anatomicum Text: Jörg Herbig
Wir steigen den Turm bis ins oberste Geschoss hinauf. Erste Exponate erwarten uns im Vorraum, daneben reichlich Informationen zum Gründer der Sammlung. Der Besuch des Museums ist mit einer Führung verbunden. Erst im Anschluss besteht die Möglichkeit, auf eigene Faust noch einmal die Ausstellungsräume zu besichtigen. Menschliche Skelette und Totenschädel habe ich zuvor in Museen wie dem Stadtmuseum in Offenbach und dem Archäologischen Museum in Frankfurt gesehen, allerdings dort nur in kleinen Mengen. Im anatomicum in Marburg bekommen wir ganze Regale voll mit Totenköpfen gezeigt, Schränke gefüllt mit Knochen und Knochenteilen, eine komplette Wand mit aufgereihten menschlichen Skeletten. Einige aus unserer Gruppe fassen die Knochen an. Das Berühren ist wahrscheinlich nicht erlaubt, aber im Gegensatz zu vielen anderen Museen wurde hier nicht gleich geschimpft. Dem Museum ist anzumerken, dass es zur Universität gehört. Die pragmatische Art, wie viele Körperteile präsentiert werden, lässt Ästhetik und Pietät vermissen. Vieles wirkt zu dicht gedrängt, zu sehr wie nur abgestellt, beinahe chaotisch, obwohl sauber und ordentlich gehalten. Stellenweise fühle ich mich an einen Lagerraum für Anschauungsobjekte erinnert, aus dem Professoren gelegentlich etwas für den Unterricht holen. Von Raum zu Raum wird es gefühlt heftiger. Bekamen wir zu Beginn Totenköpfe und Skelette vorgeführt, die herzhaft zu lachen schienen und mich an das zum Leben erwachte Skelett im Zeichentrickfilm „Das letzte Einhorn“ erinnerten,
so
folgen
nun
Skelette
mit
starken
Knochenverformungen
und
fortgeschrittenen Wirbelsäulenverkrümmungen. Am Ende der Führung gelangen wir zu einem Raum, vor dessen Betreten unsere Museumsführerin uns warnt: Schwangere und Menschen, die zu Alpträumen neigen, sollten dort nicht hineingehen. In der Mitte des letzten Ausstellungsraums schwimmt eine von oben nach unten durchgesägte, schwangere Frau in einem mit einer Flüssigkeit gefüllten Glasbehälter. In ihrer aufgeschnittenen Gebärmutter ist der tote Fötus zu erkennen.