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Wo bitte geht’s nach Hollywood? Guilty Pleasures und andere Empfehlungen von Super 8 bis Jerry Lewis VORSCHAU: MICHAEL OMASTA
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enn der Viennale-Trailer von Shirin Neshat, eine parfümierte Hommage an „Meshes of the Afternoon“ (1943), auch etwas Gutes hat, dann ist es die Gelegenheit, nicht nur an dessen Schöpfer Maya Deren und Alexander Hackenschmied zu erinnern, sondern zudem an ihr zwei Jahre später entstandenes Meisterwerk „Private Life of a Cat“ – und daran, dass Sasha und Maya ausgesprochene Katzenliebhaber waren. Prinzipiell gibt’s ja zwei Arten von Filmemachern: Solche, die vielleicht besser keine Filme machen sollten, und solche, die Katzen mögen. Man denke an Chris Marker (er gestaltete, apropos, den Trailer zur letztjährigen Viennale). Oder an Aki Kaurismäki, dessen wortloser Beitrag zum Omnibusfilm „Centro histórico“ damit endet, dass sein freundlicher Held einen Teller Milch vor die Tür seiner Taverne stellt. Oder an Jean Vigo, das tragische Genie des französischen Kinos, in dessen schmalem Werk es von Katzen nur so wimmelt – woran heuer der Kurzfilm „Les Chats de l’Atalante“ mit Zeichnungen des Malers Harald V Uccello erinnert.
Fotos: Viennale, synema
„A Masque of Madness (Notes on Film
06-B, Monologue 02)“ heißt etwas umständlich Norbert Pfaffenbichlers experimentelle Studie über den Schauspieler Boris Karloff, der als Frankensteins schaurig-sanftes Monster zur Ikone des Horrorfilms wurde und in der Folge immer neue Variationen dieses Archetyps verkörperte: einen taubstummen Butler in „The Old Dark House“, die Titelfigur in „The Mummy“, „The Mask of Fu Manchu“ sowie „The Body Snatchers“ und, nicht zu vergessen, den Kopf einer Teufelssekte in „The Black Cat“. Ein wahres Pandämonium aus Explosionen, Feuer, Luftkrieg, Blitz und Donner tut sich hier auf. Verblüffend anzuschauen, wie nahtlos Filmszene an Filmszene passt: So kann Karloff mit dem Revolver drohen und – Schnitt! – selbst tödlich getroffen zusammensinken, auch wenn 30 Jahre und der Wechsel von Schwarzweiß zu Farbe dazwischenliegen. Im Abspann werden die Regisseure aller verfügbaren Boris-Karloff-Filme aufgeführt. Der berühmteste, Michael Curtiz, ist falsch geschrieben. Mati Diop, die Nichte des senegalesi-
schen Filmpioniers Djibril Diop Mambéty, begleitet in „Mille soleils“ einen Star des afrikanischen Kinos durch seinen Alltag. Vor gut 40 Jahren hat Magaye Niang in „Touki-Bouki“ ei-
An der Amateurkamera: Dwight Chapin, Special Assistant von US-Präsident Nixon Vor der Kamera im Studio der Paramount: Anita Ekberg in „Hollywood or Bust“
nen Kuhhirten verkörpert, der mit seiner Liebsten von Dakar nach Paris fliehen will. Hauptberuflich arbeitet Niang bis heute als Cowboy. Szenen aus Mambétys Klassiker wechseln mit solchen, in denen Rinder in den Schlachthof traben und der alte Herr bei einer Open-Air-Vorführung sich selbst auf der Leinwand wiedersieht. Anfang und Ende des Dokuessays beschließt Tex Ritter mit dem Westernsong „Do Not Forsake Me, Oh My Darlin’.“ „Our Nixon“ von Penny Lane stellt uns
drei jener Gauner vor, die man aus Filmen wie „All the President’s Men“ nur dem Namen nach kennt: Bob Haldeman, John Ehrlichman und Dwight Chapin, führende Köpfe der Nixon-Administration und – was bisher kaum bekannt war – begeisterte Amateurfilmer. So sieht man Stabschef Haldeman mit Super-8-Kamera herumlaufen, um Nixon bei der Papstaudienz in
Rom, zu Besuch bei de Gaulle oder an der chinesischen Mauer zu filmen. Seit den 1970ern schlummerte dieses Material in den Archiven des FBI. Jetzt endlich lernen wir Richard Nixon auch privat kennen: wie er bei der Mondlandung mitfiebert, wie er mit Vertrauten über Homosexualität diskutiert (ein Übel, so der Präsident auf einem der „White House Tapes“, das schon das alte Griechenland zerstört habe), wie er sich von den Mitgliedern seiner Buberlpartie, die sich einer nach dem anderen vor Gericht verantworten müssen, am Telefon verabschiedet. Ach, was hätte Monty Python daraus gemacht! „Le Dernier des injustes“ hat Claude
Lanzmann sein neues Werk genannt. Mit dem „Letzten der Ungerechten“ ist der ehemalige Wiener Rabbiner Benjamin Murmelstein gemeint, einer jener Funktionäre, die bei der Organisation der jüdischen Auswanderung
oder als Mitglieder des Judenrates beispielsweise in Theresienstadt mit den Nazis „kooperierten“, und nach dem Krieg dann Persona non grata waren. Zumal die Überlebenden standen unter Verdacht, ihre Macht (oder, wie es im Film einmal heißt: Macht der Ohnmacht) missbraucht und es sich mit den Henkern gerichtet zu haben. So einer wie Murmelstein, darin waren selbst Gershom Scholem und Hannah Arendt sich einig, hätte es „verdient, von den Juden gehängt zu werden“. Wahrscheinlich ist es höchst an der Zeit, diese jahrzehntelang vorherrschende Sichtweise zu revidieren. Das elfstündige Interview, das Lanzmann im Sommer 1975 mit Murmelstein am Beginn seiner Arbeit für „Shoah“ auf 16 mm dokumentiert, schließlich aber nicht verwendet hat, spricht dafür. Erst jetzt hat er sich dazu entschlossen, Teile des Materials als Kinofilm zu veröffentlichen. Murmelstein, ein bulliger, 1938 gerade mal 33 Jahre alter Mann, der mit seinem wohl nicht allzu servilen Auftreten schon äußerlich absolut nicht der Vorstellung eines „Judenältesten“ entsprach, wirkt in diesem Gespräch durch sein gepflegtes Deutsch und seine vollkommen ungebrochene Art zu erzählen durchaus authentisch. Nur einmal, als Claude Lanzmann sein Gegenüber am letzten Tag des Interviewmarathons danach fragt, was aus ihm ohne Krieg und Nazismus wohl geworden wäre, da scheint Benjamin Murmelstein für einen Moment fast um eine passende Antwort verlegen: „Sie haben mich viel zurückdenken lassen, aber so viel Weichen stellen kann ich nicht.“ „Hollywood or Bust“ (1956), der letz-
te gemeinsame Film von Dean Martin und Jerry Lewis, dem die Viennale heuer ihre Retrospektive widmet, schildert die Reise des ungleichen Duos, das beim Preisausschreiben ein rosa Chrysler-Cabrio gewonnen hat, von New York in die Filmmetropole. Wunderbar schon die Titelsequenz, in der Jerry den „Filmfreunden in aller Welt“ huldigt: den Amis, Briten, Chinesen, Franzosen, ja sogar den Russen. Schlicht genial hingegen ist, wie Regisseur Frank Tashlin statt vorgeblicher Kritik lieber auf „Überaffirmation“ setzt: Bereits den Weg der beiden Helden ins „gelobte Land“ säumen auffällige Schönheiten – Hollywood ist überall, das Bewusstsein nur mehr eine Kolonie. Es sei der einzige seiner Filme, behauptet Lewis in seinem Erinnerungsbuch „Dean and Me (A Love Story)“, den er nie gesehen habe. Schwerer Fehler, Jer! F Die einzelnen Termine entnehmen Sie bitte dem Programmteil