FURIOS 20 – IDENTITÄT. Wer wir sind.

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Campus

Wo bin ich hier gelandet? The Mexicans will pay for the food Der Versuch, einen hungrigen Magen zum Schweigen zu bringen. Text: Leonhard Rosenauer »Ehrliche Mexikanische Küche« verspricht das Schild über dem Restauranteingang. Mit knurrendem Magen und Hundeblick nähere ich mich, doch bevor ich einen Fuß hinein setzen kann, zerrt mich meine Begleitung in ein Restaurant gegenüber mit mexikanisch-japanischer Fusionsküche. Hier heißt es jedoch erst einmal in die Warteliste eintragen. Wer einen Platz an den Tischen ergattern will, muss seinen Willen offenbar erst unter Beweis stellen.

gerade als ich den Mund öffne, unterbricht mich der Sound einer siebenköpfigen Straßenband. Im selben Moment stößt eine Kellnerin mit riesigen Tunnelohrringen, deren innere Leere mich melancholisch werden lässt, zu uns. Über den Rabatz hinweg, versuche ich ihr meine Wünsche entgegen zu brüllen. Doch ausgehungert und schwach wie meine Stimme mittlerweile ist, versteht sie, dass ich noch einen Moment brauche und trottet davon. Ich unterdrücke eine Träne.

Als ich in der sengenden mexikanischen Sonne auch den letzten Tropfen Flüssigkeit aus meinem Körper geschwitzt habe, sind wir endlich dran. Hip und progressiv wie der Laden ist, sitzen wir mit Mexikos botoxsüchtigen Jungunternehmer*innen an einem Tisch.

Beim zweiten Versuch habe ich die Speisekarte parat und tippe vehement auf die Bilder – geschafft! Als mein Essen kommt, breche ich mit letzten Kräften die Holzstäbchen auseinander. Doch bevor ich mir den ersten Bissen einverleiben kann, fragt meine Begleitung: »Och, sieht ja lecker aus. Darf ich mal probieren?« Über meine selbstbezahlte Mauer aus Coladosen hinweg, grapschen ihre Stäbchen nach meinem Lachsfilet. Ich weine.

Ich lasse mich nicht entmutigen und will ein Gespräch über das Armutsgefälle in der lokalen Gesellschaft beginnen, doch

Blasse junge Frau hat wieder mal kastriert Als Pazifistin hätte unsere Autorin beim Tekken-Turnier in der E-Sports-Bar lieber nur Drinks geschlürft. Aber Muskelprotzen virtuell die Fresse zu polieren, hat sie dann doch angestachelt. Text: Carla Spangenberg Illustration: Klara Siedenburg Eine Frau umschlingt den Kopf eines Mannes, der auf ihr liegt. Sie presst ihn so lange an ihre Brust, bis er zerfetzt. Mission Completed – Nina Williams wins! Siegessicher lege ich den Controller zur Seite. Nach dieser Aufwärmübung werde ich im anschließenden TekkenTurnier im Zweikampf an der Playstation alle plattmachen. Eigentlich hatte ich mich gesträubt, mit in die E-Sports-Bar zu kommen. An den Wänden hängen Hauptplatinen und auf die Toilette geht man zu Super Mario oder Peach. Alles hat einen leicht nerdigen Touch und der Barmann meidet hinter seinem neongrünen Brillengestell jeglichen Blickkontakt. Aber Tekken ist extrem sexy und ich habe Blut geleckt: Als Tochter einer Pazifistin und eines Wehrdienstverweigerers war mir die Welt virtueller Gewalt bisher entgangen. Der muskulöse King mit Leopardenkopf wird während des Turniers unter meinen High Heels zerquetscht. Auch den fetten Bob lege ich auf den Rücken. Die Combos aus Genicktritten und Nippeltwistern im Viertefinale stoppen jedoch meinen schon

sicher geglaubten Turniersieg. Anstelle eines Controllers nutzt mein Gegner seinen eigenen »Fight Stick«: einen viereckigen Kasten, der aussieht wie ein Xylophon mit Tasten. So ein Stick ermöglicht eine schnellere Bedienung und kostet 200 Euro. Eine sinnvolle Investition, denn er gewinnt und sahnt satte 20 Euro Preisgeld ab. Aber eine starke Kriegerin weiß, wann die Schlacht verloren ist. Also stürze ich mich an der Bar in ein neues Scharmützel: Beim Würfeln erspiele ich mir eine Armee aus Shots, mit der ich mir den Kopf wegballere.

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