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SCHLECHTE ENTLOHNUNG FÜR EINEN GUTEN ZWECK? Jobben im Ausland für eine NGO? Um Menschen zu helfen? Prima Sache, macht sich auch gut im Lebenslauf. Nur warum soll man fürs Arbeiten im Ausland auch noch draufzahlen? Von Mara Simperler

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„ICH FINDE ES ARG, WENN LEUTE, DIE ETWAS SINNVOLLES MACHEN, DRAUFZAHLEN.“ Lena Katharina Pichler (23) findet, sie sollte für ihre Einsätze in Entwicklungsländern, wie hier in Nepal, anständig entlohnt werden.

PRAKTIKA ZUM BEZAHLEN Für Lena keine Option: „Ich finde es arg, wenn Leute, die etwas Sinnvolles machen, dann noch was draufzahlen müssen.“ Tessa Schrempf (22), kennt die Ausreden der Arbeitgeber für unbezahlte Praktika im Ausland ebenfalls aus erster Hand: „Es wird immer damit argumentiert, dass die Möglichkeit des Praktikums an sich eine Art von Bezahlung ist. Dass du das in deinem Lebenslauf angeben kannst, dass du Erfahrungen sammelst, dass du davon doch profitierst.“ Erfahrungen konnte sie in Aserbaidschan und Frankreich sammeln. Bei der OSZE-Mission in Baku beobachtete sie den Prozess gegen die kritischen Blogger Adnan Hajizade und Emin Milli, die kurz vor ihrem Praktikum im Sommer 2009 festgenommen worden waren. In Straßburg kämpfte sie sich drei Monate lang beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte durch Akten und Bescheide. Obwohl sie erklärt, von ihren Auslandseinsätzen auf

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„ICH GLAUBE, DASS MAN ALLE CHANCEN SO GUT WIE MÖGLICH NUTZEN SOLLTE, ES SOLLTE NICHT AM GELD SCHEITERN.“ Tessa Schrempf (22) schrieb unzählige Mails – und bekam so schlussendlich Geld für ihr Praktikum beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

allen Ebenen profitiert zu haben, wäre ihr eine angemessene Bezahlung schon wichtig gewesen. Zumindest so viel, dass man sich nicht ausgenutzt fühlt. Aber anstatt sich mit ihrem Schicksal als „moderne Sklavin“, wie Tessa es nennt, abzufinden, hat die Jus-Studentin die Sache schon im Vorfeld selbst in die Hand genommen. Vor ihren Auslandspraktika schrieb sie unzählige Briefe und E-Mails. An das Justizministerium, das BMWF, das Land Steiermark und an Michael Häupl. Mit Erfolg. Sie bekam Geld vom Wiener Bürgermeister, von ihrem Bundesland und vom Erasmus-Department des OeAD. Schlussendlich konnte sie ihre Reisekosten mit diesem Geld decken. Lena und Tessa sind engagierte Studentinnen, die alles geben, um vielleicht mit ihrer Arbeit auch noch anderen zu helfen. Macht sie das zur leichten Beute eines Systems, das die Arbeitskraft junger Menschen ausnutzt? Gerade bei Arbeitseinsätzen in ärmeren Gebieten der Erde ist die Antwort nicht so einfach. „Ich habe manchmal schon fast ein schlechtes Gewissen bekommen. Es klingt so toll, was man alles gemacht hat und eigentlich habe ich selbst wahnsinnig davon profitiert“, sagt Lena. Ob das Geld, das man zum Beispiel für den Nepal-Einsatz einer Organisation überweist, einem guten Zweck zukommt oder einfach in den Umsatz eines Unternehmens fließt, bleibt bei den meisten Work Placements undurchschaubar.

Auch bei einer der prestigeträchtigsten Organisationen der Welt, der UNO, bleiben Fragen bezüglich unbezahlter Praktika de facto unbeantwortet. Eine einfache Anfrage wird zum Spießrutenlauf: Die Human-ResourcesAbteilung der UNIDO verweist auf die Presseabteilung des UNO-Büros in Wien. Das verweist auf die offziellen Guidelines. Dort steht aber auch nur, dass Praktikanten keinen Anspruch auf Entlohnung haben. Eine individuelle Antwort bleibt aus. Finanzielle Hindernisse halten aber weder Tessa noch Lena davon ab, weiterhin im Ausland auf Praktikumssuche zu gehen. Noch überwiegt die Begeisterung für die Arbeit. Tessa sieht es positiv: „Ich glaube, dass man alle Chancen so gut wie möglich nutzen sollte, und wenn man sie kriegt, auch dafür kämpfen sollte, dass man sie wahrnehmen kann. Es sollte nicht am Geld scheitern, denn wenn man sich genug darum kümmert, gibt es Möglichkeiten, das zu finanzieren.“ s

Hier gibt‘s Geld: Österreichische Datenbank für Stipendien und Forschungsförderung www.grants.at Österreichischer Austauschdienst: www.oead.at Europäischer Freiwilligendienst www.akzente.net DURST 1/11

FOTOS: PRIVAT

ena Katharina Pichler (23) hat sich schon in früher Jugend eine gefährliche Krankheit eingefangen: den „travel bug“. Auf den Schüleraustausch in Mexiko folgte ein Freiwilliges Soziales Jahr in Bolivien. Statt Jus zu studieren, ging sie als Au Pair nach Australien. Ihr Studium, Internationale Entwicklung, hat sie schon mal für ein halbes Jahr unterbrochen, um auf eigene Faust achtzig Kilo Schulbücher bis in die hintersten Ecken des Himalaya in Nepal zu schleppen. Abgesehen von Essen und Verpflegung bei einigen Auslandsaufenthalten hat sie jeden Cent ihrer Arbeitszeit im Ausland selbst bezahlt. Manchmal kam noch ein kleines Taschengeld dazu. „Mir macht einfach das Reisen Spaß“, antwortet sie auf die Frage nach der Motivation, immer wieder das Sparbuch zu plündern und einen Flug zu buchen. Das Wort „Arbeit“ kommt ihr selten über die Lippen. Außer, wenn sie über Organisationen spricht, die nicht nur erwarten, dass Praktikanten ihre Reisekosten tragen, sondern sich auch noch für die Jobvermittlung bezahlen lassen. Im „Work and Travel“-Programm des Reiseanbieters Statravel kostet ein zweimonatiger Nepal-Aufenthalt rund 1.600 Euro. Ohne Flug. Mit Arbeiten. Ähnliche Zahlen liefern Anfragen bei den Freiwilligenorganisationen Projects Abroad und Travel Works.


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