Franz hellmüller

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Den K端sten entlang Unterwegs mit dem Pfeifer Mobil im Oktober und November 2013 Franz Hellm端ller



Gross war die Vorfreude auf das Abenteuer Pfeifer Mobil, auf das Reisen, das Unterwegs-Sein ohne Get-In-Zeitdruck, mit viel Musse und ohne festes Ziel. Vor allem freute ich mich auf eine Auszeit, ohne Kalender und Termine, dafür mit vielen neuen Eindrücken und viel Zeit zum komponieren. Da mein Konzept mir erlaubte, meine Route kurzfristig festzulegen, erfolgte meine Vorbereitung wenige Tage vor Antritt der Reise: Ich wählte meine Reiserichtung nach dem Wetterbericht und buchte die Fähre nach Sardinien. Hier war es sommerlich warm, die Natur und die Küsten müssen fantastisch sein, habe ich von vielen Seiten vernommen. Und eben diese vielgeschwärmten Küstenlandschaften sollen mir Inspiration zum Komponieren geben. In den Monaten Oktober und November, so erhoffte ich mir, wird der Run auf diese Insel abgenommen haben, sodass sich mir diese Küstennatur so authentisch wie möglich präsentieren kann. Ich packte also meine Gitarren und meine Familie ein und schon konnte es losgehen Richtung Süden. Die Insel übertraf unsere Erwartungen. Die Natur ist unglaublich schön und vielfältig, dank Detleff erreichten wir Orte, welche unvergessen blieben. Der Anti-Womo-Schilderwald, welcher uns gleich nach Ankunft auf Sardinien entgegenschlug, lies uns Böses ahnen, doch unsere Bedenken zerschlugen die Einheimischen in Windeseile. Wir wurden überall herzlich aufgenommen. Die Touristenströme waren am abebben. Die Strände leerten sich, sodass wir unsere Zelte problemlos auch auf „verbotenen“- und das waren sie eigentlich alle – Parkmöglichkeiten in freier Natur aufschlagen konnten. So erlebten wir wunderbare Momente in unmittelbarer Küstennähe, in menschenleerer Natur, fernab von geteerten Strassen oder Handynetz. Wenn uns nach Zivilisation war, suchten wir einen Campingplatz auf. Ebenfalls bereits ziemlich leergeräumt, genossen wir den Luxus eines Womo-Platzes mit Umschwung, welcher im Sommer locker hundert Zelte mit vielen Menschen bevölkert hatte. Diese Leere, das Verlassene und Verwilderte dieser Insel faszinierte mich sehr. Einerseits spürte ich die Energien der Natur, der Küste, des Wassers. Einsam an sogenannten Super-Stränden entlangzulaufen, den Blick schweifen zu lassen auf das Wasser, den Sand, ohne visuellen Abfall in Form von Zivilisation – seien es wüste Überbauungen oder Müll – das waren unbezahlbare Augenblicke. Momente, in denen ich mich mit dieser Speziellen Energie aufladen konnte. Anderseits versprühten die halbverlassenen Strände einen eigenwilligen Charme. Eine Wehmut an „bessere“ Zeiten, eine Art Nostalgie machte sich breit, vor allem, wenn man Zeuge wurde vom letzten Zusammenräumen einer Ferienstätte, oder wenn halb zerfallene Sonnenschirme von vergangenen Zeiten erzählten. Manchmal drohte die Stimmung zu kippen ins Melancholische, beim Anblick von vor langer Zeit verlassenen Kohlebauwerken mitsamt ihren Dörfern, oder beim Durchqueren etlicher Sommerferiendörfer, welche jetzt wie Kulissen ohne Bedeutung da standen, ausgestorben und menschenleer, nicht mal die kleine Bar am Dorfplatz hat geöffnet. Diesen Grat, dieses drohende Kippen von der guten Energie in die Schwermut begann mich zu faszinieren. Neben der Küste und dem Meer siedelte sich diese Komponente mit in mein Inspirationsrepertoire an. Komponiert habe ich im unmittelbaren Moment. An Ort und Stelle, wenn mich die Musse packte. Das Womo erlaubte es mir, anzuhalten wo und wann ich gerade wollte. Ohne Stress nach Essen und Schlafstätte im Hinterkopf. Es war perfekt. Voraussetzungen waren einzig – und da hatten wir Glück – schönes Wetter (Sonnenschein deshalb, weil es auch mit tiefen Ansprüchen ziemlich eng werden kann im Womo mit einer zweijährigen bewegungsfreudigen Tochter.) und die Technik über den Kopfhörer: Ich hatte lange hin und her überlegt, welchen Verstärker ich mitnehmen sollte. Zum Schluss entschied ich mich für einen ganz kleinen, welcher nur über Kopfhörer funktioniert, ein unabdingbares Hilfsmittel und die richtige Wahl, stellte sich heraus, da der Küste entlang ununterbrochen der Wind wehte, welcher den Ton über Lautsprecher sich in alle Himmelsrichtungen verflüchtigt hätte. Mit dem Kopfhörer über den Ohren konnte ich jederzeit wirken, egal wo und zu welcher Zeit, ich konnte in meine Welt eintauchen, ohne jemanden zu stören. Nach drei Wochen Wildnis freuten wir uns auf die Städte Richtung Süden. Cagliari überraschte uns im positiven Sinne. Eine sehr einladende Stadt mit viel mediterranem Flair mit Geschichte, pulsierend, offen einerseits, provinziell und verschlafen auf der anderen Seite, eine Mischung, die es durchaus in sich hatte. Hier könnte ich für längere Zeit bleiben.


Dennoch trieb es uns weiter Richtung Süden, und nach einer nächtlichen Überfahrt erreichten wir Palermo. Verkehrstechnisch durchaus eine Herausforderung. Die Stadt verzauberte uns aber vom ersten Augenblick an. Um sieben Uhr festes Land unter den Füssen, fanden wir uns um halb acht auf dem Flohmarkt wieder. Ein multikulturelles Getümmel, kaum auszumachen, wo wir uns befanden, die Szenerie hätte gerade so gut in Afrika oder Indien stattfinden können. Vom Markt trieben wir weiter Richtung Kultur, hinter jedem grossen, schweren Holztor verbarg sich eine romanische, gotische oder barocke Welt. Die Zersiedelung ist in Sizilien viel ausgeprägter als in Sardinien. Das Naturerlebnis machte hier zugunsten der Kultur Platz. - Obwohl, nicht ganz: Eindrückliche Naturerlebnisse bot uns auch diese Insel. Der Ätna kurz vor Eruption beeindruckte uns sehr: Die karge Landschaft, die unglaubliche Farbigkeit, die sich in dieser scheinbaren Einöde findet. Die Energie, welche diesem Vulkan innewohnt. Viele kleine Städtchen erzählten von vergangenen besseren Zeiten. Geld scheint keines vorhanden zu sein, sodass viel einst Schönes am vor sich hin rotten ist. Aber auch dieses Zerfallende hat seinen Charme, die Patina an den Wänden von der Zeit gemalt. Die Zeit ist spürbar. Die Zeit als vergehendes Element, Zeitzeugen in verstaubten alten Kirchen vergangene Zeiten zu erahnen auf schmucken, wackeligen Plätzen. Und Zeit als stehendes Element, im Sinne von Zeit besitzen, in Form von Musse, Siesta, spontane Einladungen von Landwirten, die wir am Strassenrand treffen. Zurück in der Schweiz hiess es Kleiderwechsel, denn jetzt ging es Richtung Norden. Ich hatte mit dem Trio Hellmüller Risso Zanoli einige Konzerte in Deutschland und nutzte die Gelegenheit, diese Reise auszudehnen, um mit dem Camper Land und Leute besser kennen zu lernen, Orte zu besuchen, welche ich nur vom Durchfahren kenne. Ich bin oft in Deutschland unterwegs. Leider fehlt auf Tour meistens die Zeit, ein wenig zu verweilen. Diesmal blieb ich immer wieder mal ein paar Tage, um Städte aus zu kundschaften: Insbesondere Lübeck und Hamburg haben mir extrem gut gefallen (welch ein Gegensatz zu Sizilien!) und hätte ich mehr Zeit gehabt, ich wäre weiter in den Norden gereist. Vollbepackt mit Erlebtem, Inspirationen und Ideen kehrte ich zurück in die Heimat. Viel zu kurz war die Zeit. Die Reise wird mich dennoch aktiv durch die nächsten Monate begleiten: Finalisieren von Kompositionen, Weiterentwickeln von Ideen, Proben, Aufnehmen, Produzieren. Diese Arbeiten werden mich immer wieder an Orte zurück bringen, Gerüche in die Nase steigen lassen,…. Vielen Dank für das Möglichmachen dieser tollen Reise.

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