Rechtsextremismus in Europa

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Deutschland

DDR zu nutzen und auf ihrem Gebiet Neonazi-Strukturen aufzubauen. So gründeten Anfang 1990 prominente DDR-Faschos, -Skins und -Hooligans gemeinsam mit „Kameraden“ aus dem Westen die Nationale Alternative (NA) in Ost-Berlin. In einem besetzen Haus (Weitlingstraße 122) richteten sie ein „Nationales Kommunikationszentrum“ ein, das ihnen zu einer breiteren Öffentlichkeit verhalf. In dieser Zeit wurden zahlreiche neonazistische Organisationen gegründet. Auch bereits existierende Kampfgruppen verlagerten ihr Aktionsfeld in die neuen Bundesländer.22 Nach Anschlagswellen auf Asylbewerber in Hoyerswerda und Rostock sowie auf Migranten in Solingen und Mölln wurde ab 1992 eine Reihe rechtsextremer Organisationen auf Grundlage der umfangreichen Gesetzgebung gegen alle Formen des (Neo-)Nazismus verboten.23 Auf die Verbotswelle reagierten führende Neonazis mit einem Strukturumbau des organisierten Neonazismus. Sie verzichteten fortan auf eine staatliche Zertifizierung (als Verein oder ähnliches) ihrer Zusammenschlüsse: Statt juristisch belangbarer Organisationen etablierten sie ein Netz scheinbar autonom agierender, lokal verankerter Kameradschaften.24 Ihre Führungsfiguren, Christian Worch, Thomas Wulff und Thorsten Heise, waren selbst von der staatlichen Repression betroffen: So wurde die Nationale Liste, die Worch und Wulff führten, wie auch die Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei, der Heise angehörte, verboten.25

22 Vgl. Stöss, Richard: Rechtsextremismus im Wandel. Friedrich-Ebert Stiftung: Berlin 2010: 102 f.; vgl. Schellenberg, Britta: Neonazismus. In: Benz, Wolfgang (Hrsg.): Handbuch des Antisemitismus. Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart. Bd. 5. Organisationen, Institutionen, Bewegungen, de Gruyter/Saur: Berlin/Boston 2012: 445 – 447. 23 Gleichwohl wurde die rassistische und rechtsextreme Gewalt politisch von der Bundesregierung genutzt, um das Asylrecht einzuschränken. Vgl. hierzu Lynen von Berg, Heinz: Politische Mitte und Rechtsextremismus. Diskurse zu fremdenfeindlicher Gewalt im 12. Deutschen Bundestag (1990 – 1994). VS Verlag für Sozialwissenschaften: Opladen 2000. 24 Zur Struktur einer Kameradschaft und ihrer regionalen Einheit, dem „Aktionsbündnis“, siehe: Schellenberg, Britta: Die Radikale Rechte in Deutschland. Sie wird verboten und erfindet sich neu. In: Langenbacher, Nora; Britta, Schellenberg (Hrsg.): Europa auf dem „rechten“ Weg? Rechtsextremismus und Rechtspopulismus in Europa. Friedrich-Ebert-Stiftung: Berlin 2011: 59 – 83, 70. 25 Vgl. Röpke, Andrea; Speit, Andreas (Hrsg.): Braune Kameradschaften. Die militanten Neonazis im Schatten der NPD. Ch. Links Verlag: Berlin 2004.

RECHTSEXTREMISMUS IN EUROPA

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