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06 Szene 0914 DD:! Muster HA 23.08.14 14:48 Seite 6

SZENE N Text & Foto: Florian Hohmann

„Lebensfremd und realitätsfern“ K Seit dem 1. August ist die Neuregelung zur Straßenkunst und Straßenmusik in Kraft getreten. Hintergrund waren mehrere Beschwerden wegen Lärmbelästigungen durch Anwohner und Gewerbetreibende. Nun hat die Stadt reagiert und ist scheinbar über das Ziel hinausgeschossen. Nach heftigen Protesten im Vorfeld versucht nun die Initiative „Kultur sucht Raum“ eine Neuregelung der Neuregelung zu erwirken. FRIZZ Das Magazin hat mit dem Sprecher der Initiative und Straßenkünstler Georg Gräßler über den Sinn und Unsinn der derzeitigen Verordnung gesprochen.

Die Innenstadt ist das internationale Aushängeschild von Dresden. Jährlich strömen tausende Touristen durch die barocken Gassen, drücken sich vor der Frauenkirche herum, hören mit halben Ohren bei der Zwingerführung zu oder lassen sich für einen Canalettoblick mal ans andere Elbufer fahren. Und wenn sie dann an der Brühlschen Terrasse sitzen und die MS „Gräfin Cosel“ in den Sonnenuntergang schippert, versüßt ihnen plötzlich ein Straßenkünstler mit einem Akkordeon den Moment und sie bleiben noch etwas länger sitzen, weil es das einzige Mal im Leben ist, dass sie Akkordeon gut finden.

Wünscht sich eine funktionierende Regulierung für alle Beteiligten: Georg Gräßler von der Initiative „Kultur sucht Raum“.

Der größte Knackpunkt der Regelung ist wohl aber die Einschränkung der Auftrittshäufigkeit. Als Straßenkünstler kann man neuerdings nur zweimal pro Woche auftreten, was es umso schwieriger macht, wenn man davon leben muss. Auftritte sind ebenfalls untersagt an Sonn- und Feiertagen sowie während des Stadtfestes, des Dixielandfestivals sowie Weihnachten. Im Grunde genommen zu jeder Gelegenheit, bei der Straßenkünstler Geld verdienen könnten. „Durch die Einschränkungen ist die Hauptsaison die einzige Zeit, in der ich noch arbeiten kann, und dann wiederum auch nur zweimal pro Woche“, fasst Gräßler zusammen.

Straßenkünstler gehören zu jedem gut sortierten Touristenviertel. Sie unterhalten, erstaunen oder zeigen einem die Grenzen der eigenen Geduld auf. Dennoch haben sie es in einer Touristenstadt wie Dresden nicht leicht diese Tage. Das mag zum einen daran liegen, dass sie Straßenkünstler sind, zum anderen daran, dass mit der seit 1. August geltenden Neuregelung zur Straßenkunst die Stadt bürokratische Hürden auferlegt hat, die es den Künstlern unmöglich machen, ihre Tätigkeit in vollem Umfang weiterhin auszuüben. Eine Regulierung ist zwar dringend nötig, nur nicht so, wie die Stadt geplant hat, findet Georg Gräßler von der Initiative „Kultur sucht Raum“. Er ist seit acht Jahren Feuerkünstler und tritt seit letztem Jahr regelmäßig auch in der Dresdner Innenstadt auf. „Ich würde das auch in Zukunft weitermachen, aber bei der derzeitigen Regulierung, ist die Antwort ganz klar nein.“ In der Tat hat die Stadt mit der Neuregelung zur Straßenkunst ein deutschbürokratisches Ungetüm geschaffen, welches die Initiave in einem offenen Brief an OB Helma Orosz als „lebensfremd und realitätsfern“ bezeichnet. „Die Regelung wurde von einer Verwaltung entworfen, fern von kulturellen Ein-

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Tag eine Genehmigung erhalten hat, kann man sich seinen Platz nicht aussuchen“, sagt Gräßler. Außerdem erfolge die Auswahl willkürlich und entspreche nicht den individuellen Belangen der Künstler. Die Initiative spricht sich eher für eine Abstandsregelung aus. Künstler sollten hundert Meter Distanz zueinander wahren. „Das wird sich dadurch selbst regulieren. Schließlich haben auch die Künstler nichts von überlasteten Plätzen.“

„Wenn ich jetzt durch die Innenstadt gehe, sehe ich kaum noch Straßenkünstler.“ flüssen“, sagt Gräßler. Er wünscht sich eine Regulierung, die das Funktionieren des Straßenkunstmarktes ermöglicht, ohne die Anlieger zu belästigen. Bei der neuen Verordnung kritisiert er besonders die bürokratischen Hürden.

cher Vorsprache erteilt wird, die an dem Tag zu erfolgen hat, für den auch die Genehmigung erteilt wird. „Wer am Samstag auftreten will, muss sich bis Freitagmittag die Genehmigung holen.“ Vorbestellungen gibt es nicht.

So sieht die Verordnung vor, dass eine Genehmigung für Straßenkünstler, die in der Innenstadt auftreten wollen, nur nach persönli-

Hinzu kommt, dass die Künstler sich ihre Plätze nicht aussuchen dürfen, sondern zugeteilt bekommen. „Selbst wenn niemand für den

Die Intiative „Kultur sucht Raum“ versucht das Thema nun bei der nächsten Stadtratssitzung im September einzubringen. Ob dies gelingt hängt jedoch davon ab, ob eine Eilbedürftigkeit anerkannt wird. Bisher haben mehr als 5.000 Unterstützer eine Onlinepetition gegen die Regelung unterschrieben. Auch diverse Vertreter von SPD, Linken, Grünen und Piraten sehen hier Handlungsbedarf und haben sich schon zu einer Evaluierungsrunde mit der Intiative bereiterklärt. Den Straßenkünstlern läuft derweil die Zeit davon. Die Neuregelung hat sie mitten während der Hauptsaison getroffen. „Wenn ich jetzt durch die Innenstadt gehe, sehe ich kaum noch Straßenkünstler“, sagt Gräßler. Solange die derzeitige Verordnung noch besteht, darf bezweifelt werden, dass sich so schnell was daran ändert. N Mehr Infos unter: www.artists-of-dresden.org


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