

Das war vor sieben Jahren, in denen sich Habel inzwischen einen Namen gemacht hat – sowohl was das „animal welfare”, das viel strapazierte Tierwohl angeht, als auch was Güte und Geschmack seiner Produkte betrifft. Und – weil er nicht müde wird, darüber zu reden, was Hühner wirklich glücklich macht. Kein Wunder, dass der 59-Jährige mit dem Hühner-Guru Paolo Parisi verglichen wird.

Der Mann mit dem Ei, das ist Paolo Parisi, 63, ein paar Jahre älter als Johannes Habel also. Er wuchs in Genua auf und hat – ähnlich wie Habel – ein bewegtes Leben hinter sich: Medizinstudium, Abbruch kurz vor dem Physikum, Arbeit als Staubsaugervertreter, später als Verkäufer für medizinische Geräte. 2004 Umzug aufs Land, Usigliano di Lari, westliche Toskana, ein Ort, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen, (Garcon besuchte ihn dort, s. Heft 50/2018). Hier betätigte er sich als Olivenbauer und Schweinezüchter, 2008 dann kam er auf das Huhn. „Es war ein Experiment”, sagt er. Eins aber, das funktionierte.

Die Haltung in fußballfeldgroßen Sandgruben mit Schattenbäumen und einem mobilen Stall, die Fütterung mit einem Brei aus Getreideschrot und Ziegenmilch und die daraus resultierende geschmackliche Güte der Eier machten Parisi bekannt.

Inzwischen ist der Mann eine Berühmtheit. Italienische Spitzenköche reißen sich ebenso wie eine Reihe ihrer Kollegen in Frankreich und Österreich um diese Eier und zahlen Höchstpreise bis zu drei Euro pro Stück (Im Hofverkauf auf seiner Azienda übrigens kostete 2018 ein Ei 0,90 Euro.). Parisis einziges Problem – er kann die Nachfrage kaum bedienen.

Davon ist Johannes Habel, sein deutsches Pendant, noch ein Stück weit entfernt, obwohl seine Weide-Eier in puncto Geschmack denen von Paolo Parisi durchaus ebenbürtig sind.

Berlin-Charlottenburg, Wochenmarkt auf dem Karl-August-Platz:

Mittwoch, 8.00 – 13.00 Uhr Samstag, 8.00 – 14.00 Uhr

Berlin-Schöneberg, Wochenmarkt auf dem Wittenbergplatz:

Dienstag, 9.00 – 15.00 Uhr

Berlin-Schöneberg, Wochenmarkt an der Akazienstraße:

Donnerstag, 12.00 – 18.00 Uhr

Berlin-Friedrichshain, Wochenmarkt auf dem Boxhagener Platz: Samstag, 9.00 – 15.30 Uhr Dass Johannes Habel seine Weide-Eier ausschließlich auf Berliner Wochenmärkten verkauft, ist kein cleveres Marketing künstlich erzeugten Mangels, sondern einzig und allein der Tatsache geschuldet, dass weder Bio-Groß- noch Bio-Einzelhandel auch nur annähernd bereit waren, adäquate Preise für seine Eier zu zahlen. „25 Cent pro Stück hat mir ein Händler geboten”, erklärt Habel seine Wochenmarktpräsenz, „das hätte bei meiner Art der Haltung und Fütterung nicht mal einen Teil der Kosten gedeckt.”

Die Kunden loben den Geschmack der Weide-Eier und haben kein Problem mit dem Stückpreis von 70 Cent. Und auch seine Hühnerbrühe findet viele Liebhaber. „Ich kaufe sie, weil sie alles übertrifft, was ich bisher probiert habe”, erklärt eine junge Frau auf dem Markt an der Akazienstraße. „Dafür sind zehn Euro pro Glas allemal gerechtfertigt.”

Kern all dieser Preis-Fragen ist die einfache Wahrheit, dass zwischen den Ansprüchen an die Landwirtschaft und ihre Erzeugnisse und der Zahlungsbereitschaft vieler Kunden noch immer Welten liegen. „Das lässt sich nur ändern, wenn das Gute zur Norm wird”, philosophiert Johannes Habel und lädt uns ein, das Gute in Augenschein zu nehmen.

Falkenhagen liegt im Brandenburger Naturschutzgebiet Matheswall, Schmielen- und Gabelsee. Hier, inmitten einer hügeligen Endmoränenlandschaft, hat Habel an verschiedenen Ecken insgesamt 50 Hektar Land gepachtet, auf denen er derzeit rund 1.000 Hühner und eine kleine Galloway-Herde hält – zehn Muttertiere und ihre Kälber. Unser erster Gedanke: viel Land für wenig Tier. Wie bei Paolo Parisi. „Hühner brauchen Auslauf, jede Menge Grün, Platz zum Scharren, Sandbäder, Schattenbäume”, so Habel, ganz in seinem Element.

Und – Duplizität des Richtigen – auch der Brandenburger Bio-Bauer benutzt mobile Ställe, die zwar kleiner sind als die seines italienischen Kollegen, aber dem gleichen Zweck dienen – sie immer dann zu versetzen, wenn an einem Ort das Grün und die Kräuter zur Neige gehen. So funktionieren Hühnerparadiese.

Nichts von der quälenden Enge der Massentierhaltung, nichts von Turbohennen, die auf Höchstleistung getrimmt sind und – Minimum – 300 Eier im Jahr legen müssen.

Die dritte Gemeinsamkeit mit dem Branchenprimus in der Toskana: Habels Lohmann-Hühner sind, wie die Livorneser von Paolo Parisi, Zweinutzungshühner, Tiere, die Eier und Fleisch liefern. Auch das gilt in der industriellen Haltung als No-Go. Profitabel sind Hühner nur, wenn sie einem Zweck dienen – Eier legen oder Fleisch geben.

In der Folge sind die mageren männlichen Nachkommen der zur Eierproduktion eingesetzten Hühner für die Industrie nutzlos. Die Folge ist bekannt: Jedes Jahr werden in Deutschland rund 40 Millionen männliche Küken am ersten Lebenstag geschreddert oder mittels CO2 vergast. Ein Gesetz soll nun endlich diese Praxis verbieten – ab 2022. Keine Frage, dass sich in Habels Hühnerhaufen auch Hähne tummeln, ebenso wie in dem von Parisi. Das zu wissen, macht übrigens nicht nur Hühner glücklich.

So schließt sich der Kreis. Glückliche Hühner legen eben auch fantastische Eier. Habels „Mädels” – so nennt er sie tatsächlich – legen rund 220, 230 im Jahr in die mit Dinkelspelzen gefüllten Einstreunester. Cremefarben und mit einem Aroma, das an frische Nüsse und grünes Gras erinnert...

Hallmann-&-Klee-Küchenchefin Rosa Beutelspacher und Köchin Jana Wegner, v.re.

Habels Kunden sind neben Six-Pack-Käufern auf Berliner Wochenmärkten vor allem Bäcker, Köche und Konditoren, die sich nicht damit abgeben, dass Bio-Eier, woher auch immer, a priori gute Eier sind. Zu dieser Kategorie der Produktfetischisten – Motto: Nur das Beste ist für uns gut genug – gehören etwa die Bäckerei Albatross, das Café Neumanns, Du Bonheur sowie Samys Berliner Pfannkuchen Café. Und auch eine unserer kulinarischen Lieblingsadressen – das Hallmann & Klee am Böhmischen Platz in Neukölln – verarbeitet ausschließlich Habels Weideeier. „Auf rund 500 Stück pro Woche hat sich das etwa im Oktober summiert”, so Rosa Beutelspacher, die 38-jährige Küchenchefin. Und wir sagen: Zwei Eier, pochiert, dazu Fassbutter, Spinat und vielleicht noch ein bisschen Bacon von Kumpel & Keule – besser kann der Tag nicht beginnen.

HALLMANN & KLEE

Böhmische Straße 13 12055 Berlin-Neukölln Tel. 030 - 23 93 81 86 www.hallmann-klee.de

Am 3. Oktober 2020 angereist aus Berlin-Wilmersdorf: Robert Ringmayer, li., Pate des Huhns Edeltraut.

Ein Nachsatz ist nötig. Johannes Habel liebt seine Hühner und sorgt sich um ihr Wohl. Damit das für seine Kunden nicht nur ein Werbespruch ist, lädt er mehrmals im Jahr zum „Tag der offenen Weide” ein. „Jeder kann sich dann ein Bild davon machen, dass bei uns die Hühnerwelt in Ordnung ist”, so Habel.

Robert Ringmayer, den wir beim letzten Termin am 3. Oktober in Falkenhagen trafen, bestätigt das: „Nehmen Sie nur mal die viel beschworene Freilandhaltung”, so der 35-jährige Berliner, „ein Begriff, der freie Bewegung in ländlicher Umwelt suggeriert, oft aber nur wenig Auslauf in karger Umgebung bedeutet, meist ohne schützende Bäume und Sträucher. Hier haben die Hühner das alles.” Deshalb ist Ringmayer auch Hühnerpate, einer von 147 übrigens...

Informationen zu den Patenschaften unter www.weideei.de