ImmoFokus Ausgabe 01/2022

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Zum Autor Jasmin Soravia ist seit 2019 Vorsitzende des Urban Land Institut Austria. Sie ist Geschäftsführerin bei der Kollitsch & Soravia Immobilien, Beirat im Advisory Board GRÜNSTATTGRAU und Vorstand beim Travel Industry Club Austria.

Vom Green Deal zu Cradle-to-Cradle Kommentar: Jasmin Soravia

Ich kann mich noch genau daran erinnern: es war lang vor COVID bei einer großen Podiumsdiskussion, die hochkarätig mit Immobilien-Experten besetzt war, ich mittendrin – und dann die Frage: Was sagen Sie zu „Urban Mining“? Schweißperlen standen mir auf der Stirn – noch nie gehört! Was sag ich bloß? Heute sind Begriffe wie Urban Mining, Cradle-to-Cradle, Kreislaufwirtschaft, Environmental Social Governance (ESG) oder Green Deal Teil des täglichen Immobilien-Wordings. Dem Thema Nachhaltigkeit entkommt niemand mehr, denn die ganze Welt ist von der Klimakrise betroffen. Um die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, wurde Ende 2019 der europäische Green Deal in Brüssel vorgestellt. Das Ziel ist, die europäische Volkswirtschaft in den kommenden 30 Jahren umzukrempeln und unabhängig von fossilen Brennstoffen zu machen. Bis 2050 soll Europa klimaneutral sein, Österreich hat sich mit 2040 sogar ein noch sportlicheres Ziel gesetzt. Um das zu erreichen, wurden zahlreiche Maßnahmen in den unterschiedlichsten Bereichen festgelegt.

Vermehrte Nutzung bestehender Ressourcen

Bei der Umsetzung der Maßnahmen zeigen sich bei genauer Betrachtung jedoch zusätzliche Probleme. Ressourcen werden immer knapper, deren Gewinnung und Verarbeitung haben aufgrund erhöhter CO2-Emissionen wiederum erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt und das Klima. Darüber hinaus produziert die EU jährlich mehr als 2,5 Milliarden Tonnen Abfall. Aus dieser zunehmenden Problematik führt nur ein Weg: weg von der klassischen Linearwirtschaft (Wegwerfwirtschaft) hin zur Kreislaufwirtschaft. Bei einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft bleiben bestehende Materialien und Rohstoffe so lange wie möglich im System. Ihr Wert bleibt durch Wiederverwertung oder hochwertiges Recycling erhalten, die Fertigung der neuen Endprodukte verbraucht erheblich weniger Energie und verursacht viel geringere Emissionen. „Cradle-to-Cradle“ nennt man den Ansatz

für eine durchgängige und konsequente Kreislaufwirtschaft – biologische Nährstoffe fließen in den biologischen Kreislauf zurück, technische Stoffe in den technischen Kreislauf. Für unsere Immobilienwelt bedeutet das: Gebäude und die dazu verwendeten Bauelemente sollten kaum mehr „klassisch“ abgerissen und deponiert werden. Neu zu errichtende Gebäude müssen leicht adaptier- oder umnutzbar sein; ein Gebäude, das Jahrzehnte, am besten Jahrhunderte lang – wie unser ehrwürdiges Wiener Zinshaus aus der Gründerzeit – stehen bleibt, ist das beste Geschenk an die Umwelt. Leider besteht bis dato auch ein erheblicher Bestand an weniger qualitativen und schutzwürdigen Objekten. Falls also ein Abbruch unvermeidlich ist, soll darauf geachtet werden, dass Materialien bereits vor Ort getrennt und in der nahen Umgebung wieder eingebaut werden können.

Intelligente Planung im Vorfeld

Vor allem die Erhaltung des Bestandes wird künftig immer mehr an Bedeutung gewinnen. Im Falle eines Abbruchs sind viele Baureststoffe jedoch schwer trennbar. Damit Materialien dem Cradle-to-CradlePrinzip entsprechen, muss bereits im Vorfeld eine intelligente Planung durchgeführt werden; das heißt, bereits in der Planungsphase muss entschieden werden, ob das Gebäude dem Nachhaltigkeitsprinzip entspricht oder nicht. Ein wichtiger Ansatz dabei ist, mittels kreativer Gesamtkonzepte große Teile des Bestands zu erhalten. Damit kann auch dem Prinzip der „Nachverdichtung“ Rechnung getragen werden, vor allem in Regionen, bei denen freier Bauplatz bereits rar ist. Den Bauträgern kommt somit eine wichtige Aufgabe zu. Bei Projekten muss im Sinne der Nachhaltigkeit versucht werden, soviel wie möglich an Bestand zu nutzen – und bei Neubauten ist bereits von Anfang an darauf zu achten, dass die richtige Auswahl an Materialien getroffen und das Gebäude so flexibel wie möglich geplant wird.

Ausgabe 01|2022

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