Bücher-Herbst 2020

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Frowalt oder die Liebe zur Bamberger Bürste

Seltsames Sanskrit und falsches Arabisch

In seinem Roman „Kotmörtel“ findet Thomas Kapielski vom Hundertsten ins Tausendste, aber zu keiner Pointe

Christine Wunnickes „Die Dame mit der bemalten Hand“ ist eine herrlich komische Anleitung zum Irren und Verirren

eil in fast jedem Artikel über W den Berliner „AllroundKünstler“, Autor und Musiker Tho-

igenwillig sticht dieser Roman aus der deutschsprachigen GeE genwartsliteratur hervor und weist

mas Kapielski ein biografisches Detail zu seiner vermeintlichen Schrulligkeit zuverlässig Erwähnung findet, will es sich der Rezensent hier auch nicht verkneifen: Kapiels­ ki ist Mitglied im seit 1992 bestehenden Original ­Oberkreuzberger Nasenflötenorchester. Das wäre erledigt, nichts spricht dagegen, auch gleich noch den Namen des Protagonisten von „Kotmörtel“ zu verraten: Frowalt Heimwée Irrgang Hiffenmarkt. Na bumsti. Wer da nicht gleich alle Jean-PaulGlocken läuten hört, ist für die romantische Ironie dieses Schelmenromans verloren und dazu verdammt, die Lektüre des Buchs nach 20 Seiten genervt abzubrechen. Denn so verschwurbelt der Name des (Anti-) Helden, so bizarr auch die Handlung, wenn man von einer solchen überhaupt sprechen will. Eines Tages – very kafkaesk – wird Fro-

walt Hiffenmarkt verhaftet, weiß nicht recht, wie ihm geschieht und sitzt dann auch schon ein halbes Jahr in Untersuchungshaft. In Freiheit war er Vertreter von Sanitärwaren mit einer libidinösen Neigung zu Bürsten aller Art. Frowalts Lieblingsbürste – einzig Kapielskis Alliterations-Allotria geschuldet: die „Bamberger Busenbürste“. Allein auch, um Kapielskis Abstrusitäten-Akkumulation Genüge zu tun, hält der Protagonist immer wieder durchgeknallte Stegreifreden auf Bahnhofsvorplätzen und kiefelt in einem vor seiner Frau geheim gehaltenen „Schreibrefugium“ an sogenannten „Kalamitäten“ und „Gottesbeweisen“. Das alles könnte durchaus amüsieren, würde dieser höhere Blödsinn als doppelbödiges Spiel mit der Sprache früher oder später zu irgendetwas führen, es müsste ja nicht gleich ein Ziel sein, man wäre schon für eine Pointe dankbar. Aber da sei der Untertitel des Romans vor: Kapiels­ ki will partout schwadronieren, will abschweifen und vom Hundertsten ins Tausendste kommen, aber halt nie auf einen Punkt. Das ästhetische Prinzip des Autors wie auch seiner Hauptfigur lautet: „Nichts wird weggeworfen!“ Und wir Leserinnen und Leser müssen es ausbaden. Kein Kalauer ist Kapielski zu deppert, kein Scherzchen zu billig, um nicht doch verbraten zu werden. Wenn’s ganz hart kommt, folgt die ironische Dis­ tanzierung in angehängten „hahas“ und „hohos“: postmodernes Schreiben als eine einzige Gaudi. Schon sehr altvatrisch, das. Dabei hätte der Hauptteil des Buches sogar das Zeug zu einer properen

Coverversion von Flauberts Jahrhundertabschweifung „Bouvard et Pécuchet“, dieser Blaupause moderner Romane, in denen äußere Handlungsarmut durch Wortreichtum kompensiert wird, in denen Reflexion und Assoziation sich „Gute Nacht“ sagen. Auch in „Kotmörtel“ rattern zwei Hirne unaufhörlich drauflos. Das zweite gehört dem – naturgemäß – völlig abgedrehten Kommissar Rufus Röhr, dessen Aufgabe es wäre, Frowalt Hiffenmarkt zu verhören, der sich aber schnell als kriminologisches Pendant zum mad scientist erweist. Rufus Röhr ist ein crazy cop, der weder an Verhör noch Aufklärung interessiert scheint, sondern in seinem Gegenüber ein williges Opfer seiner eigenen Schwadroniersucht gefunden hat. Man liegt nicht falsch, wenn einem da ein weiteres großes Quassel-Duo der Literaturgeschichte einfällt: Goethe – Eckermann; wobei dem von Röhr enthusiasmierten Hiffenmarkt hier die Rolle des getreuen Schreibknechts zufällt. Doch anstatt nun Funken aus den Birnen zweier herrlicher Knalltüten zu schlagen, lässt Kapielski zwei alte weiße Männer in Waldorf-andStatler-Manier über die ungute Gegenwart motzen, über Rechtschreibreform, Fernsehprogramm, Politik, die schlappe Jugend und das eigene Alter. Sie tun dies natürlich nicht sauertöpfisch, sondern – Selbstironie! – feixend und fröhlich verliebt in ihre eigene Überkandideltheit. Als alter Pop-Avantgardist und einstiger genialer Dilletant (sic!) weiß Kapiels­ ki schließlich, wie man Altherrenwitze doppelt bricht, um am Ende nur ja nicht als Reaktionär dazustehen. Freunde spinnerter Konzeptliteratur und hemmungsloser Plot-Dekonstruktion müssen zwar dankbar sein, dass es solche Übermutskünstler wie Thomas Kapielski überhaupt noch gibt (es werden eh immer weniger, denkt sich der alte weiße Mann im Rezensenten), doch als Leser sehnt man sich bei fortschreitender Nichthandlung nach der Selbstzensur des Autors. Denn vom Schwadronieren zur Geschwätzigkeit ist es hier nur ein Katzensprung. Aber sag das einem, der auf Maßlosigkeit aus ist ... FRIT Z OSTER MAYER

Thomas Kapielski: Kotmörtel. Roman eines Schwadronörs. 410 S., € 20,60

damit gewisse Parallelen auf zu seinem Schauplatz. Elephanta – damals noch Gharapuri – heißt diese Insel vor der indischen Küste, aus deren dichtem Bewuchs allenthalben eine Ziege den Kopf steckt und auf der es eindrückliche hinduistische Höhlen zu bestaunen gibt. Von veritabler Heiligkeit allerdings zeugen diese Höhlen erst einmal kaum, als der persische Astrolabien-Bauer Ustad Musa ibn Zayn adDin Qasim ibn Qasim ibn Lutfullah al-Munaggim al-Lahuri, kurz: Meister Musa, im Jahr 1764 unversehens in eine von ihnen gerät, ähnlich unfreiwillig wie kurz zuvor wegen notorischer Flaute sein Schiff auf die Insel: „Gestein, Gestrüpp, Ziegen, Vögel, Affen, Fledermäuse, Nasses, Weiches, Hartes, Borstiges, Glitschiges blockierte seinen Weg.“ Und plötzlich hockt da, als Musa endlich in der großen Halle mit der Shiva-Statue angelangt ist, auch noch ein Mann, schwitzend, schlotternd, fiebernd. Es handelt sich um Carsten Niebuhr (1733–1815), einen norddeutschen Mathematiker, der durch die Kartierung des Roten Meeres und seine Vorarbeiten zur Entzifferung der Keilschrift in die Geschichte eingegangen ist und auf dessen Aufzeichnungen Christine Wunnicke für ihren Roman zurückgegriffen hat. Musa trägt Sorge für die Genesung des

Kranken und zwischen Niebuhr, den er nur, verwundert über den depperten Namen, „Kurdistan Nibbur“ nennt, und dem Astrolabien-Konstrukteur entwickelt sich eine zarte Freundschaft, trotz des permanenten sprachlichen Strauchelns. Musa über Nibuhr: „Sein Arabisch war reichhaltig, falsch und lustig.“ Der Mathematiker ist der letzte Überlebende einer ursprünglich sechsköpfigen Expedition, deren übrige Teilnehmer von der Malaria dahingerafft wurden. Initiiert hat die vom dänischen König finanzierte Reise der schneidige Göttinger Orientalist Johann David Michaelis (ebenfalls eine verbürgte Figur), der sich Beweisstücke über die biblischen Geschichten erwartet. „Welches Holz macht das Salzwasser süß in Exodus 15?“ oder „Was ist der falsche Weizen im Gleichnis des Sämanns?“, um nur einige der Fragen zu nennen, die Nibuhr im Gepäck hat. Dass Nibuhr, der weder Bibelforscher noch Ethnologe ist, mit Antworten nicht dienen kann, mag kaum verwundern. Stattdessen gelangt er zu weit wertvolleren Einsichten, etwa an jenem Abend, als er gemeinsam mit Meister Musa die Sterne betrach-

tet: Das Sternbild Kassiopeia zeigt für den Deutschen eine Frauengestalt, für den persischen Astronomen nur deren bemalte Hand. „Wir glotzen nach oben“, konstatiert Nibuhr, „und erfinden große Gestalten und hängen sie in den Himmel. Ich eine Frau und du eine Hand und was weiß ich, was andere sehen. Und dann gibt es Streit. Es ist zum Erbarmen!“ Eben. Wollte man die Reihe schmaler Romane, die Christine Wunnicke in den vergangenen Jahren – zuletzt „Nagasaki, ca. 1642“, „Katie“ oder „Der Fuchs und Dr. Shimamura“ – veröffentlicht hat, auf einen Nenner bringen, so wäre „satirische Wissenschaftsgeschichte“ ganz sicher der falsche. Schlichtweg deshalb, weil Wunnicke das Streben ihrer oftmals historischen Forschungsreisenden keineswegs ätzend seziert, sondern deren Weltberechnungsversuche in einer Mischung aus Ambition und Aufgeschmissenheit erzählt. Das macht die fabelhafte Komik auch von Wunnickes jüngstem Buch, „Die Dame mit der bemalten Hand“, aus. Mit einer Lakonie, die alles Psychologisierende, unnütz Erklärende ausspart, zelebriert Wunnicke das Irren und Verirren. Man kann „Die Dame mit der bemalten Hand“ als einen Roman über kulturelles und sprachliches Missverstehen lesen, über das Nebeneinander von Welterklärungsmustern. Aber selbst diese allzu direkte Klassifizierung würde diesem im besten Sinne sonderbaren und offenen Roman kaum gerecht werden. Vielmehr sollte man es mit Meister Musa halten, der, wenn er Autorität ausstrahlen will, Sanskrit spricht, um schließlich festzustellen: „[D]ann dachte er ‚Sinn‘ auf Sanskrit, alle zwanzig Wörter, die im Sanskrit vielleicht ‚Sinn‘ bedeuten, oder vielleicht auch ‚Unsinn‘; Sanskrit war eine seltsame Sprache.“ Dass gegen Ende des mehr oder minder unfreiwilligen Inselaufenthalts die ersten Vorboten britischer Kolonisierung als trotteliges, aber selbstgewiss-joviales Trüppchen hinzustoßen, trägt zum düsteren Unterstrom dieses Romans bei, der zuletzt nicht nur für den Deutschen Buchpreis nominiert worden ist. WIEBK E POROMBK A

Christine Wunnicke: Die Dame mit der bemalten Hand. Roman. Berenberg, 168 S., € 22,70


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