unterwegs 04/2012

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4 ::: Titelthema: Christlich – politisch – engagiert

Zur Einmischung berufen Es gibt viele Gründe, sich politisch und gesellschaftlich zu engagieren. Nicht zuletzt die alttestamentlichen Propheten waren und sind darin Vorbilder. Dorothea Lorenz beleuchtet die Geschichte des Propheten Amos und zeigt, dass politisches Engagement für Christen unumgänglich ist – auch wenn es Christus alleine ist, der die Welt retten kann.

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it dem Lied »Ich muss nur noch kurz die Welt retten!« stürmte der Sänger Tim Bendzko im vergangenen Jahr die Hitparaden. Will er das wirklich? Oder sucht er nur gute Ausreden? Denn im Text heißt es: »Ich wär so gern dabei gewesen doch ich hab viel zu viel zu tun; lass uns später weiterreden.« Eine Freundin meinte spontan zu diesem Lied: »Das ist so ein typisches Pastorenlied. Die wollen immer die Welt retten.« Ist das wahr? Sollen sich Christen politisch engagieren? »Ja, klar!« Sagen die meisten. »Ich bin mir da nicht so sicher!«, antworten die anderen. Und es gibt Argumente, die – zumindest auf den ersten Blick – dagegen sprechen: Politik ist ein schmutziges Geschäft, deshalb sollten wir Christen uns davon fern halten. Zweitens: Wir Christen gehören doch eigentlich gar nicht richtig hierher in diese Welt. Wir gehören zu einer anderen Welt, deshalb wollen wir uns nicht »der Welt gleich machen«. Drittens: Unsere Aufgabe ist es, Jesus nachzueifern. Und Jesus hat sich ja ganz bewusst aus der Politik rausgehalten. Er wollte kein religiöser Führer sein. Jesus sagte schließlich zu Pilatus in Johannes 18,36: »Mein Reich ist nicht von dieser Welt.« Das vierte Argument: Paulus hat das auch so gesehen. In Römer 13,1 sagt er: Jeder soll sich den bestehenden staatlichen Gewalten unterordnen. Denn es gibt keine staatliche Macht, die nicht von Gott kommt; jede ist von Gott eingesetzt.

Für die frühen Christen kein Thema Aber: Sowohl für Jesus, als auch für Paulus stellte sich die Frage gar nicht, ob sie sich politisch engagieren wollen. Es gab keine Demokratie, in der es auf die Mithilfe engagierter Mitstreiter angekommen wäre. Den frühen Christen ging es nicht anders. Im Buch der Offenbarung wird deutlich vor dem römischen Staat gewarnt. Eine Mitarbeit dort war gar nicht möglich. Denn dieser Staat verlangte die absolute Unterordnung unter den Kaiser, und diese ging so weit, dass er sogar als religiöser Führer verehrt werden musste. Für Christen schlichtweg unmöglich. Die ersten Christen waren außerdem überhaupt nicht darauf eingestellt, sich in ihrem Staat häuslich einzurichten, denn sie rechneten ja immer damit, dass

Jesus demnächst wieder kommt. Das Wichtigste war, auf Jesus vorbereitet zu sein – alles andere war zweitrangig. Jesus allerdings hat sich bewusst denen zugewandt, die am Rand standen. Das waren Arme und Ausgestoßene. Und das ist politisch. Nun kann natürlich jeder Einzelne schauen, wo er oder sie privat helfen kann. Ich kann meiner alleinerziehenden Freundin Kleider für ihre Kinder schenken, die sie sich selbst nicht leisten kann. Viele Einzelne können sich aber zusätzlich auch mit anderen zusammen Gedanken darüber machen, wie man Jesus auch politisch näher kommen kann, indem die Kinderarmut – noch immer ein großes Problem in Deutschland – gesenkt werden kann.

Kein Blatt vor dem Mund Wenn wir in der Bibel weiter zurückblättern, sehen wir, dass es nicht nur Jesus ist, der sich für soziale Gerechtigkeit einsetzt, auch im Alten Testament finden wir Menschen, die sich das zur Lebensaufgabe gemacht haben. Der Prophet Amos ist ein Beispiel dafür. Er nimmt kein Blatt vor den Mund. »Ihr treibt mit der Gerechtigkeit Schindluder, ihr tretet das Recht mit Füßen! Ihr hasst jeden, der vor Gericht für das Recht eintritt, und wer die Wahrheit sagt, den verabscheut ihr. Von den Ärmsten nehmt ihr Pachtgeld und verlangt auch noch Getreideabgaben. Darum werdet ihr nicht mehr in euren prachtvollen Häusern aus behauenen Steinen wohnen, und den Wein aus euren schönen Weingärten werdet ihr nicht trinken. Ja, ich weiß, wie viele Verbrechen ihr begangen habt und wie groß eure Schuld ist. Ehrliche Menschen bringt ihr in Bedrängnis, ihr nehmt Bestechungsgelder an und lasst die Armen vor Gericht nicht zu ihrem Recht kommen (Amos 5, 7 + 10 bis 12). Amos redet hier zu seinen Landsleuten, denen es gerade richtig gut geht. Die Geschäfte laufen besser als je zuvor. Ihr Lebensstandard steigt. An ihren solide gebauten Häusern kann man sehen, dass sie es zu etwas gebracht haben. Dazu haben sie sich schöne Weinberge angelegt. So lässt es sich leben. Da kommt Amos. »Euer Aufschwung hat auch eine Kehrseite und das ist der Abschwung für die anderen. Ihr quetscht die anderen aus. Und das, was ihnen

unterwegs 4/2012 ::: 12. Februar 2012


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