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FOODPORN Erdäpfelmilch
AUS DER VIRTUELLEN KÜCHE.
VON BIRGIT WITTSTOCK
Genügsam und hierzulande omnipräsent, wäre die Kartoffel der optimale Milchersatz
Auf Instagram und TikTok zuckt die Neigungsgruppe woke Foodies gerade darüber aus: Ist Kartoffelmilch der nächste heiße Scheiß in Sachen Milchalternativen? Die Verkostung lässt Zweifel daran aufkommen
Werfen wir etwaige Vorurteile und den kulinarischen Kulturpessimismus über Bord und sehen uns den Hype um die Potato Milk genauer an: Die Idee eines Milchersatzes aus Erdäpfeln ist geradezu genial. Weil die Grundbirne im Gegensatz zu Mandeln, Cashewnüssen, Kokos oder Sojabohnen, aus denen Milchersatz üblicherweise hergestellt wird, im Ressourcenverbrauch genügsam ist und nicht erst um die halbe Welt fliegen muss, um bei uns zu landen. Sie wächst üppig in heimischer Erde.
Selbes gilt auch für die Basis des aktuell beliebtesten Milchersatzes, der Hafermilch. Die Sache hat jedoch einen Haken: Zwar ist Hafermilch aus ökologischer Sicht bislang die beste Alternative zur Kuhmilch, der Haferanbau braucht jedoch doppelt so viel Fläche, um auf den gleichen Ertrag wie der Kartoffelanbau zu kommen. Außerdem wird Hafer in Österreich vorwiegend in minderer Qualität als Tierfutter erzeugt. Also vorerst nix mit regionaler Bio-Hafermilch im Frappuccino.
Der Konsum von zeitgeistigen Pflanzendrinks hat in den vergangenen zwei Jahren um rund vierzig Prozent zugenommen. So ist die schwedische Firma Veg of Lund nun auf die Idee mit den Erdäpfeln gekommen. Sie wachsen in Europa praktisch überall, verbrauchen bedeutend weniger Wasser und hinterlassen einen wesentlich kleineren CO2-Fußabdruck als Kuhmilch (2,4 Kilogramm Kohlendioxid pro Liter) und ihre pflanzlichen Alternativen: Je nach Kartoffelsorte nur zwischen 0,27 und 0,31 Kilogramm CO2-Äquivalenten pro Kilogramm. Klingt nach Jackpot.
Bislang gibt es den Kartoffeldrink, den die Schweden unter der Marke DUG in drei Varianten – Original, Barista und Unsweetened – vertreiben, hierzulande noch nicht zu kaufen. Man könnte ihn um ziemlich freche 12,50 Pfund pro Sechs-LiterGebinde bestellen. Zählt man aber rund 2,49 Euro für einen Liter Kartoffeldrink plus die Vergrößerung des CO2-Fußabdrucks durch den Transport zusammen, ist die Festtagslaune dahin.
Ein Blick auf die lange Liste der Inhaltsstoffe erledigt den Rest: Wasser, Kartoffeln, Rapsöl und Erbsenprotein, Pflanzenfasern, Säureregulatoren, Sonnenblumenlecithin und natürliche Aromen. Fürs Mitarbeitsplus in Sachen Gesundheit

Homemade-Erdäpfelmilch wäre zu schön, um obendrein auch noch schmackhaft zu sein
FOLGE 1: POTATO MILK

Erinnert optisch fast ein bisschen an das Zweitlieblingsgetränk von Insta: Golden Milk ist das Saftl mit Calcium, Vitamin D und einigen B-Vitaminen angereichert und den Sorten Original und Barista etwas Zucker zugesetzt. Vielleicht doch nicht so der hotte Shit?
Also machen wir sie doch einfach selbst, die Kartoffelmilch. Das geht laut kleinstem gemeinsamen Nenner verschiedener Instagram-Rezepte ungefähr so: 250 Gramm Erdäpfel schälen, in Stücke schneiden und circa 15 Minuten weich-, aber nicht zerkochen. Das Kochwasser aufheben.
Die Erdäpfelstücke mit dem Kochwasser in einen Blender gießen, notfalls mit frischem Wasser auffüllen, um auf einen halben Liter Flüssigkeit zu kommen. Eine Prise Salz, zwei TL geriebene Mandeln, vier TL Ahornsirup und das Mark einer Vanilleschote dazugeben. Will man regional bleiben, lassen sich die drei Letzteren wahrscheinlich durch geriebene Haselnuss und Honig oder Zucker ersetzen, dem ohnehin strangen Geschmack wird es kaum schaden.
Nun den Blender anwerfen – unter dem Motto: Mehr ist mehr. Zehn Mixminuten später sollte das Ganze eine leicht gelbliche Flüssigkeit mit der Viskosität von Kuhmilch sein. Anderenfalls Wasser nachfüllen und erneut mixen. Zu guter Letzt presst man die Flüssigkeit durch einen Nussmilchbeutel, ein Passiertuch oder ein sehr feines Sieb, um Fasern und Co. zu entfernen. Schon ist nach nur einer halben Stunde Arbeit die Selfmademilch fertig. Das freut!
Der Geschmack hingegen weniger: Pur verkostet, lässt sich das dominante Erdapfelaroma als exotisch und irgendwie eh interessant framen. Den Kaffee verwandelt der Milchersatz allerdings in koffeinhaltigen Kartoffeleintopf. Den möchte man sich lieber nach schwerer Arbeit auf dem Acker reinlöffeln, als ihn zum Frühstück aus feinem Porzellan zu nippen. Die Kombi mit Müsli oder anderen Frühstücksflocken ist geschmacklich überraschend vertretbar. Sie macht sich jedoch im Magen breit wie ein 16-gängiges Menü.
Resümee: Ist schneller im Ausguss gelandet, als man „Insta“ sagen kann.

Das Beste aus zwei Welten: koffeinhaltiges Heißgetränk mit Erdäpfelgeschmack
