Deutsche Kolonien Handbuch

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1. Deutschland erwacht

räumten ihre Konten aus Angst davor, ihre Werte komplett zu verlieren. Auf diese Weise wurde das zuvor enthusiastisch investierte Geld dem gesamten europäischen Kapitalmarkt entzogen, was zu einer Ausweitung der Krise auf immer mehr europäische und auch amerikanische Finanzmärkte führte. Der als »Gründerkrach« bezeichnete Einbruch war also in erster Linie ein Banken- und Kreditzusammenbruch, der aber in der deutschen Wirtschaft massive Folgen hatte. Für die deutsche Industrie fielen die Quellen zur Geldbeschaffung mit einem Male weg, was zu einem extremen Rückgang der Produktion und zu massenhaften Entlassungen der Arbeiterschaft führte. Nach einer Phase der überhitzten Konjunktur und des andauernden wirtschaftlichen Aufschwungs hatte der „Gründerkrach“ vor allem auch psychologische Folgen: das beinahe schon naive Vertrauen der Menschen in den grenzenlosen wirtschaftlichen Aufschwung war gebrochen.

schaftsliberalismus in Frage gestellt wurde. Der Staat musste nun wieder mehr in das wirtschaftliche Geschehen eingreifen. Dies tat der Reichskanzler Bismarck in Form von Schutzzöllen, mit denen der Import von Gütern nach Deutschland belegt wurde. Doch die während der Gründerjahre geschaffenen Überkapazitäten existierten immer noch, und konnten im Ausland nicht abgesetzt werden, da andere Nationen zu ähnlichen Schutzmaßnahmen ihrer eigenen Wirtschaft griffen. Vor diesem Hintergrund der wirtschaftlichen Krise, der Politik der Schutzzölle, der wachsenden politischen Opposition der Arbeiterschaft, die von den politischen und gesellschaftlichen Umwälzungen der Industrialisierung schwer betroffen war, erscheint der Imperialismus und die Kolonialpolitik des Deutschen Reiches als eine Abhilfe gegen diese Missstände im eigenen Land. Die deutsche Nation musste wieder ge-

eint und auf ein gemeinsames Ziel ausgerichtet werden. Die Erschließung neuer Rohstoffquellen für die eingebrochene Industrie und neuer Absatzmärkte für die Überproduktion in den überseeischen und afrikanischen Gebieten konnte als Argument benutzt werden, um die Zukunftsängste abzumildern. Die Mittelschichten der Städte und wenn möglich auch die Arbeiter in der Industrie sollten mit den Zuständen im Kaiserreich wieder versöhnt werden – bevor sie auf die Idee kamen, gegen diese selbst etwas zu unternehmen. Gesellschaftliche und Politische Ursachen des deutschen Imperialismus Die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen im damaligen Europa haben im Deutschen Kaiserreich zur Herausbildung politisch aktiver Interessengruppen geführt.

Folgen des Gründerkrachs Die Krise der deutschen Wirtschaft hatte zur Folge, dass die Idee des Freihandels und der allgemeine Wirt-

Kaiser Wilhelm II Die Revolution Nach einem Plakat von Théophile Steinele Ausdruck einer Sehnsucht nach Veränderung

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Von den negativen Folgen der „Großen Depression“ war besonders die mittelständische Wirtschaft betroffen, und suchte nun nach Ansätzen, um aus ihrer misslichen Lage zu entkommen. Die Industrialisierung hatte ohnehin das gesellschaftliche Gefüge in Deutschland zerrüttet, und weite Teile der Bevölkerung, in erster Linie die Arbeiterschaft, benachteiligt.


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