FALTER Bücherherbst 2011

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LITER ATUR

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Kleine Ekstasen in kargen Gefühlswelten

Große Inventur im relativen Chaos

Lyrik aus Österreich I: Friedrich Achleitners furiose Innviertler Dialektgedichte „iwahaubbd“

Lyrik aus Österreich II: Erwin Einzinger zeigt in „Die virtuelle Forelle“ fast alles

u einfach wäre es, Friedrich AchZ leitner mit seinen frühen Dialektdichtungen aus „hosn rosn baa“

rwin Einzinger ist ein unermüdE licher Sammler von Bildern und Geschichten. Vor dreieinhalb Jahr-

(1959), den experimentellen „konstellationen“ und „montagen“ aus den 1970er-Jahren, dem „quadratroman“ (1973) und der Kurzprosa der letzten Jahre zum Klassiker der zeitgenössischen Literatur zu erklären. Ungesagt bliebe dabei, dass Achleitner sich nicht nur auf die Tradition der klassischen Moderne bezog, sondern sie selbst auch fortsetzte. Ihn mit Adolf Loos und Ludwig Wittgenstein, Robert Musil oder Anton von Webern in einem Atemzug zu nennen, würde auch jenen gerecht. Kurz: Der Autor Friedrich Achleitner, das ist – non multa, sed multum! Ganz besonders trifft das auf ein ob seiner Popularität unterschätztes Genre zu, die Dialektgedichte. Die in „iwahaubbd“ versammelten, aus sechs Jahrzehnten stammenden Texte haben dabei mit Mundartdichtung nichts gemein. Achleitners Neuerfindung des Dialektgedichts, das immer auch einen Spiegel austriakischer Befindlichkeit darstellte, setzt, nach dem großen Zivilisationsbruch der Nazis, in den 1950er-Jahren ein, nach der Übersiedlung nach Wien. Die Rückübersetzung des Gedichts in die Muttersprache erfolgte wie alle wirkliche Veränderung von unten.

Das Ausgangsmaterial war denkbar roh. Der Innviertler Dialekt war nicht nur eine vor allem durch die Arbeitswelt geprägte Sprache, er verfügte kaum über Gefühlswelten. „Gesprochen wurde höchstens in Andeutungen mit einer Portion kultivierter Hinterfotzigkeit“, so Achleitner. Im künstlerischen Biotop der Akademie am Schillerplatz, wo er studierte, und der rasch zueinanderfindenden Wiener Gruppe nahm der Dialekt die Form moderner experimenteller Literatur an. Ein früher Achleitner-Text, der bis heute nichts an Lebendigkeit verloren hat, variiert sechs Mal drei Wörter: „wos / na / ge“. Am Ende der Permutation war eine Welt wahrhaft umgestürzt, auch wenn sich kaum etwas geändert hatte: „na / ge / wos“. Dabei war es auch möglich, Kindheitserinnerungen aus dem oberösterreichischen Schalchen nach Wien zu schmuggeln, die wie Surrealismus

anmuteten: „um middanocht / auf da friedhofsmau / buddlnogad / woans koed is / und schnaibd / und da wind geht // bfui daifö“. Gelegentlich wurde gehörig kalauert,

und die Worried Men Skiffle Group führte Achleitners „i bin a wunda“ in die Höhen des Austropop. Doch was da abwechselnd als eher experimentelles Dialektgedicht, als „Schnodahibbfö“ oder „Gschdanzl“ entstand, war vor allem Literatur in Reinform – ohne alle politische Überhöhung und Ideologisierung. Achleitner betrieb sprachbewusste Textarbeit, die Sprache vor allem beim Wort nahm. Bei all dem scheute er nie den ohnehin unvermeidbaren existenziellen Gestus. Mochte sich auch „wuazzlschdog“ auf „minirog“ reimen, es braucht einen sehr bewussten Umgang mit „Volksweisheiten“, um Gedichte wie das titelgebende zu schreiben: „iwahaubbd iwahaubbd / hods den ins hian naigschdaubd / immahin immahin / is iazd wos drin“. In der Spannung zwischen Aggression und Resignation triumphiert die Ironie. Mit dem über Jahre hinweg entstandenen Work in progress „innviaddla liddanai“ hat Friedrich Achleitner das vermutlich längste, sicher aber ekstatischste Gedicht der österreichischen Literatur verfasst. Manche der Wortspiele, die aufgrund ihrer Beschwörung einer mitunter längst verschwundenen Welt auch einen fast ethnografischen Charakter besitzen, lassen sich auch auf traditionelle Weise lesen. Etwa als Liebesgedichte: Dabei stand nicht Heine Pate, gewiss nicht Rilke, eher der rüde Bert Brecht als Minnesänger: „kuschschl dö / aina // und / ziag dei ruadalaiwö / aus // woass das ee“. Dasselbe geht am Land, wenn nötig, noch kürzer: „mari / do / wari“. Hier ist alles ist klar, alles ist offen, alles ist ein Gedicht. ER ICH K LEIN

Friedrich Achleitner: iwahaubbd. Dialektgedichte. Zsolnay, 206 S., € 17,90

zehnten hat der Oberösterreicher das Fundament seiner höchstpersönlichen Literatursprache gelegt. In der Folge hat er an seinem Werkel weitergezimmert, ohne sich von irgendetwas – Moden, Erfolg, Zweifel – rausbringen zu lassen. Das bestätigt sein neuer Gedichtband „Die virtuelle Forelle“, der die Erwartungen erfüllt: nichts groß Überraschendes, dafür eine Fülle kleiner Erstaunlichkeiten. Das Virtuelle hat Einzug in diese poetische Welt gehalten, die in der sich Modernes und Althergebrachtes, Lebendiges und Abgebildetes die Hand geben. Die Poesie hat in allen diesen Stücken immer etwas Prosaisches, die Prosa etwas Poetisches. „Zauber lauert an jeder Straßenecke“,

wie es im vorhergehenden Gedichtband „Ein Messer aus Odessa“ hieß. Im neuen heißt es: „Nicht jeder Tag kann eine echte / Perle sein, aber Erstaunliches geschieht / Dennoch an nahezu jeder Ecke dieser Welt …“ Kaum hat er einen solchen ins Allgemeine schlingernden Satz hingeschrieben, beeilt sich der Dichter, Beispiele zu geben: „Spielende Kinder zum Beispiel / Fanden unlängst auf halber Strecke / Zwischen Laakirchen & Ohlsdorf / In einem Misthaufen vergrabene Zähne.“ Wen der Ortsname Ohlsdorf an Thomas Bernhard erinnert: Bei Einzinger ist so ein Satz keine Anspielung, das Beobachtete weist nicht über sich hinaus. Es genügt sich selbst, gibt allenfalls Anlass zu sprachlichen Kunststücken, Verdrehungen, Kombinationsakrobatik. Überall gibt es etwas zu ernten, es gilt nur, auf den jeweiligen Ort und seine Hervorbringungen zu achten. Einzingers Literatur ist Lokaldichtung, aber zwischen den einzelnen Orten kann alles Mögliche – eben das Erstaunliche – geschehen. Die Erstaunlichkeit, die der Dichter verschweigt, liegt in dem, was er macht, indem er das Poesiespiel vorantreibt; was er aus den Begegnungen, den Begebenheiten herausschlägt. Die einzelnen Gedichte sind Ergebnisse seiner „Arbeit des Wörtereinsackens“, mit dem ein Dingeeinsacken einhergeht, denn Wörter sind

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Dinge, und Dinge brauchen Wörter. Einsacken, um etwas anderes herauszuholen: wiederum Wörter, von denen einige unverändert bleiben. Als Readymades machen sie sich gut im dichterischen Kontext („Zeit verschissen“, „Eh schon wissen“, „Kaszettel“ und so weiter). Die Arbeit dieses Dichters besteht im Inventarisieren. Er will wissen und uns zeigen, was alles da ist an Erwähnensoder Belächelnswertem. Er zeigt nicht alles, das stimmt schon. Die Skurrilität liegt im Alltag begründet, doch oft ergibt sie sich erst durch die Auswahl und überraschende Nachbarschaft, die die Dinge, Menschen oder Gesten erfahren. Einzinger bringt Beispiele. Das Undsoweiter ist für ihn keine Floskel, sondern Grundzug der Wirklichkeit, wie sie uns entgegentritt. Das Undsoweiter treibt uns an, es geleitet uns aber auch wieder hinaus oder vertröstet uns auf eine andere Welt, ein anderes Buch: „(Näheres dazu nächste Woche.)“ So lautet der eingeklammerte Schlusssatz des Buchs, schon nicht mehr von hier. Ein saloppes Versprechen ist das, leicht hingesagt. Worauf es ankommt, hier wie dort, sind die Einzelheiten, das jeweils zu einem Zeitpunkt Anzutreffende, das sich in vielen Fällen selbst genügt und durch den Dichter in eine Konstellation gebracht wird, in der es noch erstaunlicher erscheint, als es für sich schon ist. Hier die Gleichzeitigkeit der Dinge, jene weltumspannende Koexistenz, die durch Sprache so schwer wiederzugeben ist; dort der kleine Zeitbogen eines Ereignisses, eines Lebens, eines Tages – und alle Ebenen schön bunt durcheinander. Es entsteht ein relatives Chaos. Die Dinge werden ihrer Zeichenhaftigkeit entledigt, das Bedeutsame desymbolisiert. LEOPOLD FEDER MAIR

Erwin Einzinger: Die virtuelle Forelle. Gedichte. Jung und Jung, 144 S., € 22,–

01.10.2009 11:43:37 Uhr


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