FALTER Bücherfrühling 2013

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Ein Tier unter Tieren oder Zoologie und Zivilisation Zoologie: Zwei Bücher betrachten das Verhältnis von Menschen und Tieren und ihr Zusammenleben in der Stadt as Philosophicum Lech, das jährliche elegant und kundig durch die WeltliteraD Symposium am Arlberg, tagte 2012 tur tierischer Protagonisten, während Euzum Thema „Tiere. Der Mensch und sei- gen Drewermann lautstark wie Luther seine Natur“. Im Unterschied zu Edward Wilson (siehe Rezension S. 40), der in seinem Opus magnum „Die soziale Eroberung der Erde“ versucht, die tierische Natur des Menschen zu erklären und sich dabei in subjektiver Empirie verliert, funkelt die Parade der nun in Buchform versammelten Experten verheißungsvoll. Vielleicht kann an der herkulischen Aufgabe,

das Wesen des Menschen zu beschreiben, ein Einzelner nur scheitern. In der Diversität der Zugänge vieler zu den Bedingungen des Menschseins beginnt man jedenfalls die Bäume im Wald zu erkennen. Dieser Sammelband bietet mehr als die Pflichtübung einer Tagungsdokumentation. Die sprachliche Brillanz professioneller Denker und die Tiefe der Ausführungen fordern durchaus. An Reinhard Brandts „Können sich Tiere widersprechen?“ muss man sich wie an einem Pflichtseminar abarbeiten, während die Betrachtungen des Albertina-Chefs Klaus Albrecht Schröder über Tierporträts vergleichsweise ein Amuse-­ Gueule für das Großhirn darstellen. Wunderbar lesen sich auch die feinziselierten Sätze der Schriftstellerin Andrea Grill über die Grundsatzfrage, was denn überhaupt ein Tier sei, die nebenbei den mechanistischen Zugang der Naturwissenschaft konterkarieren. Daniela Strigl führt

ne Thesen für eine neue Ethik an die Türe unserer Zivilisation schlägt. Die Autoren legen feine Blitzlichter auf das Verhältnis von Mensch und Tier. Positionieren Menschen sich tatsächlich als etwas ganz anderes gegenüber dem Tierreich, oder sind wir auch nur ein „Produkt“ der Evolution, ein Tier unter Tieren? Dieses feine Kompendium liefert keine finalen Antworten, erfüllt aber durchaus den Zweck, die grauen Zellen im Vorderhirnlappen beim Lesen angenehm zu kitzeln.

Konrad Paul Liessmann (Hg.): Tiere. Der Mensch und seine Natur. Zsolnay, 380 S., € 20,50

Der Begriff „Stadtökologie“ wurde erst in den

1950er-Jahren eingeführt. In den letzten Jahren erschien dazu jede Menge an populärwissenschaftlichen Publikationen. Was Bernhard Kegels Buch herausragen lässt, ist seine Fähigkeit, Geschichten erzählen zu können. Den meisten eher für seine „ScienceFaction“-Romane bekannt (zuletzt erschien „Ein tiefer Fall“), wird er neben Bestsellerautor Frank Schätzing gern auch als deutscher Michael Crichton gehandelt. Er belästigt die Leser nicht mit bereits bekannten Storys von Wildschweinen und Waschbären in Vorgärten, sondern führt in einem weiten Bogen durch Orte, an denen Menschen und Tiere aufeinandertreffen. In einer Mischung aus Erlebnissen, Fak-

Begonien wie ich und du Botanik: Daniel Chamovitz erzählt von der erstaunlichen Welt der Sinneswahrnehmungen von Pflanzen atürlich fehlen Pflanzen nicht nur gen nützen Pflanzen zur Feststellung N Augen, Nase und Ohren, sondern der Tages- und Nachtlänge, wobei sie sie besitzen auch kein Zentralnerven- zwischen hellrotem Licht für die Morsystem, kein Gehirn, das Sinneseindrücke für den ganzen Pflanzenkörper koordinieren und mit Emotionen einfärben könnte. Trotzdem hat sich Daniel Chamovitz dafür entschieden, von pflanzlichem Riechen, Sehen, Fühlen, Hören etc. zu sprechen. Es geht nicht um Gleichsetzungen, sondern um Vergleiche, und die Erkenntnis, dass Pflanzen zu verblüffend komplexen und weitreichenden Interaktionen mit ihrer Umwelt und miteinander imstande sind. Wer Chamovitz’ Buch liest, wird mehr als einmal überrascht sein. Pflanzen verwandeln Lichtsignale in verschiedene Wachstumsreize. In prägnanten Abrissen erklärt Chamovitz, wie die Wissenschaft ihnen dabei auf die Schliche kam. Immer wieder kommt er dabei auch auf Charles Darwin zu sprechen, der als einer der Ersten Experimente und Beobachtungen zu pflanzlicher Wahrnehmung machte. Pflanzen messen auch, wie viel Licht sie aufnehmen, und reagieren auf bestimmte Farben des Lichtspektrums. Blaue Lichtanteile bewirken die Neigung zum Licht, rote hinge-

ten und Anekdoten schreibt er einmal über das Ökosystem Bett, dann über tierische Untermieter, das Geschrei der Vögel und den Wandel der Stadtlandschaften. Manchmal scheinbar ohne Plan mäandernd, doch er schafft es immer wieder, die vielen Nebenflüsse in den Hauptstrom der Tier-Mensch-Beziehung münden zu lassen.

gen- und dunkelrotem für die Abenddämmerung unterscheiden. Chamovitz macht deutlich, dass wir unsere Biologie „nicht nur mit Schimpansen und Hunden teilen, sondern auch mit Begonien und Mammutbäumen“. Dabei müsse man es allerdings nicht so weit treiben wie die Schweizer, die im Jahr 2008 eine Ethikkommission zum Schutz der Würde von Pflanzen eingerichtet haben. Denn Pflanzen besitzen nicht die Fähigkeit, unangenehme emotionale Erfahrungen zu machen, mit anderen Worten: Sie leiden nicht. Und wirklich hören können sie ebenfalls nicht. Sie reagieren höchstens­ auf die Schallvibrationen von Lautsprecherboxen. J u li a K o sp a ch

Daniel Chamovitz: Was Pflanzen wis­ sen. Wie sie sehen, riechen und sich erinnern. Hanser, 206 S., € 18,40

Bernhard Kegel: Tiere in der Stadt. Eine Naturge­ schichte. DuMont, 478 S., € 22,70

Bei all der angenehmen Beiläufigkeit blitzt im-

mer wieder das Wissen eines Ökologen hervor. Interessant etwa das Kapitel über die historische Stadtfauna: Welche Auswirkungen hatte es, wenn hunderttausende Pferde in den Großstädten arbeiteten und jedes Tier innerhalb eines Tages bis zu 50 Kilo Kot produzierte? Welche Tiere mussten mit dem Aufkommen der Autos und dem Verschwinden der Pferde ums Überleben kämpfen? Kegel konstatiert gegen Ende des Buchs ein wachsendes Engagement der Städter für ihre tierischen Mitbewohner. Menschen, die auf ihren täglichen Routen Tiere beobachten, Anteil nehmen und sich zunehmend verantwortlich fühlen. Manche befreien sich von kommunaler Bevormundung und gestalten selbst ihre Umgebung. Urban Gardening, „Balkooning“ und Bird Watching könnten die Leitbegriffe für eine neue urbane Kultur heißen. Ein Buch, das gleichermaßen unterhält, informiert, anregt und Hoffnung macht.

P ete r I w a niewicz

Für alle, die es wissen wollen.

Freund oder Feind?

Dieses Buch ist eine Kampfansage. Sie stammt von einem der Freiheitskämpfer des Internetzeitalters: Julian Assange – US-Staatsfeind Nr. 1 und weltweit gesuchter Netzaktivist. Regierungen weltweit greifen nach der Netzkontrolle, warnt Assange. Und ihre Komplizen, Unternehmen wie Google, Facebook und Co, sind längst in das Geschäft mit den Daten eingestiegen und verkaufen sie meistbietend. User aller Länder vereinigt 2013. 200 Seiten. Auch als E-Book erhältlich Euch und schlagt zurück!

campus.de


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