Oper Pur 03

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Gürzenich-Orchester Köln ANTRIEB

gürzenich-orchester

Vom Geniestreich zum »Allerweltskonzert« text Matthias Corvin / Johannes Wunderlich foto Fabian Helmich

Jeder kennt den berühmten Anfang aus Stanley Kubricks Filmklassiker »2001 – Odyssee im Weltraum«: ein spektakulärer Sonnenaufgang in den Weiten des Alls. Den Soundtrack dazu komponierte gut 70 Jahre zuvor Richard Strauss. Seine Tondichtung »Also sprach Zarathustra«, bei der sich Stanley Kubrick bediente, ist im 8. Sinfoniekonzert des Gürzenich-Orchesters unter Gürzenich-Kapellmeister Markus Stenz zu erleben. Sie vertont eine berühmte Schrift von Friedrich Nietzsche. In hymnischen Versen verkündet der Wegbereiter des modernen Atheismus und Neudeuter antiker Kulturen darin seine neuen Lebensziele, die auf Trieb, Instinkt und Machtstreben basieren. Strauss regte das Werk zu einer kolossalen Tondichtung an. Er selbst bezeichnete sie als das »Bedeutendste, Formvollendetste, Inhaltreichste, Eigentümlichste meiner Stücke«. Am 27. November 1896 fand die Uraufführung in Frankfurt statt, gerade einmal vier Tage später stand Richard Strauss persönlich vor dem GürzenichOrchester und dirigierte die Kölner Erstaufführung. Eine ebenso zukünftige Musik entwarf Felix Mendelssohn Bartholdy mit seinen poetischen Konzertouvertüren. Sein »Märchen von der schönen Melusine«, ein mit Wagners »Lohengrin« verwandtes Sujet, bietet schwärmerische Romantik pur. Das Werk erzählt von einer zauberhafte Nixe, die sich mit einem Ritter vermählt und diesem zehn Kinder schenkt. Doch die verbotenen Fragen nach ihrer Herkunft führen schließlich zu einem tragischen Ende. Das Gürzenich-Orchester Köln vereint viele großartige Solisten, und so ist es inzwischen gute Tradition, dass sich in jeder Saison einer der Stimmführer oder Solobläser mit einem Solokonzert vorstellt. Zwischen die dramatischen Eckpfeiler von Strauss und Mendelssohn stellt Egon Hellrung, Solo-Hornist des Orchesters, Mozarts drittes Hornkonzert kv 495. Und das ist noch nicht alles: Es wartet noch der 3. Akt, ein weiteres Stück, das die Ohren öffnen soll für Ungewohntes und Unbekanntes! Die jährliche Bach-Passion an Karfreitag ist gute Tradition des Gürzenich-Orchesters. Doch dieses Jahr beschreitet gmd Markus Stenz

auch neue Wege. Er stellt vor die »Johannespassion« am Gründonnerstag Wolfgang Rihms »Deus passus – Passionsstücke nach Lukas«, eine neuzeitliche Passionsvertonung. Entstanden ist das Werk 2000 als Auftragskomposition der Internationalen Bach-Akademie Stuttgart. Es gipfelt in dem Gedicht »Tenebrae« (1957) des Dichters Paul Celan. Darin wird der leidende Gott mit dem Schicksal der Juden im Europa des 20. Jahrhunderts konfrontiert. Berührungsängste bei dieser Neuen Musik muss das Publikum nicht haben, Rihms Musiksprache vermittelt gekonnt zwischen Tradition und neuen Klängen. Über »Deus passus« schrieb Rihm selbst: »Das Blut der Einsetzungsformel der Eucharistie ›begegnet‹ also dem Blut geschlachteter Menschlichkeit. Der Versuch, derartiger Unaussprechlichkeit gestalterisch sich zu stellen, mag das ganze Werk kennzeichnen, dessen Grundzug Zurückhaltung sein könnte«. Im 9. Sinfoniekonzert am 11./12./13. April 2010 wird erstmals Fabio Luisi am Pult des Gürzenich-Orchesters zu erleben sein. Der außergewöhnlich erfahrene und charismatische Dirigent war zuletzt neben anderen Chefpositionen gmd der Sächsischen Staatsoper Dresden und Chefdirigent der Staatskapelle Dresden. Auf dem Programm stehen die Ouvertüre zur Oper »Euryanthe« von Carl Maria von Weber und die 1. Sinfonie von Robert Schumann, statt der ursprünglich angekündigten Sinfonien von Erwin Schulhoff und Antonín Dvorak. Solistin des 1. Violinkonzertes von Max Bruch ist wie vorgesehen Viviane Hagner. Die in München geborene Deutsch-Koreanerin genießt in der ganzen Welt einen großen Ruf. Die Fachpresse lobt ihre ausgereiften Interpretationen, Dirigenten wie Lothar Zagrosek betonen ihre »wunderbare, natürliche Musikalität«. Max Bruchs erstes Violinkonzert, entstanden von 1864 bis 1868 in Köln, wurde mit seiner Mischung aus Sentiment und Virtuosität so schnell populär, dass es Bruch fast unheimlich wurde. Er selbst bezeichnete es als »Allerwelts-Konzert« und wollte es polizeilich verbieten lassen – natürlich nur zum Spaß.

www.guerzenich-orchester.de


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