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Einen Blick über den Tellerrand wagen

Die deutsche Immobilienbranche ächzt unter dem Druck des aktuellen Marktumfelds. Besonders die Zinsanpassung der EZB betrifft aber nicht nur Deutschland. Für Anlegerinnen und Anleger, die in Immobilien investiert sind oder investieren möchten, ist deshalb auch ein Blick über die deutschen Grenzen hinaus interessant.

Anfang Mai veranlasste die EZB ihren insgesamt siebten Zinsschritt und hob den Leitzins um weitere 0,25 % auf

3,75 % an. Damit bleibt die Immobilienfinanzierung ein schwieriges Anliegen, und das nicht nur hierzulande. Marcus Lemli, CEO Germany und Head of Investment Europe bei Savills, berichtet: „Wir stellen in ganz Europa eine reduzierte Investmentaktivität fest. Vor allem in Deutschland, den Niederlanden, Schweden und Großbritannien fielen die Transaktionsvolumina zuletzt deutlich. Die südeuropäischen Märkte verzeichneten geringere Rückgänge, unter anderem weil die Renditen dort höher sind. Nach zum

Teil deutlichen Preiskorrekturen nimmt die Transaktionsaktivität in Großbritannien derzeit wieder etwas zu.“ Auch Dr. Stefan Behrendt, Research Analyst bei Commerz Real, sieht europaweit Ähnlichkeiten zum deutschen Markt. „Vor allem stellt die stark gestiegene Zinslandschaft die Investoren vor neue Herausforderungen. Die Preise müssen sich erst an das neue Zinsniveau anpassen.“ Hinzu komme die Bankenkrise, die derzeit für weitere Unsicherheiten bei der (Anschluss)-Finanzierung sorge, so dass vor allem Projektentwicklungen nicht immer wie gewünscht umgesetzt werden könnten. „Auf der Nachfrage-/ Mieterseite stellt sich die Situation jedoch robust dar. Niedrige Leerstandsquoten in den urbanen Zentren gepaart mit weiterhin hohen Zuzugsraten in die Ballungszentren führen zu einer stetigen Verknappung der Mietflächen“, so Dr. Behrendt.

Trotz der länderübergreifenden Rückgänge wirken länderspezifische regulatorische Unterschiede und weitere Faktoren. Der Analyst von Commerz Real sieht Deutschland aber weiterhin als stabilen Anker. „Vor allem angloamerikanische Investoren schauten in den letzten Monaten nach Investitionsmöglichkeiten in Deutschland – auch getrieben durch den günstigen Eurokurs. UK und vor allem London ist weiterhin bei südostasiatischen und arabischen Investoren beliebt. Dazu kommen noch die Nordics, mit Abstrichen bei Finnland aufgrund der geografischen Nähe zu Russland, die weiterhin als stabile Märkte gelten. Um Italien machen derzeit die Investoren wieder vermehrt einen etwas weiteren Bogen, jedoch ist in keinem europäischen Land derzeit eine Abverkaufswelle zu beobachten.“ Frankreich und besonders Paris würden dahingegen eine gesonderte Position einnehmen. Durch staatliche Preiskontrollen sei die Inflation in 2022 dort nicht so hoch gewesen, so dass Investoren bis in den Spätherbst weiter aktiv waren. Mittlerweile sei aufgrund der EZB-Zinspolitik aber nun auch hier Zurückhaltung zu beobachten. „Ein neu- es, an die Zinslandschaft angepasstes Preisniveau, kristallisiert sich erst nach und nach heraus. Es wird noch bis in den Spätsommer dauern, bevor man von erhärteten Tendenzen reden kann“, so Dr. Behrendt. Laut Philipp Schaper, CEO European Real Estate Patrizia SE, würden sich die Renditen in Europa immer mehr angleichen. „Schwankungsbreiten von ca. 1,5 % in der Spitzenrendite sind nicht unbedingt die Treiber von Investitionsentscheidungen“, so Schaper. Vergleiche, welches Land wo besser oder schlechter abschneidet, seien aber mit Vorsicht zu genießen, da sich die Vorzeichen für einen Vergleich auch schnell ändern könnten.

Büro, Wohnen oder Gewerbe?

Um die Situation an den europäischen Märkten noch besser greifen zu können, lohnt sich auch ein Blick auf die einzelnen Assetklassen: „Das Segment der Logistikimmobilien erweist sich als besonders widerstandsfähig und auch Handelsimmobilien schlagen sich relativ wacker. Im Gegensatz dazu verzeichnet der Büroimmobiliensektor einen starken Rückgang in allen Ländern. In Deutschland ist auch der Wohnimmobilienmarkt von einem deutlichen Rückgang betroffen, während er in vielen anderen Ländern zu den stabilsten Segmenten gehört“, führt Lemli aus. Auch Dr. Behrendt beschreibt einen „boomenden“ Logisitksektor, mit großer Nachfrage auf Nutzer- wie auch Investorenseite. Allerdings gebe es assetübergreifend auch eine Zweiteilung der Märkte: Gute Lagen, flexible Flächenkonfigurationen und ESG-An- passungen seien bereits jetzt extrem stark nachgefragt, Tendenz steigend. Objekte, die aktuellen Anforderungen nicht gerecht werden, weckten dagegen zukünftig kaum Mieter- und Investoreninteresse. Entscheidend dabei seien auch steigende umweltpolitische Regulationen. Besonders Bestandsentwickler erhielten damit in den nächsten Jahren aber gute Value-AddOptionen.

Wie geht es weiter?

„Der Superzyklus der vergangenen Jahre ist definitiv zu Ende“, erklärt Schaper. „Nach fast zwölf Jahren Aufwärtstrend müssen wir erst wieder lernen, mit Rückentwicklungen umzugehen.“ Der Experte sieht dafür positive Chancen im anhaltenden Nachfrageüberhang im Wohnsegment. Lemli zufolge erwartet Savills spürbar steigende Transaktionsvolumina frühestens gegen Ende des Jahres. „Voraussetzung für eine Belebung der Märkte ist eine Stabilisierung des Zinsumfelds“, so Lemli. Eine ähnliche Ansicht vertritt laut Dr. Behrendt auch Commerz Real: „Vieles hängt von der aktuellen Bankenkrise ab und wie diese sich weiter auf die Finanzierungsmärkte durchschlägt. Die Neukreditvergabe ist fast gänzlich zum Erliegen gekommen und Nachfinanzierungen sind auch nur mit deutlich ungünstigeren Kreditnehmerkonditionen zu bekommen.“ Investment- und stärker noch Projektfinanzierungsmärkte seien davon betroffen. Das führe aber wiederum zu Begünstigungen bei Bestandsgebäuden, die aktuellen Anforderungen entsprechen würden. (lb)

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