Fazit 163 (162/163)

Page 37

Essay von Maryam Laura Moazedi

»Ach, like mich doch!« Influencer und Instagram in sanft-verklärter Blick in die Ferne, Pastellfarben, im Hintergrund harmonisch der Sandstrand … ein lasziv-scheuer Augenaufschlag über die Schulter, den tätowierten Schmetterlingsflügel andeutend, das Licht gewusst dosiert … ein ekstatisch-exaltiertes Lachen, feuchte Farben, viel Zahn und der Niedrigkalorien-Brunch nach dem fernsehformatierten Einkauf mit Lara, Lena und Lotte, allesamt geklont … der Kopf von hinten, der Blick nicht sichtbar doch bedeutungsschwanger auf den Sternenhimmel gerichtet, oder die Berge, oder die Skyline, oder die Liebe ihres Lebens … alle Fotos durch den Farbfilter romantisiert, Farben, die die dahinterliegende Stimmung mittransportieren und die Bildaussage unterstreichen sollen, uns atmosphärisch davon erzählen, dass es gut ist zu einem, das Leben. Und immer ist sie da, genau im richtigen Moment, ganz zufällig, die Handykamera, um diesen ganz besonderen Augenblick einzufangen, der so einzigartig ist, einzigartig in der Intensität seiner gefühlt ewigen und lähmenden Repetition. Wie schrieb einmal jemand für die Süddeutsche Zeitung? »Es gibt Ikea-Bilderrahmen, die man seltener sieht als dieses Motiv.« Der selbsterwählte Konformitätsdruck scheint kein geringer, die Verlockung, Klischees zu reproduzieren, andere und sich zu plagiieren, von unwiderstehlichem Zauber zu sein. Gleichschaltung ist die Maxime, Individualität bewusstlos gestellt. Permanente Dèjà-vus, gefangen in einer Möbiusschleife. Ein Mal geht noch. Klick. Hashtag. Like. Make-up, Botox, Silikon, Bildbearbeitungs-Apps und irreführende Posen, die Körperstellen – je nach Laune des Modediktats – dünn oder fett wirken lassen. Am Pool räkelnd, den Hintern gen Kameralinse gepresst, eine Haltung, die künstlicher nicht sein könnte und irgendetwas im Dunstkreis von Peinlichkeitsgefühlresistenz assoziieren lässt, ein Blick, der mit dem Vakuum hinter den Augen spielt. Dazu noch eine Reihe sich selbst sexualisierender Selfies, vor dem Spiegel, weil die Schönste im Land, von oben, weil macht jünger, Mund halb offen, weil generiert mehr Likes, den Bauch betonend, weil lange dafür trainiert; … das Gesicht zu einem als erotisch missverstandenen Duckface verzerrt, das laut einer Dating-Seite zu mehr Zuschriften führt, aber ansonsten – da gibt es zumindest einen Minimalkonsens, – als äußerst unbeliebt gilt. Der durch fortwährende Diät und permanente Übungen gemachte Körper wird zum sinnstiftenden Lebensquell und Objekt, der Mensch zu seinem eigenen Voyeur. Und der Mensch wird auch zu seinem eigenen Paparazzo, folgt sich selbst auf Schritt und Tritt, schraubt Alltagsg‘schichten mit einer Melange aus Enthusiasmus und Pflichtgefühl zu Ereignissen hoch, lässt Indifferenz als Reaktion nicht gelten. Nicht so sehr: Der Mensch landete auf dem Mond, der Mensch spaltete Atome oder der Mensch rettete Kinder aus dem Mittelmeer. Eher: Der Mensch hatte Frühstück. Der Mensch traf Freunde. Und der Mensch gab der Katze Futter. Alles wird festgehalten, nicht immer von Belang. Groß ist die Sehnsucht nach der Suggestion, dass viel los wäre im Leben, das keine Eintönigkeit kennen darf.

Ich lieb ein pulsierendes Leben, das prickelt und schwellet und quillt, ein ewiges Senken und Heben, ein Sehnen, das niemals sich stillt.

Rainer Maria Rilke

So kann das lästige Korsett der Alltagsroutine, die schon per definitionem kein ständig pulsierendes Leben zulässt – das, mit Rilke, prickelt und schwellet und quillt – manch einen und manch eine zum Gedanken verführen, dem Publikum mehr bieten zu müssen, um es bei Laune zu halten. 259 Selfie-Tote soll es zwischen 2011 und 2017 gegeben haben, Tendenz steigend. Alle lebensverkürzenden Register werden gezogen, beim

Maryam Laura Moazedi über den Zauber der Banalität und Artifizialität, Hintern, Influencer und Instagram

Foto: Paperwalker

E

Mag. Maryam Laura Moazedi ist Universitätslektorin an der Karl-Franzens-Universität. Ihre Arbeits- und Interessensschwerpunkte sind Diversity Management und Human Resources. moazedi.org FAZIT JUNI 2020 /// 37


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.