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LITERATUR

ÉDOUARD LOUIS:

Anleitung ein anderer zu werden

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Was bleibt zurück, wenn man bei sich selbst ankommt? Édouard Louis schreibt in seinem neuem Roman „Anleitung ein anderer zu werden“ davon wie man sich neu erfindet und hinterfragt dabei die Selbstveränderung, die im ständigen Prozess ist. Armut, Scham über die eigene Familie und Identität, Flucht in die Stadt, der Weg in die Kreise der Intellektuellen, Gewalt. Louis ist Mitte zwanzig – voller Energie – und macht sich frei, probiert sich aus und will alle Leben voll (aus)leben. Er lässt seine Herkunft und ihre Begrenzungen zurück, erfindet sich ständig neu, erobert neue Räume und dringt in neue Welten vor. Édouard Louis erzählt in seinen Romanen von sich selbst! Der Soziologe und Autor wuchs in prekären Verhältnissen in einem Dorf in Nordfrankreich auf. In seinem autofiktionalen Debüt „Das Ende von Eddy“ schreibt er über Armut, Bildungsungleichheit, brutale Männlichkeit und über die Hybris Intellektueller gegenüber der Landbevölkerung und die Skepsis der Abgehängten. Soziologisch analysiert Louis seinen Aufstieg – er macht Abitur als Erster in der Familie, lernt in Paris Didier Eribon („Rückkehr nach Reims“) kennen und wird zum „transclasse“ (Klassenwechsler). Louis vergisst jedoch nicht die „Zurückgelassenen“, die Abgehängten, er schildert ihren Schmerz und gesellschaftliche sowie strukturelle Probleme. Sein 2021 erschienener Roman „Die Freiheit einer Frau“ widmet sich seiner Mutter, die ihre Ausbildung abbricht und von ihren zwei trinkenden Ehemännern geschlagen und abgewertet wird: „Meine Mutter hat ihr ganzes Leben mit Armut und männlicher Gewalt gekämpft“. Bis sie eines Tages einfach geht. Édouard Louis schreibt einfühlsam, fast zärtlich und analysiert scharf in seinen Romanen. In „Anleitung ein anderer zu werden“ erinnert er an die biografischen Wendepunkte: „Die Begegnung mit der Bourgeoisie und ihrer Kultur wird zum Ausgangspunkt von Louis‘ eigener Neuerfindung und Habitus-Transformation, auch wenn sie sich nie ganz vollendet. Die Autosoziografie scheint ein unerschöpflicher Fundus zu werden für die Geschichten der nächsten Jahrzehnte“, so die Journalistin Miryam Schellbach (sz.de).

›› Text: Sohra Nadjbi

LESUNGEN IM SEPTEMBER

6.9.

Amir Hassan Cheheltan: Eine Liebe in Kairo

Cheheltan, Schriftsteller und Ingenieur erzählt in seinem Roman feinsinnig von einer Liebe inmitten des Konflikts zwischen Israel und Palästina und von den Spannungen zwischen islamischen und jüdischen Lebensrealitäten: „der neue, große Zeitroman des Balzac Irans“ (Berliner Zeitung). ›› Romanfabrik Frankfurt, 20 Uhr, 7/erm. 4 €

15.9.

Die Poesie als Heimat im Exil: Lesung mit Volha Hapeyeva

Für ihren Essay „Die Verteidigung der Poesie in Zeiten dauernden Exils“ wurde die Autorin mit dem WORTMELDUNGEN Ulrike Crespo Literaturpreis 2022 ausgezeichnet. ›› Crespo Studio (Frankfurt), 19.30 Uhr, Eintritt frei

19.9.

Lize Spit: Ich bin nicht da

Belgiens Literatursensation ist zurück mit der Geschichte von einer großen Liebe und einer abgrundtiefen Traurigkeit. Ein Abend über den Schmerz und den Wunsch, gesehen zu werden. ›› >> Literaturhaus Frankfurt, 19.30 Uhr, Saal 9/6 €, Stream, 5 € 20.9.

Helene Hegemann: Schlachtensee

Hegemann habe einen Zugriff auf unsere Wirklichkeit, der radikal, poetisch, wuchtig, manchmal toxisch, immer zwingend sei. Überbewertet? Hört euch ihre neuen Stories an, in denen sie sämtliche Kategorien sprengt, über die wir die Gegenwart zu begreifen versuchen. ›› Literaturhaus Frankfurt, 19.30 Uhr, Saal 12/8 €, Stream, 5 €

22.9.

Julia Wolf: Alte Mädchen

Das Porträt dreier Frauengenerationen ist auch die Geschichte der Bundesrepublik: radikal subjektiv und weiblich. Der Roman öffnet die Augen dafür, woher wir kommen, wohin wir gehen, was wir mitnehmen und was wir loslassen sollten. ›› >> Hessisches Literaturforum Frankfurt, 19.30 Uhr, 8/5 €

29.8.

Helene Bukowski: Die Kriegerin

Lisbeth und die Kriegerin kennen sich seit ihrer Ausbildung bei der Bundeswehr. Jeden Winter treffen sie sich in einem Bungalow in den Dünen. Dann sind sie einander ganz nah und doch immer bemüht, die Wunden voreinander zu verbergen. ›› Hessisches Literaturforum, Frankfurt, 19.30 Uhr, 8/5 €