Fleisch - weniger ist mehr

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DOKUMENTATION # 02_2010/CHF 6.—

FLEISCH Weniger ist mehr


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Problemzone Fleisch

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Wer trägt die sozialen Kosten unseres Fleischkonsums?

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Die Frauen des Südens bezahlen das Futter für unsere Nutztiere

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1 % der Brasilianer besitzt 48 % des Landes

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«Das Kapital der Bauernfamilien ist ihr Land»

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Gefährden Schweizer Hühner das Klima?

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Wie aus einem Soja-Patent ein Salami-Patent wird

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Die Schweiz und «ihr» Fleisch

22_ Es gibt viel zu tun – ein paar Tipps für den Anfang

23_ Rezept: Karotten-Pflaumen-Tagine

Dokumentation «Fleisch: Weniger ist mehr» 02/2010 Juni, Auflage 21 000  HerausgeberIn  Erklärung von Bern (EvB), Dienerstrasse 12, Postfach, 8026 Zürich, ­Telefon 044 277 70 00, Fax 044 277 70 01, info@evb.ch, www.evb.ch Texte  Andrea Hüsser, François Meienberg (EvB), Marianne Künzle (Greenpeace Schweiz) Redaktion  Susanne Rudolf (EvB) gestaltung  c.p.a. Clerici Partner AG, ­Zürich druck ROPRESS Genossenschaft, ­Zürich. Gedruckt mit Biofarben ­auf Cyclus Print, 100% Altpapier. Das EvB-Magazin inkl. Dokumentation erscheint 5- bis 6-mal jährlich. EvB-Mitgliederbeitrag: Fr.  60.– pro Kalenderjahr. Spendenkonto: 80-8885-4


edito r ial

Bertolt Brecht

«Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral» Essen ist Privatsache. Niemand lässt sich gerne vorschreiben, was und wie viel sie oder er wovon verspeisen darf. Auch nicht beim Fleisch. Da vielleicht am allerwenigsten. Aber ist Essen tatsächlich eine rein private Angelegenheit? Mit der Diskussion über Fleisch und dessen Verzehr wird ein altes EvB-Thema wieder aktuell. Seit die EvB-Publikation «Unser täglich Fleisch. So essen wir die Welt kaputt» im Jahr 1992 erschienen ist, hat sich der Fleischkonsum weltweit verdoppelt. Um diese Nachfrage zu befriedigen, muss immer mehr, immer schneller und immer billiger produziert werden. Bereits jetzt werden 30 Prozent der globalen Landfläche für die Produktion von tierischen Proteinen beansprucht. Dazu gehört auch die Produktion von Futter für Nutztiere, die inzwischen einen Drittel der weltweiten Ackerfläche in Anspruch nimmt. Die vorliegende Tour d’Horizon führt durch das weite Feld des Fleischkonsums und dessen soziale und ökologische Auswirkungen auf der anderen Seite des Planeten. Sie soll erklären, was das saftige Schweizer Steak auf dem Teller mit den toten Fischen im brasilianischen Xingu-Fluss zu tun hat und warum eine Portion Kutteln sozialverträglicher sein kann als ein Rindsfilet. Sie soll aufzeigen, warum der Fleischkonsum in der Schweiz viel zu gross ist und wie wir damit dazu beitragen, die Menschen im Süden in die Armut zu treiben. Die sozialen und ökologischen Auswirkungen unseres Fleischkonsums haben an Dramatik zugenommen. Wer seinen Konsum aber bewusst re­ duziert, kann einen erheblichen Beitrag leisten, die erschreckenden Ent­ wicklungen abzuschwächen und der nachhaltigen Landnutzung eine Chance zu geben. Es ist definitiv keine Privatsache mehr, was und wie viel wir essen. Die Ernährungsfrage ist zum Politikum geworden und die Devise «weniger ist mehr» somit zum Leitsatz. Andrea Hüsser, EvB

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Problemzone Fleisch Fleisch stammt von Tieren. Diese brauchen Nahrung, welche auf Land angebaut wird, von dem Menschen vertrieben werden. Dieses Land wird durch den intensiven An­bau von Sojamonokulturen vergiftet und somit unbrauchbar für den Nahrungsmittel­a nbau. Es gibt verschiedene Aspekte, auf die wir beim Fleischkonsum achten können, zum Beispiel auf das Tierwohl, die eigene Gesundheit, die Umwelt. Aber auch auf die Sicherung der Ernährungssouveränität und die Reduktion von Armut. Manche Handlungsmotive sind eher moralisch, die anderen vor allem politisch. Auf den folgenden Seiten geht es vorderhand um die sozialpolitischen Folgen des heutigen Fleischkonsums. Über die letzten hundert Jahre hat sich die Viehwirtschaft von der Selbstversorgung zu einer Komponente von globalen Lebensmittelketten entwickelt. Die Nachfrage wird primär von Konsumierenden aus dem Norden gesteuert. In der Schweiz verbrauchen wir jede Woche anderthalb Kilo Fleisch pro Kopf – dreimal so viel wie in den Entwicklungsländern. Davon verzehren wir allerdings nur ein Kilo, der Rest wird weggeworfen oder anderweitig verwertet. 4

Fleisch fordert viele Ressourcen Weltweit ist der Fleischverbrauch in den vergangenen 40 Jahren von 78 Millionen Tonnen auf 250 Millionen Tonnen pro Jahr angestiegen. Diese Entwicklung ist nicht folgenlos geblieben. Denn die Fleischproduktion fordert so viele menschliche, tierische und natürliche Ressourcen wie kein anderes Nahrungsmittel. Für die Herstellung von einem Kilo Rindfleisch braucht es 15 000 Liter Wasser. Zur Produktion einer tierischen Kalorie werden je nach Tierart fünf bis dreissig pflanzliche Kalorien verfüttert. Bei der Rinderzucht gehen so über 90 Prozent der Nahrungsenergie verloren. Wo Tiere Gras und andere Pflanzen fressen, die zur direkten menschlichen Ernährung nicht geeignet sind, erhöhen sie zwar das Lebensmittelangebot und leisten einen wichtigen Beitrag zur landwirtschaftlichen Produktion. Die meisten Masttiere aber fressen heute nicht mehr Gras, sondern Mais, Weizen und vor allem Soja. Dieses wächst auf Ackerflächen, die der direkten Lebensmittelproduktion verloren gehen. Soja, so weit das Auge reicht Ein Drittel der weltweiten Ackerfläche wird heute genutzt, um Futtermittel anzupflan-


zen. Weil die Schweiz selber nicht genug Ackerfläche hat, um ihre Nutztiere zu füttern, muss sie rund zwei Drittel ihrer Futtermittel importieren. Dazu gehören auch jährlich 250 000 Tonnen Soja, das wegen seines hohen Eiweissgehaltes besonders beliebt ist. Die Schweiz importiert sein Soja hauptsächlich aus Brasilien, wo inzwischen 47 Prozent des gesamten Ackerlandes der Sojaproduktion dienen. Zwar wird seit 2008 kein gentechnisch verändertes Soja mehr importiert. Doch das importierte Fleisch stammt mit grosser Wahrscheinlichkeit von Tieren, die mit genverändertem Soja gefüttert wurden. olle Staatskassen, gefährdete Biodiversität V Der Soja-Export in Brasilien, Argentinien und Paraguay boomt. Während sich die Regierungen über klingelnde Steuerkassen freuen, kämpfen aber viele Kleinbauern, Indigene und Frauen in den Provinzen ums wirtschaftliche Überleben. Denn der SojaAnbau bedroht ihren Lebensraum, Unkrautvertilgungsmittel belasten die Umwelt, und grosse Agrarunternehmen – darunter auch solche aus der Schweiz – verdrängen die Menschen aus ihren Gebieten. Gewalt, Vertreibungen, Enteignungen und Krankheiten werden zum Alltag. Politik, Polizei und Jus­ tiz halten dabei meist zu den einflussreichen Unternehmen und Grossgrundbesitzern. Der weltweite Tierbestand ist der gröss­te Zerstörungsfaktor von Biodiversität und Wäldern. Die Viehwirtschaft trägt weniger als 1,5 Prozent zur globalen Wirtschaftsleistung bei, jedoch 18 Prozent zur weltweiten Treib­hausgasemission und ist damit mitverantwortlich für den Klimawandel. Weniger Fleisch bringts Was tun dagegen? Lösungsansätze präsentieren der Weltagrarbericht «Livestock in a Changing Landscape»: Notwendig ist die

Verbreitung vorhandener Techniken nachhaltiger Landnutzung, die vor allem den Armen zugutekommen. Zugleich sollte die Produktivität dieser umweltgerechten Praktiken weiter verbessert und kleinbäuerliche Strukturen müssen gestärkt werden. Die Herausforderungen in den verschiedenen Regionen bleiben jedoch gross. Als Konsumierende können wir unseren Fleischverzehr massiv reduzieren.

Die Nachfrage nach Fleisch ist weltweit in den vergangenen Jahren um den Faktor drei gestiegen. In Zahlen heisst das:

Produktion Pro Jahr

115  454  000

Tonnen Schweinefleisch

86  772  000

Tonnen Hühnerfleisch

61  881  000

Tonnen Rindfleisch

14  038  000

Tonnen Lammfleisch

18

Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen

1,5 Prozent der globalen Wirtschafts-

leistung

Verbrauch

928  215 Milliarden Liter Wasser allein für das Rindfleisch

30

Prozent der globalen Landfläche für die Tierhaltung Quelle: FAO und eigene Berechnungen

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Wer trägt die sozialen Kosten Grosser Fleischkonsum in der Schweiz bedeutet auch eine steigende Produktion von Futtermitteln = Soja

Industrialisierte Sojaproduktion •    Fordert grossen Kapitaleinsatz, den Kleinbetriebe nicht aufbringen können

•    Profiteure des Sojabooms  benutzen illegale Mittel, um an neues Land zu kommen

•    Arbeitslosigkeit und Migration

•    Verletzung der Landrechte  •    Vertreibungen, Gewalt

Bauernfamilien und Indigene verlieren ihre Lebensgrundlage

Leben in Armut

Leben in Armut

Arbeitslosigkeit und Migration

Profiteure des Sojabooms

Der mechanisierte Soja-Anbau braucht weniger Arbeitskräfte. Viele Bauern verkaufen ihr Land und migrieren in die Städte, wo sie in «Villas Miserias» und «Favelas», den grossen Armenvierteln, landen.

Die Profite aus den Sojamonokulturen fliessen in die Taschen von Saatgut- und Pflanzenschutzmittelproduzenten, Grossgrundbesitzern, Regierungen, Exportfirmen, Futtermittelproduzenten, Viehzüchtern und der Fleischindustrie.

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unseres Fleischkonsums? In den lateinamerikanischen Ländern Brasilien, Argentinien und Paraguay hat die massive Ausweitung des Soja-Anbaus, der für den Export bestimmt ist, katastrophale Auswirkungen auf ländliche Gemeinden und ihre Lebensweise. Er verdrängt den Gemüseanbau und trägt damit zur Erhöhung der Lebensmittelpreise bei. Der Soja-Anbau treibt die Abholzung voran, verursacht Verschmutzung der umliegenden Siedlungen durch Pestizide und Industrieabfälle und führt im Kampf um Land zu Tötungsdelikten und Gewaltandrohungen.

verbraucht immer mehr Land •    Fordert einen hohen Preis für die Umwelt: – vergiftete Flüsse – überdüngte Böden – Erosion – Abholzung des Regenwaldes

•    Sojaproduktion für den Export verdrängt Nahrungsmittelanbau für Inlandproduktion

•   Hunger und Krankheiten

•    Steigende Lebensmittelpreise •    Mehr Import

Leben in Armut

Vertreibung der Landbevölkerung Als Folge von steigendem Landwert und der zögerlichen Regelung der Besitzverhältnisse riskieren die Kleinbauernfamilien Zwangsräumungen, Brandstiftungen und bewaffnete Angriffe.

Steigende Armut

Hunger und Krankheiten Der massive Pestizideinsatz verursacht Krebs und führt zu Missbildungen bei Neugeborenen. Die vergifteten Böden und Flüsse verschärfen das Problem der Unterernährung in indigenen Gebieten.

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Die Frauen des Südens bezahlen das Futter für unsere Nutztiere Die Kleinbauernfamilien werden vom lukra­ tiven Sojaboom ausgeschlossen, weil sie sich den Marktzugang finanziell nicht leisten können. Die Ernährungssouveränität steht in Gefahr; besonders betroffen sind die Frauen. Die Industrialisierung der Landwirtschaft hat die Beschädigung der Ökosysteme dramatisch beschleunigt, die Lebensbedingungen der ländlichen Bevölkerung dras­ tisch verschlimmert und damit die Migration der Menschen aus kleinbäuerlichen Strukturen vorangetrieben. Eine ernsthafte Folge davon ist die Bedrohung der Ernährungssouveränität. Lebensmittel werden knapper und teurer Weil vermehrt Futter für Tiere statt Nahrungsmittel für Menschen angebaut wird, steigen die Nahrungsmittelpreise: Soja verdrängt Gemüse, Kartoffeln, Maniok und Reis. Diese Grundnahrungsmittel werden knapper und damit teurer. Ein effek­tiver Mangel an Nahrungsmitteln besteht zwar nicht. Aber für Menschen, die mit ihrem Einkommen nur gerade knapp über die Runden kommen, sind steigende Lebensmittelpreise eine Existenzbedrohung. 8

Die Agroindustrie zerstört das Einkommen der Frauen Den höchsten Preis für diese Entwicklungen zahlen die Frauen. In Lateinamerika ist der Anteil an Frauen in der tradi­tionellen Landwirtschaft sehr hoch – die Selbstversorgung wird hauptsächlich durch Frauen gesichert. Der Einsatz von Maschinen, Chemie und Hochleistungssorten bei der Produktion von Soja oder Gross­vieh verdrängt die Frauen von ihrem Arbeitsplatz. Denn die Agroindustrie ist eine klassische Do­ mäne männlicher Entscheidungsgewalten. Dazu kommt, dass das Recht der Frauen auf eigenen Besitz an Grund und Boden, Wasserrechten, Tieren, Maschinen und anderen essenziellen Ressourcen nach wie vor beschränkt ist – genauso wie der Zugang zu Information, Organisationen und politischer Mitentscheidung. Nötig ist eine Umstellung auf eine multifunktionale Landwirtschaft, die den Erhalt und die Erneuerung von Wasser, Böden, Wäldern und der Artenvielfalt in den Mittelpunkt rückt und damit die Lebensgrundlagen der Menschen nicht zerstört.


80 Prozent der Rindfleischproduktion in Brasilien sind f端r den Export bestimmt. 90 Prozent des Exports werden von 3 Firmen kontrolliert.

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1 % der Brasilianer besitzt 48 % des Landes João Pedro Stedile ist Ökonom und Mitglied der nationalen Leitung der Landlosenbewegung (MST) in Brasilien, die der internationalen Bewegung von Kleinbauern Via Campesina angeschlossen ist. Im Interview erklärt er, warum Sojamonokulturen und Rinderfarmen die Landkonflikte in Brasilien verschärfen. João Pedro Stedile, was hat das Steak auf unserem Teller mit den Landkonflikten in Brasilien zu tun? 80 Prozent der Rindfleischproduktion in Brasilien sind für den Export bestimmt. 90 Prozent des Exports werden von drei Firmen kontrolliert. Ein Prozent der Bevölkerung besitzt 48 Prozent des gesamten Landes in Brasilien. Das ist, als würde Europa nur 15 000 Personen gehören – ein enormes Ungleichgewicht zwischen Reich und Arm. Das ist äusserst problematisch. Tut die Regierung etwas gegen dieses Ungleichgewicht? Nein. Wir haben heute 4,5 Millionen Landlose, einige davon besetzen Grossgrund­ besitze und wollen so politischen Druck erzeugen. Aber sie kommen nicht voran. Denn sie werden einfach verjagt – die Justiz hilft meistens den Grossgrundbesitzern. 10

Neueste Berichte sprechen von einer Zunahme der Gewalt gegenüber Landarbeitenden. Was sind die Gründe dafür? Gravierend ist vor allem das Problem der Straffreiheit. Grund dafür ist, dass die Grossgrundbesitzer die Justiz kontrollieren, weil sie auch familiär mit Leuten aus der Justiz verbandelt sind. Seit 1985 wurden mehr als 1600 Aktivisten und Arbeiter ermordet. Nur gerade 80 Fälle wurden von der Justiz verfolgt. Bei lediglich 30 Fällen kam es zur Verurteilung, 15 landeten im Gefängnis. Das zeigt: Die Grossgrundbesitzer geniessen Straffreiheit, selbst wenn es um Mord geht. Was machen die Menschen, die kein Land besitzen und sich nicht der kämpferischen Landlosenbewegung anschliessen? Sie arbeiten als Tagelöhner, als Kumpel im Bergbau, als Pächter oder schuften unter miserablen Bedingungen auf den Lände­ reien von anderen. Viele migrieren in die Städte und enden da in den Armenvierteln. Wodurch kann dieser Prozess, der in die Armut führt, bekämpft werden? Es braucht eine Agrarreform, damit die Bauern und ihr Umfeld auf dem Land bleiben.


Warum kommt die Agrarreform in Brasilien nicht voran? Weil eine Allianz zwischen den Grossgrundbesitzern und den transnationalen Konzernen dies verhindert. Die Grossgrundbesitzer setzen landwirtschaftliche Maschinen und Schädlingsbekämpfungsmittel ein, deren Einsatz von transnationalen Konzernen gefördert wird. Dieselben Konzerne sind gleichzeitig Abnehmer der landwirtschaftlichen Produkte, sie kontrollieren den globalen Markt. 80 Prozent des brasilianischen Landes werden für die Produktion von Soja, Rohzucker, Mais und die extensive Viehzucht genutzt. Das meiste davon wird exportiert. Folglich werden 80 Prozent des Landes von Konzernen wie Monsanto, Dreyfuss oder Cargill be-

Forderungen der Landlosenbewegung MST Der Grossgrundbesitz wird verteilt. Gleichzeitig entsteht eine kleine Agroindustrie in Kooperativenform. Die Schulen aller Bildungsebenen werden aufs Land gebracht, wo neue, auf der Agrarökologie basierende Technologien der landwirtschaftlichen Produktion angewendet werden. Damit werden die einheimischen Sorten respektiert, keine Pflanzenschutzmittel eingesetzt und die bäuerliche Kultur wertgeschätzt.

herrscht. Auch Saatgutproduzenten wie Bayer, BASF oder Syngenta machen in Brasilien fette Gewinne.

Die Hälfte des in die Schweiz importierten Sojas muss folgendes Kriterium erfüllen: «Das Landnutzungsrecht des Erzeugers muss klar geregelt sein. Dies muss aus Besitzurkunden oder Nutzungsrechtsunterlagen eindeutig hervorgehen.» Was halten Sie davon? Nicht viel. Fast alle Grossgrundbesitzer haben Besitzurkunden. Oft nutzen sie jedoch die doppelte Fläche.

João Pedro Stedile kämpft für eine gerechte Landverteilung. Foto: zvg

Welchen Beitrag können wir Schweizer leis­t en, um die Landkonflikte und somit die Armut in Brasilien zu verringern? Weniger Fleisch- und Sojaimporte können dazu beitragen, dass sich die Landkonflikte und die Umweltzerstörungen bei uns nicht noch mehr verschärfen. Denn ein Grossteil des brasilianischen Fleisches und des Sojas wird nur für die Gewinne von internatio­ nalen Konzernen produziert. Wir von der Via Campesina verteidigen das Prinzip der Ernährungssouveränität. Das heisst: Jedes Volk sollte eine Politik verfolgen, bei der die eigenen Lebensmittel vor Ort produziert werden. F l e i s c h _ w e n i g e r i s t m e h r __ 1 1


«Das Kapital der Bauernfamilien ist ihr Land» Javiera Rulli, Biologin und Aktivistin in Lateinamerika, erzählt von ihrer Forschung, über die Auswirkungen der Sojamonokulturen und vom Kampf der Landlosen und Kleinbauern gegen Landraub. «Sojamonokulturen zerstören die Landwirtschaft Argentiniens», sagt die Biologin, Javiera Rulli. Seit Jahren erforscht die Wissenschaftlerin die Auswirkungen des SojaAnbaus und setzt sich für die betroffene Bevölkerung in Argentinien und Paraguay ein. «Das Kapital der Bauernfamilien ist ihr Land. Wird das zerstört, haben sie nichts mehr», folgert sie. Die Menschen in den Gemeinden, die sie besucht, büssen 60 Prozent ihrer Ernte ein, ernten deformierte Nahrungsmittel und müssen ihre missgebildeten Kälber und Schweine töten. Schuld daran seien die Pflanzenschutzmittel, die auf den umliegenden Sojafeldern ange­ wendet werden. «Kurz vor der Soja-Ernte kommt der Totschläger zum Einsatz: Paraquat», weiss die Biologin. Das Herbizid wird vom Schweizer Konzern Syngenta hergestellt und ist in Europa längst verboten. Pflanzenschutzmittel schädigen auch die Gesundheit der Menschen: Kopfschmerzen, Durchfall, Brechreize gehören zu den 12

Javiera Rulli kämpft gegen den verantwortungslosen Anbau von Soja. Foto: zvg

Folgen – doch Frauen klagen auch über ungewollte Schwangerschaftsabbrüche und Krebsfälle. «Weil sie nicht wissen, an wen sie sich wenden können, rufen sie uns an», sagt Rulli. Oft bleibe den Betroffenen nichts anderes übrig als der Verkauf des Landes an die Soja-Industrie und die Abwanderung in die Stadt. Auch in Paraguay werden Bauernsiedlungen von Sojafeldern eingekesselt. 2006 kam es in Tekojoja zu Krawallen zwischen der Polizei und den landlosen Familien, die von Sojaprodu­zenten illegal erworbenes Land besetzten. «Zwei landlose Bauern wurden umgebracht, die Hütten der 70 Familien niedergebrannt, die Kinder aus den Schulen gezerrt und in Kastenwagen abtransportiert.» Weil es einen Medienskandal gab, bekamen die Familien ihr Land zurück. «Die beiden Morde wurden jedoch nie geahndet», so Rulli.


Vertrieben und vertröstet: Die Guaraní in Brasilien

Vergiftete Bio-Felder

Das Leben des Guaraní-Kaiowa-Volkes im brasilianischen Staat Mato Grosso do Sul hat im Verlauf der letzten Jahre mit der Aberkennung von Landrechten dramatische Züge angenommen. Auf dem Land von deren Urahnen züchten Grossgrundbesitzer nun Rinder; Sojamonokulturen und Zuckerrohrplantagen breiten sich aus. Für die Guaraní bleibt nicht mehr viel Land übrig. Die bei Monokulturen eingesetzten Pestizide kontaminieren die Böden, das Wasser und die Fische und zerstören somit die Lebensgrundlagen der Menschen. Die Verzögerungen bei der Übergabe des Landes von den LandbesitzerInnen an die indigenen Gemeinden führen dazu, dass die Guaraní nun Stück für Stück ihr Land wiederbesetzen, dabei aber Einschüchterungen und Zwangsräumungen erdulden müssen. 35 Familien, die letztes Jahr aus der Gemeinde Laranjeira Ñanderu vertrieben wurden, leben deshalb zurzeit am Rande einer Schnellstrasse unter prekären Bedingungen ohne Nahrung, fliessendes Wasser und hinreichende Unterkunft.

Im südbrasilianischen Capanema verzichtet eine Gruppe von Kleinbauern seit Jahrzehnten auf den Einsatz von Pestiziden, unter anderem wegen Todesfällen durch Vergiftungen. In der diesjährigen Sojaernte der BioBauern fanden sich nun trotzdem Spu­ren des Pestizids Endosulfan. Der giftige Stoff ist in Europa seit Jahren verboten. Denn Endosulfan baut sich in der Natur nur sehr langsam ab und wird über weite Strecken transportiert. Die Bio-Kontrollstellen und beigezogene Experten bestätigen, dass das Pestizid über die Umwelt und nicht wegen Fehlern der brasilianischen Bauern in die biologischen Pflanzungen gelangt ist. Dennoch kann die Schweizer Firma Gebana, welche mit den Kleinbauern zusammenarbeitet, das Soja voraussichtlich nicht mehr als Bio-Ware verkaufen. Dabei haben weder Bauern noch Gebana Schuld an der Kontaminierung, noch hatten sie die Möglichkeit, ihre Kulturen davor zu schützen.

Notdürftige Unterkunft nach Zwangsräumung.

Pestizide landen auf benachbarten Biofeldern.

Foto: Keystone

Foto: Gebana

Adrian Wiedmer, Gebana

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In Argentinien werden pro Jahr 150 Millionen Liter des Herbizids Glyphosat auf die Sojafelder gespritzt. Nur 1 Prozent des Giftes erreicht die Pflanze, der rest endet im Boden und im Wasser.

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Gefährden Schweizer Hühner das Klima? Marianne Künzle, Landwirtschaftskam-

Herr und Frau Schweizer kaufen gerne ihr zartes Stück Schweizer Fleisch. Die Werbung zeigt glücklich sich suhlende Schweine, freilaufende Hühner und friedlich weidende Kühe auf saftig grünen Wiesen. Doch die Werbe-Idylle ist trügerisch, denn Brasilien leidet unter unserem Fleischkonsum.

pagne, Greenpeace Schweiz

Schweizer Fleisch hat mehr als eine Kehrseite: Die überhöhte Produktion von tierischen Lebensmitteln in der Schweiz stört den ökologischen Kreislauf und führt zu überdüngten Böden, weniger artenreichen Wiesen, schlechterer Grundwasserqualität und zunehmenden Treibhausgasemissionen. Doch damit nicht genug: Unsere Schweizer Schweinsplätzli oder Pouletflügeli stammen von Tieren, die mit immer mehr ausländischem Futter gemästet werden. Zunehmend auch mit Soja, dessen Anbau für die Abholzung des AmazonasRegenwaldes in Brasilien mitverantwortlich ist. Soja-Import hat verheerende Folgen Wer bedenkt, welche ökologischen und sozialen Auswirkungen die heimische Fleisch-

produktion im Ausland verursacht, dem vergeht der Appetit. Denn Sojafelder sind meist riesige Monokulturen und werden so zu eigentlichen Sojawüsten. Mittlerweile grenzen sie nicht mehr nur an den Amazonas, sondern sind auch schon in den Regenwald vorgedrungen. Über 70 000 Qua­ dratkilometer Regenwald – der wichtigste CO2-Speicher sowie Lebensraum von Menschen und Tieren – fielen dem Sojageschäft seit 2003 zum Opfer. Ein Moratorium für den Soja-Anbau verschafft dem Regenwald zwar eine Atempause, doch die Prognosen

Sojaproduktion in Brasilien bedeutet: Vernichtung der Artenvielfalt durch Monokulturen in vormaligen Naturlandschaften erhöhten Pestizid- und Düngereinsatz Erosion und unfruchtbare Böden vergiftete Flusssysteme Profit für wenige Grossunternehmen

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sind düster: Ändern sich die Ernährungs­ gewohnheiten nicht, verdoppelt sich der weltweite Fleischkonsum bis 2050. All diese Nutztiere müssen gemästet werden – vor allem mit Soja. Brasilien ist der grösste Sojaproduzent der Welt. Fleischkonsum beschleunigt den Klimawandel Wissenschaftler bezeichnen den Amazonas-Regenwald als die Klimaanlage unserer Erde. Der Regenwald gibt jährlich rund sieben Billionen Tonnen Wasser in die Atmosphäre ab und reguliert so nicht nur das Klima in Südamerika, sondern weltweit. Auch werden riesige Mengen Kohlenstoff im Amazonas gespeichert, die sonst in die Atmosphäre entweichen würden. Die Zerstörung des Regenwaldes schadet dem Klima daher gleich mehrfach. Mit der Waldrodung wird nicht nur die Weltklimaanlage zerstört, die Rodung durch Brände verursacht zudem die Emission grosser Mengen des Klimagases CO2. Laut Zahlen der brasilianischen Regierung ist die Waldrodung für 75 Prozent des Treibhausgasausstosses des Landes verantwortlich. Der grösste Anteil gerodeter Flächen geht dabei auf das Konto der Rinderwirtschaft für die Fleisch- und Lederproduktion. Wenn Rinder auf den ehemaligen Waldflächen nicht mehr gehalten werden können, werden die Flächen oft für den Anbau von Soja benutzt. Biodiversität geht verloren Brasilianische Sojafelder sind meistens riesige Monokulturen – mit verheerenden Folgen für die Biodiversität. Denn auf solchen Flächen gibt es keinen Lebensraum für Vögel und andere Lebewesen. Die einzigartige Vielfalt von Pflanzen und Tieren wird durch Soja ersetzt. Wo vorher grüner Wald gestanden ist, gibt es jetzt grüne Agrarwüsten. 16

Schutzreservate schützen nicht vor Umweltverschmutzung Auch indigene Gemeinschaften, die ihre Gebietsansprüche durchgesetzt haben und eigentlich unbehelligt ihr Leben sollten leben können, bleiben nicht von den Auswirkungen der Sojalandwirtschaft verschont. So kämpfen die Indianer des Xingu-Parks im Süden des Amazonas gegen die Vergiftung ihrer Fische und ihres Wassers. Zwar steht der Xingu-Park unter Schutz, doch das Flussbecken des Rio Xingu, das sich über fast 180 000 Quadratkilometer erstreckt, ist von Sojafeldern umzingelt und verwandelt sich langsam in ein Abwasserbecken. Der grösste Teil des Xingu-Flusses liegt innerhalb des 2 642 000 Hektar grossen XinguIndigenen-Reservats. Im Reservat leben 14 verschiedene ethnische Gruppen mit fast 6000 Mitgliedern. Ausserhalb des Reservats wird der Wald grossflächig für die Rinder- und Sojaproduktion abgeholzt. Das beeinträchtigt die Quellen und Zuflüsse des Xingu-Flusses ausserhalb des Parks stark. Agrochemikalien fliessen von den Feldern in das Gebiet und vergiften Flüsse und Fische. Ohne den Schatten der Bäume trocknen manche Quellen zeitweise sogar ganz aus.

Höchstleistung im Pestizidverbrauch Brasilien ist der weltweit grösste Verbraucher von Pestiziden. 733 Millionen Tonnen giftige Spritzmittel wurden 2008 versprüht, ein Viertel mehr als im Vorjahr. Der grösste Anteil von Pestiziden wird in Sojakulturen eingesetzt. Der Anbau von Soja in Kombination mit dem Einsatz von Chemie führt schnell zur Auslaugung der Böden. Einmal ausgelaugt, verlassen die Farmer diese Flächen und übernehmen Weiden, wo vorher Regenwald gestanden ist. Oder sie roden gar weitere Flächen für neue Sojafelder.


Wie aus einem Soja-Patent ein Salami-Patent wird 59 Prozent des weltweit produzierten Sojas sind genmanipuliert. Erhöhter Pestizidverbrauch mit all seinen negativen Konsequenzen sowie die Beherrschung des Marktes durch wenige Agrokonzerne sind der hohe Preis, den die Gesellschaft dafür bezahlt. Und das ist nur der Anfang des Übels.

François Meienberg, EvB

Die Schweine und Hühner, die wir verzehren, werden meist mit Soja gefüttert (siehe Einleitung). Soja wiederum ist die weltweit am meisten verbreitete Gentechpflanze, sie macht 53 Prozent aller Gentechpflanzen aus. Die grössten Sojaproduzenten, die USA, Argentinien und Brasilien, welche zusammen für 81 Prozent der weltweiten Sojaproduktion verantwortlich zeichnen, vertrauen fast ausschliesslich auf Gentechsoja. In den USA beträgt der Anteil von Gentech­ soja 85, in Argentinien 98 und in Brasilien 64 Prozent. Weltweit werden 59 Prozent des Sojas mit Gentechpflanzen produziert. Der Weg in die Sackgasse All diese Gentechpflanzen sind resistent gegen das Unkrautvertilgungsmittel Glyphosat. Das bedeutet, dass die Pflanzen ohne Schaden mit dem Herbizid bespritzt wer-

den können, während alle Unkräuter auf dem Feld vernichtet werden. Dies führt zu einer extremen und einseitigen Verwendung von Glyphosat, welches von Monsanto unter dem Markennamen Round-Up und von Syngenta unter dem Markennamen Touchdown vertrieben wird. Allein in Argentinien werden pro Jahr 150 Millionen Liter dieses Gifts auf die Felder gespritzt. Dies geschieht in den grossen Monokulturen oftmals per Flugzeug. Dabei erreicht nur ein Prozent des Giftes die Pflanze, der Rest endet im Boden und im Wasser. Auch gefährlich für die Menschen Neue Studien zeigen, dass dieser extreme Einsatz von Glyphosat grosse Gefahren für Natur und Mensch birgt. Laut einer Studie von Gilles-Eric Seralini, Professor an der Universität von Caen (Frankreich), sind auf dem Wirkstoff Glyphosat basierende Herbizide bereits bei sehr niedrigen Konzentrationen für menschliche Zellen toxisch. In den USA sind Gentechlebensmittel zum Verkauf zugelassen, die den achthundertfachen Wert der Rückstände aufweisen, die Seralini als toxisch bezeichnet. Ebenfalls letztes Jahr publizierte Andreas Carrasco von der Universität in Bue­nos Aires F l e i s c h _ w e n i g e r i s t m e h r __ 1 7


eine Studie, die belegt, dass bereits sehr kleine Dosen Missbildungen bei Amphibien hervorrufen. Die Gefahr für den Menschen wird durch epidemiologische Untersuchungen aus Argentinien bekräftigt, bei welchen in mit Glyphosat besprühten Gebieten deutlich erhöhte Geburtsschäden und Krebsraten gefunden wurden. Das dicke Geschäft mit dem Gift Ein weiteres Resultat der masslosen Anwendung ist die zunehmende Resistenz von Unkräutern gegen Glyphosat. Weil zunehmend mehr Unkräuter gegen Glyphosat immun werden, müssen die Bauern vermehrt auch weitere Herbizide einsetzen. Dies führte zu einem starken Wachstum des Herbizidverkaufs in den USA. Seit der Einführung von herbizidresistenten Pflanzen 1996 wurden bis 2008 in den USA 173 Millionen Kilogramm mehr Herbizide versprüht. 46 Prozent des Wachstums fand dabei allein in den Jahren 2007 und 2008 statt. Das Abartige an dieser Entwicklung ist, dass die Verursacher des Problems, Firmen wie Syngenta und Monsanto, nun auch bei der Bekämpfung des Problems ein gutes Geschäft machen. Um herbizidre­ sistente Pflanzen zu bekämpfen, werden viele Uraltmittel wie das hochgiftige Paraquat angeboten. Obwohl in der Schweiz und Europa wegen der hohen Toxizität verboten, preist Syngenta in Lateinamerika Paraquat als die Lösung des Problems an. Eine kurzsichtige Politik, wenn man mit der Lösung der selbstverursachten Probleme neue Probleme schafft. Gentechsoja dominiert den Markt Aufgrund von Patenten auf Pflanzen wird der Markt mit Gentechsoja von wenigen Firmen kontrolliert. Monsanto ist dabei mit Abstand die Nummer 1, Syngenta und DuPont spielen wichtige Nebenrollen. Wel18

che Macht sich aus Patenten auf Pflanzen ergibt, zeigt der Versuch von Monsanto, die Einfuhr von argentinischem Sojamehl nach Europa zu blockieren. Ende Juni 2005 klagte der US-Saatgutkonzern gegen europäische Soja-Importeure in den Niederlanden und in Dänemark und bezichtigte sie des illegalen Imports von gentechnisch verändertem Roundup-Ready-Soja aus Argentinien. Der Multi besitzt in Europa ein Patent auf das entsprechende Gen und pocht nun auf sein Recht, innerhalb der europäischen Grenzen über die Herstellung, die Benutzung, den Verkauf und den Import des patentierten Gens zu verfügen. Auf dem Rechtsweg fordert er von den angeklagten Soja-Importeuren entsprechende Entschädigungsgebühren – offensichtlich als Kompensation für den Ausfall von Gebühren im Exportland Argentinien, wo das Roundup-Ready-Saatgut nicht patentiert werden konnte. Monsanto will Salami patentieren Auf Länderebene wurden die Klagen abgewiesen, weil das patentierte Gen, welches die Herbizidresistenz bewirkt, im Sojamehl seine Funktion nicht mehr ausüben kann. Der Fall liegt nun beim Europäischen Gerichtshof. Gewinnt Monsanto, sind die Auswirkungen katastrophal. Mittels Patentrechten könnten sie den Handel mit Nahrungsmitteln kontrollieren und somit den eigenen Profit in die Höhe schrauben – und das selbst dann, wenn Monsanto den aktuellen Gerichtsfall verliert. Denn schon heute versucht der Konzern, sich mit neuen, weiterreichenden Patentansprüchen die Kontrolle des Marktes zu sichern. In einer aktuellen Anmeldung erklärt Monsanto das Fleisch von Schweinen, die mit ihren gentechnisch veränderten Pflanzen gefüttert wurden, zur patentierten Erfindung. So könnten schon bald Schnitzel und Salami patentiert sein.


Der Schweizer Hunger nach edlen Fleischstücken ist gross. Fast 60 Pro zent der Nachfrage nach Rinderfilet, EntrecÔte und Huft müssen durch Importe abgedeckt werden.

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Die Schweiz und «ihr» Fleisch Die Schweiz zeigt gerne stolz auf den hohen Selbstversorgungsgrad in der Fleischproduktion. Doch ohne Tausende von Tonnen importierten Sojas könnten wir unsere Tiere nicht füttern. Pro Tag essen wir durchschnittlich 145 Gramm Fleisch. Männer essen etwa doppelt so viel davon wie Frauen.

men mit Fett und Knochen im Schlachtabfall, der jährlich 250 000 Tonnen ausmacht. Seit der Einführung des Tiermehlfütterungsverbots im Jahr 2001 gibt es keinen Absatzmarkt mehr für tierische Abfälle. Die Entsorgung von Schlachtprodukten wurde deshalb zu einem teuren Problem.

Wir Schweizerinnen und Schweizer konsumieren jedes Jahr 53 Kilogramm Fleisch pro Kopf. Edelstücke wie Entrecôte und Filet mögen wir ganz besonders. Weniger populär sind Innereien, Haxen, Hals und Fleisch, das mehr Bindegewebe enthält. Deshalb wird rund die Hälfte der Rindsnierstücke aus dem Ausland importiert, vor allem aus Deutschland und Brasilien. Um die Nachfrage nach edlen Rindsstücken mit inländischer Produktion zu decken, wären im Jahr 2008 164 000 zusätzliche Rinder nötig gewesen – in der Schweiz wurden im selben Jahr 206 643 Rinder geschlachtet.

Elegant entsorgt 60 Prozent des in Europa verkauften Geflügelfleisches bestehen aus Schenkel und vor allem aus Brust. Das Pouletbrüstli macht aber nur gerade mal 15 Prozent eines lebendigen Huhns aus. Deshalb importiert die Schweiz die Hälfte ihres Pouletbedarfs aus der EU und Brasilien. Somit entstehen die teuer zu entsorgenden «Abfälle» nicht im eigenen Land. Die EU wiederum löst das Abfallproblem, indem sie unverkäufliches Fleisch als «geniessbare Abfälle» deklariert und zu Dumpingpreisen nach Westafrika exportiert. Denn für die Fleischwirtschaft ist jeder Preis im Ausland willkommen. Das moderne Konsumverhalten, das nach immer mehr Filets verlangt und dazu führt, dass zunehmend tierische Proteine in die Verbrennungsanlagen gelangen, ist kritisch zu hinterfragen.

Leber, Lunge und Herz sind kaum mehr gefragt Hierzulande gehen nur ein Drittel eines Schlachtrinds und etwa die Hälfte eines Schweins über den Ladentisch. Innereien sind kaum mehr gefragt. Sie landen zusam20


Der Fleischverbrauch in der Schweiz im Vergleich zu anderen Ländern

75,3 80,8

35,7 41,2

weltweit

Durchschnitt

Haiti

9,3 14,1

17,6 24,6

Guatemala

Argentinien

Brasilien

5,9 8,7

Gambia

Elfenbeinküste

13,7 13,0

19,5 22,3

Ägypten

2,9 3,1

Bangladesch

Afghanistan

4,7 5,1

Indien

Albanien

Japan

USA

Dänemark

15,7 13,6

38,2

VR China

40,9

35,2 38,9

Kroatien

27,6

43,6 45,4

59,5

57,7 65,7

Norwegen

Spanien

Deutschland

Schweiz

90,9 88,6

101,7 100,7

83,2 83,3

73,6 72,3

117,1 126,6

2005  in kg / Person /Jahr

101,9 107,9

1995

140 130 120 110 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0

Quelle: FAO, The State of Food and Agriculture, 2009

Fleischkonsum verdoppelt sich noch einmal Die Welternährungsorganisation der Uno prognostiziert, dass sich der Fleischkonsum bis ins Jahr 2050 auf 465 Mio. Tonnen verdoppeln wird. Trotz unterschiedlicher Wachstumsraten sind die weltweiten Unterschiede nach wie vor markant: In der Region der Sub-Sahara soll sich der Konsum von 11 auf 22 Kilo Fleisch pro Person und Jahr verdoppeln. In Europa und den USA ist die Steigerung zwar viel geringer, der Durchschnittskonsum da­für umso höher: Er steigt voraussichtlich von 83 auf 89 Kilo. Ein Viertel unseres Nahrungsmittelbudgets geht für Fleisch drauf Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges haben die Schweizerinnen und Schweizer angefangen, mehr Fleisch zu essen. Diese Entwicklung lief parallel mit der steigenden Kaufkraft. 1987 erreichte der Fleischkonsum seinen vorläufigen Höhepunkt: Der Pro-Kopf-Konsum

war fast doppelt so hoch wie in den Fünfzigerjahren. 2009 lag der jährliche Durchschnittskonsum laut Proviande bei 52,38 Kilo pro Person, insgesamt verzehrten wir 413 319 Tonnen Fleisch. Für Fleisch geben wir ungefähr einen Viertel unseres Nahrungsmittelbudgets aus. Einen Grossteil des Fleisches konsumieren wir ausser Haus – meistens Schweineund Rindfleisch. Zu Hause essen wir am liebs­ ten Würste und Charcuterie, aber auch Poulet- und Schweinefleisch.

Selbstversorgungsgrad ist Augenwischerei Laut Statistik liegt der Selbstversorgungsgrad für Fleisch in der Schweiz bei 76 Prozent. Das ist allerdings nur die halbe Wahrheit. Damit wir so viel Fleisch produzieren und essen können, importiert die Schweiz nämlich jährlich 250 000 Tonnen Soja zu Futterzwecken. Würde die Schweiz dieses Futtermittel selber produzieren, müsste sie die bestehende Ackerfläche verdoppeln.

F l e i s c h _ w e n i g e r i s t m e h r __ 2 1


Es gibt viel zu tun Der Ehrgeiz, immer grössere Mengen immer effizienter zu produzieren und damit steigende Gewinne aus der Fleisch- und Futterproduktion zu erzielen, hat zu einer notorischen Übernutzung der natürlichen Lebens­ grundlagen geführt. Zahlreiche Völker und Stämme werden dafür ihrer traditionellen Lebensweise und ihres Wissens beraubt. Gefordert sind deshalb konkrete Schritte von Seiten der Politik und von Seiten der profitierenden Konzerne. Auch die Wissenschaft muss stärkere Anstrengungen unternehmen und Modelle für eine nachhaltigere Fleischproduktion entwickeln. Vor allem aber braucht es den Druck der Konsumentinnen und Konsumenten, denn diese generieren die Nachfrage für Fleisch. Im Welt­agrarbericht wird ein afrikanisches Sprichwort zitiert, das uns motivieren kann: «Wenn viele kleine Leute an vielen kleinen Orten viele kleine Dinge tun, werden sie die Welt verändern.»

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Deshalb hier ein paar Konsum-Tipps:

• weniger

Fleisch essen Fleisch, dann bio • wenn Fleisch, dann nicht nur die Filetstücke • saisonales Obst und Gemüse bevorzugen • den Konsum von Käse, Milch und Butter einschränken • vermehrt selber kochen • beim Kochen die Fleischration halbieren, Gericht mit Gemüse aufwerten • Menüs kochen, die mit wenig Fleisch aufgepeppt werden • sich schlaumachen in der raffinierten Vegi-Küche • ganze oder halbe Tiere kaufen und vollständig verwerten • wieder einmal Kutteln kochen • Freunde einladen und ein feines VegiMenü kochen • wenn


Rezept

Karotten-Pflaumen-Tagine Zutaten für 4 Portionen

asser ist 6 Karotten, geschält TIPP Rosenw er od n ke he 3 EL Öl in Apot d in türki 2 Zwiebeln, gehackt Drogerien un finden. zu 1 ½ Knoblauch, gepresst schen Läden ½ Ingwer, gemahlen 1 TL Safranfäden ½ TL schwarzer Pfeffer, gemahlen ½ TL Zimt, gemahlen ½ TL Koriander, gemahlen ½ TL Jeera (Kreuzkümmel), gemahlen 1 TL Meersalz 1 EL Honig 1 l Gemüsebouillon 50 g ganze Mandeln, geschält 1 EL Rosenwasser 150 g getrocknete Pflaumen, entsteint und halbiert Meersalz, Pfeffer aus der Mühle

Die Karotten schräg in 5 mm dicke Scheiben schneiden. Das Öl in einer hohen Pfanne erhitzen. Zwiebeln dazugeben und glasig dünsten. Die Hitze reduzieren, Knoblauch, Gewürze, Salz und Honig dazugeben. Karotten hinzufügen und alles gut mischen, mit Bouillon ablöschen und die Karotten knapp weichkochen. Mandeln, Rosenwasser und Pflaumen dazugeben, nochmals alles vors Kochen bringen, mit Salz und Pfeffer abschmecken.

Rezept zur Verfügung gestellt von Rolf Hiltl

Anrichten, mit ganzen geschälten Mandeln bestreuen und mit Couscous servieren.

Aus dem Kochbuch: Hiltl. Vegetarisch. Die Welt zu Gast. Orell Füssli Verlag. 2. Auflage 2010 Foto: zvg

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FLEISCH weniger ist mehr

Fleisch stammt von Tieren. Tiere brauchen Futter. Futter verbraucht Land, auf dem es angebaut wird. In der Schweiz gibt es nicht genug davon. Deshalb importieren wir das Futter in Form von Soja aus Brasilien. Dort bringt der Anbau von Soja für den Export dem Staat viel Geld ein. Auch transnationale Exportfirmen und Saatgutproduzenten profitieren. Der Anbau von Gemüse und Kartoffeln wird von der Sojaproduktion abgelöst. Die Nahrungsmittelpreise steigen. Die arme Landbevölkerung wird noch ärmer und wird von ihrem Land vertrieben. Land, Wasser und Wald werden durch den hohen Pestizideinsatz ver­giftet, den Sojamonokulturen benötigen. Die Lebensgrund­lagen der lokalen Bevölkerung werden zerstört.

Unser Fleischkonsum muss eingeschränkt werden: Wir dürfen unsere Grillpartys nicht länger auf Kosten der Bevölkerung im Süden feiern.


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