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Substanzwerte – Wieder auferstanden?

Wieder auferstanden?

In den vergangenen Jahren führte an Wachstumsaktien kein Weg vorbei. Tech-Schwergewichte waren heiß begehrt und Anleger konnten wenig verkehrt machen. Doch wie im Leben ist nichts eine Einbahnstraße. Seit dem Spätherbst stehen auch Substanzwerte/Value-Aktien wieder verstärkt im Blick der Investoren. Ein Value-Comeback? Oder nur eine kurze Episode?

Apple, Amazon, Microsoft – Wachstumsaktien, die jeder kennt und die in den vergangenen Jahren die Erwartungen übererfüllt haben. Glänzende Zahlen, neue Produkte und erweiterte Geschäftstätigkeit. Das sind tatsächlich schlagkräftige und unwiderlegbare Argumente. Auf der anderen Seite standen Substanzwerte (Value) lange Jahre im Regen und fristeten ein Schattendasein. Der Bewertungsabschlag gegenüber den davoneilenden Überfliegern wurde immer größer. Jetzt könnte die Stunde für Value-Titel schlagen. Auch aus der volkswirtschaftlichen Gesamtschau. „Da Dividenden der Value-Aktien an steigende Gewinne gekoppelt sind, werden sie in einem inflationären Umfeld im Vergleich zu anderen auf dem Markt verfügbaren Cashflows an Attraktivität gewinnen, sagt Robert Davis, Senior Portfolio Manager European Equities bei NN IP.

Suche nach dem „inneren“ Wert

Value und Growth sind zwei der wichtigsten Anlagestile am Aktienmarkt. Der US-amerikanische Multimilliardär Warren Buffett ist ein prominenter Vertreter des Value-Stils. Buffett soll diese Investmentphilosophie folgendermaßen ausgedrückt haben: „Kaufe einen Dollar, aber bezahle dafür nicht mehr als 50 Cent.“ Value-Investoren sind generell auf der Suche nach großen, gut geführten Unternehmen, deren Geschäftsfeld sich von Anfang an erschließt und die über längere Zeit das Potenzial haben, Gewinne einzufahren. Tatsächlich gilt der Value-Ansatz eher als konservative Strategie, die sich in schwierigen und unsicheren Zeiten wie derzeit bezahlt macht. Signifikante Kursabschläge, die dem realen Unternehmenswert eben nicht entsprechen, bieten dann wiederum interessante, lukrative Kaufgelegenheiten. Viele börsennotierte Unternehmen sind mitunter relativ günstig zu ihren Gewinnen bewertet. Weiterer Aspekt: Die Zahlungsströme müssen überzeugen, nicht etwaiger Profit aus kurzfristigen Marktbewegungen. Wer sein Geld innerhalb kurzer Zeit verdoppeln will, ist bei der Strategie an der falschen Adresse. Aktuelle Trends oder der Boom eines Marktsegments („Internetblase“) interessieren Value-Investoren eher nicht. Dr. Manfred Schlumberger, Leiter Portfolio Management bei StarCapital, sieht die aktuelle Situation folgendermaßen: „Seit dem Novembertag, an dem das Mainzer Unternehmen BioNTech seine erfolgreiche Impfstudie präsentierte, marschiert die Markt-Karawane in die zyklische ValueRichtung. Mit den Impfungen rückt ein Ende der Pandemie und eine gewaltige Erholung der Weltwirtschaft ab Sommer 2021 in den Bereich des Möglichen. Die Hauptprofiteure der Wirtschaftserholung werden zyklische Unternehmen aus dem Industrie- und Chemiesektor sein. Auch die seit Jahren darniederliegenden Firmen im Grundstoff- und klassischen Energiesektor werden stark profitieren und ihre Aktien weiter steigen.“

André Schettler

Senior Portfoliomanager BKC Asset Management

Dr. Manfred Schlumberger

Leiter Portfoliomanagement StarCapital AG

Robert Davis

Senior Portfoliomanager European Equities NN Investment Partners

Value-Investing ist keine neue Wissenschaft; die Wurzeln reichen bis in die Anfänge des letzten Jahrhunderts zurück und sind untrennbar mit dem Wirtschaftswissenschaftler Benjamin Graham verbunden. Er entwickelte die sogenannte Dividendenstrategie. Noch heute sind viele Investoren davon überzeugt, dass die Dividendenrendite als Auswahlkriterium zur Umsetzung der Value-Strategie ausreicht. Eine hohe Dividendenrendite dieser Titel bietet zudem einen gewissen Schutz vor Korrekturen im Markt. Doch ist die Bewertung, sprich sind günstige Aktien immer einen Kauf wert? Nein, stellt André Schettler, Senior Portfoliomanager BKC Asset Management, in seinem Marktkommentar „Value-Chancen nutzen im Jahr 2021“ fest. „Bereits Warren Buffett wusste, dass es Bewertungsfallen, sogenannte Value Traps, zu vermeiden gilt. An erste Stelle stellt er die Qualität des Unternehmens, dann erst erfolgt die relative Bewertung. Viele Bewertungsfallen haben sich durch die Corona-Krise offenbart. Aktien von Unternehmen, die bereits auf einem vermeintlich günstigen Bewertungsniveau lagen, wurden noch ‚günstiger‘, beispielsweise die Öl- und Gasindustrie, Banken, der stationäre Einzelhandel und die Automobilbranche“, so Schettler. Ob ein Titel unterbewertet ist oder nicht, dies ergibt sich dabei erst aus der detaillierten Auseinandersetzung mit verschiedenen Kennzahlen, Geschäftsberichten und der genauen Kenntnis des jeweiligen Marktes. Darüber hinaus ist es wichtig herauszufinden, ob das Geschäftsfeld, in dem die Firma tätig ist, eine echte Chance hat, in zehn Jahren noch so erfolgreich zu sein wie heute. Nestlé ist ein gutes Beispiel. Johnson & Johnson aus den USA stehen auch auf der Kaufliste von Value-Investoren und auch die deutsche Merck-Aktie ist als defensives Investment attraktiv. Aber auch die teilweise arg geschüttelten Finanzwerte dürften bei einer Renaissance dieser Werte unter Umständen gut abschneiden. Finanzwerte werden in Maßen von der steileren Zinskurve profitieren. „Auch die Erwartung, dass die zukünftigen Kreditausfallraten nicht ganz so hoch sein werden wie zunächst vermutet, und eine anstehende Fusions-/Übernahmewelle in Europa im Jahr 2021 sollten unterstützend wirken“, so StarCapital-Experte Dr. Schlumberger. Gleichzeitig könne das größte Value-Potenzial vor allem darin bestehen, in bestimmten Unternehmen nicht investiert zu sein, insbesondere wenn diese Unternehmen und Geschäftsmodelle im Umbruch und Wandel ständen“, wirft Portfoliomanager Schettler abschließend ein. Zu bedenken ist auch, dass politische Spannungen oder Komplikationen bei der Impfstoffverteilung eine Sektorrotation immer noch nachhaltig vereiteln könnten. (ah)

Fazit

Nach Jahren des Schattendaseins gibt es für Value-Investoren wieder etwas Rückenwind. Ob allerdings eine vollständige Sektorrotation von Growth (Wachstum) zu Value (Substanz) eintritt, ist derzeit noch ungewiss. Europäische Value-Fonds wie der Industria A EUR (Allianz Global Investors), Schroder ISF European Value A Acc oder JPMorgan Europe Strategic Value Fund A schlossen die vergangenen Monate gut ab.

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