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Beurteilung der makroprudenziellen Massnahmen

Immobilien- und Hypothekarmarkt Liechtenstein

Ein ähnliches Bild ergibt sich für Haushalte, die ein deutlich negatives Nettofinanzvermögen (mehr als CHF 100 000) aufweisen. Dies betrifft in Liechtenstein insgesamt 31% aller Haushalte, wie in Abb. 15 dargestellt. Von diesen weisen wiederum etwas weniger als ein Viertel (23%) ein sehr hohes Einkommen von grösser als CHF 200000 aus (Abb. 22). Mehr als die Hälfte dieser Haushalte (56%) hat ein Haushaltseinkommen von weniger als CHF 150000, 32% von weniger als CHF 100000. Wiederum bestätigt sich also das Bild, dass die hohen Schulden bzw. das negative Nettofinanzvermögen nicht immer nur in Haushalten vorkommen, in denen das Einkommen hoch ist. Dieser Umstand macht diese Haushalte verwundbar gegenüber unerwarteten makroökonomischen Entwicklungen.

> 500 000

> 500'000 300 000 – 500 300'000-500'000 000 200 000 – 300200'000-300'000 000 150 000 – 200 000150'000 - 200'000 100 000 – 150 000100'000 - 150'000 < < 100 000100'000

Abbildung 22 Gesamterwerb (inkl. Sollertrag), wenn negatives Nettofinanzvermögen >CHF 100000 (Prozent der Haushalte)

Quelle: Amt für Statistik, FMA. 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 3 6 14

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Die Beurteilung der aktuellen makroprudenziellen Massnahmen hängt von den identifizierten systemischen Risiken ab. Die Bewertung der aktivierten Instrumente verbindet die Risikoanalyse mit der aktuellen Implementierung von makroprudenziellen Massnahmen. Die Grundlage bilden daher die zyklische Position des Wohnimmobilienmarktes, sowie, darauf aufbauend, die Art der identifizierten Risiken in den drei Kategorien Verwundbarkeit des Pfandes, Finanzierungsverwundbarkeit und die Verwundbarkeit der Haushalte. In der Evaluation der geltenden Massnahmen wird zwischen der Zweckmässigkeit («appropriateness») sowie der Angemessenheit («sufficiency») unterschieden. Die Zweckmässigkeit beurteilt dabei die Auswahl der aktivierten Instrumente sowie das Timing der Massnahmen, während die Angemessenheit die Kalibrierung sowie Effektivität der eingesetzten Politikmassnahmen beurteilt. Die Zweckmässigkeit wird in zwei Schritten beurteilt: Zuerst werden die Instrumente identifiziert, welche die Risiken vor dem Hintergrund der Ziele der makroprudenziellen Aufsicht adäquat adressieren würden. In einem zweiten Schritt werden diese Instrumente mit den aktuell aktivierten Massnahmen verglichen, wobei auch der Zeitpunkt der Aktivierung der ein-

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gesetzten Instrumente eine Rolle spielt. In einem letzten Schritt wird schliesslich die Angemessenheit der Massnahmen evaluiert, d.h. ob die Kalibrierung der eingesetzten Instrumente vor dem Hintergrund der identifizierten systemischen Risiken, der Ziele der makroprudenziellen Aufsicht und Politik sowie der wahrscheinlichen Transmissionskanäle als adäquat eingeschätzt wird. Wenn in einem ersten Schritt die Zweckmässigkeit als unvollständig oder nicht adäquat beurteilt wird, kann naturgemäss auch die Angemessenheit nicht als ausreichend bewertet werden.

Die Beurteilung der Policy-Massnahmen erfolgt im Rahmen der makroprudenziellen Strategie, die 2019 vom Ausschuss für Finanzmarktstabilität entwickelt wurde.20 Das oberste Ziel der makroprudenziellen Aufsicht und Politik ist die Wahrung der Finanzmarktstabilität. Daraus lassen sich verschiedene Zwischenziele ableiten, wie sie in der im Jahr 2019 vom Ausschuss für Finanzmarktstabilität beschlossenen makroprudenziellen Strategie festgelegt wurden. Im Zusammenhang mit der hohen Verschuldungsquote der liechtensteinischen Privathaushalte sind v.a. die Zwischenziele «Eindämmung und Vermeidung von übermässigem Kreditwachstum und übermässiger Verschuldung» sowie «Begrenzung direkter und indirekter Risikokonzentrationen» von Bedeutung, um die Widerstandsfähigkeit des Finanzsystems zu stärken und den Abbau von systemischen Risiken zu erreichen. Im Rahmen dieser Strategie ist auch festgehalten, dass es als Aufgabe der makroprudenziellen Aufsicht gesehen wird, fehlende Instrumente zu identifizieren, um die Risiken adäquat adressieren zu können. Die Verfolgung der Zwischenziele, wie sie in der makroprudenziellen Strategie festgelegt wurden, legt einen stärkeren Fokus auf kreditnehmerbasierte Instrumente nahe. Die Risikoanalyse schätzt die Verwundbarkeit des Pfandes insgesamt als «gering bis moderat» und die Finanzierungsverwundbarkeit als «relativ gering» ein, während die Verwundbarkeit bei den Haushalten als «hoch» eingeschätzt wird. Vor diesem Hintergrund sollte der Fokus der PolicyMassnahmen vor allem auf kreditnehmerbasierte Massnahmen abzielen, um den weiteren Aufbau der Risiken zielgerichtet zu mitigieren. Besonders wichtig sind in diesem Zusammenhang Möglichkeiten zur Begrenzung der Verschuldung relativ zum Einkommen, Vorgaben in Bezug auf die Amortisation sowie klare Regeln zur Tragbarkeit, indem eine tragbare Schuldendienstquote sichergestellt wird. Um die Widerstandsfähigkeit des Bankensektors zu stärken, sind begleitend zu den kreditnehmerbasierten Massnahmen entsprechende Kapitalpuffer für die systemischen Klumpenrisiken sowie evtl. auch höhere Risikogewichte für die betreffenden Risikopositionen in Betracht zu ziehen.

Der aktuelle Policy-Mix fokussiert vor allem auf Massnahmen auf Seiten des Kreditgebers, wobei einige kreditnehmerbasierte Elemente bereits in Kraft sind. Für die drei systemrelevanten Banken in Liechtenstein wurde im Rahmen der Überarbeitung des Kapitalpuffer-Regimes ein Systemrisikopuffer in der Höhe von 2% des Gesamtrisikobetrages festgelegt21, wobei die Kalibrierung u.a. auch strukturelle Risiken im Zusammenhang mit dem Immobilien- bzw. Hypothekarmarkt berücksichtigt. Der antizyklische Kapitalpuffer, der insbesondere einem exzes-

20 Die makroprudenzielle Strategie ist unter folgendem Link verfügbar: https://www.fma-li.li/de/aufsicht/finanzstabilitat-undmakroprudenzielle-aufsicht/ausschuss-fur-finanzmarktstabilitat/makroprudenzielle-strategie.html. 21 Der Systemrisikopuffer wird derzeit – vor dem Hintergrund der Revision des Bankengesetzes mit der Einführung des CRD V-Pakets – neu kalibriert

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siven Kreditwachstum vorbeugen und somit die Prozyklizität des Finanzsystems verringern soll, wurde hingegen aufgrund der nachlassenden Dynamik des Kreditwachstums in den letzten Jahren noch nicht aktiviert. Komplementär dazu wurden auch die Risikogewichte für Immobilien-Risikopositionen in Liechtenstein gegenüber den Standardvorgaben in der CRR erhöht. So betragen die Risikogewichte für einen Beleihungsgrad zwischen 66⅔% und 80% nun 50% (statt 35%). Die Instrumente konzentrieren sich daher – auch aufgrund der vorgesehenen Instrumente in der europäischen Regulierung – auf kapitalbasierte Massnahmen. Nichtsdestotrotz sind in Liechtenstein bereits einige kreditnehmerbasierte Massnahmen in Kraft. Zwar sind kreditnehmerbasierte Instrumente nicht explizit im BankG vorgesehen, jedoch stützt sich die BankV (Anhang 4.5) auf den allgemeinen Artikel zum Risikomanagement (Art. 7a BankG) und orientiert sich inhaltlich grossteils an den Vorgaben in der Schweiz. Die kreditnehmerbasierten Massnahmen umfassen im Wesentlichen:

– eine Begrenzung des Beleihungssatzes auf 80% des Immobilienwertes (d.h. einen Eigenkapitalanteil von mindestens 20%);

– eine zusätzliche Amortisationsvorgabe, dass der

Kredit innerhalb von 20 Jahren auf einen Beleihungssatz von höchstens zwei Drittel zu amortisieren ist; sowie

– eine Tragbarkeitsanalyse, die sich auf einen kalkulatorischen Hypothekarzinssatz stützt, wobei der sich ergebende Schuldendienst einen gewissen Anteil des Haushaltseinkommens nicht überschreiten sollte. Diesbezüglich sind jedoch keine numerischen Vorgaben in der BankV enthalten.22

Ausnahmen von diesen Vorgaben sind möglich, allerdings müssen diese entsprechend als «exception-topolicy» (ETP) deklariert werden. Eine solche Einstufung als ETP hat keine weiteren Konsequenzen, d.h. die Bank muss die Kredite beispielsweise nicht mit höherem Eigenkapital unterlegen, wenn die Tragbarkeitsregel verletzt wird.

Die Zweckmässigkeit der aktivierten Massnahmen wird vor dem Hintergrund der Risikoanalyse als «grossteils adäquat» beurteilt, jedoch fehlt derzeit eine gesetzliche Grundlage für makroprudenzielle kreditnehmerbasierte Massnahmen. Zusammenfassend lässt sich in Bezug auf die Zweckmässigkeit der Massnahmen Folgendes feststellen:

– Kreditnehmerbasierte Instrumente sind derzeit nicht gesetzlich im BankG verankert.

– Trotzdem sind, basierend auf Art. 7a BankG (Risikomanagement), kreditnehmerbasierte Massnahmen im Anhang 4.5 der BankV verankert. Diese betreffen Beschränkungen in Bezug auf den Beleihungssatz, die Amortisation und eine Tragbarkeitsanalyse, wobei bei Letzterer den Banken bzgl. Kalibrierung keinerlei Vorgaben gemacht werden.

– Es fehlen daher quantitative Vorgaben in Bezug auf maximale Schuldendienstquoten, sowohl beim aktuellen als auch bei einem kalkulatorischen

Zinssatz.

22 Üblich ist ein kalkulatorischer Zinssatz von 5%, wobei der Schuldendienst ein Drittel des Haushaltseinkommens nicht überschreiten sollte.

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– Was ebenso fehlt, ist ein Instrument in Bezug auf eine maximale Verschuldung relativ zum Einkommen. Vor dem Hintergrund der Risikoanalyse wäre die Verfügbarkeit eines solchen Instruments grundsätzlich zu empfehlen. Über eine Aktivierung dieses makroprudenziellen Instrumentes müsste dann basierend auf einer regelmässigen Risikoanalyse entschieden werden, die durch die verbesserte

Datengrundlage ermöglicht wird.

– Sollte es aufgrund der identifizierten Systemrisiken im Wohnimmobilienmarkt, basierend auf potenziell neu eingeführten gesetzlichen Bestimmungen, tatsächlich zu einer Aktivierung eines neuen makroprudenziellen Instrumentes kommen, so müssten zuvor die Auswirkungen auf die Kreditnehmer sowie die Banken im Detail abgeschätzt bzw. simuliert werden (sogenannte «Auswirkungsanalyse»).

Wären diesbezüglich erhebliche Auswirkungen zu erwarten, so wären längere Übergangsfristen unbedingt empfehlenswert. Auch vor diesem Hintergrund sind detaillierte Daten zu den Kreditvergabestandards der Banken wichtig, wie sie in der

ESRB-Empfehlung ESRB/2016/14 (in der geltenden Fassung) vorgesehen sind.

– Die kreditgeberseitigen Massnahmen, die insbesondere auf die Kapitalisierung und damit die

Widerstandsfähigkeit der Banken abzielen, werden insgesamt als zweckmässig beurteilt. Es wäre jedoch überlegenswert, ob die Klassifizierung von Krediten als «exception-to-policy» mit weiteren Konsequenzen verbunden sein sollte, z.B. indem solche

Kredite mit höheren Eigenmitteln unterlegt werden müssen. Vor dem Hintergrund der «grossteils adäquaten» Zweckmässigkeit der makroprudenziellen Instrumente wird auch die Angemessenheit der Instrumente als nur «grossteils zureichend» beurteilt. Aus Sicht der Risikoanalyse stellt insbesondere das Verhältnis der Schulden relativ zum Einkommen in vielen Haushalten eine erhebliche Verwundbarkeit dar. Diese Verwundbarkeit kann derzeit mit dem vorhandenen Instrumentarium nur unzureichend und damit auch nicht auf dem effizientesten Weg adressiert werden. Fehlende Vorgaben über die maximale Höhe des Schuldendienstes (relativ zum Einkommen, bei aktuellen Zinsen oder bei einem kalkulatorischen Zinssatz) macht auch die aktuelle Tragbarkeitsanalyse zu einem eher zahnlosen Instrument. Obwohl Liechtenstein bei den kreditnehmerbasierten Massnahmen eine Vorreiterrolle spielte, ergibt sich aus der Risikoanalyse zusätzlicher Handlungsbedarf, wenngleich dieser aufgrund der erwähnten risikomindernden Faktoren, des aktuellen Zinsumfeldes sowie der guten Kapitalausstattung der Banken als nicht akut eingestuft wird. Trotzdem würde eine gesetzliche Verankerung der kreditnehmerbasierten Instrumente im BankG sowohl die Transparenz für die Marktteilnehmer und die Kreditnehmer, als auch die Flexibilität in Bezug auf eine risikobasierte Kalibrierung der Instrumente erhöhen.

Die derzeit geltenden Kapitalpufferanforderungen für die liechtensteinischen Banken wurden hingegen bereits unter Berücksichtigung der systemischen Klumpenrisiken im Hypothekarmarkt kalibriert, die kapitalgeberbasierten Massnahmen können daher als angemessen angesehen werden.

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