FRIZZ - Das Magazin für Darmstadt - 10 / 2021 - Ausgabe 463

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„Der Judenhass ist Teil der deutschen DNA“ Ein Gespräch mit Daniel Neumann, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Darmstadt INTERVIEW: JULIUS TAMM

W Mit dem Festakt „100 Tage, 1700

Jahre – Jüdisches Leben in Darmstadt“ wird die vielseitige jüdische Geschichte Darmstadts beleuchtet. Im FRIZZmag spricht Mit-Initiator Daniel Neumann über den Einfluss des Judentums auf Darmstadt, seinen Glauben und den wachsenden Antisemitismus in Deutschland. FRIZZmag: Herr Neumann, was macht Darmstadt aus Ihrer Perspektive besonders? Daniel Neumann: Darmstadt ist mein Zuhause, es ist meine Heimat. Als Jude meiner Generation tut man sich mit dem Heimatbegriff eher schwer. Denn es ist kein Begriff, der einem leicht über die Lippen geht, und es ist außerdem ein Begriff, der in der jüdischen Seele eine Spaltung erlebt. Man empfindet einerseits die spirituelle Nähe zu Israel und andererseits die tatsächliche Nä-

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he zu dem Ort, an dem man lebt – bei mir ist das Darmstadt.

Sie engagieren sich sehr stark in Ihrer und für Ihre Glaubensgemeinschaft – was bedeutet Ihnen Ihr Glaube? Es ist nicht nur ein Glaube – das ist das Spannende und gleichzeitig das unglaublich Komplexe am Judentum. Es steht auf zwei Beinen: Auf der einen Seite ist es eine Abstammungsgemeinschaft, ein Volk, eine Familie, auf der anderen Seite eine Religion.

Dann anders gefragt: Was bedeutet Ihnen Ihr Jüdisch-Sein? Alles! Das bin ich, das ist meine Identität. Es bestimmt meinen Lebensablauf, meine Zielsetzungen, wo ich herkomme, wer ich bin und wo ich hinwill. Ich würde es niemals missen wollen.

1.700 Jahre jüdisches Leben in Darmstadt – welchen Einfluss hatte das Judentum auf Darmstadt?

Im Lauf der Zeit einen nicht unerheblichen, weil es eine Reihe von (jüdischen) Künstlern, Architekten, Kulturschaffenden und Politikern gab, die Darmstadt eben mitgeprägt haben. Mit der Zeit sind diese Personen bei dem ein oder anderen ein Stück weit in Vergessenheit geraten – ob das Dichter waren wie Karl Wolfskehl, Maler wie Ludwig Meidner oder der Architekt Alfred Messel. Das waren teilweise auch Menschen, die gar nicht unbedingt als jüdisch wahrgenommen werden wollten, sondern die als integrierte Teile der Gesellschaft eben diese Gesellschaft weiterentwickeln und bereichern wollten.

Im Dritten Reich galt Darmstadt jedoch als Nazi-Hochburg – welchen Einfluss hatte das auf das jüdische Leben hier? Zuerst hat es dazu geführt, dass das jüdische Leben rapide abgebrochen ist. Viele derer, die Darmstadt so viel gegeben hatten, FRIZZ MAG | #463 | OKTOBER 2021


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