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Interview LEFTOVERS Punkrockband

TOTAL BERUHIGEND UND

VON

Die Band während eines Fotoshootings (oben) und im Studio von Fuzzman, wo zu Beginn gemeinsam gearbeitet wurde

Die junge Wiener Punkrockband Leftovers bündelt nach zwei Jahren Pandemie ihre Kräfte und macht sich für „rawness und realness“ auf der Bühne bereit, die sie wie ihr Publikum vermisst haben

Fotos: Privat

Sie sind auf die Minute pünktlich, höflich, respektvoll und reflektiert. Wenn die Outfits nicht wären, könnten sie genauso gut Philharmonikernachwuchs sein. Doch der abgesplitterte Nagellack verrät sie, obwohl sie im abgerockten Café Einhorn in der Mariahilfer Joanelligasse „Club-Mate“ bestellen. Die Leftovers zählen seit ihren Singles „Tokyo“ und „Kinderzimmer“ zu den vielversprechendsten Punk-Nachwuchs-Bands der Stadt. Sie sind laut, können aber mehr als drei Akkorde auf ihren Gitarren spielen – sogar nüchtern. Sitzt hier also auf den wackeligen Bierbänken eine weichgespülte Version der Sex Pistols und von The Clash – oder eine gescheitere? Leonid Sushon (20, Gitarre und Gesang), Anna Grobauer (22, Bass), Leon Eder (20, Drums) und Alexander Waismayer (20, Gitarre) sind eine neue Generation von Punks, in der nicht mehr viel Rebellion übrig ist und die ihren Exzess auf der Bühne auslebt.

In den 1970er-Jahren, als die ersten Punkbands Erfolge feierten, reichte ein Foto von der „Rocky Horror Picture Show“, um zu schockieren. Viel Raum für Provokation bleibt euch heute nicht mehr… LEON: Stimmt, seit es das Internet gibt, wo du dir mit zwei Klicks eine Enthauptung anschauen kannst, ist es nicht mehr so leicht zu schockieren – speziell hier in Österreich.

LEONID: Unser Publikum zu schockieren ist aber auch nicht die Richtung, in die wir wollen. Den Leuten geht es eh scheiße genug. Abgesehen davon ist es Fake, auf Provokation hinzuarbeiten. Vielleicht reicht es auch einfach, Musik zu machen, bei der die Leute mitgrölen und Spaß haben können.

Was mögt ihr am Punkrock? ANNA: Man kann gut dazu abgehen und alles rundherum vergessen.

ALEX: Ich mag dieses Lautsein, es geht darum, Kraft auszuüben und ganz bei sich zu sein. Und darum, dass man es schafft, sich während des Auftritts komplett zu verlieren.

ANNA: Da entsteht dann eine Energie.

LEON: Und die kommt von den Zuschauern irgendwie auf die Bühne zurück. Mir geht es bei Konzerten nicht in erster Linie darum, Krach zu machen, sondern genau um dieses Gefühl.

ULTRAHAASS

Kein Branding, kein Scarifying, sondern bloß ein Henna-Tatto: ein Fan während eines Konzertes Rausch gehabt, dass man gar nicht mehr weiß, was passiert ist. Das ist geil.

Das hört sich nach Exzess an, was ihr da auf der Bühne erlebt. LEONID: Für mich kommt das hin, ja, du vergisst, was du bist, und gerade deswegen bist du. Du verlierst dich komplett und bist trotzdem da.

ANNA: Bei mir kommen beim Wort Exzess immer gleich Drogen in den Kopf, aber keine Droge kann das Gefühl ersetzen, das entsteht, wenn wir zusammen Musik machen…

LEON: Richtige Punkkonzerte – klar weiß ich nicht mehr, wie es sich angefühlt hat im Bauch meiner Mutter, aber so stell ich’s mir vor: irgendwie dumpf und ruhig, du hörst die ganze Zeit den lauten Herzschlag, und da ist eine Bewegung, die alle zusammen machen. So ein Konzert hat etwas Beruhigendes, finde ich, obwohl’s ultrahaaß ist.

Braucht ihr solche Momente? Und braucht die jeder Mensch? ALEX: Ja, ich glaube, der Mensch braucht den Adrenalinrausch, in dem er sich vergisst. Die meisten von uns haben keine großen Sorgen, vielen ist einfach fad. Die brauchen das besonders. Für Menschen, die in dieser Plastikwelt leben und aufgewachsen sind, ist es leiwand, mal realness und rawness zu erleben.

LEON: Unsere Generation und Leute, die jünger sind als wir, haben keine schöne Aussicht auf die Zukunft. Entweder es gibt Krieg, oder die nächste Pandemie kommt, und in hundert Jahren ist der Planet sowieso im Arsch. Von diesen Bad News braucht man auch einmal Ablenkung.

ANNA: Ich hatte lange die Illusion, mich zamreißen zu müssen, aber mittlerweile ist mir der Moment wichtiger. Den zu genießen, solange ich es mir leisten kann… Ich arbeite hart für meine Ziele, aber ich will nicht nur für die Zukunft arbeiten, und dann steht man am Ende da und die Zukunft gibt es gar nicht.

LEON: Ich bin draufgekommen, dass unsere Welt ziemlich im Arsch ist, und dass es keinen Spaß macht, sich darauf vorzubereiten, irgendwann Teil davon zu sein und dieses System zu stärken, das alles kaputt macht. Im Moment leben ist für mich auch gesünder.

Bandhistory

Leonid Sushon (20, Gitarre und Gesang) ließ sich Ohrlöcher stechen und fing an, Punkrock zu hören, nachdem er wegen Anna Grobauer (22, Bass), die er im Kinderchor der Volksoper kennengelernt hatte, den ersten Liebeskummer seines Lebens durchlitt. Er gründete die Leftovers, Anna machte mit, „weil ich die Musik zu geil fand, als dass ich Leonid in Ruhe hätte lassen können“. Leon Eder (20, Drums) und Alexander Waismayer (20, Gitarre) kamen später dazu. Wie viel Platz für Exzesse habt ihr denn nach den Konzerten abseits der Bühne? LEONID: Wenn ich von der Bühne runtergehe, denk’ ich mir manchmal: Was ist da gerade passiert? Für mich ist das ein Rausch, eine Achterbahn, ich bin danach meistens fertig, kann nicht mehr saufen, sondern muss heimgehen, schlafen.

Maskottchen „Jeff“ nach einem Auftritt in der Szene Wien. Einst hatte die Puppe Arme und Beine, mittlerweile stagedivt nur noch der Torso

LEON: Stell dir vor, du und deine 250 besten Freunde werfen alle Ecstasy ein, und es hittet bei allen gleichzeitig – ungefähr so ist das Gefühl während des Konzerts. Alle sind gleichzeitig ultragut drauf, das kannst du danach nur schwer toppen. Wenn wir nach dem Konzerten mit dem Auto heimfahren müssen, stellt sich schon immer die Frage: Wer ist jetzt noch nüchtern?

Während eines Live-Gigs in der Szene Wien

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