Schubertiade: ‘Du holde Kunst, ich danke Dir’

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Ein paar retrospektive Anmerkungen: es schlich sich in diese Auswahl einige „Nachtmusik” – wenig verwunderlich eigentlich, denn Schubert liebte es, nachts zu komponieren. Dann stellte ich fest, dass merkwürdigerweise Tenorlieder fehlen, obwohl Schubert (selbst ein Tenor) die meisten Lieder für diese Stimmlage komponierte! Seine Erfahrung als Sänger erklärt meiner Meinung nach übrigens eines von Schuberts Geheimnissen als Liedkomponist: seine Ausbildung als Chorknabe im Konvikt zu Wien kristallisierte sich in einen Schreibstil, der ideal auf die menschliche Stimme zugeschnitten ist. Außerdem ist der dramaturgische Aufbau seiner Lieder phänomenal. Das Klavier fungiert als Regisseur: es bestimmt die Atmosphäre und antizipiert die Textwiedergabe – ein Jahrhunderte altes theatralisches Prinzip, mit dem Schubert brillant umging. Lauscht man dem „Zwerg“ mit dem Liedtext in der Hand, wird einem dies eindrücklich klar. Die dramatische Kraft ist nur eine der schubertianischen Qualitäten, die mich so faszinieren. Ich finde seine Musik auch im wahrsten Sinne des Wortes besonders „rein”. Schubert hat sich nie darum gekümmert, was andere von ihm hielten: er ging seinen eigenen Weg, was zu einem originellen Werk führte. Auch seine kompositorische Entwicklung scheint mir außergewöhnlich: Schubert war noch keine zwanzig, als er den „Erlkönig“ schrieb, und begann am Ende seines Lebens noch, Kontrapunkt zu studieren! Schließlich liegen mir auch noch einige seiner Äußerungen am Herz. Eine der schönsten möge dieser Erläuterung als eine Art Orgelpunkt dienen:

O Phantasie! Du höchstes Kleinod des Menschen, du unerschöpflicher Quell, aus dem sowohl Künstler als Gelehrte trinken! O bleibe noch bei uns, wenn auch von wenigen nur anerkannt und verehrt, um uns vor jener sogenannten Aufklärung, jenem hässlichen Gerippe ohne Fleisch und Blut zu bewahren! Jos van Immerseel 36


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