Filmpodium 16. Februar – 30. März 2014

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05 Jean-Claude Carrière

Der Schattenmann Der französische Schriftsteller Jean-Claude Carrière (*1931) wurde in den 1950er Jahren von Jacques Tati überredet, seine Filmkomödien als Romane zu adaptieren. Daraufhin verlegte sich Carrière aufs Drehbuchschreiben und wurde einer der vielseitigsten Vertreter dieser Zunft. Illusionen machte er sich dennoch keine: «Wer Ruhm erstrebt oder sich ein Denkmal setzen lassen will, soll keine Drehbücher schreiben. Der Autor verschwindet; er arbeitet im Schatten.» Die FilmpodiumRetrospektive rückt Carrière ins Rampenlicht. Im Verlauf ihrer zweieinhalb Jahrzehnte währenden Zusammenarbeit bekamen Luis Buñuel und Jean-Claude Carrière überraschenderweise nur einmal nennenswerte Schwierigkeiten mit der Zensur, bei Belle de jour. Die Zurückhaltung, die die Behörde sonst zeigte, ärgerte den Regisseur ungemein. Als gelernter Surrealist hielt er es für ein schlechtes Zeichen, wenn seine Filme keinen Skandal mehr auslösten. Dank der Strenge der Zensoren ist Belle de jour nun der einzige Film des Gespanns Buñuel-Carrière, in dem die Religion keine Rolle spielt. Ursprünglich hatten die zwei bibelfesten Ketzer eine Szene geschrieben, die eine nekrophile Zeremonie zeigt. Sie wurde gekürzt, weil sie das Empfinden der Zuschauer zu sehr hätte verletzen können. Carrière selbst tritt in ihr als Priester auf, der eine Messe vor der Christusfigur von Matthias Grünewald zelebriert. Schon in Le journal d’une femme de chambre war der Drehbuchautor, den die Macht der Kirche gleichermassen empört wie fasziniert, mit sichtbarem Vergnügen in die Rolle eines Pfarrers geschlüpft. Aber nicht nur das Hadern mit ihrer katholischen Erziehung verband die beiden. Buñuel wählte Carrière aus einer ganzen Reihe von Drehbuchautoren aus, weil dieser zuvor mit den Komikern Jacques Tati und Pierre Étaix gearbeitet hatte. Sie teilten die Liebe zur amerikanischen Slapstickkomödie, vor allem zu Buster Keaton. Bei jedem Drehbuch versuchten sie, eine Sahnetorte unterzubringen, die einer Figur ins Gesicht geworfen würde (was ihnen letztlich aber nie gelang). Nicht unwichtig war für Buñuel auch, dass sein neuer Partner einen Dokumentarfilm über das Sexualleben der Tiere geschrieben hatte, was ihn brennend interessierte. Der angloamerikanische Kritiker

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Buñuel und Carrière in Höchstform: Le charme discret de la bourgeoisie

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An der letzten grossen Skulptur: Jean Rochefort in El artista y la modelo


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