Bernstein
Eine kleine Geschichte des Bernsteins Von den Kieferwäldern der Ostsee in die ganze Welt, von der Steinzeit in die Moderne: der Weg eines besonders vielseitigen Steins „Gold des Meeres“, „Tränen der Götter“ – Bernstein hatte in seiner jahrtausendelangen Geschichte schon viele Namen. Der Schmuckstein aus fossilem pflanzlichen Harz war für den römischen Historiker Tacitus „Saftstein“, Plinius überliefert die Bezeichnung „glasa“. Die eigentliche Bezeichnung „Brennstein“ rührt von seiner leichten Brennbarkeit. Der Anblick der goldgelben, rötlichen oder braungelben Gebilde entzündet bis heute unsere Fantasie. Poetisch muten die Namen der diversen Arten ohnedies an: Undurchsichtiger Bernstein heißt „Knochen“. „Flomen“ (nach dem Eingeweidefett von Schweinen) bezeichnet die klare, nur durch mittelgroße Blasen getrübte Sorte. „Schwarzfirnis“ ist grauschwarz gefärbter oder marmorierter Bernstein, „Bastarde“ sind milchig gelb und von satter Trübung. Was Händler heute auf Flohmärkten anbieten, ist in der Regel Baltischer Bernstein aus dem ehemaligen Ostpreußen oder dem Weichselmündungsgebiet und etwa vierzig bis fünfzig Millionen Jahre alt. Aufgrund seiner undefinierbaren Zusammensetzung wird Bernstein nicht als eigene Mineralart anerkannt. Nicht vollständig erforscht ist auch seine Entstehung. Am Anfang standen
die riesigen Wälder von Bernsteinkiefern an der Ostsee, deren ausgeblutetes Harz versteinerte. Nach diversen Phasen der Umlagerung wurde das Material wieder freigespült. Mit viel Glück findet man Bernstein im Watt und an Küsten. Krabbenfischer entdeckten die begehrten Steine oftmals in ihren Netzen. Heute wird Bernstein im großen Stil durch industrielle Freispülung gewonnen. Funde aus der Altsteinzeit belegen, dass der ungewöhnlich leichte „Biolith“, wie die Geologen fossiles Harz bezeichnen, die Menschen bereits vor mehr als zwölftausend Jahren faszinierte. Rentierjäger schufen aus dem weichen Bernstein eine trapezförmige Scheibe mit Gravuren, die an Tiermotive erinnern. Verwendung fand sie vermutlich bei einem rituellen Jagdzauber. In der Jungsteinzeit (6000–2000 v. Chr.) kam es an der Ostseeküste zu einem regelrechten Bernstein-Boom. Allein auf polnischem Gebiet fand man Spuren von über tausend Werkstätten, die den Schmuckstein verarbeitet hatten. Mit dem „Gold des Nordens“ wurde Handel getrieben: Die kostbaren Steine gelangten über den Niederrhein, die Donau oder den Dnjestr in den Süden bis in die Zentren der damaligen Welt – zu Etruskern, Griechen und Römern.
Mit dem „Gold des Nordens“ wurde Handel getrieben
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