FALTER Ressort Natur Leseprobe 1

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NATUR

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Mobilitätsinitiativen unterstützen (Fahrgemeinschaften)

Mobilitätsinitiativen unterstützen (Dorfbus)

Anleitung für eine coole Zukunft: KlimaKonkret liefert 46 Ideen, wie Gemeinden Menschen vor der Hitze schützen können

Siedlungsnahe Freiräume sichern und ausbauen

Zu den Maßnahmen zählen: Dächer, Fassaden und Höfe begrünen, Kaltluftschneisen freihalten, Fließgewässer renaturieren, Wasserspielplät-

ze anbieten, Oberflächenversiegelung reduzieren, Mobilitätsvielfalt schaffen, Straßenbäume pflanzen, Bestandsgebäude beschatten, nach dem Schwammstadtprinzip bauen. Alle Tipps gibt es kostenlos im Internet unter: www.klimakonkret.at G R A F I K : K L I M A K O N K R E T Private Begrünungsinitiativen fördern

Wasser temporär erlebbar machen

Mobilitätsvielfalt schaff en (Mobility Hub) (Mobility Hub)

Mobilitätsinitiativen unterstützen Mobilitätsinitiativen (Pedibus) unterstützen (Pedibus)

Sommerpfade Sommerpfade gestalten gestalten

Zugang zu Freizeitanlagen ermöglichen

Innenentwicklung Innenentwicklung priorisieren priorisieren

Kaltluftschneisenschneisen Kaltluft freihalten freihalten

Dächer, Fassaden Dächer, Fassaden und und Höfe begrünen Höfe begrünen Altbäume schützenschützen Altbäume

Neubau optimieren Neubau optimieren

Regionale Regionale Radverbindungen Radverbindungen errichten errichten

Dächer, Fassaden Dächer, Fassaden und und Höfe begrünen Höfe begrünen Erlebbares Nass Erlebbares Nass gleich mitplanen gleich mitplanen

Oberflächenversiegelungen reduzieren reduzieren

Kaltluft schneisen Kaltluftschneisen freihalten freihalten

Alltagswege klimafit machen machen

Klima und Klima und Entwässerung Entwässerung koppeln koppeln

Innenentwicklung Innenentwicklung priorisieren priorisieren

Wasserspielplätze Wasserspielplätze anbieten anbieten

Bachzugänge Bachzugänge erschließen erschließen

Großflächige Grünräume schützen/schaff en

Mobilitätsvielfalt Mobilitätsvielfalt schaff en Teilen statt besitzen besitzen Teilen statt

Trinkwasser öff entlich anbieten anbieten

Ein rücksichtsvolles Ein rücksichtsvolles Miteinander fördern Miteinander fördern

hatten für jeden pielplatz

Straßenbäume pflanzen

Grüne Dächer Grüne Dächer fördern fördern

Elektromobilität Elektromobilität fördern fördern

Fuß-/Radwege und Wartebereicheund Fuß-/Radwege einladend gestalten Wartebereiche einladend gestalten

Begrünte und beschattete Parkplätze Begrünung von Gewerbeund Industriegebieten

„Und untertags macht man Siesta“ Schwammstadt speichert Niederschlagswasser

Hitzewellen werden härter. Meteorologe Simon Tschannett zeigt, wie wir es schaffen können, uns an den Klimawandel anzupassen. Ein Gespräch über den nötigen Wandel in der Baukultur und in der Gesellschaft INTERVIEW: BENEDIKT NARODOSLAWSKY

FOTO: PRIVAT

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ibirische Wälder brennen. In Kanada wurden 49,6 Grad gemessen, in der Metropolregion Vancouver starben binnen kürzester Zeit hunderte Menschen an der Hitze und brachten Polizei und Rettung an den Rand der Belastbarkeit. Auch bei uns spielt das Wetter verrückt. Schwere Unwetter zogen durchs Land, die

Bodenversiegelung reduzieren

erste Hitzewelle des Jahres schwappte über Österreich und machte den Juni zum drittheißesten in der mehr als 250-jährigen Messgeschichte, und ein paar Kilometer von der Grenze entfernt verwüstete ein Tornado tschechische Dörfer. Diese Woche wird es wieder extrem heiß. Was passiert, wenn sich Österreich noch weiter erhitzt und die Unwetter zunehmen? Wie können wir uns für die Zukunft rüsten? Genau

damit beschäftigt sich Simon Tschannett. Der Meteorologe berät Gemeinden, wie sie sich an die Klimakrise anpassen können.

Simon Tschannett , Meteorologe und Experte für die Anpassung an den Klimawandel

Falter: Herr Tschannett, Sie beschäft igen sich beruflich mit der Klimakrise. Was kommt da auf uns zu? Simon Tschannett: Wir sehen in den Klimamessungen bereits jetzt eine starke Zunahme an Hitzetagen. Von 1961 bis 1990 gab Fortsetzung nächste Seite

© KlimaKonkret, 2020

„Taschen-Parks“ gemeinsam gestalten


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F A L T E R 2 7 ∕ 2 1   N A T U R Kann man zumindest die Grundregel aufstellen, dass Asphaltieren keine gute Idee ist? Tschannett: Auf jeden Fall. Asphalt versiegelt die Oberfläche, dadurch kann keine Feuchtigkeit strömen. Außerdem ist er dunkel, er nimmt damit die Sonnenenergie auf und wandelt sie in Wärme um. Das kann dann 70 Grad heiß werden – und heizt auch den Boden darunter auf, so entsteht im Boden ein Wärmereservoir. Dieses gibt in der Nacht die Wärme ab, der Asphalt bleibt auch in der Nacht 30 Grad heiß. Und das erwärmt die Luft.

es in Wien auf der Hohen Warte im Jahresschnitt rund zehn Tage mit Temperaturen über 30 Grad. Von 1991 bis 2020 waren es im Schnitt schon 21, im Jahr 2015 sogar 42. Das geht eklatant hinauf. Wenn wir auf Wien schauen, gibt es eine große Bandbreite, welches Klima wir in Zukunft bekommen können. Eine Studie der ETH Zürich hat berechnet, dass Wien bis 2050 so heiß wird wie Skopje in Nordmazedonien. Eine andere zeigt, dass Wien bei einem moderaten Klimaszenario bis 2080 so heiß wird wie Marseille heute – mit dem Wermutstropfen, dass die moderierende Wirkung des Meeres fehlt. Wenn es hingegen keinen Klimaschutz gibt, kann es 2080 aber auch so heiß werden wie heute in Dakar im Senegal. Die Frage ist nicht nur, wie wir uns an die Hitze anpassen müssen, sondern auch, was mit Städten wie Dakar passiert. Dort wird es noch viel heißer und unerträglicher. Prognosen zeigen, dass manche Regionen zu heiß fürs Überleben werden. Tschannett: Ja, wobei es nicht um eine exakte Temperatur geht, sondern um ein Zusammenspiel von Luftfeuchtigkeit und Temperatur. Ist die Luftfeuchtigkeit zu groß, kann sich der Körper durch Schwitzen nicht mehr abkühlen. Das ist so, wie wenn man stundenlang in einer Dampfsauna sitzt, das packt der Körper nach einer Zeit nicht mehr. Wenn er überhitzt, stirbt man. Aber es muss ja gar nicht so weit gehen. Es reicht ja auch, wenn man einfach nicht mehr leistungsfähig ist. Darunter verstehe ich nicht nur die Arbeit, sondern auch, dass ich körperlich niedergeschlagen bin. Wie können sich unsere Gemeinden am besten gegen die Hitze rüsten? Tschannett: Sie brauchen zuerst einmal eine Vision, wie es in Zukunft aussehen soll. Sie muss etwas Positives sein, auf das sich die Menschen freuen können, weil sie etwas gewinnen. Zweitens brauchen sie eine Strategie. Denn es geht nicht nur darum, ad hoc eine lokale Maßnahme zu setzen, sondern Klimawandelanpassung muss abgestimmt sein. Dazu braucht es eine Regional- oder Stadtklimaanalyse, bei der man sich an-

len Bauplatz – etwa wenn man eine Straße umplant oder ein Haus baut.

Reicht es nicht, einfach Bäume zu pflanzen? Tschannett: Nein, es ist nicht egal, welche Anpassungsmaßnahme ich wo setze. Die Bäume helfen natürlich gegen die Hitze untertags. Sie spenden Schatten, dann spüre ich die Sonnenenergie nicht direkt, und der Boden bleibt kühler. Man fühlt sich viel wohler als bei einer versiegelten Oberfläche, denn es gibt einen Wassertransport, und die Verdunstungskälte kühlt die Umgebung. Wenn ich Pflanzen habe, nehmen sie außerdem die Sonnenenergie auf, um zu wachsen. Dadurch wird es nicht so warm. Aber es kann für eine Stadt manchmal auch kontraproduktiv sein, Bäume zu pflanzen. Bäume können bei einer Frischluftschneise die kühle Luft aufhalten, sie strömt dann nicht mehr so weit in die Stadt hinein. Für heiße Nächte heißt das, dass die Menschen, die stromabwärts leben, nicht profitieren würden. Klimawandelanpassung ist deshalb immer ein Abwägen. Es gibt auch die Idee, Gebäude weiß zu streichen, damit sie sich nicht so aufheizen. Tschannett: Das bedeutet aber auch, dass die gefühlte Temperatur untertags sehr hoch wird. Denn helle Oberflächen reflektieren die kurzwellige Strahlung der Sonne, die trifft dann auf die Menschen – und das fühlt sich extrem heiß an. Es gibt also keine Allerweltsmaßnahme, die man setzen kann.

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Überall wird darauf geschaut, dass man viel versiegelt, weil es am günstigsten ist METEOROLOGE SIMON TSCHANNETT KRITISIERT DIE BAUKULTUR

Das heißt, wo es hohe Häuser gibt, wird es besonders heiß. Tschannett: Es ist nicht ganz so einfach, denn wenn Häuser hoch sind, beschatten sie sich gegenseitig. Das ist auch eine wichtige Frage für die Zukunft der Bauordnung: Wieso sind in Italien die Gassen ganz eng und bei uns ist das nicht erlaubt? Weil unsere Bauordnung das derzeit noch verhindert. Sie sieht vor, dass man im ersten Stock lange Licht haben muss. Das ist kulturell zu überdenken, denn enge Gassen kühlen. Schatten ist – genauso wie eine Außen­ jalousie – ein ganz starkes Mittel, um Innenräume zu kühlen, weil ich die Sonne damit draußen halte. Da werden wir uns schnell anpassen müssen, damit es in Gebäuden ein erträgliches Maß an Hitze gibt. Sie haben viel über Städte gesprochen. Ist Klimawandelanpassung nur ein urbanes Thema? Tschannett: Nein, aber die Wärmeinseln sind es, also dieses Aufheizen im dicht verbauten Gebiet. Auf dem Land spürt man die Hitze mittlerweile genauso. Es gibt zwar nicht so viele reflektierende Oberflächen wie in der Stadt, aber auch dort ist es so heiß, dass man Schatten braucht. Ich komme aus Vorarlberg und gehe in meiner Heimatgemeinde mit dem Handkarren einkaufen. Auf dem Fußweg zum Geschäft hat es eine Riesenhitze, weil es keinen Schatten gibt. Wenn wir eine Mobilität der kurzen Wege wollen und verhindern wollen, dass man sofort ins Auto hüpft, um einen Kilometer zurückzulegen, dann müssen das die Menschen zu Fuß auch aushalten können. Wenn ich 70 Jahre alt bin und es so heiß ist, dass ich nicht mehr in den Supermarkt komme, fahre ich mit dem klimatisierten Auto hin. Sie sind in vielen Gemeinden Österreichs tätig. Wie oft schütteln Sie den Kopf, weil etwas falsch geplant ist? Tschannett: Andauernd. Überall wird darauf geschaut, dass man viel versiegelt, weil es am günstigsten ist. Und wenn ich zum Beispiel ein neues Quartier sehe, wo es nur wenige Bäume gibt, und selbst die sind ganz klein, weiß ich: Da ist ein Tiefgaragenplatz darunter, nämlich neben den Gebäuden. Denn unter den Gebäuden wäre es zu teuer gewesen, weil man tiefer hätte graben müs-

FOTO: BENEDIK T NARODOSLAWSK Y

Fortsetzung von Seite 51

Wo man sich wohler fühlt: Die Sonne brennt auf schaut, welche Klimatope es in der Gemein- den Kapitolsplatz de wo gibt – also etwa, wo gibt es eine Kalt- in Rom, Touristen luftschneise? Wo kommt die Luft zu welcher drängen sich zum Tages- und Nachtzeit an? Wie weit kommt Schutz vor der Hitze die kalte Luft in die Stadt hin­ein? Erst dann in den Schatten folgt die konkrete Umsetzung auf dem loka- nebenan

Ist das der Grund, warum es in der Stadt häufiger Tropennächte gibt als auf dem Land? Tschannett: Ja, aber auch wegen der vielen, hohen Gebäude. Es gibt in der Stadt einfach einen riesigen Wärmespeicher. Wobei das Stadtklima sehr heterogen ist. 2018 hatten wir in Wien in der Inneren Stadt 46 Tropennächte und auf der Hohen Warte nur 17 – also fast nur ein Drittel. Wenn es ländlicher wird, ist dieser Unterschied noch größer. Denn die Lufttemperatur nimmt in der Nacht stärker ab, wenn ich neben einem Wald oder einer Wiese lebe.


N A T U R   F A L T E R 2 7 ∕ 2 1 sen. Wenn die Tiefgarage unter dem ganzen Quartier liegt, hat man keine Chance, dass man irgendetwas Grünes pflanzt – etwa einen Baum. Das sieht man sowohl in größeren als auch in kleineren Städten überall. Was sind die entscheidenden Phasen, in denen man’s vergeigt? Tschannett: Die Tiefgarage ist nur der letzte Schritt. Eigentlich müsste man sich vielmehr überlegen, wie wir mit der Mobilität insgesamt umgehen. Warum brauche ich überhaupt eine Tiefgarage, in der 200 Autos Platz haben? Das müsste doch ganz anders ablaufen. Eigentlich sollte es gar keine Tiefgarage brauchen oder nur eine kleine, die man unter dem Gebäude bauen kann. Klimafit zu planen heißt nicht, nur ein Symbol für das Pro­blem Hitze zu setzen. Die falsche Planung beginnt schon, wenn ein Gesetz entsteht. Das betrifft die Raumordnung, die Bauordnung, die Richtlinien, aber auch Normen, die eine Straße erfüllen muss. Wenn die Vorgabe lautet, dass bei einer Straße ein Lkw und ein Bus aneinander vorbeikommen müssen, zementiert das so viel ein, dass ich nur noch Restflächen habe, wo ich vielleicht noch einen Baum pflanzen kann. Aber dann darf darunter auch keine Leitung sein, weil der Baum sonst die Leitung zerstört. Das verhindert alles. Wenn man darum kämpfen muss, eine Leitung zu verlegen, und das pro Meter 5000 Euro kostet, kann sich das keine Gemeinde leisten. Wie viel Geld haben die Gemeinden denn für Klimawandelanpassung? Tschannett: Viel zu wenig. Die Gemeinden müssen sich verrenken, damit sie irgendwie Geld bekommen, um etwas zu machen. Ich höre dann Aussagen wie: „Könnte man das auch als Verkehrsplanung machen? Denn für Verkehrsplanung gibt’s ein Budget.“ Wir haben einmal eine Stadt beraten, dort haben sie gesagt: „Es ist durch Corona schwierig, Geld aufzustellen für eine strategische Beratung. Denn dafür gibt es keinen Gegenwert, und deshalb kriegt man von den Banken schwerer einen Kredit.“ Obwohl die Stadt eine strategische Entscheidung für die Zukunft treffen muss, kann sie das Geld nicht aufstellen! Es ist alles darauf ausgerichtet, alles zuzubetonieren, ein Haus zu bauen, dann habe ich einen Immobilienwert und bekomme den Kredit von der Bank. Da brauchen wir neue Finanzierungsinstrumente, wie wir mit dieser Herausforderung umgehen. Und es werden nicht nur die Gemeinden und Städte für Klimawandelanpassung etwas zahlen müssen, sondern auch der Bund. Hätten Sie einen Lösungsvorschlag, wie man das Problem schnell beheben könnte? Tschannett: Es werden Milliarden für Autobahnen und Tunnelbau ausgegeben. Das müsste man eigentlich den Gemeinden für die Klimawandelanpassung geben. Dann hätte man zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Klimaschutz, weil man die Straße nicht baut und es dadurch zu keinen Emissionen kommt. Und zusätzlich würde man etwas für die Klimawandelanpassung tun.

Sie haben die Initiative KlimaKonkret ins Leben gerufen, die Gemeinden bei der Klimawandelanpassung unterstützen soll. Wo sind in Österreich heute die Vorbilder? Tschannett: Die suchen wir selbst. Aber es gibt so wenig, was es gebaut zu sehen gibt, höchstens einzelne Maßnahmen. Es sind eher strategische Schritte, die nun gesetzt werden. Linz geht das Thema gerade mit einer Stadtklimaanalyse verschärft an und hat einen Stadtklima-Koordinator angestellt. Auch in Wien gibt es eine Stadtklimaanalyse und einen Stadtklimatologen in der MA 22 – auch wenn einer für so eine Stadt zu wenig sein wird. Es ist also nicht so, dass man nichts tut. Aber es geht erst jetzt los, weil der Klimawandel immer spürbarer wird und sich der Leidensdruck erhöht hat.

Zur Person Simon Tschannett, 44, ist Diplom-Meteorologe, Geschäftsführer des Ingenieurbüros für Meteorologie „Weatherpark“ und Vorstandsmitglied des österreichischen Klimaforschernetzwerks CCCA. Er sitzt im Wiener Klimarat, der die Stadt in Klimafragen berät, und startete die Initiative KlimaKonkret, die Gemeinden bei der Klimawandelanpassung helfen soll (siehe Seite 51)

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Zu Beginn haben Sie von einer schönen Vision gesprochen, die für eine erfolgreiche Klimawandelanpassung nötig sei. Wie könnte die in Zeiten der Klimakrise aussehen? Tschannett: Man ist zu Fuß unterwegs, Kinder können mit dem Rad fahren und haben Platz zum Spielen. Die soziale Interaktion erhöht sich, weil man mehr lokal macht. Man braucht nur ein paar Schritte, um etwas einzukaufen, man trifft sich und plaudert mit­ein­ander. Für viele ist Home-Office normal geworden, dadurch wird auch die Tageseinteilung anders. Weil es untertags so heiß wie in Griechenland ist, kommt es zu einem kulturellen Wandel. Das Leben verlagert sich mehr in den Abend und in die frühen Morgenstunden hinein. Und untertags macht man Siesta. F

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Die Vermessung der Umwelt Einst galt Österreich als Umweltmusterland. Wie geht es der heimischen Natur heute? BESTANDSAUFNAHME: BENEDIKT NARODOSLAWSKY

Zum Start des Natur-Ressorts baut der Falter sein NewsletterAngebot aus Der FALTER-Newsletter berichtet einmal die Woche über das Wichtigste zu den Themen Nachhaltigkeit, Umwelt, Natur und Landwirtschaft. Abonnieren können Sie ihn kostenlos unter www.falter.at/natur

Vier große Umweltorganisationen veröffentlichen auf falter.at ihre Analysen Zum Start des Ressorts hat der Falter die Umweltorganisationen Global 2000, Greenpeace, Umweltdachverband und WWF gebeten, das „Umweltmusterland Österreich“ zu analysieren. Die vier spannenden Berichte finden Sie kostenlos auf www.falter.at

T

räumen wir uns in Zeiten des Lockdowns an einen Urlaubsort, an dem Österreich zum Klischee wird. Einen Ort wie die Alexander-Alm im Kärntner Bezirk Spittal an der Drau. Hinter uns grasen friedlich Kühe, neben uns flattern Schmetterlinge über blühende Wiesen, der Blick ist weit. Im Tal liegen Wiesen und Äcker wie rechteckige Mosaiksteine nebeneinander, Häuser verteilen sich wie hingewürfelt über die Ebene, majestätisch ruht der Millstätter See, bewacht von bewaldeten, sanften Hügeln. Man genießt den regionalen Bio-

käse, der in der Hütte serviert wird, wir atmen frische Bergluft. Hier oben auf etwa 1800 Metern scheinen die Sonne und die Welt in Ordnung. Wenn nicht gerade Pandemie ist, strömen wegen Panoramen wie diesen scharenweise Touristen ins Land. Aber hält das Idyll, was es verspricht? Wald, Wiesen, Tier, Gewässer, Luft, Landwirtschaft – wie geht’s denn eigentlich dem, was wir da vor uns sehen und „Natur“ nennen? Ist sie noch intakt? Zum Start des neuen Natur-Ressorts vermisst der Falter das „Umweltmus-

terland“, wie Politiker die Republik selbst gerne loben. Wo sind seine Schwächen, seine Stärken, was sind die brennendsten Themen? Die Beantwortung dieser Fragen könnte Bibliotheken füllen und ist gleichzeitig schwer fassbar. Natur lässt sich international schwer vergleichen, zu oft gibt es unterschiedliche Datenlagen. Dennoch werfen manche Studien und wissenschaftliche Einschätzungen Schlaglichter auf den Zustand der Umwelt. Manchmal sind sie so grell, dass sie einen blenden und zugleich lange Schatten werfen. Zwei große Berichte aus seriösen Quellen

zeigen gleich vorweg das widersprüchliche Bild. Da ist zum einen der Report „Wie geht’s Österreich?“, in dem die Statistik Austria jährlich die drei großen Bereiche „Materieller Wohlstand“, „Lebensqualität“ und „Umwelt“ vermisst. Jeder Bereich stützt sich auf ausgewählte Kategorien und für


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Das Anthropozän wird auch in Österreich sichtbar Unter dem Begriff versteht man jenes Zeitalter, in dem der Mensch zum geologischen Faktor geworden ist und die Welt so stark verändert hat, dass sein Wirken noch in ferner Zukunft zu sehen sein wird

Einer der großen menschlichen Einflüsse auf die Welt ist die Klimakrise In Österreich sorgt die Erderhitzung für Ernteausfälle und Hitzesommer. Im wärmer werdenden Österreich bleibt Schnee kürzer liegen. Das trifft die Tourismusbranche

Die Tourismusbranche versucht, die Skisaison trotzdem voll auszuschöpfen

Beginnen wir bei der Biodiversität, von unse-

rer Alm aus gesehen sind das die Wiesen, Wälder, die Blumen und Schmetterlinge, also das große Kapitel über Lebensräume, Tiere und Pflanzen. Im Report der Europäischen Umweltagentur zur „Umwelt in Europa“ von Ende 2020 handelt es sich um eine der großen umweltpolitischen Baustellen unseres Kontinents. Was für

Europa gilt, gilt für Österreich umso mehr. Von den bewerteten heimischen Arten sind hierzulande vier von fünf in einem mangelhaften oder schlechten Zustand, damit landet das vermeintliche Umweltmusterland vor Kroatien auf dem vorletzten Platz im EU-Ranking. Österreich hat viel zu verlieren, denn es ist ein außergewöhnlich artenreiches Land. Das ist auch seiner Geografie geschuldet, die von Bergen über Hügeln bis zur pannonischen Tiefebene auf kleinem Raum sehr unterschiedliche Habitate bietet. Auch diese Lebensräume sind laut dem EU-Vergleich stark unter Druck gekommen – selbst wenn das auf den ersten Blick von außen nicht gleich erkennbar ist. „Insbesondere beim Wald gehen die Selbstwahrnehmung und die Realität deutlich auseinander. So sind viele Österreicherinnen und Österreicher sehr stolz auf unseren Wald und das vermeintlich strenge Forstgesetz, doch befinden sich aktuell nur noch etwa drei Prozent des Waldes in einem natürlichen Zustand“, analysiert die Umweltorganisation Global 2000. Zudem geht die Flora verloren. Drei von fünf Farn- und Blütenpflanzen in Österreich stehen aufgrund ihres gefährdeten Zustands bereits auf der Roten Liste, Moose und Flechten sind nahezu gleich stark bedroht. „Das Gesamtbild, das sich aus den Roten Listen gefährdeter Pflanzen ergibt, ist Fortsetzung nächste Seite

Das Bild links zeigt eine Abfahrtspiste zum Kitzbüheler Saisonstart in Mittersill im Oktober 2019. Der Schnee stammt vom Vorjahr und wurde konserviert

FOTO: APA/AFP/JOE K ALM AR

jede einzelne gibt es eine leicht verständliche Wetteransage mit fünf Symbolen – von strahlender Sonne bis zum Blitz vor dunkler Gewitterwolke. In der aktuellen Ausgabe offenbaren sich auf Seite 18 auf einen Blick gleich zwei sehr gute Nachrichten: Materieller Wohlstand und Lebensqualität entwickeln sich hierzulande fast durchwegs positiv, sowohl langfristig als auch kurzfristig. Über diesen Bereichen strahlt in Österreich die Sonne – vom Bruttoinlandsprodukt bis zum Indikator der vorzeitigen Sterblichkeit. Doch blickt man weiter, sieht man Unwetter heraufdräuen. Über der Umwelt hängen schwere Wolken. In diesem Bereich regnet und gewittert es in den meisten Teilen, Sonnenstrahlen dringen nur stellenweise durch. Versiegelte Flächen, Materialverbrauch, Treibhausgase – mit wenigen Ausnahmen fallen alle Umwelt-Kategorien ins Wasser. Das sieht nicht gut aus.

Fast stolz kann man hingegen werden, wenn man durch den neuen „Environmental Performance Index“ blättert, den die amerikanische Elite-Universität Yale erstellt. Der Bericht bewertet die Umwelt von 180 Staaten anhand verschiedener Kategorien wie Luft- und Trinkwasserqualität, Müllmanagement, Biodiversität und Klimawandel. Die zehn besten Staaten kommen allesamt aus Westeuropa, Österreich belegt darin den fabelhaften sechsten Platz. Es könnte kaum besser laufen. Beide Berichte zeigen: Es kommt stark darauf an, wie und was man bewertet. Wer es genauer wissen will, der muss die Lupe zur Hand nehmen, um die Umwelt-Landkarte im Detail zu untersuchen. Schnell offenbart sich dann, dass die beiden langfristigen, globalen Krisen der Erde – die Biodiversitätskrise und Klimakrise – auch vor der Alpenrepublik nicht haltgemacht haben. Im Gegenteil, sie rollen zerstörerisch wie Lawinen und Muren übers Land.


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F A L T E R 1 2 ∕ 2 1   N A T U R Fortsetzung von Seite 51

Verfahren hat die EU gegen Österreich eingeleitet, weil die Republik in der Umweltpolitik säumig ist

91

Prozent – um so viel brach der Bestand der Grauammer in den vergangenen zwei Jahrzehnten ein

256

Badeseen von 263 haben in Österreich eine exzellente Wasserqualität, fünf weitere haben eine gute Qualität

1400

Gramm Siedlungsabfall produzieren Herr und Frau Österreicher pro Tag

Der Umweltkontrollbericht des Umweltbundesamts liefert aktuelle Daten zu Themen wie Klima, Biodiversität, Wasser, Luft und Böden

Zugleich gibt es aber gerade in der österreichischen Landwirtschaft auch eine herausragende Entwicklung: Jeder vierte landwirtschaftlich genutzte Hektar wird mittlerweile biologisch – und damit umweltschonend – bewirtschaftet. Zum Vergleich: In der EU ist es im Schnitt nur jeder dreizehnte Hektar. Sieht man über das winzige Fürstentum Liechtenstein hinweg, ist Österreich Bio-Europameister – und verbessert sich weiter. Die andere Seite der Goldmedaille: Der Großteil der Bauern wirtschaftet immer noch konventionell. „Hier ist Österreich kein Musterland: So nahm im europäischen Vergleich zwischen 2011 und 2018 der Einsatz von chemisch-synthetischen Pestiziden in Österreich um 53 Prozent zu. Nur in Zypern war der Anstieg noch größer“, kritisiert die Umweltorganisation Greenpeace. Sie hat die Tonnen an Pestiziden, die im Land ausgebracht wurden, auf die Einwohnerzahl heruntergebrochen. Österreich liegt dabei – trotz des großen Bio-Anteils – auf Platz 14 in der EU, also genau im Mittelfeld. Wer den traumhaften Blick auf der Alexander-Alm genießen will, muss nicht vom Tal aus den Berg erklimmen, man kann den größten Teil der Strecke mit dem Auto über Serpentinen bis zum Parkplatz zurücklegen. Nur für die letzte Etappe muss man seine Wanderschuhe schnüren. Dass Österreich seine Asphaltschlangen selbst bis in die hintersten Winkel der Republik gelegt hat, bedeutet Komfort für Touristen und einen weiteren Lebensraumverlust für die Natur. Wie weit die Versiegelung vorangeschritten ist, geht aus dem Bodenreport des WWF hervor, der im Februar erschienen ist. Fast ein Fünftel der bewohnbaren oder landwirtschaftlich geeigneten Fläche Österreichs ist bereits verbaut, nur noch sieben Prozent der Landesfläche ist als „sehr naturnah“ einzustufen. Österreich ist damit das Land der Mischmaschine. Seit 2001 wuchs die Flächeninanspruchnahme zweieinhalb Mal so stark wie die Bevölkerung, die meiste Fläche ging für Verkehr, Bau- und Betriebsgebiete drauf.

In unserem Panoramablick von der Alm kann

man diesen Trend an den grün-gelben Mosaiksteinen im Tal erkennen, den Feldern und Äckern. Kaum ein Bereich hat sich in den vergangenen Jahren so stark verändert wie die Landwirtschaft. In Österreich ist sie im Vergleich zu anderen EU-Ländern noch immer eher kleinstrukturiert, aber sie wird immer größer. Bewirtschaftete 1951 ein Betrieb im Durchschnitt eine Gesamtfläche von 18,8 Hektar, so waren es 2016 bereits 45,2 Hektar. Die Hände wurden weniger, die Maschinen schwerer, es gab mehr Dünger, mehr Pestizide und mehr Druck auf die Bauern. Die Landwirtschaft wurde effizienter und intensiver. Während des einsetzenden Bauernsterbens haben die Überlebenden oft die Äcker der anderen übernommen. Die Landwirte legten die kleinen Felder zusammen und pflügten dabei Grenzstreifen um. Raine, Heckenzüge, Brachen, Blühstreifen, Wiesenböschungen gingen verloren, damit verschwand die Heimat vieler Arten – und mit dem Lebensraum die Arten selbst. Die politische Struktur erschwerte die Behebung des Problems. Naturschutz ist Ländersache, große Lösungen sind kompliziert. Im Jahr 2000 wurde außerdem das Umweltressort ins Landwirtschaftsministerium eingegliedert, das bis 2019 von Bauernbündlern geführt und damit von Agrarinteressen dominiert wurde. „Die Zusammenlegung der Landwirtschaft und des Umweltschutzes in einem Ministerium kam in der Praxis einer Beschneidung von Umweltanliegen gleich, weil Landwirtschaftsinteressen damit direkter auf Umweltpolitik Einfluss nahmen“, schlussfolgert Willi Haas vom Institut für Soziale Ökologie an der Boku Wien.

Zu den großen Gewinnern zählt eindeu-

Ein Autobahnknoten in Niederösterreich zerschneidet die Landschaft. Österreich wurde binnen einer Generation zum Autoland – mit sehr vielen Straßenkilometern

tig die Konsumwelt. In den letzten zwei Jahrzehnten verdoppelte sich die Zahl der Fachmärkte und Einkaufszentren. Orte, an denen einst Wiesen blühten und Bienen summten, wurden von heißem Asphalt zugedeckt und erstarrten zu leblosen Parkplatzlandschaften. Pro Kopf gerechnet kommen Herr und Frau Österreicher mittlerweile auf 1,6 Quadratmeter Einkaufsfläche und fast 15 Meter Straße, damit betonieren wir uns selbst ein europäisches Stockerlplatzerl. Selbst das Autoland Deutschland kommt mit rund zehn Metern Straße pro Nase deutlich weniger weit. Diese großen Trends entstehen im Fahrtwind der großen Beschleunigung, die weltweit in den 1950ern einsetzte und als Brandsatz des Anthropozäns gilt, jener Ära, in der der Mensch durch sein Wirken zum geologischen Faktor wurde, der die Umwelt nachhaltig verändert. Nach dem Zweiten Weltkrieg warf der Westen den Konsummotor an und produzierte auf Teufel komm raus. Die Industrie wurde gewaltiger, der Energiehunger unstillbar, die Technik besser, die Produktion effizienter, die Gesellschaften reicher. Mehr Geld und mehr Güter führten unweigerlich zu mehr Müll. Österreich reagierte mit ambitionier-

FOTO: W WF BODENR EPORT/CHR IS T IAN WISSER

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besorgniserregend“, warnt das Umweltbundesamt. Ebenso dramatisch sind die Entwicklungen in der Tierwelt. Mehr als die Hälfte aller Amphibien und Reptilien, rund die Hälfte aller Fische und ein Drittel aller Vögel und Säugetiere gelten als stark gefährdet. Die Vermessung ist unvollständig, mancher blinde Fleck bleibt, weil noch nicht alle wichtigen Tiergruppen vollständig erfasst sind. Deshalb blicken wir mit der Lupe auf die Vogelarten der Kulturlandschaft, die zu den am besten überwachten Tiergruppen gehören, weil die NGO Birdlife deren Bestände regelmäßig für das Landwirtschaftsministerium erhebt. Die Entwicklung seit 1998 sieht hierzulande rabenschwarz aus. Im Schnitt gingen die Zahlen um rund 40 Prozent zurück. Braunkehlchen: minus 58 Prozent. Turteltaube: minus 62 Prozent. Rebhuhn: minus 84 Prozent. Girlitz: minus 85 Prozent. Grauammer: minus 91 Prozent. Auch wenn sich vier von 19 Arten im selben Zeitraum stark vermehrt haben, so ist der Trend klar: 15 Arten sind abgestürzt. Die prächtige Blauracke ist hierzulande so gut wie ausgestorben. „Den Zustand der Biodiversität in Österreich kann man mit einem freien Fall vergleichen“, sagt Biodiversitätsforscher Franz Essl von der Uni Wien. „Die Frage ist: Wie endet der Fall? Bekommen wir einen Fallschirm oder schaffen wir Sicherheitsnetze, die den Fall dämpfen? Wir haben noch die Entscheidung, aber wir haben nicht viel Zeit.“ Einer der Hauptgründe für die fallenden Zahlen: Der Mensch verleibt sich immer mehr von Österreichs Boden ein, der Natur bleiben nur mehr Reservate.


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ten Gesetzen und hielt damit die Landschaft sauber, auch das prägt das trügerische Selbstbild des Musterschülers. In puncto Müll sind wir es zu Recht. „Wir trennen und erfassen klassische Abfallfraktionen wie Altglas und Altpapier seit über 50 Jahren, da sind wir international Spitzenreiter – auch in der Sammlung und Verwertung von biogenen Abfällen“, sagt Marion Huber-Humer vom Institut für Abfallwirtschaft an der Boku. Doch auch hier gibt es einen Nachsatz. Wir trennen und sammeln Müll vorbildlich, aber wir produzieren auch deutlich mehr als im internationalen Schnitt. „Pro Tag und Kopf fallen in Österreich im Schnitt 1,4 Kilo Siedlungsabfall an. Weltweit sind es mit 0,65 Kilo weniger als die Hälfte“, sagt Huber-Humer. Die Entwicklung der großen Beschleuni-

gung lässt sich auch an anderen Statistiken ablesen, etwa an jener des Pkw-Aufkommens. Binnen einer Generation wurde Österreich zum Autoland; waren 1950 noch rund 50.000 Pkw auf den Straßen, waren es 1970 mehr als eine Million. Heute sind es mehr als fünf Millionen. Der einsetzende Diesel-Boom lässt sich bis heute in der Luft nachweisen. Die Werte von Schadstoffen wie Feinstaub und Stickstoffdioxid, die die Gesundheit beeinträchtigen und die Lebenserwartung verkürzen, lagen Anfang der 2000er-Jahre auf hohem Niveau, aber sinken seither. „Unter anderem haben Dieselpartikelfilter zur Reduktion des Feinstaubs geführt“, sagt Christian Nagl, Experte für Luftqualität im Umweltbundesamt, „hier sieht man den Erfolg der EU-Gesetzgebung.“ Fürchtete man sich vor dem EU-Beitritt 1995, dass die Politik der Union den Ruf des Umweltmusterlandes zerstören könnte, ist es heute die EU, die die Republik beharrlich grüner machen will. Zurzeit sind allein im Bereich Umweltpolitik 22 EU-Vertragsverletzungsverfahren anhängig, weil Österreich seine Hausaufgaben aus Brüssel nicht gemacht hat. Bei der Anzahl der Nachsitz-Runden liegt Österreich im EU-Schnitt. Kommen wir nun zur zweiten globalen Krise, die der Alpenrepublik zusetzt – der Klimakrise. Während sich die Welt

im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter um etwa 1 Grad erwärmte, waren es in Österreich rund 2 Grad. Die Erderhitzung führt unter anderem zu mehr Extremwetterereignissen, schädigt die Wälder, vernichtet Ernten, bringt heimische Arten unter Druck und verändert die Landschaft. Die angezuckerten Alpengipfel, die wir von der Alexander-Alm aus sehen, ergrauen zunehmend. Seit den 1950ern liegt insbesondere im Westen und Süden Österreichs weniger Schnee auf den Bergen und schmilzt auch deutlich schneller. „Abhängig von der Höhenlage muss mit einer weiteren langfristigen Abnahme im Ausmaß von 10 bis 40 Prozent bei drastischen globalen Klimaschutzmaßnahmen bzw. 50 bis 90 Prozent, wenn keine Maßnahmen erfolgen, bis zum Ende des 21. Jahrhunderts gerechnet werden“, prognostiziert eine Studie von österreichischen Klimaforschern im Spezialbericht „Tourismus und Klimawandel“.

„Wie geht ’s Österreich?“ Die Statistik Austria vermisst regelmäßig den Zustand des Landes. Um die Umwelt steht es dem Bericht zufolge nicht gut

Österreich ist nicht nur Opfer der Klimakri-

se, wir tragen auch unseren Teil zur Misere bei. Während die Menge an klimaschädlichen Gasen in der Europäischen Union seit 1990 pro Jahr um etwa ein Viertel abgenommen hat, wuchs sie in Österreich um zwei Prozent. Dafür verantwortlich ist vor allem der Verkehr – also auch die Fahrt mit dem Auto auf die Alexander-Alm. Es gibt in diesem Bereich ebenfalls Beispiele, in denen Österreich Vorreiter ist: Das 365-Euro-Jahresticket und das Öffi-Angebot in Wien gelten international als Benchmark, die Österreicher sind außerdem EUSpitzenreiter in der Nutzung des Schienenverkehrs. Dennoch hat die Menge an klimaschädlichen Gasen im Verkehr seit 1990 um 74 Prozent zugenommen, das machte die Verbesserungen in anderen klimarelevanten Bereichen zunichte. Noch immer fördert die Republik fossile Energie und lockt mit billigem Diesel internationalen Verkehr an. Das Wegener Center an der Uni Graz verglich die Entwicklung der Treibhausgasemissionen aller EU-Länder seit 1990, Österreich belegt dabei Platz 24. Zugleich ist in keinem EU-Land der Anteil an erneuerbarem Strom so hoch wie hier. 75 Prozent werden über Wasser, Wind, Sonne und Co

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Der Environmental Performance Index der Yale University vergleicht 180 Staaten anhand von Umweltfaktoren. Österreich kommt darin sehr gut weg

abgedeckt. Das ist aber weniger umweltpolitischen Visionären zu verdanken als dem Energiehunger der Gesellschaft, den es zu stillen galt. Kraftwerksprojekte wie Kaprun wurden bereits unter den Nazis unter Ausbeutung von Zwangsarbeitern begonnen und nach dem Zweiten Weltkrieg als Wiederaufbau-Projekt von nationalem Interesse vorangetrieben. Es ging in diesen Tagen nicht um Naturverträglichkeit, sondern um Frieden und den Traum vom Wohlstand. Kaum ein Staat eignete sich dabei besser für die Wasserkraft als das Land der Berge, das Land am Strome. Staudämme wurden hochgezogen, Flüsse mit Kraftwerken verbaut, das Land zur Wasserkraftnation. Die Verbauungen hatten einen Preis. „60 Prozent unserer Flüsse und Bäche verfehlen den guten ökologischen Zustand, der entsprechend den Vorgaben der EU-Wasserrahmenrichtlinie bis zum Jahr 2027 zu erreichen ist“, stellt der Umweltdachverband fest. Dennoch kann man auch im Gewässerschutz eine rot-weiß-rote Erfolgsgeschichte erzählen. Richten wir zuletzt den Panoramablick auf den Millstätter See, der von hier oben so unschuldig und rein wirkt. Seine Wasserqualität ist tatsächlich exzellent. Damit ist er keine Ausnahme. Von 263 österreichischen Badeseen haben 256 laut Europäischer Umweltagentur die beste Wasserqualität, fünf die zweitbeste. Das ist internationale Klasse. Das war nicht immer so. In den 1960ern

verkamen Seen zu flüssigen Misthaufen, in ihnen mündeten Siedlungsabwässer, Schmutz, Schlamm und Öl. Algen begannen sich auszubreiten, Badeverbote schienen unausweichlich. Die schon damals einflussreiche Tourismusbranche fürchtete um ihr Geschäft und machte politisch Druck. Es folgten strenge Abwassergesetze und Kanalarbeiten. Für den Politologen Reinhard Steurer von der Boku steht dieses Beispiel für die jahrzehntelange Umweltpolitik im Land. „Wir haben immer dann etwas getan, wenn es für uns lukrativ war“, sagt Steurer, „Österreich ist kein umweltpolitischer Vorreiter, sondern ein umweltpolitischer Opportunist.“ F

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