3 minute read

Run-Off

Doppelinterview mit Axel Kleinlein, ehemaliger Vorstand des Verbraucherverbandes „Bund der Versicherten“, und Sven Enger, ehemaliger Vorstand eines Lebensversicherers.

finanzwelt: Herr Kleinlein, Herr Enger, Sie beide Seite an Seite, wie passt das zusammen?

Axel Kleinlein» Herr Enger und ich teilen gleiche Überzeugungen. Ich habe lange Jahre von außen für die Versicherten gekämpft und ich darf sagen, Herr Enger hat es gewissermaßen von innen versucht.

Sven Enger» Ich habe nach meinem Ausscheiden aus der Versicherungsbranche vor rund zehn Jahren ein Buch über meine Beurteilung der Zukunft der Branche geschrieben. Und da sehe ich schwarz – für die Versicherten und für die Unternehmen.

finanzwelt: Anscheinend sehen ja auch manche Lebensversicherungen die Lage nicht mehr so rosig. Immer mehr Versicherungen gehen in den Run-Off oder verkaufen Bestände. Warum tun die das?

Kleinlein» Die finanzielle Lage vieler Unternehmen ist angespannt. Deswegen haben einige Unternehmen bereits angefangen, sich von ihren Beständen zu trennen. Eigentlich hat die Branche schon vor über zehn Jahren am Abgrund gestanden. Nur Dank Hilfe durch die Politik war es überhaupt mög- lich, die Krisen zu bewältigen. Das ging aber immer auf Kosten der Versicherungsnehmer, die immer weniger Leistung bekommen. Bei einigen Run-Off-Unternehmen befürchte ich zum Beispiel, dass die Hoffnung auf hohe Überschussbeteiligung vergebens ist. finanzwelt: Was bedeutet es denn aus Sicht eines Versicherungsmanagers für Kunden, wenn seine Versicherungsgesellschaft den Versichertenbestand in eine sogenannte Run-Off-Gesellschaft verkauft? finanzwelt: Erwarten Sie in Sachen Run-Off noch mehr Bewegung? finanzwelt: Harte Worte! Aber wir sehen doch aktuell deutlich höhere Zinsen. Für die Versicherungsunternehmen sollte es doch einfacher werden, auch Gewinne und eine gute Überschussbeteiligung zu erzielen. finanzwelt: Rentiert sich denn überhaupt noch eine Lebensversicherung? finanzwelt: Herr Kleinlein, können Sie als Verbraucherschützer den betroffenen Kunden einen Tipp geben? finanzwelt: Eine pessimistische Sicht von Seiten des Verbraucherschutzes. Herr Enger, wie schätzen Sie angesichts dessen die Entwicklung der Altersarmut in Deutschland ein? finanzwelt: Das klingt nicht fair, dabei ist doch die Branche stolz darauf, dass sie über die Überschussbeteiligung und über viele andere Regeln die Kunden fair behandeln. Gibt es da Nachholbedarf?

Enger» In erster Linie ist es ein Vorteil für die Versicherungsgesellschaft, die eigenen Verwaltungskosten so weit zu reduzieren, dass die Solvabilität steigt. Für den Kunden hat es keine Vorteile, denn die Rücklagen der Run-Off-Gesellschaften sind vergleichsweise gering. Bleiben die Zinsen niedrig, droht die Insolvenz und grundsätzlich haben die Finanzinvestoren im Hintergrund natürlich Interesse an ihrem eigenen Gewinn.

Enger» Die Prognose, dass das Thema Run-Off-Gesellschaften noch an Dynamik zunehmen wird, ist sicher nicht überzogen. Insgesamt betrachtet ist das ungefähr so, als wenn Sie altes Gerümpel auf einen Recyclinghof bringen und dort professionell entsorgen lassen.

Enger» Die klassische Lebensversicherung mit dieser Überschussbeteiligung befindet sich nicht in einer vorübergehenden Delle, sondern eher in einem langfristigen Abwärtstrend. Letztendlich ist die kapitalbildende Lebensversicherung eher ein Sündenfall als ein Produkt mit Zukunft. Umso erstaunlicher ist, dass es immer noch Millionen Neuabschlüsse im Jahr gibt.

Kleinlein» Da kann ich nur zustimmen. Trotz aktuell höherer Zinsen sind die Versicherungsunternehmen ja noch immer in großem Umfang in den sehr niedrig verzinsten, älteren Kapitalanlagen investiert. Die werden die Versicherungsunternehmen aber so schnell gar nicht loswerden können. Denn hier schlummern stille Lasten, also drohende Verluste. Die müssten realisiert werden und das ginge zulasten der Überschüsse. Unterm Strich geht für die meisten Kunden die Niedrigzinsphase noch viele Jahre weiter. Ich rechne damit, dass die Versicherten erst in den 2030er Jahren nennenswert von den höheren Zinsen profitieren könnten – wenn überhaupt.

Kleinlein» Das ist eine Suggestivfrage. Sie unterstellen, dass kapitalbildende Lebensversicherungen überhaupt jemals rentabel gewesen wären. Das kann ich nicht sehen. Im Durchschnitt machen die Kunden Verlust mit ihren Lebensversicherungsverträgen. Das ist schon seit über 100 Jahren so! Enger» Fondsgebundene Policen mögen auf den ersten Blick zwar attraktiver erscheinen, landen jedoch bei entsprechend negativer Kostenstruktur in derselben Falle!

Kleinlein» Erst mal keinen neuen Vertrag abschließen. Wer schon einen hat, für den wird in vielen Fällen ein Storno angezeigt sein, also Beitragsfreistellung oder Kündigung. Oder, wenn möglich, die Rückabwicklung. Das geht dann, wenn der Versicherer im Kleingedruckten Mist gebaut hat. Und das ist überraschend oft passiert!

Enger» Stellen Sie sich eher auf eine negative Entwicklung ein, denn da kommen mehrere Faktoren zusammen. Zwei seien explizit hervorgehoben, erstens der demografische Faktor. Die Menschen, die in den sogenannten „Baby-Boomer-Jahren“ geboren wurden, kommen jetzt zur Auszahlung. Und zum zweiten die Zinsentwicklung, die es bräuchte, um die gemachten Versprechen einzuhalten, ist seit Jahren negativ. So gesehen ist mittlerweile auch keine Seltenheit mehr, dass man selbst das eingezahlte Kapital als Kunde von der Versicherungsgesellschaft zurückerhält.

Kleinlein» Ja, es gibt dringenden Nachholbedarf! Wir sehen ja jetzt gerade, dass das die Versicherungsunternehmen strenger an die Kandare genommen werden und von der Aufsichtsbehörde BaFin die Aufgabe bekommen haben, besseres Wohlverhalten an den Tag zu legen.

Enger» Es gibt vor allem immer noch einen hohen Aufklärungsbedarf! Ich spreche in den letzten Monaten viel mit Vermittlern von Lebensversicherungen und Maklern und höre oft: „Das haben wir nicht gewusst.“ Wie sieht es da erst bei den Kunden aus! (lvs)

This article is from: