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Porträt ROMAN MARIA MÜLLER Taxler

ICH LIEFERE MICH AUS

VON ANNA GOLDENBERG

Roman Maria Müller fährt nachts durch die Stadt. Mit Menschen auf dem Rücksitz. Die Dunkelheit offenbart vieles, was tagsüber verborgen bleibt

Fahrender Künstler

Für manche ist Taxifahren ein lästiger Übergangsjob. Nicht so für Roman Maria Müller – für ihn ist das Kutschieren Fremder ein Abenteuer, bei dem oft auch der Exzess auf der Rückbank sitzt. Und überhaupt: Müller ist ja kein gewöhnlicher Taxler – er ist obendrein der letzte Pantomime von Wien. Roman Maria Müller ist Komplize und Zuhörer, Orakel und Begutachter, Führer und Verführter. Sein Arbeitsalltag besteht aus unvorhersehbaren Begegnungen. Jedes Mal, wenn ein Fahrgast in seinen Mercedes steigt, beginnt eine neue Geschichte, immer einzigartig, meist kurz, oft exzessiv. Etwa jene Story des Opernsängers auf der Suche nach sexuellen Begegnungen. Die der Frau und ihres neuen Körpers, oder des älteren Herrn und seiner Rachegelüste.

Welche Rolle der Taxifahrer Roman Maria Müller in all diesen Geschichten spielt, ob er Teil des Exzesses wird oder Beobachter bleibt, muss er oft innerhalb von Momenten entscheiden. Das ist es auch, warum er den Beruf so liebt. „Ich liefere mich aus“, sagt er. „Ich liebe den Zufall.“

Der Mann ist über fünfzig, das genaue Alter will er nicht verraten. Dunkles, gelocktes Haar, geblümtes Hemd, braune Lederjacke, breites Lächeln. Vor etwas über zehn Jahren begann er, Taxi zu fahren wie einst auch sein Vater. Gleichzeitig ist Roman Maria Müller Pantomime. Seine Ausbildung im Körpertheater erhielt er vom berühmten israelischösterreichischen Pantomimen Samy Molcho. Müller tritt in vielen Ländern auf und hält auch Workshops ab, Medien bezeichneten ihn als „letzten Pantomimen von Wien“.

Doch auch als Unikum sind Aufträge und Auftritte am Theater nicht immer planbar. Zwar mag jede Taxifahrt unvorhersehbar verlaufen, aber es besteht doch immerhin Gewissheit, dass sie stattfindet, dass es immer Menschen gibt, die gefahren werden wollen. „Wenn du kein Geld in der Tasche hast, mach eine Fuhr’ und du kannst essen gehen“, riet ihm seine Mutter. So schuf sich der gebürtige Wiener ein zweites Standbein.

Fotos: Roman Maria Müller, Foto Plausen BEST OF VIENNA

Medienberichte bezeichnen ihn als den „letzten Panomimen von Wien“ – definitiv ist Roman Maria Müller der einzige, der gleichzeitig auch Taxi fährt

Roman Maria Müller ist Taxichauffeur in zweiter Generation und Zweitjob. Seine Tagschichten sind oft still, nachts hingegen lenkt er den Exzess Verkleidungsexzess in der motorisierten Droschke

Pantomime Roman Maria Müller beim schauspielerischen Erstjob

Müller steht an Standplätzen oder wird auf der Straße angehalten und arbeitet, wann es ihm passt. Das ist vor allem, wenn gerade weniger Auftritte und Proben anstehen. Dann setzt er sich in sein Auto und fährt los – bei Tag und bei Nacht.

Der Unterschied zwischen Tag und Nacht, sagt Müller, sei gewaltig. „Wer tagsüber ins Taxi steigt, hat meist etwas vor und ist darauf fokussiert.“ Die Fahrgäste sind oft wenig redselig, außer es gibt etwas, das sie extrem freut oder quält, sei es eine Hochzeit oder ein Begräbnis. Und in der Nacht? Müller wählt seine Worte mit Bedacht. „Die Dunkelheit erzeugt mehr Spannung als ein heller Raum“, sagt er schließlich. „Tagsüber ist man mehr Reizen ausgesetzt. Nachts kann man sich hingegen darauf einlassen, was passiert.“

Das gilt auch für ihn, den Lenker des Exzesses. Da gab es den Opernsänger, den Müller nach einer Vorstellung von der Volksoper nach Hause fuhr. Der Sänger lud ihn zu sich nach Hause ein, er wolle ihm die korrekte Atmung zeigen. Warum nicht? Müller kam mit. „So schnell konnte ich gar nicht schauen, und er war nackt“, erzählt er. „Ich konnte ihm gerade noch entkommen.“ Der Sänger entschuldigte sich, nach Vorstellungen sei er immer „zu aufgeladen“.

Nachts wollen viele Menschen aus der Einsamkeit ausbrechen, beobachtet Müller, suchen ungehemmter nach Bestätigung, verstärkt auch durch exzessiven Alkoholgenuss. „Nach zwei Uhr morgens ist eigentlich niemand mehr nüchtern.“ Wie anders hätte er also auf jene Transfrau reagieren sollen, die ihm stolz ihre frisch operierten Brüste zeigte und ihn um seine Meinung bat, als sie zu loben? Und was anderes den zwei Clubbesucher*innen antworten, die auf der Heimfahrt nach dem ersten Kennenlernen debattierten, ob sie getrennt oder gemeinsam übernachten, und ihn als Orakel um seine Meinung fragten, als sie im Zusammensein zu bestärken?

Müller sieht seine Rolle als Spiegelbild seiner Fahrgäste, die er im Spiegel beobachtet. Der Alkohol macht die einen extrem frustriert, die anderen exzessiv fröhlich, Müller hat sie alle gesehen, und, ja, natürlich wurde ihm auch schon das Auto vollgespieben, aber es komme sehr selten vor. Betrunkene Fahrgäste bis an ihr Bett hat er öfter gebracht.

In der Innenstadt ist nächtens am meisten los, gefolgt von den südwestlichen Bezirken innerhalb des Gürtels, also Wieden, Margareten, Mariahilf und Neubau. Die Pandemie hat Müllers Standbeine, das Theater und das Taxi, ordentlich ins Wanken gebracht. „Als Pantomime spielte ich auf Plätzen und Straßen mit meinen Kolleg*innen das Stück ,Die Pest in Wien‘“, erzählt Müller. Dabei trugen sie italienische Masken. Jetzt ist das alte Leben wieder da, auch heute muss er schnell weiter, eine Theaterprobe steht an.