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Margareten
Special
Margareten, eine Menüfolge
Wie sich der Fünfte kulinarisch entwickelt hat – zu einem der lebendigsten gastronomischen Winkeln Wiens
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Am Anfang war der Silberwirt (Schlossgasse 21), seit Menschengedenken am Ort, der traumhafte Gastgarten lockte ein breites Publikum, seine unangepasste Urtümlichkeit machte ihn zum Kult. Und die Bunte Kuh (Zentagasse 20), Szenelokal-Urgestein, und natürlich das Brauneis (heute am selben Ort: das Café Restaurant Horvath, Hamburgerstraße 2), unverzichtbare Versorgungsstelle und wichtigste
Das Haas-Beisl: echte Wirtshauskultur
punkt aus unvorstellbar schmal, das waren die Orte, die aus dem grauen Meer der Konventionalität und der Tradition hervorragten.
Silberwirt: Der traumhafte Gastgarten lockt seit jeher ein breites Publikum an
Wie sich die Gastro- nomie hier entwickelt hat, kann man als modellhaft gelten lassen
Bühne der Flohmarkt-Community, ebenso wie das Bohemien-Dorado Rüdigerhof (Hamburgerstraße 20). Den bürgerlichen Gegenpol fand man damals im Schwarzen Adler (Schönbrunner Straße 40), wo seit Erfindung derselben stetig an der sogenannten „verfeinerten Bodenständigkeit“ gefeilt wurde, und wenn’s Nacht wurde, gab es in Wien ohnehin nur mehr einen wirklich guten Platz, das Motto (Schönbrunner Straße 30).
Das änderte sich in den 90er Jahren dramatisch, Wiens Beisel-Szene explodierte förmlich, Neueröffnungen gab es quasi täglich, Konzepte, Ideen sonder Zahl, das goldene Zeitalter. Das Publikum wurde mutig, neugierig und genießerisch, Ethno-Lokale jenseits der Pizzeria und des AchtSchätze-Chinesen konnten sich etablieren, auch und besonders in Margareten: mit der Thai-Kitchen (Schönbrunner Straße 23) etwa, einem der sehr frühen Lokale Wiens mit Thai-Küche, mit der Casa do
3 Buchteln: hier regiert das Böhmische
Das gastronomische Angebot des damaligen Wien – wir sprechen von den späten 70ern bis Ende der 80er Jahre – war vom heutigen Gesichts-
Manuel, Wiens einzigem Portugiesen (der ein paar Häuser weiter im Senhor Vinho, Schwarzhorngasse 8, einen würdigen Nachfolger fand), und mit den 3 Buchteln (Wehrgasse 9), einem der ganz wenigen Lokale der Stadt, das sich explizit mit der böhmischen Kulinarik – nachweislich eine der Grundsäulen der Wiener Küche – befasste. Und da ging es dann los: Mit der Schlossgasse 21 (heute das Gergely’s) wurde 1990 nicht nur ein für Wien komplett neuer Lokal-Typ geschaffen – junges Design in altem Gemäuer, kreativ aufgepeppte Speisekarte quer
Senhor Vinho: Wiens Portugiese
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Fotos: Gerhard Friedrich Kunz; Lukas Ilgner (3)
s heißt ja, Wien sei anders. Schon, nur eigentlich ist sogar jeder Bezirk anders, und jedes Grätzel erst recht. Überall unterschiedliche Bevölkerungsstrukturen, soziografische Dynamiken, Geschichten und Traditionen, Nachbarschaften und Wechselwirkungen. Dennoch darf – zumindest in gastronomiehistorischer Hinsicht – Margareten als einigermaßen archetypisch für ganz Wien gelten. Wie sich die Gastronomie hier in den letzten 25 Jahren entwickelte – von den Pionieren ausgehend über ein zartes Erblühen einer Beisel-Landschaft in den 90er Jahren, eine Diversifizierung, Erscheinen von EthnoKüchen und schließlich Etablierung bis hin zu einer neuen, jungen und unkonventionellen Lokal-Szene der letzten Jahre –, kann man als modellhaft gelten lassen.