Engadin - larschs mellans e tschêl blov

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Engadin

Larschs mellans e tschêl blov

Editorial

Indian Summer heisst die schönste Jahreszeit in Kanada und Teilen der USA. Sie zieht Wanderer und Biker magisch an. So weit fliegen muss man nicht. Goldgelbe Lärchen und blauen Himmel gibts auch im Engadin. «Larschs mellans e tschêl blov», sagen die Einheimischen. Unsere Herbstemp fehlungen: eine Fahrt mit Kapitän Luca Crosta und Matrosin Francesca Giani über den Silsersee – auf 1800 Metern die höchstgelegene Kursschifflinie Europas. Oder eine Wanderung mit «Kronenhof»Direktor Claudio Laager ins Val Bever, Wildtierbeobachtung in der Abenddämmerung inbegriffen. Der Hotelier: «Diese Erlebnisse sind mehr als nur Sightseeing. Sie sind eine Chance, sich wieder mit der freien Natur zu verbinden.» Die fantastischen Bilder des Silser Fotografen Gian Giovanoli sagen mehr als tausend Worte. Weitere Tipps für goldene Tage im Engadin: die besten Restaurants und Hütten entlang der 580 Kilometer Wanderwege. Sechs begabte Wildköche im Tal. Fünf Tipps für Wellness und Sauna an kalten Tagen. Im Luxus-Spa. Im Hamam. In der «Schwabensauna». Im Mineralbad. Und im Dorfbrunnen.

Viel Spass mit unserem Magazin Engadin! Urs Heller, Leiter Lifestyle-Zeitschriften

Inhalt

6 Warm-up Wo der Innradweg auf Trailrunning und Gazosa trifft

12 Silsersee ahoi! Generationenwechsel auf dem höchstgelegenen Kursschiff Europas

18 Entspannen Bäder und Saunen für müde Muskeln

20 Trailrunnerin Eli Müller ist die Tourismuschefin im Bergell

26 Deep Health Professorin Claudia Witt erklärt den neuen Trend

28 Daniel Bosshard Der Gemeindepräsident von Silvaplana gibt Vollgas

Fotos: Véronique
Hoegger (2), Gian Giovanoli (1)

34 Entdecken Zehn Wanderungen mit Hotels für die Erholung danach

38 Nora Engels Holzbildhauerin mit internationalem Erfolg

42 Kulinarik

Das Engadiner Bier hat ein neues Zuhause gefunden

44 Claudio Laager Der Hoteldirektor des «Kronenhofs» ist gern draussen

50 Das Interview Experte Felix Blumer über die Verfärbung der Lärchen

52 Kräuterexpertin

Madeleine Papst macht den Sommer haltbar

60 Geniessen Sechs Restaurants mit Wildspezialitäten im Herbst

62 Ziegentrekking Unterwegs mit Nicole Buess und den sieben Böcken

66 Mein Engadin

Barbara Bleischs Hommage ans Unterengadin

Engadin erscheint als Beilage der Schweizer Illustrierten Nr. 34 am 22. August 2025 Redaktion Schweizer Illustrierte, Flurstrasse 55, Postfach, 8021 Zürich, Tel. 058 269 26 26, info@schweizer-illustrierte.ch Konzept/Leiter Engadin Urs Heller Redaktionsleitung Manuela Enggist Grafikkonzept Kathrin Hefel Text Sarah van Berkel, Silvana Degonda, Jenny Keller Textchefin Bettina Bono Bildredaktion Susanne Märki (Leitung), Jana Liebi Korrektorat Barbara Siegrist Bildbearbeitung Ringier Redaktions-Services Verlag Ringier AG, Ringier Medien Schweiz, Brühlstrasse 5, 4800 Zofingen Vermarktung Ringier Advertising, Flurstrasse 55, Postfach, 8021 Zürich Anzeigenpreise und AGB www.ringier-advertising.ch Managing Director Thomas Passen Sales Director Luca Schena Sales Tanja Schwarz Director Media Services Print & Digital Sarah Näf

Warm-up Auf dem Velo durch die goldene Jahreszeit

Die Alpen fahrend erleben 520 Kilometer durch die Alpen: St. Moritz, Innsbruck, Passau. Das ist der Innradweg! Der Ausgangspunkt liegt im Passdorf Maloja. Umgeben von Bergen und Seen führt die Radreise durchs Engadin über Innsbruck bis Passau. Stets dem immer breiter werdenden Inn entlang. innradweg.com

Foto: Filip Zuan

Warm-up

Recycling à la francaise

Verspielt, modern, mutig und auffällig gemustert. So kann Recyclingmode aussehen! Mit ihrer nachhaltig produzierten, coolen Outdoorbekleidung sagt die französische Marke Picture Organic Clothing der Fast Fashion den Kampf an. Es wird unter anderem Bio-Baumwolle sowie recyceltes Polyester verwendet. transa.ch

Stylish

und federleicht

Maximale Kühlung garantiert! Egal, ob bei Trainingseinheiten in den Bergen, auf der Bahn oder bei Tempoläufen. Dieses Laufshirt besteht aus leichtem und atmungsaktivem Chill-Tec-Stoff. Die strapazierfähige Kunstfaser Polyester hat ausserdem feuchtigkeitsableitende und schnelltrocknende Eigenschaften. Ein Genuss für Sportlerinnen und Sportler. Der auffällige Allover-Print sorgt mit seinen reflektierenden Details für zusätzliche Sicherheit. odlo.com

Schweizer Innovation «Cloudultra Pro» heisst der Neue von On. Die Schweizer Sportbekleidungsmarke hat mit ihm einen innovativen TrailrunningSchuh kreiert. Dieser maximiert die Leistung von Athletinnen und Athleten bei Ultradistanz-Rennen, bietet verbesserte Laufökonomie, Energierückgabe und Komfort. on.com

Fotos: zVg (2), C. Hudry (1)

Warm-up

Bunte Erfrischung

«Citrun», «Rösa», «Ampa», «Amara» und «Uzun» heissen die fünf Sorten des «Staibock Gazosa». Die Etiketten sind mit Liebe gestaltet: Jede Geschmacksrichtung zeigt ein eigenes Sgraffito. Auf der gelben «Citrun»-Flasche beispielsweise prangt ein Steinbock. Als Sgraffito an Hauswänden schützt er die Bewohnerinnen und Bewohner vor Dämonen und Hexen – da diese Bockgeruch nicht mögen. Keine Angst: Das «Citrun» böckelt nicht im Geringsten. Es schmeckt herrlich zitronig. engadindrinks.ch

Mit Körper und Köpfchen

Hier sind Ausdauer und strategisches Geschick gefragt. Die Trail & Tarmac Pursuit startet am 3. Oktober. In Teams von zwei bis sechs Personen wird die Route (220 bis 250 Kilometer) von Zürich bis nach St. Moritz selbst geplant, sechs Checkpoints müssen erreicht werden! trailtarmacpursuit.com

Kursschiff Silsersee

Francesca Giani führt gemeinsam mit ihrem Verlobten
Luca Crosta die Schifffahrt auf dem Silsersee.

Verliebt in Sils

Francesca Giani und Luca

Crosta führen auf dem Silsersee die höchstgelegene Kursschifflinie Europas.

Eine Arbeit voller Philosophie.

Text Manuela Enggist Fotografie Véronique Hoegger

Der Blick der Menschen, die das elf Meter lange Motorschiff «Segl Maria» besteigen, wirkt meistens erstaunt. «Wo ist Franco?», fragen sie. Die Suche gilt Franco Giani, dem Mann, der 55 Jahre lang Kapitän auf dem Silsersee war. Luca Crosta, 40, der an diesem Sommertag am Steuer sitzt, lacht. Die Frau, die den Gästen beim Einsteigen geholfen hat, lacht ebenfalls und sagt: «Mein Vater hat frei. Heute ist Luca der Kapitän.» Es ist Francesca Giani, 33, die Tochter von Franco Giani. Gemeinsam mit ihrem Verlobten hat die Italienerin in diesem Jahr die Führung der Schifffahrt auf dem Silsersee übernommen. Mit einer raschen Bewegung löst sie die Leine vom Steg, und Luca Crosta dreht den Zündschlüssel um. Los geht die Fahrt mit dem höchstgelegenen Kursschiff von Europa auf etwa 1800 Metern über Meer. Rund 40 Minuten dauert die Tour nach Maloja, wobei die Orte Chastè, Plaun da Lej und Isola angefahren werden.

Während Luca Crosta das Schiff mit ruhiger Hand Richtung Maloja steuert, kassiert Francesca Giani das Geld für die Tickets ein. Sie ist Billetkontrolleurin und Matrosin in einem. Eigentlich das Gegenteil von dem, was sich die Italienerin für ihr Leben vorgestellt hatte. Ihr Vater führte die Schifffahrt im Oberengadin bereits in der dritten Generation. Es begann Ende des 19. Jahrhunderts mit Francescas Urgrossvater Luigi. Der Italiener kam nach Sils, um zu fischen, und entdeckte den Silsersee, der bereits in den Tourismus eingebettet war. Es gab Hotels, und es gab Touristinnen und Touristen. So hatte er die Idee, Gäste mit Ruderbooten über den Silsersee zu transportieren. «Seither gab es keinen Sommer mehr in Sils ohne unsere Familie», erzählt Francesca Giani.

Auch die Italienerin hat beinahe jeden Sommer im Oberengadin ver -

bracht, war schon als Kleinkind mit ihrem Vater auf dem See unterwegs. «Als junge Erwachsene habe ich mich dagegen gesträubt. Um Geld zu verdienen, half ich meinem Vater zwar immer wieder, aber ich war mit dieser Arbeit nicht wirklich happy.» Francesca wollte mehr sehen von der Welt und ging auf Reisen. Danach studierte sie Philosophie an der Universität in Mailand. Aller Abnablungsversuche zum Trotz: Die Sommer am Silsersee hatten sie geprägt, wie einst auch Friedrich Nietzsche.

Lange schien es, als wolle Franco Giani, heute 81 Jahre alt, gar nicht in Pension gehen. «Der See ist sein Leben. Mein Vater kennt alle Bewegungen des Wassers, jede Welle», sagt Francesca Giani. Doch das Alter hat auch ihn müde gemacht. Vor zwei, drei Jahren habe er seine Nachfolge regeln wollen. Ein pensionierter Kapitän aus dem Tessin hat zwar Interesse gezeigt –doch daraus war nichts geworden. Zur Überraschung aller war es sein Schwiegersohn in spe, der Interesse an der Aufgabe zeigte. Luca Crosta lernte Francesca Giani 2019 kennen. Dank dieser neuen Liebe entdeckte er das Oberengadin. Er war es auch, der seiner Freundin die Gegend auf eine neue Art und Weise schmackhaft machte. Francesca Giani: «Da ich jeden Sommer hier oben verbracht hatte, war mir irgendwann alles zu eng geworden.» Aber dank Luca und seiner Begeisterung habe sie sich nochmals neu in Sils und den See verliebt. «Heute gibt es für mich keinen schöneren Arbeitsort als den Silsersee.»

Während zwei Jahren wurde Luca Crosta von seinem Schwiegervater angelernt, im vergangenen Oktober erhielt er das Schifffahrtspatent. Obwohl auch er am Comersee aufgewachsen ist, habe er mit Booten nie etwas am Hut gehabt. «Die Idee ist langsam in mir gewachsen.» Er habe

sich nach einer Veränderung gesehnt und sich vom Silsersee und einer Arbeit draussen in der Natur angezogen gefühlt.

Freunde hätten ihn gewarnt: Täglich von Mitte Juni bis Oktober die immer gleiche Route fahren zu müssen, würde ihn bald langweilen. Der neue Kapitän lacht. «Dabei treffen wir auf dem Schiff Menschen aus aller Welt an. Kein Tag gleicht dem anderen, kein Gespräch ist das gleiche wie das andere. Für mich ist die Arbeit mit Gästen und Einheimischen ein Privileg.» Kürzlich sei ein Philologe für das Mittelalter auf dem Boot gewesen. Sie haben sich alle so gut verstanden, dass sie ihn noch am selben Abend zum Aperitivo in ihr Bootshaus einluden. Die einfache Unterkunft direkt am See ist im Sommer ihr Zuhause.

Für das Paar, das im Winter in Tremezzina am Comersee lebt, ist die Zeit im Engadin auch eine Auszeit von ihren anderen Berufen. Francesca unterrichtet an einer Schule in Como Philosophie und nimmt im Sommer jeweils frei. Luca ist als Kommunikationsmanager für eine Stiftung tätig. Als Kapitän arbeitet er in einem 20-Prozent-Pensum. «Beides zusammen kann manchmal schon stressig werden.» Da hilft es, dass auch der abtretende Kapitän Franco Giani noch ab und an am Steuer steht. Und ist das Wetter schlecht und sind die Winde stürmisch, erwartet Franco die beiden auch mal am Bootshaus, wenn sie abends anlegen. «Dann merken wir schon, dass er sich Sorgen macht und uns helfen möchte», sagt Luca. «Wir sind froh darum. Ich habe schliesslich noch lange nicht ausgelernt.»

Die «Segl Maria» legt in Maloja an. Die meisten Gäste, viele mit Wanderrucksäcken, verlassen das Schiff. Sie verabschieden sich. Manche sagen «Ciao Luca» und «Ciao Francesca», winken und rufen: «Bis bald!» sils.ch

«Es gibt keinen schöneren
Arbeitsort als den Silsersee»

Das Motorschiff «Segl Maria» umfasst 30 Plätze. Tickets können an Bord bei Francesca Giani gekauft werden.

Aufgewachsen ist Luca Crosta am Comersee. Seit dieser Saison ist der Italiener der neue Kapitän der «Segl Maria».

Kursschiff Silsersee

«Die Arbeit mit Gästen und Einheimischen ist ein Privileg»

Thermalbad und Sauna inmitten von Bergen

Text: Manuela Enggist
Fotos: Filip Zuan (2), Gian Andri Giovanoli, Lorenz Richard (1), Josef Molnar (1), zVg (1)
Die Sauna im Garten des Hotels Chesa Pool bietet Blick auf die Bergwelt im wilden Fextal.

Hotel Chesa Pool Naturnah

Das Kneippen, eine therapeutische Form der Hydrotherapie, wird im Hotel Chesa Pool in einer idyllischen und erholsamen Umgebung angeboten. Auf das Waten im kristallklaren Fexbach folgt das Aufwärmen in der «Schwabensauna» im Garten des Hotels. Der Wechsel zwischen kaltem Wasser und heisser Luft regt die Durchblutung an und verstärkt die therapeutische Wirkung. Kurz: Geist und Seele erwachen. chesapool.ch

Hotel Kronenhof Luxuriös

Mit über 2000 Quadratmetern verfügt der «Kronenhof» über einen der grössten und exklusivsten Spa-Bereiche im Engadin. Dazu gehören: ein Schwimmbad mit konstanten 29 Grad, Unterwassermusik und Gegenstromanlage, ein Kinderpool mit Rutschbahn, diverse Saunen, ein Dampfbad, eine Solegrotte, ein KneippFussweg und ein breites Angebot an Körperbehandlungen. kronenhof.com

Engadiner Brunnen Alternativ

Brunnen hatten schon immer eine zentrale Bedeutung für das Leben in Engadiner Dörfern. Ob als Treffpunkt, Viehtränke, Wasserlieferant oder noch bis 18. Oktober als Bad. Im historischen Dorfteil Scuol Sot lässt es sich im Mineralwasserbrunnen herrlich abtauchen. An bestimmten Tagen ist ein Teil des Brunnens gar beheizt. Mitbringen: Badetuch und warme Kleidung. Es gibt ein Umkleidezelt und kostenlose Getränke. engadin.com/engadinerbrunnenbad

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Mineralbad Samedan Heilend

Als erstes vertikales Mineralbad der Schweiz verfügt das Mineralbad & Spa Samedan über eine einmalige Architektur: Verschiedene Durchblicke mit natürlichen Lichteinstrahlungen, glasierte Mosaikplatten und Farbstimmungen sorgen in jedem Bade- und Dampfraum für eine besondere Atmosphäre. Einmalig ist das Aussenbad unter dem Kirchturm mit fantastischem Blick in die Bergwelt. engadin.ch/mineralbad

Hotel Castell Einzigartig

Das Hotel Castell rühmt sich damit, einen Hamam zu haben, der seinesgleichen sucht. Entworfen wurde er vom renommierten Amsterdamer Architekturstudio UNStudio. Und: Die stimmungsvolle, für einen Wellnessbereich aussergewöhnliche Farbenwelt wurde vom ehemaligen Hoteleigentümer Ruedi Bechtler selbst gestaltet. Ein weiteres Highlight: das versteckte Felsenbad mit Sauna. castellzuoz.com

Alles rund um Wellness im Engadin: engadin.ch/wellness

Gekommen, u

Porträt Eli Müller

Eli Müller läuft auf dem Hügel Motta da Blaunca –ein Grenzort zwischen dem Bergell und dem Engadin.

m zu bleiben

Text Sarah van Berkel Fotografie Gian Giovanoli

Eli Müller steht nie still und lässt ihr Leben von Optimismus leiten. Wie die Chefin von Bregaglia Engadin Turismo von Fribourg ins Bergell kam – und warum die Trailrunnerin nie wieder ging.

Es ist ein heikles Thema. Eines, das Eli Müller aber gerade deswegen unter den Nägeln brennt. Als Chefin von Bregaglia Engadin Turismo ist sie regelmässig mit einem weitverbreiteten Missverständnis konfrontiert: «Die meisten Leute denken, Maloja gehöre zum Engadin. Das Engadin ist bekannter und grösser – ein Begriff für viele», sagt sie. Und ganz so falsch ist die Annahme nicht: Maloja gehört als Teil der Region Maloja geografisch zum Oberengadin – doch politisch ist es Teil der Gemeinde Bregaglia im Bergell.

Diese Dualität aus Geografie und Politik stellt für Eli Müller und ihre Arbeit eine Herausforderung dar. Müller ist für Aktivitäten und Veranstaltungen von Maloja in Graubünden bis Castasegna an der italienischen Grenze verantwortlich. Der Leistungsauftrag von Engadin Tourismus und dessen Einfluss betreffen jedoch nur die Ortschaft Maloja. Für Eli Müller ist das aber weit mehr als eine Grenzfrage: Es ist Ausdruck davon, wie schwierig es manchmal ist, einem so

Top ausgerüstet: Gutes Schuhwerk, Stöcke und genügend zu trinken hat Eli Müller bei ihren Läufen stets dabei.

«Ich kam für den Winter

–und

blieb

wegen dem Sommer»

Eli Müller

einzigartigen Ort wie dem Bergell gerecht zu werden.

Eli Müller ist es wichtig, das Tal nicht als Konkurrenz oder blinden Fleck neben dem Engadin zu positionieren, sondern als dessen wertvolle Erweiterung. Als «Tor zum Engadin», wie sie es nennt – und als Region mit eigenem Charakter, Charme und kultureller Tiefe. «Am Ende ist das Wichtigste, dass die Menschen zufrieden sind und möglichst lange in unserer wunderbaren Region verweilen», sagt die 39 ­Jährige, die kürzlich erstmals Mutter geworden ist und seit dem Wiedereinstieg nach dem Mutterschaftsurlaub ihren Job in einem 60 ­ Prozent ­ Pensum ausübt.

Wenn Eli Müller Deutsch spricht, ist ein leichter Akzent zu hören. Er lässt sich nicht leicht einordnen, aber mit ihrem Werdegang leicht erklären. Aufgewachsen in Fribourg – zweisprachig –, zog es sie nach der Matura als Au ­ pair nach England, dann an die Hotelfachschule nach Lausanne. Doch dort fühlte sie sich fehl am Platz: «Das Metier an sich gefiel mir, doch das

Umfeld war mir zu elitär.» Sie brach die Ausbildung ab, schnappte sich ihr Snowboard – und ging nach Pontresina. Für eine Wintersaison, wie sie dachte. «Ich kam für den Winter – und blieb wegen dem schönen Sommer!» Inzwischen lebt sie seit 20 Jahren in Graubünden. Zuerst arbeitete sie im Hotel Saratz in Pontresina, wohnte in La Punt, Samedan und St. Moritz. Nach dem Tourismusstudium und einem Marketingjob in Chur zog es sie zurück in die Berge. Vor fünfeinhalb Jahren übernahm sie die Leitung von Bregaglia Engadin Turismo. In dieser Funktion lernte «la nuova» rasch fliessend Italienisch. Auch den Bergeller Dialekt versteht sie.

Eli Müller ist der Inbegriff von Vielseitigkeit. Vor allem im Sport. Sie ist jemand, der nicht nur über die Region spricht, sondern diese erlebt –zu Fuss, auf Ski, auf dem Rad. Ihre Erzählungen und ihr sonnenbrauner Teint sind Beweise dafür. «Der Sport hilft mir, den Kopf zu lüften, aber auch, die eigenen Grenzen zu finden und zu überwinden.» Die Trails, Loipen und

Wanderwege sind für sie Spielplatz, Ort der Inspiration, Rückzugsort und Trainingsgelände zugleich. Eli Müller läuft fast täglich. Mal macht sie eine einsame Bergtour. Mal eine kurze Runde über den Sentiero Panoramico mit Blick ins Tal und auf schneebedeckte Gipfel. Die Zehnkilometerstrecke oberhalb von Maloja zum Aussichtspunkt Motta Salacina mit knapp 450 Höhenmetern, an den Bergseen Lägh da Bitabergh und Lägh da Cavloc vorbei, ist eine ihrer Lieblingsrouten und «für fast jeden machbar und landschaftlich spektakulär».

Oft stellt sie sich aber auch Herausforderungen, die nicht für jeden machbar sind. Im Gegenteil. Vergangenes Jahr bestritt sie etwa mit dem Rennvelo die Tour Transalp. Sieben Tage, täglich 80 bis 130 Kilometer und rund 3500 Höhenmeter. «Die zweite Hälfte war sehr streng, das war nicht mehr nur lässig.» Ihr längster Run: der Engadin Ultra Trail mit 102 Kilometern, den sie bereits zweimal ins Ziel brachte. Als ihre Kollegin sie zu überreden versucht, winkt sie erst

Eli Müller trägt ihrem Körper Sorge. Rechts: Laufen nahe der Maiensäss-Siedlung Grevasalvas.

«Ich dachte, Leute, die über 100 Kilometer rennen, haben einen Knall»

Eli Müller

mal ab. «Ich dachte, Leute, die über 100 Kilometer rennen, haben doch einen Knall», erzählt Eli Müller, die als Teenager ihre Liebe zum Laufen entdeckte. Ihre Kollegin überzeugt sie schliesslich davon, den Engadin Ultra Trail zu wagen. «Mich reizte, herauszufinden, wie mein Körper und mein Kopf auf diese Challenge reagieren.»

Unterwegs ist sie fasziniert davon, wozu ihr Körper fähig ist. «Mir kamen Tränen der Rührung, als ich nach einer ganzen Nacht unterwegs realisierte, wie viel Energie ich noch hatte.» Diese Erkenntnis hilft ihr auch im Arbeitsalltag: «Ich weiss, dass ich unter Druck gut funktioniere, dass wir viel mehr können, als wir uns manchmal zutrauen.» Diese Haltung prägt ihren Umgang mit Herausforderungen – auch beruflich: «Ich bin eine unverbesserliche Optimistin.»

Ihr Tatendrang, ihre hohe Pace und ihre Forderungen können für andere manchmal überfordernd sein, das ist sich Eli Müller bewusst. Für sie ist es selbstverständlich, Pendenzen sofort zu erledigen und To ­ do ­

Listen akribisch abzuarbeiten. Träume hat Eli Müller keine. Nur klare Vorstellungen und Ziele. «Das sind sicher Stärken von mir. Und doch musste ich lernen, als Chefin und im Umgang mit anderen geduldiger und diplomatischer zu sein.»

Ihre unbändige Energie hat sie behalten. Sie denkt in Projekten, die Kultur, Sport und Natur vereinen sowie die Region in allen Jahreszeiten für Familien attraktiver machen sollen. Im Winter soll das Snowtubing beim Ponylift im Skigebiet Maloja Aela ausgebaut werden. Auf einer speziell angelegten Piste kann mithilfe eines Gummireifens die Piste hinuntergeflitzt werden. Ihr Herzensprojekt im Herbst: der Maloja Seelauf, den sie 2022 ins Leben gerufen hat. Dieser wird um ein Kids Race erweitert.

Eli Müller scheint angekommen zu sein. Nicht im Sinn von fertig, sondern im besten Sinn von verwurzelt – und doch stets bereit für das nächste Abenteuer. Ihr Blick geht nach vorn und weit über geografische und politische Grenzen hinaus.

Ein neues Ferienmodell

Mind Body Medicine ist auf dem Vormarsch. Professorin Claudia Witt erklärt, warum sich die Berge dafür besonders eignen.

Die beruhigende Wirkung der Natur spielt in der Mind Body Medicine eine wichtige Rolle.

Interview Claudia Witt

Claudia Witt ist Präsidentin des Schweizer Fachverbands für Mind Body Medicine.

Interview Manuela Enggist

Deep Health definiert ein grundlegendes Verständnis von Gesundheit, das individuelles und gemeinschaftliches Wohlbefinden aus einer umfassenden Perspektive betrachtet. Es ist ein Konzept, das in den letzten Jahren mehr und mehr an Bedeutung gewonnen hat. Warum das so ist, erklärt Claudia Witt, Professorin für komplementäre und integrative Medizin an der Universität Zürich und Präsidentin des Schweizer Fachverbands für Mind Body Medicine.

Was genau bedeuten die Begriffe Deep Health und Mind Body Medicine?

Claudia Witt: Mind Body Medicine ist ein innovatives, integratives Konzept, das den Körper mit der Psyche verbindet und Self-Care vermittelt. Vor allem ermöglicht sie es den Menschen, selbst aktiv zu werden, im Sinne eines Empowerments, das darauf abzielt, Selbstfürsorge und Selbstwirksamkeit zu stärken. Mind Body Medicine ermöglicht, Deep Health praktisch umzusetzen. Das Konzept will die Verbindung von Körper und Psyche stärken.

Wie sehen die Strategien aus, mit denen sich die Menschen selbst befähigen können?

Körperliche Aktivität, Yoga, Achtsamkeit, Entspannung und ge -

sundheitsfördernde Ernährung, aber auch gesunder Schlaf stehen dabei im Mittelpunkt. Kleine Pausen und ein Rhythmus im Alltag können auch helfen, das individuelle Wohlbefinden zu verbessern.

Gesundheitstourismus liegt im Trend. Wieso soll man sich in den Ferien mit Deep Health beschäftigen?

Wenn wir den Menschen als Ganzes betrachten, müssen wir den gesamten Ablauf seines Alltags miteinbeziehen, einschliesslich der Tatsache, dass der Mensch auch mal Ferien macht. Ich beobachte häufig, dass gerade chronisch gestresste Personen in einen Wellnessurlaub fahren und mit vielen guten Ansätzen zurückkehren. Doch häufig scheitert die Integration dieser Vorsätze im Alltag. Meist fehlt die nötige Unterstützung, um sie nachhaltig umzusetzen. Dies kann in Kursen auch in den Ferien erlernt werden.

Wie wichtig ist die Natur dabei?

Die Natur spielt in der Mind Body Medicine, wie wir sie in der Schweiz weiterentwickeln, eine grosse Rolle. Wir wissen, dass die Natur eine positive Wirkung auf Körper und Psyche hat. Sie fördert Entspannung und Regeneration. So herrschen in Bergregionen wie dem Engadin perfekte Bedingungen, um Körper und Psyche etwas Gutes zu tun.

Ein Gast bucht eine Woche Ferien mit Fokus auf Deep Health. Darf er sich trotzdem ein gutes Essen oder ein Glas Wein gönnen?

Für die Gesundheit ist es wichtig, auch Spass und Freude zu haben. Bei Deep Health sollte es nie um Askese gehen. Es ist vielmehr die Idee, einen ausgewogenen Weg zu finden.

Ein geeigneter Rahmen in einem Hotel kann der Motivation auf die Sprünge helfen?

Natürlich. Bei Deep Health gehört sehr viel zusammen. Das Essen, die Räumlichkeiten, aber auch, wie gut das Betreuungsteam ausgebildet ist. Und natürlich die Umgebung. Es ist einfacher mit Wäldern direkt vor der Tür, als wenn man mit dem Bus extra irgendwohin fahren muss. Die Mind Body Medicine vermittelt aber auch, selbst aktiv zu sein. Es tut sicher gut, sich ab und an eine Massage zu gönnen. Es ist aber viel wichtiger, durch die Kurse eine Veränderung des Lebensstils anzustreben. Sie können motivieren, regelmässig in die Natur zu gehen, Entspannungsübungen auszuprobieren oder die Ernährung langfristig verbessern zu wollen.

Deep Health Weeks 2025 im Hotel Maistra 160 in Pontresina

Das Kursangebot richtet sich an Menschen aller Altersgruppen ohne Vorkenntnisse, die ihre Gesundheit fördern möchten und den Wunsch haben, Lebensstilveränderungen zu initiieren. Die Kurse sind, sofern nicht anders gekennzeichnet, sowohl für Health Professionals als auch für Anfängerinnen und Anfänger geeignet. maistra160.ch

Vollgas für Silvaplana

Porträt Daniel Bosshard

Ein Mann, zwei Leidenschaften: Daniel Bosshard liebt Wanderungen mit seiner Familie und Fahrten in seinem gelben Ferrari Dino 246 GTS.

Daniel Bosshard lebt auf der Überholspur – als Gemeindepräsident von Silvaplana, Hotelier, Vater. Stillstand kennt er nicht. Leerlauf? Gibts bei ihm höchstens im Ferrari.

Daniel Bosshard mit seinen Söhnen Max und Moritz (r.):

«Meine Söhne und meine Frau Malvika geben mir Halt und bringen mich weiter.»

Daniel Bosshard macht keine halben Sachen. Wenn ihm etwas nicht passt, sagt er es und löst das Problem. Wie an diesem Morgen in Silvaplana. Auf dem Dorfplatz steht ein Lastauto, das da nicht hingehört. Der Fahrer wirkt verloren – Bosshard, der seit neun Jahren Gemeindepräsident von Silvaplana ist, nicht. Kurzerhand lotst er den Mann zur Ausfahrt. Und weil er gerade in Schwung ist, weist er eine Gruppe italienischer Rennradfahrer zurecht, die zu schnell auf die «Plazza dal Güglia» zupreschen. «Halt, Stopp! Hier ist 20erZone!», ruft er in einer Lautstärke, mit der er auch die Gipfel rundum erreicht. Die Gümmeler nicken und entschuldigen sich. Bosshard wirkt zufrieden. So tickt er. Direkt statt diplomatisch. Der 65-Jährige ist kein Verwalter, son-

dern ein Macher. Doch wie ist dieser Emmentaler überhaupt hier im Engadin gelandet?

Aufgewachsen ist Bosshard in einer Schuhmacherfamilie in Oberburg-Burgdorf BE. Mit 16 Jahren zog er nach Wengen, machte eine Lehre als Koch. Später absolvierte er die Hotelfachschule in Luzern und die Handelsschule in Bern. 1980 kam er zum ersten Mal nach Graubünden – für eine Saison ins «Suvretta House» in St. Moritz. Später arbeitete er in Valbella, Lenzerheide – und in Klosters, wo er tagsüber Skilehrer war und nachts Concierge. Im Fünfsternehotel Pardenn servierte er Lady Di Tee und Kuchen im Hallenbad. «Am dritten Tag sagte die Prinzessin zu ihrem Bodyguard, er könne gehen – sie habe jetzt

einen neuen Leibwächter. Nämlich mich!», erzählt er. Seine Zähne blitzen. 1990 leitete er während sechs Jahren das Albana Hotel in Silvaplana. Danach gründete er eine Werbe- und Eventagentur. 1997 veranstaltete er auf dem Silvaplanersee einen der grössten Surf-Events der Schweiz. Dennoch lockte die Hotellerie ihn erneut. Während fast 20 Jahren betrieb er mit einem jungen Team das «Julier Palace» in Silvaplana. Er führte die Hossa Bar auf dem Corvatsch mit der ersten «Snow Night», die noch heute jeden Freitag stattfindet, das «Secondo» und die Latino-Disco «Bailando» in St. Moritz und den Beach Club am Silvaplanersee in Sils. Schliesslich kaufte er das Hotel Albana in Silvaplana.

Text Silvana Degonda Fotografie Yanik Bürkli

Dann kam die Politik. Vor neun Jahren wurde er – in einer Kampfwahl gegen zwei Einheimische – zum Gemeindepräsidenten gewählt. «Es hat mich riesig gefreut, dass sie mich, den Zugezogenen, gewählt haben.» Im Oberengadin ist das nicht selbstverständlich. «Ich bin seit 45 Jahren in Graubünden, 35 davon in Silvaplana. Es ist meine Heimat. Ein Einheimischer bin ich trotzdem nicht. Vielleicht werden es einmal unsere beiden Söhne Max und Moritz.»

Während seiner Amtszeit wurde die Umfahrungsstrasse des Julierpasses realisiert. In der Geschichte der Gemeinde ein lang umkämpftes Projekt. «Mein Wunsch war immer, dass Silvaplana kein Durchfahrtsort mehr ist, sondern ein Ziel.» Den neuen Platz

liess er mit einem grossen Fest und Julier-Postkutschen einweihen. Bosshard sagt über sich: «Ich rede viel. Aber ich setze auch um.» Über 30 Projekte, in die über 25 Millionen Franken investiert wurden, sind seit der Umfahrung realisiert worden: ÖV-Haltestellen, der 100 Prozent elektrische Elektro-Shuttle-Bus zur Corvatsch-Talstation, die Tourist Information mit Poststelle und Workspace, die «Scoulina» und eine Kinderbetreuungsstätte. Und ganz neu die «Chesa Allegria» mit neun Mietwohnungen für Einheimische. Die Begeisterung über seinen Tatendrang sei nicht überall gross gewesen, gesteht er. «Aber es hat sich gelohnt! Beispiel: Vor der Umfahrung machte der Volg 750000 Franken Umsatz – jetzt mehrere Millionen.»

Silvaplana zählt 1089 Einwohnende, in der Hochsaison im Winter verfünffacht sich diese Zahl. 80 Prozent der Wohnungen sind Zweitwohnungen. Ein Spannungsfeld, das Bosshard angeht. «Ich habe den Einheimischen immer gesagt, wir müssen die Zweitwohnungsbesitzer mit ins Boot holen. Sie sind unsere besten Ambassadoren, sie haben nämlich ihre Zweitwohnung am schönsten Ort gekauft.» Er hat Aperitifs für sie eingeführt und die Tourismusabgabe mehrmals erhöht. «Aber sie zahlen das gern.» In seinem Büro im Gemeindehaus ist er kaum. «Ich mache alles über diese Maschine», sagt er und zeigt auf sein Handy. Es kann schon mal vorkommen, dass er um vier Uhr morgens Whatsapp-Nachrichten an seine Kolleginnen

Mit seinem gelben Ferrari Dino aus dem Jahr 1973 hat sich Daniel Bosshard einen Traum erfüllt: «Es ist ein unglaubliches Gefühl, mit diesem Auto durch das Engadin zu fahren.»

«Ich

rede nicht nur, ich mache» Daniel Bosshard

und Kollegen schickt. «Ich bin Mister Whatsapp», sagt er grinsend. «Man kann Handys ja lautlos stellen.»

Als junger Mann hat Daniel Bosshard an einem Seminar am Josef Schmidt Colleg im deutschen Bayreuth seine vier Lebensziele niedergeschrieben. Erstens: ein eigenes Hotel. Check. Zweitens: gesund und gut aussehend bleiben. Bosshard grinst. Drittens: eine Familie gründen. Vor 15 Jahren lernte er eine Estin kennen, die mit drei Freundinnen im Engadin Skiferien machte. Malvika Jürisaar sass an der Bar im «Julier Palace», er führte das Hotel. Die Ökonomin erinnert sich: «Er war so lustig und offen – das kannte ich von estnischen Männern nicht.»

Den ersten Kuss gab es auf der Piste, auf der Fuorcla Surlej. Doch sie reiste

zurück, und das Paar führte mehrere Monate eine Fernbeziehung, bevor er ihr am Strand von Tallinn einen Heiratsantrag machte. Die Hochzeit fand in Silvaplana statt. «Was mich besonders gerührt hat: 150 Gäste sind extra aus Estland angereist.»

Daniel und Malvika Bosshard haben zwei Söhne: Moritz, 11, und Max, 9. Und der Berner Sennenhund Bäri, 11, gehört auch zur Familie. Jeden Sommer reisen sie nach Lanzarote in ihr Ferienhaus – zum Windsurfen. In der Schweiz ist natürlich der Silvaplanersee ihr favorisierter Trainingsort. Diesen Sommer verbringen die Jungs noch einen Monat in Estland bei der Verwandtschaft. «Mir ist wichtig, dass sie die Sprache beherrschen und ihre Wurzeln kennen», sagt die Mutter.

Zu Hause sprechen die Kinder Deutsch mit dem Papa, Estnisch mit der Mama –und das rätoromanische Putèr in der Schule mit ihren Gspänli. Inzwischen leitet die 46 ­ jährige Malvika Bosshard das Hotel Albana und die Restaurants Thailando und Stüva Engiadina mit 30 Mitarbeitenden. Daniel Bosshard sagt: «Heute gehen die Leute nicht mehr wegen mir ins ‹Albana› – sondern wegen ihr. Es läuft viel besser. Ich bin Hausmann, Präsident und Chauffeur.» Und dann war da noch ein Wunsch auf der Liste offen. Vor fünf Jahren hat sich Daniel Bosshard zwei Autoträume erfüllt: einen gelben Ferrari Dino 246 GTS und einen blauen Fiat Dino Spider 2000. Zwei laute Maschinen für einen lauten Mann, der gern Vollgas gibt. silvaplana.ch

580 Kilometer soll das Ne im Engadin umfassen. So Sicher ist: Jeder Kilomete Entdecken

Top 10 Wanderungen mit Hotel

tz an Wanderwegen genau weiss es niemand. r ist ein Naturerlebnis.

Er inspiriert, berauscht und verzaubert immer wieder aufs Neue: der Ausflugsberg Muottas Muragl.

Entdecken

Berghaus Diavolezza Majestätisch

Das Berghaus Diavolezza thront auf 2978 Metern und bietet einen atemberaubenden Blick auf Piz Palü und Piz Bernina. Das einzige künstliche Licht stammt vom Berghaus selbst, das mitten in der nächtlichen Gletscherwelt leuchtet. Ein Pfad führt zur leicht erreichbaren Aussichtskuppel Sass Queder. Wer mit der Höhenluft zurechtkommt, setzt den Aufstieg bis zum smaragdgrünen Lej da Diavolezza fort. corvatsch-diavolezza.ch

Hotel Fex Ursprünglich

Nahezu am Ende des autofreien Fextals, einem idyllischen Seitental im Oberengadin, liegt das Hotel Fex. Erreichbar ist es zu Fuss, per Hotelbus oder romantisch mit der Pferdekutsche. Eine schöne Rundwanderung führt von Sils Maria durch das stille Tal zum Hotel Fex und wieder zurück. Die Strecke misst etwa 10,6 Kilometer, benötigt im Schnitt drei Stunden und eignet sich ideal als ruhige Tagestour. hotelfex.ch

Parkhütte Varusch Rustikal

Die Parkhütte Varusch ist wenige Hundert Meter von der Grenze zum Nationalpark entfernt und eine beliebte Übernachtungsmöglichkeit bei Wanderungen im Schweizerischen Nationalpark. Eine empfehlenswerte Tour, die sich besonders zur Zeit der Hirschbrunft Ende September lohnt, ist die Rundwanderung im Val Trupchun, einem der Seitentäler des Oberengadins, das als «Hirscharena der Alpen» bekannt ist. varusch.ch

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Hotel Morteratsch Glazial

Das traditionsreiche Hotel Morteratsch befindet sich auf 1896 Metern über Meer, am Fuss des grössten Gletschers der Ostalpen, mit spektakulärem Blick auf das Berninamassiv. Vom Haus führt ein Gletscherlehrpfad zum türkisblauen Gletschersee. Einige der 30 Zimmer verfügen über eine Veranda mit Panoramablick. Eine eigene Bahnstation ermöglicht die Anreise per Unesco-Welterbe-Linie. morteratsch.ch

Randolins Familienfreundlich

Das Berghotel Randolins liegt oberhalb von St. Moritz auf der Suvretta-Höhe. Als Mitglied von «Eviva Famiglia» ist das Hotel besonders familienfreundlich. Während die Kinder spielen, entspannen die Erwachsenen im Whirlpool mit Blick auf den Piz Corvatsch. Vom Hotel aus führt eine Wanderung zur Alp Suvretta, wo Gross und Klein Flora und Fauna erleben können. randolins-familienresort.ch

mit Hotel

Hotel Cristallina Gemütlich

In Plaun da Lej, das zu Sils Maria gehört, lockt das Hotel Cristallina mit familiärer Atmosphäre und sonniger Lage am Silsersee. Ein Highlight: das Restaurant Murtaröl, das vor allem für seine Fischspezialitäten bekannt ist. Wanderwege führen vom Haus in die Natur, etwa zum Heididorf Grevasalvas oder zur Wasserscheide am Piz Lunghin. Der Malojawind lädt zum Segeln und Surfen ein, es gibt eine Segelschule vor Ort. plaundalej.ch

Hotel Il Fuorn Historisch

Im Hotel Parc Naziunal Il Fuorn übernachten Gäste inmitten des Schweizerischen Nationalparks. Das historische Haus von 1489 bietet schlichte Zimmer mit Holzinterieur. Im Restaurant werden Engadiner Spezialitäten aus Naturprodukten serviert. Wandervögel folgen der Ofenpassstrasse durch die eindrucksvolle Landschaft. Perfekt, um die vielfältige Flora und Fauna des ältesten Nationalparks der Alpen zu erleben. ilfuorn.ch

Gasthaus Spinas Lieblich

Geborgen zwischen Lärchen liegt das Gasthaus Spinas auf 1818 Metern im Val Bever. Zwölf Zimmer erwarten die Gäste nach ihrer leichten Wanderung vom Bahnhof Bever entlang des Beverinbachs oder nach wenigen Schritten vom Bahnhof Spinas aus. Der Märliweg mit alten Engadiner Geschichten, illustriert von einheimischen Kunstschaffenden, begeistert alle. Das Gasthaus ist ein beliebter Einkehrort auf Biketouren. spinasbever.ch

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Hotel Roseg Gletscher Idyllisch

Das Hotel Restaurant Roseg Gletscher liegt abgeschieden im autofreien Rosegtal, drei Kilometer vom Roseggletscher entfernt. Von Pontresina aus führt eine schöne Wanderung durch das Naturschutzgebiet dem Rosegbach entlang zum Hotel. Gäste wählen zwischen einem Bett im Schlafsaal oder einem gemütlichen Familienzimmer, alle mit Blick auf den Gletscher oder die Berge. roseg-gletscher.ch

Hotel Muottas Muragl Würdig

Das nachhaltig geführte Romantik Hotel Muottas Muragl in Samedan liegt auf 2456 Metern Höhe und ist mit einer historischen Standseilbahn aus dem Jahr 1907 erreichbar. Vom Berghotel aus öffnet sich ein weiter Blick über das Seenplateau und die umliegende Hochgebirgslandschaft. Besonders lohnend ist der Höhenweg zur Alp Languard, wo die Kinder ein «Steinbock-Spielplatz» erwartet. muottasmuragl.ch

Nora Engels, die in Bever aufgewachsen ist, hat 2020 ihr Atelier in Samedan bezogen. Hier arbeitet die Engadinerin oft bis spät in die Nacht hinein.

Porträt Nora Engels

Text Jenny Keller Fotografie Filip Zuan

Schnitzen mit Seele

Nora Engels kreiert Figuren, die berühren. Aus massivem Holz, mit innerem Antrieb und tiefer Freude.

Ihr Weg bis dahin war beschwerlich.

Schon als Kind streifte Nora Engels mit ihrem Vater durch den Wald. Während ihre drei Brüder im Garten spielten, sammelte sie Schwemmholz, stand an der Motorsäge und beobachtete, wie der Vater aus Wurzeln und Ästen Figuren formte. Gemeinsam bearbeiteten sie das Fundholz. Nora sagte damals: «Papa, ich will das auch machen. Zeigs mir.»

Die Faszination für das, was in einem Stück Holz steckt, lässt sie seither nicht mehr los. «Ich spürte, da passiert etwas mit mir», erzählt Nora Engels, 35, in ihrem Atelier in Samedan, einem hellen Raum mit grossen Schaufenstern, voller Holzspäne und feinem Staub. Überall stehen Skulpturen – unterschiedlich grosse Kinderfiguren, eine noch unfertige massive Kommode, farbig bemalte Stühle, die so lebensecht wirken, dass man sich gleich draufsetzen möchte. Erst beim zweiten Blick erkennt man sie als Nachbildungen, vollständig aus Holz geschnitzt. Der Weg in die Holzbildhauerei war für Nora Engels nicht geradlinig. Zunächst absolvierte sie

eine Lehre als Schreinerin. Dann entdeckte sie das Langlaufen für sich und liess sich zur Langlauftrainerin ausbilden. Parallel dazu machte sie eine Ausbildung als Bike ­ Guide, um im Engadin Touren zu leiten. Später half sie mit Kollegen, den Berninasport in Pontresina aufzubauen. Erfahrungen, die sie prägten, aber nie ganz erfüllten. «Ich habe die kreative Kraft vermisst.» Irgendwann wusste sie: «Ich will zurück zum Holz.» In einer kleinen Bruchbude in Surlej in Silvaplana richtete sie sich ein Atelier ein. Zwischen morschen Wänden und improvisierten Werkbänken entstanden bald Stücke für ihre erste Ausstellung. Wieder war da dieses Gefühl, das Nora Engels wie frisch verliebt zu sein beschreibt: «So eine Freude, dass du rausgehen und alle umarmen möchtest.» Sie wusste, dass es ein Privileg ist, bei der Arbeit so zu empfinden, und machte sich auf die Suche nach einer Möglichkeit, ihr Handwerk profes sionell zu vertiefen. So bewarb sie sich an der Schnätzi, der renommierten Holzbildhauerschule

in Brienz BE. Die Aufnahmeprüfung bestand sie auf Anhieb, die Ausbildung dauerte vier Jahre. Seit 2020 arbeitet Nora Engels als selbstständige Künstlerin: «Ich wusste, das ist mein Weg.»

Mit ihrer herzlichen, warmen Art wirkt Nora Engels wie jemand, der das Leben liebt. Das strahlen auch ihre Werke aus. Mal sind es abstrahierte Menschen, mal neu interpretierte Möbelstücke oder Lichtobjekte. Dabei greift sie auf jahrhundertealtes Handwerk zurück. Aber: «Tradition kann nur weiterleben, wenn man sie der heutigen Zeit anpasst», sagt sie. Sie gibt Kurse für Lehrpersonen, damit das Wissen weitergegeben wird. Besonders inspiriert hat sie die Künstlerfamilie Verginer aus dem Südtiroler Val Gardena, deren anatomisch präzis geschnitzte Figuren klassische Handwerkskunst mit zeitgenössischer Formensprache verbinden, oft mit einem gesellschaftskritischen Unterton. Auch Engels’ Arbeiten haben diese Symbolik. Sie entstehen aus Massivholz, meist ohne Vorlage, ohne

Die Männchen (ganz links) sind nicht grösser als 15 Zentimeter. Nora Engels hat sie mit der Kettensäge geschnitzt. Die Gesichter aus Holz sind Übungsstücke.

«Ich bin nicht gut darin, mich selbst zu präsentieren»

Nora Engels

Skizze. Der Arbeitsprozess ist intuitiv. Sie lässt entstehen, was entstehen will. Der Alltag hinter der Arbeit ist anspruchsvoll. Engels lebt von der Holzbildhauerei, verkauft Möbel und Skulpturen und arbeitet sechs Tage in der Woche, oft bis spät in die Nacht. Die körperliche Arbeit fordert ihren Tribut. «Manchmal bin ich am Abend so kaputt, dass ich fast im Stehen einschlafe», sagt sie und lacht dabei. Sie musste lernen, Körper und Geist einen Ausgleich zu geben. Meditation am Morgen gehört dazu, Sport sowieso. «Wenn ich merke, dass der Druck zu gross wird, hilft mir Bewegung. Danach geht alles wieder leichter.»

Was man ihrer ruhigen Art kaum anmerkt: Engels ist hochsensibel. Reize, Stimmungen, Gespräche, sie nimmt alles auf. «Wenn ich lange unter vielen Menschen bin, wird es mir schnell zu viel. Ich spüre dann, wie mein System überläuft.» Für Nora Engels ist ihre Sensibilität Teil ihres Wesens. «Allein im Atelier finde ich zu mir zurück. Da kann ich wieder in meine Kraft kommen.» Manchmal ist

die Vorfreude auf die Arbeit so gross, dass sie frühmorgens ins Atelier stürmt. «Ich komme dann ziemlich hektisch hier an, weil ich mich so freue. Ich habe einfach diesen Drang.» Trotzdem entstehen ihre Werke meist langsam. Manches beginnt mit Skizzen, manches «flutscht einfach durch mich durch», wie sie sagt.

Der Alltag mit den Offerten und der Bürokratie kann für sie derweil einengend sein. «Ich bin nicht gut im Verkaufen, darin, mich selbst zu präsentieren», sagt Engels. Social Media, Eigenwerbung, das sei nicht ihr Ding. Dabei hätte sie allen Grund zur Sichtbarkeit. Sie hat Preise gewonnen, war schon international ausgestellt, etwa 2022 in Paris, bei der «Révélations» im Grand Palais. Ihre Holzstühle, «Sitzkultur» heisst die Serie, zogen die Aufmerksamkeit auf sich. Ein Jahr später folgte noch eine Ausstellung in der französischen Metropole, diesmal bei «Maison & Objet». Für Engels war Paris eine tolle Erfahrung. Aber sie wollte den Fokus zurück in die Schweiz holen. «Ich möchte in meinem Land

präsent sein. Hier, wo ich herkomme.» Heute zeigt sie ihre Werke regelmässig an der Designmesse «Blickfang» oder im Paul Gugelmann-Museum in Schönenwerd SO, wo sie eine Serie von 50 Kinderskulpturen präsentierte. Jede steht für ein anderes Hobby. Die Botschaft dahinter: Mach dein Ding, sei, wie du bist. Denn das will sie vermitteln: Freude und Freiheit. Biografisch ist das kein Zufall. Engels hat sich ihren Weg erkämpft. Gegen Zweifel von aussen, als sie sich mitten in der Pandemie selbstständig machte, gegen eigene Unsicherheiten und gegen das fragile Gleichgewicht zwischen Broterwerb und künstlerischer Freiheit. Denn wie viele Künstlerinnen und Künstler kämpft auch Nora Engels mit der Realität des Kunstbetriebs. Aufträge kommen oft spontan, das Einkommen ist unregelmässig. Aber wenn ihre Werke berühren, ist ihr Ziel erreicht. «Ich bin reich», sagt Engels auf die Frage, ob sie vom Schnitzen leben könne. «Was will man mehr, als jeden Tag das zu tun, was man liebt?» noraengels.ch

Ein Zuhause für das

Die bewegte Geschichte einer Brauerei, die nicht nur Bier, sondern Engadiner Lebensgefühl brauen will.

Text Jenny Keller

Ein Herbsttag in S-chanf. Klare Luft, Steinhäuser, der Inn, der ruhig am lang gezogenen Dorf vorbeifliesst. Wenige Schritte abseits der Hauptstrasse liegt der Duft von Holz und Malz in der Luft. An der Via Serlas Sur 18 hat Daniel Käslin im Frühjahr die Brauerei Engadiner Bier eröffnet –und mit ihr die modernste Brauerei Europas. Ein Neubau, der inmitten dieser Berglandschaft auffällt.

Die Brauerei stellt für Käslin eine Art Neuanfang dar. Und das, obwohl seine Arbeit mit dem Bier bereits vor über 20 Jahren begann. Der 47-Jährige ist in Pontresina aufgewachsen, gelernter Zimmermann und Bierliebhaber. «Ich wollte etwas schaffen, das bleibt», sagt der Gründer von Engadiner Bier. Käslin wirkt dabei wie jemand, der mit Überzeugung, Herzblut und einer gesunden Portion Realitätssinn an seine Idee glaubt. Geprägt von der Arbeit im Getränkehandel seines Vaters, startete er Mitte 2000 damit, Bier zu brauen: auf dem Balkon, in der Küche – mit Gärkontrolle sogar in der heimischen Badewanne. Was als Experiment begann, weckte schnell Interesse im Freundeskreis. «Meine Kollegen haben immer mehr Bier verlangt», erinnert sich Käslin und lacht.

Der Startschuss fiel 2008. Die Brauerei in Davos Monstein setzte 1000 Liter nach Käslins Rezept um. «Ich wollte wissen, ob mein Bier auch im grösseren Massstab

Daniel Käslin ist froh, dass das Engadiner Bier nun an einem neuen Standort gebraut wird.

Engadiner Bier

funktioniert.» Das Ergebnis überzeugte. Gemeinsam mit seinem Vater baute Käslin eine alte Lastwagengarage in Pontresina zur ersten eigenen Brauerei um. Sein handwerklicher Hintergrund als Zimmermann kam ihm dabei zugute. Auf 35 Quadratmetern entstand, Schritt für Schritt, die erste Version von Engadiner Bier.

Mit den Jahren stiegen die Ansprüche an Platz, Technik und Perspektive. Die Geschichte von Engadiner Bier ist deshalb auch eine Geschichte der Geduld. Während 14 Jahren suchte Käslin im ganzen Oberengadin nach einem neuen Standort. 38 Orte besichtigte er – der richtige war nicht darunter. 2020 dann der Rückschlag: Der Platz in der improvisierten Brauerei wurde knapp, wichtige Sicherheitsvorgaben konnten nicht mehr erfüllt werden. Zwei von drei Mitarbeitenden mussten gehen. Die Produktion wurde eingestellt, das Bier vorübergehend, wie ganz am Anfang, in der Brauerei in Monstein gebraut. Käslin war kurz davor, die Hoffnung zu verlieren. Doch 2023 bot sich überraschend eine neue Chance. Gemeinsam mit einem Grundstücksbesitzer, der eine «visionäre Idee» hatte, unterzeichnete er den Mietvertrag für die neue Biermanufaktur in S ­ chanf. Ein Jahr später entstand das Bauwerk. Das Herzstück der Brauerei ist ein modernes 2500 ­ Liter ­ Sudhaus, in dem die Würze entsteht, ergänzt durch ein Wärmerückgewinnungssystem, mit dem Energie gespart wird und das den Brauprozess nebst dem Sudhaus besonders

effizient macht. Technik und Nachhaltigkeit seien das eine, aber sie allein würden noch kein gutes Bier machen, sagt Käslin. Für ihn zählen ein gutes Team, klare Rezepturen und ausgewählte Zutaten. Und: «Ein Bier muss etwas erzählen können», findet er. Gebraut wird mit Wasser aus einer nahe gelegenen Quelle, oberhalb der Landwirtschaftszone, direkt aus dem Randgebiet des Schweizerischen Nationalparks. «Rund 98 Prozent eines Biers bestehen aus Wasser. Wir im Engadin haben das beste», sagt Daniel Käslin überzeugt.

Die neun Biersorten tragen Namen von Engadiner Bergen – noch eine Liebeserklärung an die alpine Herkunft. Käslins Favorit ist das leichte «Pils Cambrena». Oder das «Palü», das sich am besten mit Blick auf blühende Wiesen und schneebedeckte Gipfel geniessen lasse. Schlussendlich gehe es aber immer auch um den Moment beim Trinken: «Wo man ist, mit wem man anstösst. Auf der Segantinihütte oder im Unterland. Überall dort, wo die Sehnsucht nach den Bergen am grössten ist.»

Die Engadiner Bier AG beschäftigt heute acht Mitarbeitende. Das Bier wird nach Zürich und darüber hinaus verkauft – ein beachtlicher Weg, der einst mit Brauversuchen in der heimischen Badewanne begann. «Natürlich bin ich stolz darauf, was wir mit dem Team aufgebaut haben. Doch bei der momentanen Weltlage bleibt man besser realistisch.» Da ist sie wieder, Käslins Mischung aus Leidenschaft und Bodenständigkeit. engadinerbier.ch

Die neue Brauerei des Engadiner Biers in S-chanf ist seit Ende November 2024 in Betrieb.

Der wahre Lux

Für Claudio Laager, Direktor des Grand Hotel Kronenhof Pontresina, ist der Silsersee einer der schönsten Seen überhaupt.

Porträt Claudio Laager

us dieser Welt

Claudio Laager bietet seinen Gästen als Direktor des Grand Hotel Kronenhof Pontresina einzigartige Naturerlebnisse. Der Bündner weiss, dass solche Momente unbezahlbar sind.

Claudio Laager kocht gerne über dem offenen Feuer. Eine seiner Spezialitäten: Risotto mit Steinpilzen.

Text Manuela Enggist Fotografie Gian Giovanoli

Claudio Laager, 43, schüttelt da eine Hand, grüsst dort einen Gast. Die meisten spricht er mit dem Vornamen an. Seine Mitarbeitenden sowieso. «Ich mag es unkompliziert», sagt er und lacht. Seit Ende 2023 amtet Laager als Direktor des Grand Hotel Kronenhof Pontresina. Es ist eine Rückkehr zu seinen Wurzeln. Beruflich wie privat. Seine Karriere startete er vor 15 Jahren im Badrutt’s Palace Hotel in St. Moritz. Aufgewachsen in Samedan arbeitete er als Koch bei seinem Vater. «Es ist für mich eine grosse Freude, wieder im Engadin arbeiten zu dürfen», sagt Laager. Zuvor war er Direktor des Viersterne-Superior-Hotels Valsana in Arosa. Da er hier aufgewachsen sei, kenne er die Gegend wie seine Westentasche. «Ich kann meinen Gästen Touren zu Bergseen empfehlen, die nicht alle kennen, oder ich schicke sie an Orte, an denen sie Edelweisse finden.» Das komme gut an. Noch beliebter sind allerdings die Wildtierbeobachtungen im Val Bever, bei denen der Hoteldirektor höchstpersönlich die Führung übernimmt. Ausgerüstet mit Wärmebildtechnik führt er seine Gäste ins alpine Seitental des Oberengadins, um in der Abenddämmerung Rothirsche, Steinböcke und Gämsen zu beobachten. Oder er organisiert einen Ausflug mit Höhenfeuer und drückt seinen Gästen einen Cervelat in die Hand, damit sie ihn selbst grillieren. Zaubert er dann noch eine Flasche Bündner Schaumwein aus dem Rucksack, sei die Stimmung nicht mehr zu toppen.

«Erlebnisse in der Natur sind mehr als nur Sightseeing. Sie sind eine Chance, sich wieder mit ihr zu verbinden. Was vielen Menschen im Alltag nicht möglich ist. Das ist der wahre Luxus einer gestressten Gesellschaft. Zudem lernen die Gäste so das empfindliche Gleichgewicht dieses alpinen Ökosystems kennen.» Laagers nächster Coup: Wasserfallbaden. Ab dem kommenden Sommer will er eine Tour zu einem Wasserfall nahe Pontresina anbieten, damit sich die Gäste unter das kühle Nass stellen können. Es fällt auf: Das Grand Hotel Kronenhof Pontresina positioniert sich derzeit neu und stellt die Natur im Engadin ins Zentrum: «Da passen solche Abenteuer natürlich wunderbar ins Konzept.»

Freie Zeit, um die Natur selbst zu geniessen, bleibt Laager wenig. Er arbeitet in der Hochsaison an sechs Tagen die Woche. Sein freier Sonntag ist ihm aber heilig, da es der einzige Tag ist, den er mit seiner Partnerin verbringen kann. Dann nimmt es Claudio Laager auch mal gemütlich, faulenzt auf dem Sofa und schaut Netflix. Genauso heilig ist ihm die Bündner Hochjagd. Im September zieht er sich mit seinem Bruder Andri, einem guten Freund und dessen beiden Söhnen zwei Wochen in eine Jagdhütte im Val Bever zurück. Dort hat es keinen Handyempfang. «Die Jagd entschleunigt mich. Einfach sein können!» Jeden Morgen um fünf Uhr, noch in der Dunkelheit der Nacht, ziehen sie los und verbringen den ganzen Tag auf der Jagd. Abends sitzen sie dann in der Hütte bei einer guten Flasche Wein zusammen. «Ich kann kaum beschreiben, wie glücklich mich diese Momente machen.»

Ob bei der Wildbeobachtung oder auf der Jagd – Claudio Laager ist gerne draussen in der Natur. Die Leidenschaft für die Jagd verdankt er seinem Bruder Andri.

«Erlebnisse in der Natur sind mehr als nur Sightseeing»
Claudio Laager

Porträt Claudio Laager

In einer Naturkulisse mit Gipfeln wie dem Piz Bernina und Steinböcken oberhalb des Val Chamuera aufzuwachsen, habe ihn geprägt, sagt Claudio Laager.

Meteorologe Felix Blumer, der im Herbst pensioniert wird, erkundet das Engadin am liebsten auf Ski oder zu Fuss beim Wandern. Einer seiner Lieblingsorte: das Fextal.

Interview Felix Blumer
Foto: Mayk Wendt
Interview
Sarah van Berkel

«Das Engadin profitiert vom Herbst»

SRF-Meteorologe Felix Blumer über das Phänomen der Lärchen, den Malojawind und den Klimawandel.

Die Leute denken, er sei ständig im Engadin. «Dabei sind es in Tat und Wahrheit höchstens dreimal im Jahr», sagt SRF-Meteorologe Felix Blumer, 64, lachend. Ist der promovierte Naturwissenschaftler nicht für Referate dort, fährt er gern Ski in St. Moritz oder wandert im Fextal. Denn Hochtäler haben ihren eigenen Reiz. Felix Blumer weiss, woran das liegt: «Wegen der Höhenlage ist die Luft klarer, das Licht ist intensiver und die Temperaturkontraste sind stärker als im Flachland.»

Man hört oft vom Indian Summer im Engadin. Ist der Vergleich mit Nordamerika aus meteorologischer Sicht gerechtfertigt?

Felix Blumer : Absolut. Das Klima ist ähnlich. Wenn es im Herbst abkühlt, leuchten die Lärchen – der einzige Nadelbaum, der die Nadeln im Winter abwirft – gelb bis rot. Wie in Kanada.

Erklären Sie dieses Phänomen.

Die Wasseraufnahme der Bäume wird durch Frost und Kälte reduziert, dadurch stellt die Lärche ihre Chlorophyllproduktion ein. Deswegen verfärben sich die Nadeln zuerst, und im Winter sterben sie dann ganz ab.

Was sind die typischen Wetterbedingungen im Engadiner Herbst –und wie hat er sich mit dem Klimawandel verändert?

Gegen Oktober und mittlerweile gar erst gegen November hin kühlt es ab. Im Tal oft viel früher wegen den kühleren Nächten. In den Höhenlagen zwischen 1800 und 2500 Metern über Meer hat man länger wärmere Luft –ein weiteres Phänomen der Klimaveränderung. Seit der vorindustriellen Zeit ist die Nullgradgrenze im Oktober um über 500 Meter gestiegen! Das hat gerade auf die Lärchen einen grossen Einfluss. Der blühende Herbst verspätet sich im Engadin immer weiter. Das heisst aber auch, dass es gerade an Hanglagen noch im Oktober fast sommerlich warm sein kann.

Was bedeutet das für den Engadiner Herbst- und Wintertourismus? Im Herbst profitiert das Engadin seit jeher von vielen Sonnentagen. Und auch davon, dass an den südlichen Hanglagen wie der Corviglia allfällig gefallener Schnee schnell schmilzt. Und da Nebel höchstens im Tal mal ein Thema ist, gilt das Engadin im Herbst als Paradies für Wanderer und Biker. Auch im Winter schmilzt der Schnee an den südlichen Hanglagen schnell, durch den leichten Temperaturanstieg gar jedes Jahr schneller. Weil die Niederschlagsmengen im Winter seit Jahren praktisch konstant bleiben, braucht es technischen Schnee und

eine perfekte Pistenpräparation. So kann man aber auch noch heute gleiche Verhältnisse schaffen wie vor 20 Jahren. Gerade in der Höhenlage des Engadins sehe ich keine grossen Gefahren – ausser der Spätherbst wird wieder sehr trocken und mild wie 2015 und 2016, dann gibt es selbst in den Engadiner Dörfern keine weissen Weihnachten.

Wie unterscheidet sich das Engadin von anderen Alpenregionen?

Aus meiner Sicht hat das Engadin im Vergleich zu anderen Regionen im Kanton Graubünden gerade wegen der schon angesprochenen Topografie und Lage eine grosse Chance: Würde man im Tal maschinell beschneien, könnte man früh top Loipen anbieten. Während man gleichzeitig in den Höhenlagen noch ideale Verhältnisse für Biker und Wanderer hat.

Welche Rolle spielt der Malojawind in dieser Zeit?

Er gehört halt einfach zum Engadin. Für die Kitesurfer ist er Freund und für die Wanderer vielleicht manchmal Feind. Gerade am Nachmittag fühlt es sich selbst an sonnigen Herbsttagen wegen des Windes nicht warm an. Aber es gibt bekanntlich ja kein schlechtes Wetter, nur schlechte Kleidung.

Sie sammelt den Sommer ein

Porträt Madeleine Papst

Madeleine Papst hütet im Unterengadin auf 1650 Metern Höhe ein blühendes Reich: ihren Kräutergarten. Ihr Alltag dreht sich um Malven, Minze und neu auch um Mutterschaft.

Im Kräuter- und Blumengarten in Ftan wachsen unter anderem Apfelminze, Thymian, Salbei und Zitronenmelisse.

Hinter der alten Holztür eines ehemaligen Schafstalls liegt der Schatz von Madeleine Papst. Getrocknete Kornblumen, Edelweiss, Apfelminze – fein säuberlich gelagert. Die 38-Jährige hat hier «ein bisschen Sommer» in Aufbewahrungsboxen konserviert. Und manchmal, wenn der Winter im Unterengadin besonders lang und kalt ist, öffnet Madeleine Papst eine dieser Kisten. «Es erfreut mich jedes Mal, wenn ich die Nase in die Kiste mit den Schlüsselblumen stecke und tief einatme.» Bis drei Jahre sind ihre Kräuter und Blumen so haltbar. Aber meistens entstehen schon vorher Tee, Kräutersalz, Sirup oder Blütenmischungen daraus. Die gebürtige Thurgauerin lebt mit ihrem Bündner Mann Niculin Bisaz in Guarda, auf 1650 Metern über Meer. Sie wohnen in einem ausgebauten Schafstall – mit einer Katze, Pferden, Hühnern und Zwergziegen. «Ich sage immer: Wir sind Bauern im Nebenverlust, nicht im Nebenerwerb», erklärt sie augenzwinkernd. Ihr Weg ins Engadin war nicht geplant. Als Mädchen wollte sie Tierärztin werden, studierte dann aber Tourismus an der Höheren Fachschule für Tourismus und Management in Samedan und an der Fachhochschule Graubünden in Chur. Acht Jahre lang arbeitete sie bei der Tourismus Engadin Scuol Samnaun Val Müstair AG. Sie lernte ihren Mann kennen und blieb mit ihm im Kanton Graubünden.

Der Takt der Jahreszeiten hat Madeleine Papst seit ihrer Kindheit begleitet. Aufgewachsen auf einem Obstbaubetrieb in Hatswil, einer Fraktion der Gemeinde Hefenhofen TG, lernte sie früh, was es bedeutet, mit der Natur zu leben. Trägt der Säntis einen Hut – eine Wolke auf seinem Gipfel –, bleibt das Wetter gut, hätten ihr einst ihre Eltern erklärt. Und heute weiss sie, dass es mit der Bepflanzung des Gartens nicht losgehen sollte, bevor die drei Eisheiligen vorbei sind.

Vor drei Jahren erfuhr sie, dass das Ehepaar Silvia und Ewald Vonlanthen aus Ftan seinen Kräutergarten samt Unternehmen «Stalletta» verkaufen wollte. Madeleine Papst und ihr Mann, der eine Architekturfirma leitet, hatten Lust auf einen Tapetenwechsel. Sie waren eigentlich schon auf dem Absprung ins Unterland, eine Wohnung am Bodensee war gefunden. Doch dann stand sie zwischen den Kräuterreihen des Gartens, roch an Zitronenmelisse und Lavendel. «Und irgendwie wusste ich, dass es das war, was ich machen wollte.» Obwohl sie gar keine Vorkenntnisse hatte. «Die Arbeit mit den Händen, draussen in der Natur, hat mich so gereizt.»

Seither richtet sich ihr Leben wieder nach dem Puls der Umgebung, der Garten gibt den Takt vor, das Wetter bestimmt den Alltag. «Im Sommer arbeite ich gefühlt

Die Goldmelisse blüht von Juni bis September und lockt mit ihrem Rot auch Schmetterlinge an.

Madeleine Papst bekommt jeden Sommer Unterstützung von der Erntehelferin Eva van Gamelen aus Holland.

Porträt Madeleine Papst

«Mein Kind soll so oft wie möglich mit mir draussen sein»

Madeleine Papst

Madeleine Papst erwartet im August ihr erstes Kind: «Genau dann, wenn alles wächst und blüht.»

Ringelblumen und Kornblumen verwendet Madeleine Papst auch für ihre bunten Salatkräutermischungen.

Porträt Madeleine Papst

Aus den getrockneten Blüten und Kräutern stellt Madeleine Papst Tees, Sirupe, Salze und Salatmischungen her.

150 Prozent, egal, welcher Tag es ist. Im Winter wird es ruhiger. Letzten Winter beispielsweise bereitete ich morgens in einem Hotel in unserem Dorf das Frühstück vor.»

«Meine liebste Tätigkeit ist das Ernten.» Aber nicht alle Pflanzen sind gleich. «Malven brauchen gute Nerven», sagt sie und lacht. «Ich muss sie täglich ernten, da sie schnell welken. Und ich kriege dabei die meisten Bienenstiche ab.» Als sie mit ihrer Arbeit im Kräutergarten anfing, standen ihr Silvia und Ewald Vonlanthen zur Seite, beantworteten jede ihrer unzähligen Fragen. «Teilweise wirklich dumme Fragen», meint Madeleine Papst lachend. «Äpfel kannte ich, Kräuter sind eine andere Welt.»

Heute wachsen in ihrem Kräutergarten in Ftan auf rund 300 Quadratmetern unzählige Kräuter, Blüten und Heilpflanzen. Der Ort sei ideal, windgeschützt und fast flach. Der Boden gut, sagt sie. Lebendig. «Wir schauen, dass wir nicht jedes Jahr alles am gleichen Ort anpflanzen, damit der Boden nicht ausgelaugt wird.»

Die Kräuter verarbeitet sie in ihrem Zuhause in Guarda, wo ihr Mann und ihr Schwiegervater eine kleine Werkstatt mit Lagerraum gebaut haben. Dort trocknet sie Blüten, mischt Tees, füllt Sirup ab. Im Unterengadin kennt man ihre Produkte – sie sind in fast jedem Dorfladen zu finden, aber auch online bestellbar. Alles handgemacht,

nach Bergsommer duftend. Und Madeleine Papst hat noch sehr viel mehr Ideen. Eine eigene Eistee-Linie vielleicht. Ein Blütensalz. Sie möchte mit neuen Farben und neuen Düften spielen. Ihre Einfälle wachsen wie die Kräuter im Garten. «Meine Träume und Ideen sind meine Basis. Die gehen mir nicht so schnell aus.»

Voraussichtlich im August wird Madeleine Papst zum ersten Mal Mutter – mitten im Hochsommer. «Genau dann, wenn alles wächst und blüht», sagt sie lachend. «Ich wünsche mir, dass mein Kind so oft wie möglich dabei ist. Dass es von Anfang an spürt, wie sich die Natur bewegt.» Genau so wie einst Madeleine.

Drei Hausmittel aus Madeleines Garten

Malvenblätter über Nacht in kaltem Wasser einweichen – den Schleim, der sich bildet, kann man zum Beispiel auf kleinere Wunden streichen. Er wirkt beruhigend und kühlend.

Im Sommer, an heissen Tagen, einen warmen Pfefferminztee trinken – das ist kühlend. Total paradox, aber es wirkt!

Lavendel beruhigt enorm. Nur schon der Duft –bei Unruhe oder vor dem Schlafengehen.

Geniessen

Während der Wildsaison Gams im Mittelpunkt der

Hotel

Veduta

Jagdgeschichten als Beilage

Das Wild, das in Cinuos-chel im «Veduta» auf den Teller kommt, stammt aus dem Engadin. Ein grosser Teil wird von der Besitzerfamilie Campell selbst gejagt. Zusätzlich sind es 15 Jäger, die das Wild schiessen. Sie pflegen diese Tradition mit grosser Leidenschaft. Die Tiere werden in der eigenen Metzgerei zerlegt, bevor der Küchenchef daraus seine Kreationen zaubert. Da die Gastgeber selbst Jäger sind, gibt es zu Tisch stets auch spannende Jagdgeschichten zu hören. veduta.ch

Hotel Donatz

Wenn Wild das Angus Beef jagt

Eigentlich ist das «Angus Roast Beef» der bekannteste Klassiker im Restaurant Donatz in Samedan. Jeden Freitag lässt sich das kulinarische Highlight geniessen. In der Wildsaison werden weitere Klassiker wie Rehrücken, Gamspfeffer, HirschEntrecôte und Rehgeschnetzeltes serviert. Wann immer möglich bezieht der Familienbetrieb, der auch über 25 gemütliche Arvenholzzimmer verfügt, das Fleisch dazu lokal. Auch toll: die Donatz Wine Bar mit über 550 Weinen. hoteldonatz.ch

Gasthaus Mayor Wild gibts hier schon im Sommer

Im Gasthaus Mayor in Scuol wird den Gästen die grosse Karte mit Wild aus einheimischer Jagd ab Mitte September vorgelegt: Gamsmedaillons im Speckmantel, HirschEntrecôte, Rehtatar, Hirschcarpaccio und frische Hirschleber! Einige Wildgerichte werden den ganzen Sommer hindurch serviert. Auch hier stammt das Wildfleisch vorwiegend aus heimischer Jagd, ansonsten aus Österreich oder Deutschland. Geniessen darf man die Gerichte im über 400-jährigen Arvenstübli. gasthaus-mayor.ch

Text: Manuela Enggist
Fotos: zVg (2), Yanik Bürkli (1), Marina Gachnang (1), Johannes Fredheim (1), Luigi Fiano (1)

stehen Hirsch, Reh und regionalen Küche

Der Hausherr hofft auf eine gute Jagd

In «Gianottis Wilderei» kommt einiges zusammen: Das Lokal fungiert als Café, Weinbar und Restaurant für den Zmittag oder ein ausgedehntes Abendessen. Dreh und Angelpunkt ist der grosse Grill in der Mitte des Raums. Die «Wildfütterung», wie die Grillstation auch genannt wird. Hier werden T-Bone-Steaks und Thunfisch zubereitet. Und zur Wildsaison natürlich auch Hirschfilet. Dieses wird oft von Chef Roman Kling nach Pontresina gebracht, sofern er auf der Jagd erfolgreich war. gianottis.ch

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Hotel Bellavista Wenn ein Vater mit den Söhnen

Im Hotel und Restaurant Bellavista steht Wild das ganze Jahr hindurch auf der Karte. Möglich ist das, weil Besitzer Beni Kleger und seine beiden Söhne Nicolas und Fabian jeweils in einem Jagdgebiet in Österreich unterwegs sind. Das Restaurant ist weit über die Grenzen von Silvaplana hinaus für seine Wildspezialitäten bekannt, an Spitzentagen werden bis zu 400 Nachtessen serviert. Besonders beliebt sind das hauchdünn geschnittene Hirschcarpaccio und das Hirschfilet Stroganoff. bellavista.ch

Hotel Steinbock Waidmannsheil im ältesten Gasthaus

Bereits 1651 eröffnet, gilt der Steinbock als ältestes Gasthaus von Pontresina. Seit drei Generationen ist der Betrieb in Familienbesitz. Die Wildspezialitäten – das Fleisch stammt aus Österreich – umfassen Leckerbissen wie den Herbstsalat «Waidmannsheil» oder Wildgeschnetzeltes. Natürlich darf auch der Coupe Nesselrode nicht fehlen. Ein weiteres Highlight: die «Gondolezza» im Garten des Hotels, wo die Gäste in einer ausrangierten Gondel Fondue und Raclette geniessen können. hotelsteinbock.ch

Weitere Tipps aus dem Engadin: engadin.ch/wild-restaurants

Gianottis Wilderei

Nicole Buess bietet mit ihren sieben Böcken

Trekkings an. Was idyllisch klingt, ist ein Abenteuer mit vielen Überraschungen.

Mini Geiss, dini Geiss

Die Geissen von Nicole Buess verdienen ihren Lebensunterhalt als Teil der Trekking- und Yogaangebote quasi selbst und werden zusätzlich von Patinnen und Paten unterstützt.

Text Jenny Keller Fotografie Agostina Schenone

Zottel blickt verträumt in die Berglandschaft, bevor er sich plötzlich mit einem kräftigen Stoss von der Leine reisst –und auch die anderen Geissen preschen hinterher. Der Auslöser für das Chaos: ein bellender Hund. Doch Nicole Buess, die das Geissentrekking im Oberengadin leitet, bleibt gelassen. «Wenn die Geissen beschliessen, dass jetzt Action angesagt ist, wirds spannend», sagt sie und schmunzelt. Ihr Geissentrekking sei eben kein gewöhnlicher Spaziergang, sondern ein Erlebnis mit Überraschungen. Auch an diesem sonnigen Tag trotten die Geissen – meist gemütlich – vor sich hin. «Geissen gehören zum Engadin wie das Amen zur Kirche», erklärt Nicole Buess und tätschelt Zottel, der sich längst wieder beruhigt hat, liebevoll den Kopf. «Früher gab es in den Dörfern oft mehr dieser Tiere als Menschen.»

Nicole Buess, 57, ist in Basel aufgewachsen, lebt seit 32 Jahren im Engadin und schätzt die Ruhe der Berge. Sie wohnt in Madulain, arbeitet Teilzeit für die Gemeinde St. Moritz und hat durch das Geissentrekking eine besondere Verbindung zu ihrer Wahlheimat geschaffen. «Ich war schon als Kind tierlieb», erzählt sie. Ziegen übten eine besondere Faszination auf sie aus, auch wenn ihr eigenes kleines «Rudel» vor acht Jahren eher durch Zufall (oder war es Schicksal?) entstanden ist. 2017 kaufte Nicole Buess fünf Gizzi für 150 Franken «Metzgersgeld» pro Tier von einem Bauern, der sie schlachten wollte. Einige Monate zuvor

hatte sie die fünf auf einem Spaziergang entdeckt und sich auf den ersten Blick verliebt. Aus der Rettungsaktion entstand ein echtes Herzensprojekt. Heute ist Nicole Buess’ kleine Herde zu einer eingeschworenen Siebnertruppe herangewachsen: Bruciato, Fritzli, Buess, Murmel, Sämi, Zottel und Pogo. «Jede Geiss hat ihren eigenen Charakter: Fritzli ist der grösste Schmuser, Bruciato redet ununterbrochen, und Murmel ist der respektierte Chef der Gruppe.»

Was macht diese Sieben, die in Tat und Wahrheit imposante Tiere mit Hörnern sind, so besonders? «Sie sind lustig und nahbar – manchmal auch etwas anstrengend», sagt Nicole Buess. «Sie können mich in den Wahnsinn treiben, wenn sie beispielsweise ihr Heu nicht fressen, weil es ihnen als Feinschmecker nicht gut genug ist.» Trotz oder gerade wegen ihrer Eigenheiten sind sie für Nicole Buess einzigartig. «Sie sind weder alltäglich wie Kühe noch exotisch wie Lamas.» Geissen haben ein eigenwilliges Temperament und eine fröhliche Neugier. Auf der Weide werde es ihnen schnell langweilig, auf den Spaziergängen gebe es hingegen viel zu entdecken. Kein Wunder, dass die Böcke Nicole Buess überallhin folgen. Unterwegs knabbern sie an Tannenzweigen oder Bergkräutern und bleiben stehen, um die Gegend zu erkunden. «Im Engadin riecht es nach Harz, Blumen und Erde. Solche Sinneseindrücke bleiben auch den Geissen im Gedächtnis.» Doch die Idylle hat ihre Tücken: «Oft finden die Geissen die Ablenkungen am Wegrand spannender als unser Ziel», erklärt Nicole Buess. «Sie sind schlau, haben ihren eigenen Kopf. Wenn sie nicht wollen, braucht es viel Überzeugungskraft.»

«Geissen

gehören zum Engadin wie das Amen zur Kirche» Nicole Buess

Der Stall der Geissen liegt in Madulain, nur fünf Minuten vom Wohnort von Nicole Buess entfernt. Auf den Trekkings bietet die Wahl-Engadinerin auch Verpflegung an.

Das Trekking führt über Alpwiesen, vorbei an Arvenwäldern und Bergbächen. Die Touren starten je nach Wunsch in den Regionen Zuoz und Madulain. Sie können an die Bedürfnisse der Gäste angepasst werden. Dabei bleibt das Tempo gemächlich – Geissen lassen sich Zeit, haben es nicht pressant. Die Leute, die Nicole Buess auf ihrem Spazierweg begleiten, sind bunt gemischte Gruppen, von Schweizerinnen und Schweizern bis hin zu internationalen Gästen, Leuten aus Fünfsternehotels bis zum Campingplatz. Dabei geht es nicht nur um tierische Erlebnisse. Nicole Buess vermittelt ihren Gästen ganz nebenbei Wertschätzung für die Natur. «Gerade Kinder haben oft keinen Bezug mehr dazu, woher Lebensmittel stammen. Sie denken, die Milch komme direkt aus der Verpackung», erzählt sie. Solche Gelegenheiten nutzt sie, um Zusammenhänge zu erklären. Nach einem Tag mit den Geissen nehmen viele Gäste eine neue Sicht auf Tiere und Umwelt mit nach Hause, ist Nicole Buess überzeugt.

Nicole Buess bietet neben dem Trekking auch Geissen-Yoga mit einer erfahrenen Lehrerin an. Es sei sehr entspannend, in der Nähe der Tiere diesen Sport zu machen. In manchen Momenten sorgen diese aber auch für viel Aufsehen. «Einmal hat Momo, ein inzwischen leider verstorbener Bock, das Kinderprogramm des Hotels Saratz in Pontresina unterstützt. Es lief alles grossartig, bis er beschloss auszubüxen.» Der Direktor habe sie anrufen und gesagt: «Hol sofort deine Geiss vom Swimmingpool weg, Nicole! Die Gäste fanden es zum Glück sehr amüsant.» minigeiss-dinigeiss.ch

Mein Engadin

Seit ihrer Kindheit verbringt Autorin und SRF-Moderatorin

Barbara Bleisch ihre Ferien im Unterengadin. Eine Hommage.

Aufgezeichnet von Manuela Enggist

«Meine Beziehung zum Engadin begann in meiner Kindheit, als wir Wanderferien im Unterengadin machten. Etwas später erwarb meine Gotte ein altes Haus in Scuol, in dem ich als Jugendliche mit Freunden übernachten durfte. Ich erinnere mich ans Grillieren am Inn, an Bäder in eiskalten Bergseen, an nächtliche Schlittenfahrten. Das Unterengadin hat mich schon immer in seinen Bann gezogen: die hohen Berge und das südliche Flair, die weiten Plätze mit den Mineralwasserbrunnen in der Mitte, die Sgraffito-Kunst und die Sprüche an den Häusern. Auch das reiche Brauchtum hat mich schon als Mädchen begeistert – etwa die Schiffchen, die an Silvester in den Brunnen treiben. Es ist schön, das Engadin heute mit meinen Kindern nochmals von einer anderen Seite kennenzulernen. Wir verbringen viel Zeit hier. Ich habe eine Tochter, die gern reitet. Sie hat den Reitstall San Jon für sich entdeckt, einen magischen Ort, den ich vorher nicht kannte. Im letzten Sommer sind wir zum ersten Mal als Familie zur Lischanahütte hochgewandert und haben dort übernachtet. Ich war schon als Kind oben, doch diesmal wählten wir die hochalpine Route via S-charl. Ein Erlebnis für alle. Es ist von besonderem Zauber, den eigenen Kindern die Welt zu zeigen, die man selbst einmal mit Kinderaugen entdeckt hat. In meinem Buch «Mitte des Lebens. Eine Philosophie der besten Jahre» beschreibe ich auch die Wanderung zum Lai Nair, dem Hochmoor oberhalb von Tarasp, die ich unzählige Male gemacht habe: als Kind, dann mit eigenen Kindern, heute zunehmend mit meinem

Mann, mit Freunden oder allein. Die Stille und das Licht hier oben berühren mich immer von Neuem. Die Natur im Engadin ist ohnehin einmalig, vor allem im Herbst. Das Licht ist hell, aber nie grell wie am Mittelmeer, sondern weichzeichnend, sanft und golden. Gepaart mit den Lärchen in ihrem schönsten Gewand entsteht eine Kulisse, die ihresgleichen sucht. Besonders schön ist es im Herbst natürlich im Oberengadin, wenn sich die gelben Lärchen in den Seen spiegeln. Ich war noch nie in Kanada, bilde mir aber ein, dass, wer an den Oberengadiner Seen gestanden ist, dort nicht mehr hinmuss. Die wilden Wälder, die direkt an die Seen grenzen – überwältigend schön. Eine Wildheit, die nie schroff wirkt, der immer ein Schuss Lieblichkeit innewohnt, vielleicht eine Vorahnung des Südens.

Mein Herz gehört dennoch mehr dem Unterengadin. Ich mag nicht zuletzt, wie sehr dem kulturellen Leben Sorge getragen wird. In Scuol gibt es neu das Cafè Ajüz beim Dorfplatz, das im Sommer zu Open-Air-Konzerten lädt. Ich mag auch die Konzerte in Sent mitsamt dem Kulturbus, der die Besucherinnen und Besucher nach der Abendvorstellung gratis zurück nach Scuol, Ftan, Ardez und Tarasp fährt. Die Buchhandlung Libraria Poesia Clozza in Scuol macht hervorragende Arbeit und wurde dafür auch schon als beste unabhängige Buchhandlung der Schweiz ausgezeichnet. Und jetzt erwacht auch das Hotel Palace am Inn aus seinem Schlaf und versucht sich mit einem eigenen Kulturprogramm. Ich freue mich darauf.»

Barbara Bleisch, 52, ist Philosophin, Dozentin und Autorin und moderiert seit 2011 bei SRF die Sendung «Sternstunde Philosophie».

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