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ehren­felder

01 / 2010

Bis hierhin und nicht weiter Gefühlte und echte Grenzen eines Viertels

Die Gentrifizierer Kleinvieh macht kommen mehr Mist Jetzt heißt es cool bleiben

Graswurzel-Initiativen gegen Jugendgewalt

Hol dir dein E

Der extra ­ astelbogen B


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0–84 Ehrenfeld hat was zu sagen: 60 Minuten live recording auf der Venloer Straße füllen 84 Seiten. Originalsound auch unter: www.ehrenfelder.org

Titel Foto: Stefan Ditner Themen: Jessica Hoppe, Prasanna Oommen Gestaltung: Mareile Busse, Alina Edelstein, Stefan Flach, Ethel Strugalla


Ehrenfeld – nur ein Karnevalsgag? „ICH SIN, DAT DÄ FASTELOVVEND NIT RÄCH MIH TRECKE WELL, WESST EHR WAT, MEER WELLE EN NEU STADT BAUE, UN DANN SOLLE SE WAHL KUMME.“ (www.bv-4.de)

Im Jahre 1845 trafen sich in der alten Brauerei „Zum Kaiser“ auf der Ehrenstraße 86 in der Kölner Innenstadt ein paar karnevalsverrückte Kölner. Da aber die Vorbereitungen für das närrische Treiben nicht so recht gelingen und die ausgelassene Stimmung nicht aufkommen wollte, überraschte der damals sehr bekannte Antiquar und Buchdrucker Franz Anton Kreuter seine Freunde mit einer Idee, die ihn schon längere Zeit beschäftigte: Man solle einfach vor den Toren Kölns eine neue Stadt bauen, damit Köln größer werde. Es dauerte genau 30 Jahre, vier Monate und 14 Tage bis aus einer Idee eine Stadt wurde: Innerhalb dieser Zeitspanne ist Ehrenfeld quasi aus dem Nichts entstanden – eine moderne Stadt vor den nordwestlichen Toren Kölns!

Basierend auf der Diplomarbeit „Konzeption und Entwurf von Kommunikationsmitteln für den Stadtteil Köln-Ehrenfeld“ von Kerstin Rößler. Text bearbeitet von Prasanna Oommen

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neue Stadt Wie damals Anton Kreuter planen auch heute Leute das Viertel neu. Seite 41

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Headline: Willkommen in Ehrenfeld Copy: Ehrenfeld kommt, heißt es in Köln seit Jahren. Und in der Tat präsentiert sich derzeit kaum ein Kölner Veedel so vielseitig, bunt und spannend wie Ehrenfeld. Nirgendwo in der Stadt leben so viele Menschen unterschiedlichster Herkunft und Nationalität Tür an Tür mit alteingesessenen Kölnern. Studenten, junge Familien, gutverdienende Singles zieht es hierher, zum Leben oder zum Arbeiten – oder für beides. Auf der nimmermüden Venloer Straße trifft man sich beim Einkaufen zwischen Blumenständen, Dönerbuden und Oma-Cafés, zwischen Supermärkten, Handyshops und angesagten jungen Boutiquen. Wer in Ehrenfeld abends eine gute Kneipe, eine angesagte Bar oder ein nettes Restaurant sucht, der findet. Auch die Theater-, Kunst- und Musikszene ist schon vor Jahren im Quartier angekommen. Ehrenfeld ist der florierende Kölner Melting Pot zwischen Melatenfriedhof und A57. Es hat nicht den eleganten Flair des Belgischen Viertels und nicht die kölsche Beschaulichkeit der Südstadt. Ehrenfeld hat herrliche Altbaustraßen, zu wenige Grünflächen, eine gute Verkehrsanbindung und etliche Schmuddelecken. Hier lebt Jung und Aufstrebend neben Arbeitslos und Hartz IV. Diese Mischung macht Ehrenfeld nicht immer einfach, aber immer spannend. Wer hier lebt oder arbeitet, weiß: In Ehrenfeld ist noch vieles möglich. Ehrenfeld kommt. Viel Spaß im Veedel wünschen Die Kollegen von der Vogelsanger Straße


Ehrenfeld ist anders

der Landesregierung den Stadtteil zum geeigneten Terrain für Clusterbildung erkor. Wir, Die Kollegen, allesamt akademische Freiberufler aus dem Medien-, Design- und Kommunikationssektor, sind uns bewusst, dass wir zur sogenannten Gentrifizierung des Viertels beitragen. (Wir sind diejenigen, die jederzeit eine verkaufsfördernde Imagebroschüre für ansässige Unternehmen gestalten können, um neue Zielgruppen anzusprechen. Das ist Teil unseres Berufs. Seite 2) Aber: Wir wissen auch, wo das hinführen kann. Es ist in seiner ausgeprägtesten Form am Prenzlauer Berg in Berlin und mittlerweile auch in Hamburger Künstler- und Arbeitervierteln (siehe Seite 80) zu besichtigen: eine Monokultur aus Besserverdienern, Biobewegten, spätgeborenen Kindern spätgebärender Akademikereltern. Glückliche Lohas unter sich. Die Debatte über die angestrebte Aufwertung von Ehrenfeld hat aber nicht nur unsere Skepsis, sondern auch unsere Neugier geweckt. Auf das, was das Viertel wirklich ausmacht. Uns jedenfalls kommt es nicht nur hip und cool vor. Wir verbinden mit Ehrenfeld auch: die Grenzen von Multikulti, nebeneinander statt miteinander, rivalisierende Jugendbanden, verstopfte Straßen, vermüllte Hauseingänge, Hundescheiße, bemalte Hauswände, Fliesenfassaden. Wir ertappen uns bei dem gelegentlichen Wunsch nach einem etwas unkomplizierteren Umfeld. Deswegen reden wir nicht der Gentrifizierung das Wort. Denn seit Ehrenfeld eine Marke zu werden droht, stellen wir fest: Wir lieben unser – in diese Widersprüche verstricktes – Ehren-

sessen und neu hinzugezogen nicht widersprechen, sondern gemeinsam an der Theke sitzen. Wer genauer hinschaut, erfährt aber auch, dass der vielzitierte Ehrenfelder Kulturenmix eigentlich nicht gelebt wird. Dass der Moscheebau (Seite 34) für viele befremdlich ist. Dass die aus Griechenland stammende Änderungsschneiderin (Seite 60) vor allem griechisch essen geht. Dass manche Ehrenfelder sich Ehrenfeld tatsächlich bald nicht mehr leisten können. (Seite 74) Wir haben viel erfahren über ein Viertel, in dem zu leben und zu arbeiten etwas Mühe macht. Wir haben aber auch erfahren, wie man hier im Viertel auf unsere vermeintliche Boombranche schaut. Eine Interviewpartnerin (Seite 62) gab uns auf die Frage, wem es in Ehrenfeld schlechter ginge als ihr, eine interessante Antwort: „Ganz klar. Den ganzen Freiberuflern und Selbständigen hier. Die leben doch von der Hand in den Mund.“ Offenbar sind es nicht finanzielle Gründe, die uns in dieses Veedel locken. Welche es sein könnten, liegt im Auge des Betrachters. Viel Spaß mit ef. Prasanna Oommen und Jessica Hoppe für Die Kollegen

Wir befinden uns am Ausgangspunkt unseres Heftes, der Kollegenetage in der Vogelsanger Straße 193.

Cluster sind aus ökonomischer Sicht regionale Netzwerke von Produzenten, Zulieferern, Forschungseinrichtungen, Dienstleistern, Handwerkern und Institutionen, die Austauschbeziehungen entlang einer Wertschöpfungskette bilden und gemeinsame wirtschaftliche Interessen verfolgen.

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Die Debatte über die angestrebte Aufwertung von Ehrenfeld hat aber nicht nur unsere Skepsis, sondern auch unsere Neugier geweckt.

Gentrifizierung (auch „Yuppisierung“) beschreibt einen sozialen Umstrukturierungsprozess eines Stadtteils. Der Zuzug neuer Bewohner und die gezielte Aufwertung von Wohnumfeldern durch Restaurierungen/Sanierungen führten demnach zu einer – vermeintlich von Stadtplanern, Investoren, Bewohnern gewünschten – Veränderung der Bevölkerungsstruktur des Stadtteils. Der Prozess der Gentrifizierung läuft häufig nach einem typischen Muster ab. Siehe auch Seite 80

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feld, so wie es ist und wie es sein könnte. Für ef haben wir – zwölf Kollegen von der Vogelsanger Straße – uns auf die Suche gemacht nach Menschen und Geschichten, die uns diese Widersprüche in Ehrenfeld zeigen. Viele gewechselte Worte, gestellte Fragen, abgelaufene Hacken und fotografierte Ecken später fanden wir unseren Verdacht und unsere Hoffnung bestätigt: Es gibt nicht ein Ehrenfeld, sondern viele Ehrenfelder. Der Stadtteil braucht keinen Stempel, und er verträgt auch keinen. Wer auf der Venloer Straße die Zoo-Bar (Seite 18) betritt, der sieht, dass sich hier alteinge-

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Lange Zeit kam in Köln „alles Schlechte dieser Welt aus Nippes, Kalk und Ihrefeld“. Doch diese Zeiten sind vorbei. Neuerdings wird zumindest über Ehrenfeld in ganz anderen Tönen gesprochen. Man spricht jetzt vom „Designquartier“, der neuen „Kreativzone Ehrenfeld“. Hip, cool und „a place to be“. Ein Viertel als florierendes Biotop für die Kreativwirtschaft. Mit Verlaub: Das nervt. Denn ein kreatives, pulsierendes und sich weiterentwickelndes Viertel war Ehrenfeld dank vieler Künstler und Freiberufler schon lange, bevor ein Wettbewerb

Lohas steht für „Lifestyle of Health and Sustainability“ (Lebensstil für Gesundheit und Nachhaltigkeit). Der Begriff beschreibt einen Konsumententyp, der durch sein Konsumverhalten und gezielte Produktauswahl Gesundheit und Nachhaltigkeit fördern will und häufig ein überdurchschnittliches Einkommen hat.

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Inhalt 160 Tage 35 geführte Interviews 15 Shootings 1000 Ideen 200 Layoutentwürfe 1 Papierkorb viel Kaffee keine Freunde ein Ziel: Ein Magazin für Ehrenfeld

Ehrenfeld – nur ein Karnevalsgag?_01 Eine kleine Geschichtskunde zu dem wohl dämlichsten Gründungsgrund eines Veedels.

Willkommen in Ehrenfeld_02 Unser Imagetext für Clusterfans.

Ehrenfeld ist anders_03 Ein Leitartikel der ef Köpfe: www.diekollegen.net

Checkpoint Ehrenfeld_06 An den Grenzen eines Viertels. Bis hierhin und nicht weiter.

Jungle E_14 Dreck auf den Straßen, Farbe auf den Wänden. Was in Ehrenfeld ist eigentlich schlimmer? Eine Text-Bildstrecke in der Risikozone.

Zoo(n sociabilis)_18 Die Zoo-Bar auf der Venloer Straße: Sammelbecken komischer Vögel und Arten. Hereinschauen gewünscht. Ein Text über die kleine Bar von Aline Blervaque und Bastian Radermacher.

Asche, Holz dank Kohle_22 Der Wirtschaftsjournalist Thilo Großer über ein bankenunabhängiges, Ehrenfeld-erprobtes Geschäftsmodell zweier Mittelständler.

Erfolg à la Hua Lin_28 Eine Zutatenempfehlung für gelungene Integration in Ehrenfeld von einem chinesischen Gastronomen in zweiter Generation (mit Rezept!).

ApplicationEhrenfelder_30 Meine schöne Welt hat Objekte, und die sind verbunden. Durch Kanten. Und die sind auch noch Erben. Von den oberen. Aber alle haben Eigenschaften und Methoden; in Ehrenfeld. Eine Applikation.

Herman van Veen _32 Ein Lied zur Moschee-Debatte als Hommage an Ehrenfeld.

Next Station: Piusstraße/Mosque!_34 Die Vorfreude eines Landschaftsarchitekten auf ein neues Wahrzeichen. Ein Essay.

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Powercorner Big E_39

Das große Fehlen und die Stadt_68

Zerklüften ist gar nicht so einfach. Vollziehe und baue nach, wie Ehrenfelds Gletscherspalten entstanden sind. Der Text zum ef Bastelbogen.

Wieso ist man in Ehrenfeld bloß so viel krank? Die Ehrenfelder Schriftstellerin Aski Ayran Elber schreibt sich durchs Quartier.

Ehrenfeld weiterdenken_40

Ehrenfeld – ein Requiem_74 Ein Interview mit dem Ehrenfelder DJ Fangkiebassbeton.

Als Open Source-Prozess: Visionäre Stadtplanung und Bürgereinmischung auf der Plan09 als Chance für Ehrenfeld? Eine konzentrierte Rückschau.

Ehrenfeld verortet_44 Eine Sehhilfe für Beziehungen. Karten im Kopf. Themen im Heft.

Learning from E_46 Lernen. Endlich. Und dann auch noch von Ehrenfeld. Wie uns (Fliesen-)Muster weiter bringen. Gegebenenfalls. Für nach dem Krieg.

Rekonfiguriert_49

Ehrenfeld braucht Freunde!_76 Ein Ehrenfelder sitzt seit September 2009 im Kölner Rat und das mit einer niegelnagelneuen Wählergruppe. Eine liebevolle Betrachtung (fast) ohne Parteipolitisches.

Ehrenfeld-Mitte. Gefühlt_78 Mitten in Ehrenfeld – wo ist das denn? Gefühlt oder gemessen? Ein Vorschlag zur Güte.

NOT IN OUR NAME_80 Das Standortmanifest zur Gentrifikation in Hamburg mit Blick gen Köln-Ehrenfeld.

Tintenschach. Ehrenschacht.

Neophyten auf der Brache_52 Invasiv in Ehrenfeld. Ein botanischer Streifzug.

Die Kollegen stellen sich vor_82 Und sagen, wer was gemacht hat. Die Gesichter hinter ef und die Kollegen der Kollegen. Ein Impressum.

sideseeing ehrenfeld_56 Ehrenfeld in Sfumato mit Ivo Mayr. Eine Art Bild Strecke.

Wie Sie sehen, sind wir immer noch da_60 Der Lebensweg einer griechischen Migrantin, die etwas wie Heimat in Ehrenfeld fand.

Mit Ballett kommen wir bei denen nicht weiter_62 Serna Caner boxt sich mit ihren Jugendlichen durch Migrationshintergründe und andere Grenzen im Zusammenleben. Jede Samstagnacht. Eine Reportage.

23 m2 Hip Hop_66 Wie Strassenkinda Productions den Gangsta-Rap erfolgreich verabschiedet hat. Porträt eines Graswurzel-Labels.

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Fotos: Tanja Steffen

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Checkpoint

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Mehr Fliesen auf Seite 46

Wir befinden uns am ehemals gef채hrlichsten Suizidgeb채ude an der A57, Ausfahrt Lindenthal: Das bunt geflieste Herkuleshochhaus.

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Ehrenfeld

Vom Pascha aus blicken wir auf den traditionsreichen Schlachthof in der LiebigstraĂ&#x;e.

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Orte fĂźr elektronische Musikveranstaltungen gesucht. Mehr dazu auch im Interview mit DJ Fangkiebassbeton auf Seite 74

An der Stolberger StraĂ&#x;e hat sich die Elektroszene eine neue Nische erschlossen.

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Wir befinden uns an der Oskar-Jäger-StraĂ&#x;e, eine der Schneisen durch Ehrenfeld.


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Jetzt befinden wir uns an der Grenze zu Braunsfeld. In der Nähe befindet sich der größte Friedhof von Köln. Quasi eine tote Ecke.

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Jungle E Text: Matthias Knopp, Bastian Radermacher Fotos: Bastian Radermacher

In Ehrenfeld findest du alles: Von Streetart (Schablonen-Malerei, Aufkleber und Sticker, aufgeklebte bemalte Kacheln) über Bombings oder Throw-Ups (schnell gemalt, meistens zweifarbig, mit Dose) bis zu Tags (einfarbig mit Marker) und aufwendigen Pieces (mehrfarbig, mit Dose gemalt). Dreck auf den Straßen, Farbe an den Wänden: Man ist sich in Ehrenfeld uneins, was schlimmer ist.

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Neuestes Phänomen: Poster-Scratching (Décollage). Zu besichtigen in der Vogelsanger Straße – Kunstbefall auf Werbeplakaten. Siehe Heftrücken


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Ehrenfeld ist blau-gelb gemalt, orange-lila gestickert, schwarz-silber gebombt, schwarz getagt, groĂ&#x;-bunt bemalt, rot gekachelt. Dieses Ehrenfeld findest du in jeder Stadt auf der Welt.

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Ehrenfeld heißt Risiko und Kampf – egal ob du hier malst oder lebst oder arbeitest. Der Kampf ist den Leuten ins Gesicht gemalt in Ehrenfeld. Die chrom-schwarzen Bombings reagieren auf diese graue Tristesse und spiegeln sie wider. Die großen bunten Pieces sind teurer und brauchen mehr Zeit und Planung; sie sind der Gegensatz zum Grau. Eine echte Szene kannst du für Ehrenfeld nicht behaupten, die Jungs sind überall, von Bickendorf bis Porz.

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Jungs, die sich durchschlagen ab Seite 62

Oberflächen, die sich selbst überlassen sind Safari auf den Seiten 52-55

Bei den Kollegen vor der Tür geht so einiges in Sachen Malen, siehe Lichtstraße, Heliosstraße, Vogelsanger Straße etc.

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Genussmittel sucht Teilhaber Seite 22

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Zoo(n sociabilis)*

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„Am schönsten sind hier die kleinen Momente: Wenn wir hinter der Theke stehen und denken: Unsere kleine Bar funktioniert.“

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das soziale Lebewesen

Jeden Tag gespannt sein – die Bar Zoo wünscht das Zusammenund Aufeinandertreffen von Menschen unterschiedlicher Couleur. So ist man gespannt, wer morgen kommt. Interview: Matthias Knopp, Prasanna Oommen Text: Matthias Knopp Fotos: Stefan Ditner

Anfang: Die Idee war anfangs sofort, keine normale, sondern vielmehr eine aktive Bar zu sein. Ein Ort für Leute, die an Kunst und Kultur interessiert sind. Egal wie, egal ob zu wissen: Das klappt/das klappt nicht. Das war die große wichtige Sache. Keine kalte Bar. Eine warme Bar, wo die Leute bleiben wollen. Zufrieden werden und bleiben. Weg: Das Zoo wurde uns in die Passage gelegt, zufällig oder schicksalhaft, wenn man so will. Alles war gut gemacht für diese Bar damals. Sie ist nicht extra für oder extra in Ehrenfeld gemacht. Der erste Fußtritt hier hinein war sofort positiv belegt, der Ort, die Farbe... – das musst du machen, weißt du dann. Sofort. Schön: Dass es Ehrenfeld ist, war und ist wichtig. So sehr Ehrenfeld auch an schlechtem Geschmack leidet und so sehr wir ebenso andere Stadtteile mögen. In Ehrenfeld entsteht unsere Musik. In Ehrenfeld kannst du dich verstecken. Kannst du flanieren. Ehrenfeld ist vom Flair her, von den Leuten, von deren Mentalität, anders – man kann das nicht mit der Kölner Südstadt zum Beispiel vergleichen. Ehrenfeld ist underground, es ist schön, aber nicht hübsch.

Zoo: Der Name war schon da, genauso wie die Fassade. Jemand anders hat die Bar einige Zeit vor uns eröffnet; etwas kneipenartiges war schon immer dort. Zoo bedeutet Verschiedenheit: Wie der Zoo eine große Artenvielfalt beheimatet, beherbergt das Zoo temporär jeweils eine große Leutevielfalt. Früher war die Bar eher verrufen; natürlich kommen auch heute noch manchmal komische Typen rein (das Vorhaben anderer, eine Tabledance-Bar zu eröffnen, wurde nie verwirklicht). Meistens sind die Leute zwischen 20 und 50 Jahre alt und jeglicher Herkunft. Helmut aus der Ponderosa-Bar zum Beispiel kommt manchmal rüber; seinem Wunsch, im Zoo als Discjockey Helmut aufzulegen, konnten wir aber nicht entsprechen. Eigentlich kommen jeden Tag andere Leute in die Bar; und so ist auch das Umfeld: Die unterschiedlichen Bars in der Gegend ergänzen sich durch ihre Heterogenität, vielmehr, als dass sie miteinander konkurrierten.

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Artenvielfalt Eine wachsende Anzahl von Arten findet sich auch auf der Brache. Seite 52

Arten: Insgesamt ist es regelrecht durchwachsen hier (im positiven Sinn): das Publikum, die Berufe, die Nationalitäten, die Ethnien... die Menschen an sich. Ehrenfeld spielt insofern seine Rolle gut, als dass es vermeintlich all diese Unterschiedlichen in ihrer Verschiedenheit akzeptiert und toleriert. Die Verschiedenheit der Leute ergibt sich auch aus den unterschiedlichen Gründen, in Ehrenfeld zu sein: Manche sind hier, weil es billig ist, manche wegen des Hypes, manche sind schon immer hier; manche einfach nur durch Zufall. Danach: So, wie uns der Zufall hierher führte, ist das Zoo für uns eine Station. Alt werden wollen wir hier nicht, wenn wir uns auch zuhause fühlen. Und so ungesund dieses (Nacht-) Leben ist: Eine Zeit lang werden wir mit dem Zoo verweilen und unterschiedliche Leute dort zusammen bringen.

Wir befinden uns im rauhen Teil Ehrenfelds, außerhalb des Gürtels und hinter der schneidenden Bahntrasse.

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ASCHE, HOLZ – DANK

KOHLE Text und Illustration: Thilo Großer Fotos: Tanja Steffen

SEIN GELD ANLEGEN – IN EHRENFELD? EIN FRAGWÜRDIGER GEDANKE. DIE EINEN FRAGEN SICH: „WELCHES GELD?“ UND DIE ANDEREN RÄTSELN: „HIER? IN EHRENFELD?“ DIE IDEE MAG ABWEGIG SEIN. ANDERERSEITS LIEGT SIE NAHE. ZWEI EHRENFELDER FIRMENINHABER HABEN IHRE ORTSANSÄSSIGEN UNTERNEHMEN ZU ANLAGEOBJEKTEN FÜR JEDERMANN ERKLÄRT UND EIN PAAR HUNDERTTAUSEND EURO EINGESAMMELT. BIOMÖBEL-GENSKE NUTZT DAS IHM ANVERTRAUTE GELD SEINER NEUEN TEILHABER, UM ÖKOLOGISCH KORREKTE MÖBEL AUS NACHHALTIG ANGEBAUTEM HOLZ ZU VERTREIBEN. KLAUS KIRSCH KAUFT SICH VOM INVESTORENKAPITAL SCHNAPS UND ZIGARETTEN. 22

Die Geschäftsräume von Möbelverkäufer Johannes Genske und von Genussmittelhändler Klaus Kirsch (Firma „Feu-Ki“) unterscheiden sich wie Tag und Nacht. Und zwar wie ein anständig verrichteter Werktag von einer unsittlich durchzechten Weiberfastnacht. Der 56-jährige Genske empfängt in seinem weiträumigen hellen Verkaufsraum, in dem es mehr ökologisch unbedenkliche Sitzgelegenheiten gibt als daran Interessierte. Hinter einer Art Rezeption vertreiben sich die Verkäuferinnen die Zeit mit Verwaltungsarbeiten, die sie sofort ruhen lassen, sobald sie am Verhalten eines streunenden Gastes kleinste Anzeichen von Beratungsbedarf ablesen. „Unsere Ware ist zeitlos und hält über Jahrzehnte“, sagt Genske inmitten seiner Dauerausstellung, der biologisch abbaubaren. So wie manch werdender Vater die Geburt seiner Kinder zum Anlass nimmt, mit dem Rauchen aufzuhören, fing Genske einst an, sich über Gesundheitsgefahren von Kindermöbeln zu sorgen. Vor 24 Jahren eröffnete er seinen ersten Ökomöbelladen, seit 19 Jahren firmiert er an der Inneren Kanalstraße. Der Aufenthalt in dieser Wohnwelt hat seinen Preis. „Unser Publikum ist der gehobene Mittelstand, im Grunde genommen der Bildungsbürger“, sagt Genske, damit ein Selbstporträt liefernd. Tagsüber hat er ein Ökogeschäft, abends eine Kulturstätte. Hier herrschen Ordnung, Sinn und Verstand. Bei Feu-Ki in der Leostraße herrschen Trubel und Renovierungsbedarf. Überall Kartons, Krempel, Vitrinen, offen liegende Elektrik. Die Rezeption des Lagers im Hinterhof ist ein Tresen am Rande des Chaos, eine Durchreiche im Bienenkorb. Haben die Arbeitsbienen Pause, rauchen sie. „Wir sind tolerant“, sagt Kirsch. Stolz schwingt mit, geradezu gallischer Trotz: „Nichtraucher sind bei uns in der Minderheit.“ Zwei von 20. Er selbst legt seinen Zigarillo auch dann nicht aus der Hand, wenn dieser vor lauter Redensarten erloschen ist. „Klar, Rauchen is nit jesund. Biertrinken och nit. Und Schwimmen kann auch tödlich enden. Hahaha!“ Die Beschäftigten sind nicht ansprechbar, da vollauf damit beschäftigt, Pakete hin und her zu tragen, Telefonate zu führen und Zettel auszufüllen. Die Lieferwagen parken sich auf dem Hof gegenseitig zu. Sie beliefern Kioske mit all dem, was einem nach Abendbrot und Ladenschluss leichtsinnigerweise einfällt: Zigaretten, Kondome, Schnaps, Schokoriegel und Wein, keine Flasche über 10 Euro. Das einzige Nachhaltige, das es hier gibt, funktioniert nicht: Auf den Solarzellen der überholungsbedürftigen Zigarettenautomaten, die sich draußen stapeln, hat sich Moos breitgemacht. „Die wachsen immer zu“, sagt Kirsch und ent-


KLAUS KIRSCH (63) wohnt in Ehrenfeld, arbeitet in Ehrenfeld, aber „Nein, ich bin kein Ehrenfelder. Ich bin ene Kölsche.“ Der Teilhaberakquisiteur und Genussmittelhändler ist guter Kunde bei sich selbst, er raucht ohne Unterlass.

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JOHANNES GENSKE (56) verkauft Holz dank Kohle. In einer Notlage wandte sich der Biomöbelhändler an Stammkunden. Diese halfen ihm anstelle der Hausbanken aus der Kreditklemme.

flammt seinen Zigarillostummel aufs Neue. So verschieden die beiden Inhaber und ihre Geschäfte sind – eine Gemeinsamkeit haben sie: Sie schöpfen Geld aus der gleichen Quelle. Jeder hat sich mehr als ein Dutzend private Geldgeber gesucht, sogenannte stille Teilhaber, die das Unternehmen unterstützen. Dahinter stecken nicht die Jungs von der sozialistischen Nachbarschaftshilfe, die mal ein bisschen mitarbeiten, keine barmherzigen Samariter, die etwas spenden, und auch keine sogenannten Business Angels, die das Ruder übernehmen. Es handelt sich um Kuponschneider: Die Herrschaften wollen Jahr für Jahr Zinsen einstreichen. Und zwar – vergleichsweise – hohe (siehe Grafik Seite 27). Genske schüttete in den vergangenen fünf Jahren im Durchschnitt 6,17 Prozent pro Jahr aus, Kirsch zahlt seit drei Jahren 6 Prozent. Zum Vergleich: Wer sein Geld zur Bank getragen hat, bekam bei Anlagen mit kurzen Kündigungsfristen zwischen 2 und 3 Prozent. Mit den 135.000 Euro, die Genske bei dreizehn von tausend per Brief angesprochenen Stammkunden einsammelte, hat er seinen Verkaufsraum aufgemöbelt und seine Webseite erneuert. Kirsch haben rund ein Dutzend Vermögende mehr als 250.000 Euro überlassen. Es waren vor allem Ruheständler, die auf seinen selbst gebastelten Flyer ansprangen. Dessen Kernaussagen: „Erhalten Sie zu wenig Zinsen? Schluss mit Gürtel enger schnallen!“ – „Arbeiten müssen Sie natürlich nicht. Das tun wir für Sie.“ Kirsch, umtriebig und untersetzt, nutzt die Liquidität für Gelegenheitskäufe. Durch neue Tabakgesetze, Lagerräumungen oder Rabattaktionen landen immer wieder Unmengen Genussmittel auf dem Schnäppchenmarkt. „Ruft die Zigarrenfabrik an und bietet 100.000 Zigarillos für die Hälfte – dann kann ich nicht erst in einem Jahr bezahlen“, sagt Kirsch. Solche Einkäufe helfen ihm dabei, als einer der letzten kleinen Großhändler im Kölner Raum mit Konzernen wie Metro oder Lekkerland konkurrieren zu können. Ihre Investitionen haben die Ehrenfelder Händler früher meistens mit Bankdarlehen finanziert. Das ist nicht mehr so einfach möglich, und das nicht erst seit der Finanzkrise. Als Genske im Jahr 2003 seine Düsseldorfer Filiale

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in der Nähe der Kö mangels Umsatz schließen musste, kündigte eine seiner Banken die Kreditlinie. Die anderen sprangen nicht ein. „Da standen wir im Regen“, sagt Genske. „Es gibt eben gute und schlechte Jahre“, sagt Kirsch. Auch er hat „immer mal wieder“ von seinen drei Hausbanken kein frisches Geld bekommen. Ein Blick in sein chaotisches Büro böte eine allzu einfache Erklärung dafür. Mit den Augen eines Bankers betrachtet, gibt es dort ein paar verstörende Unsicherheiten. Die „gefühlte Kreditklemme“ von Unternehmen, von der die Industrie- und Handelskammer (IHK) Köln spricht, liegt in Kirschs Fall aber gewiss nicht an dem Manhattan aus Papierstapeln oder dem fernöstlichen Tinnef, der vor sich hin staubt. Zumindest Letzterer stammt noch vom Vater, dem Firmengründer, ebenso wie das Flammen-Logo, das nicht retro ist, sondern tatsächlich altmodisch, da noch aus der Nachkriegszeit: „Feu-Ki“ heißt „Feuerzeuge Kirsch“. Dass Banken zögern, hat andere Ursachen. Sie leihen sich derzeit nicht mal mehr untereinander viel.

„ARBEITEN MÜSSEN SIE NATÜRLICH NICHT. DAS TUN WIR FÜR SIE.“ Die Kreditinstitute sind klamm, weil sie zu viel Geld verloren haben und absehbar weiteres verlieren werden – in Finanzmarktgeschäften, in Fehlinvestitionen, in Firmenpleiten, in Fusionen oder in Strategiewechseln. Die Sparkasse Köln-Bonn beispielsweise büßt kräftig für die Spekulationsverluste der WestLB, an der sie beteiligt ist. Unter anderem deswegen benötigte die Sparkasse im Jahr 2009 von ihren Eigentümern, den Städten Köln und Bonn, selbst eine stille Einlage von 350 Millionen Euro. Von einer Kreditverknappung für kleine Unternehmen will die Sparkassensprecherin zwar nichts wissen. Laut IHK-Umfragen zum Thema „Kreditklemme – Phantom oder reale Bedrohung?“ hat sich die Zahl der Firmen in der Region, die über


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Neue Finanzierungsquellen suchen auch Open-Source-Konzepte zur Stadtentwicklung. Seite 40/78

verschlechterte Kreditkonditionen klagen, von Oktober 2008 bis August 2009 verdreifacht. Auch große Unternehmen hatten in dieser Zeit Schwierigkeiten, sich per Bankkredit zu finanzieren. Deshalb sammelten sie abseits der Hausbanken so viel Geld ein wie noch nie – per Unternehmensanleihe. Im ersten Horrorhalbjahr 2009 war dieser Ausweg teuer: Selbst Konzerne wie Thyssen-Krupp mussten damals mehr als 8 Prozent Zinsen bieten, um überhaupt Geldgeber zu finden. Die Entfremdung der Firmenkunden von ihren Banken rührt auch aus der neuen Art, wie die ihr Firmenkundengeschäft betreiben. „Die Ansprechpartner werden zu oft ausgetauscht und entscheiden nichts mehr selbst“, sagt Genske. „Die Kontinuität einer persönlichen

Beziehung ist weg.“ Die Kreditvergabe regelt nicht der Berater, sondern das Backoffice, das mit nackten Zahlen arbeitet. Ein Computerprogramm berechnet anhand der Finanzkennziffern der Unternehmen, welches kreditwürdig ist und welches nicht. „Erklären Sie Ihre Ideen mal einem, der nur auf die Zahlen sieht“, sagt Kirsch. Den Kennziffer-Businesstalk beherrscht der rheinische Geschäftsmann im Pullover zwar auch. Leichter ist der Umgang mit stillen Teilhabern. „Ein stiller Teilhaber darf rein juristisch nur das Geld geben und Zinsen kassieren“, erklärt Kirsch. „Der hätt nix zu kamelle.“ Das Werben um stille Teilhaber macht die beiden Unternehmer unabhängiger von ihren Banken – und sie dort gleichzeitig beliebter. „Um Gottes willen“, hatte Genske zuerst befürchtet, „vielleicht sehen die Banken meine Teilhaber als böse Konkurrenz und strafen mich ab.“ Das Gegenteil passierte. Wird das Teilhabermodell richtig gestrickt, dann gelten die stillen Einlagen als Eigenkapital, das heißt als Sicherheiten. Davon können Unternehmen aus Bankensicht gar nicht genug haben. Dank der besseren Kapitalausstattung der Firma verbessert sich ihr bankinternes Rating, die Kredite fließen wieder, und das zu günstigeren Konditionen als vorher. „Jetzt bin ich für Banken wieder interessant“, sagt Genske. „Wir wollen ja gar nicht ganz von der Bank weg“, sagt Kirsch. „Wir brauchen die ja schon. Aber vielleicht ein bisschen weniger.“ Genske ist von seinem Finanzierungsmodell so begeistert, dass er darin nicht weniger als die Rettung des Kleinunternehmers vor Kreditkummer und Bankenwillkür sieht: „Der Mittelstand muss sich etwas einfallen lassen.“ Damit trifft er derzeit einen Nerv. Das belegt die Resonanz, die der Möbelhändler, der auch über den Einzelhandelsausschuss der IHK gut in Köln vernetzt ist, vor einigen Monaten mit einer Pressemitteilung ausgelöst hat – bundesweit landet er als Erfolgsbeispiel in den Medien. Klingt ja auch gut: Unternehmer bekommen Geld ohne Bankengenörgel und Anleger mehr Zinsen als üblich. „Das ist eine Win-Win-Situation“, sagt Genske. Dass stille Teilhaberschaften in der Krise populärer werden, erwartet auch Lothar Schmitz, ein Sprecher der IHK Köln: „Der Druck durch abgelehnte Bankenfinanzie-

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rungen legt die Wahl dieser Mittel nahe.“ Ob es erfreulich wäre, wenn Bürger ihr Erspartes zur freundlichen Tante Emma statt zum ungeliebten Bankkaufmann tragen, ist eine andere Frage. Der hohe Zins, den Anleger kassieren können, ist nämlich nur die Risikoprämie dafür, dass sie ihr Geld auch verlieren können. Im Insolvenzfall finden sich stille Teilhaber in der hinterletzten Reihe wieder, wenn es um die Resteverwertung geht: Nachrangige ungesicherte Gläubiger sehen im Durchschnitt deutscher Insolvenzen lediglich rund 3 Prozent ihres Einsatzes wieder, ergibt die Statistik der Gläubigerschutzvereinigung Deutschland. Wie viele Firmen in Deutschland Teilhabermodelle betreiben und wie viele davon erfolgreich sind, weiß niemand. Bundesfinanz- und Bundes-

„WENN JEMAND FRAGT, WIE SICHER DAS GELD IST, KANN ICH NUR SAGEN: SO SICHER, WIE UNSERE FIRMA IST.“

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Gesoffen wird immer nicht nur daheim, auch aushäusig. Und sei es im Zoo. Seite 18

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wirtschaftsministerium haben keine Ahnung und Kapitalgeberverbände keine Zahlen. Dem Statistischen Bundesamt fehlen Daten und dem Bundeskriminalamt sachdienliche Hinweise. Fehlanzeige auch bei Staatsanwaltschaften mit Schwerpunkt Wirtschaftskriminalität. Dabei sollte es ein paar Angaben durchaus geben: Eigentlich müssen sich nämlich alle Unternehmen, die öffentlich um stille Teilhaber werben, bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) melden. Im Jahr 2006 taten das gerade mal zehn Unternehmen. 2007 waren es acht und 2008 ganze vier. „Natürlich gibt es im Mittelstand häufiger stille Beteiligungen“, sagt Professor Norbert Herzig, Direktor des Steuerseminars der Uni Köln. „Die Prospektanzeigepflicht wird offensichtlich nicht sehr ernst genommen, da auch keine einschneidenden Sanktionen drohen.“ Die stille Beteiligung zählt zum Grauen Kapitalmarkt, und der ist unreguliert. Hier tummeln sich auch Glücksritter. Über das Portal puffkontakte.de sucht beispielsweise ein Lude Teilhaber, er wünscht sich 100.000 Euro „für den Umbau eines Hauses zum Club“. Weniger halbseiden klang die Investmentidee, auf die Dietrich H. aus Bonn hereinfiel. Über die Beteiligung am Reisebüro einer Bekannten geriet er in ein Schneeballsystem. Schritt für Schritt übergaben der EDV-Fachmann und seine Frau 50.000 Euro und erhielten dafür Zinsen von bis zu 15 Prozent. „Wir waren vielleicht zu gutgläubig“, sagt der 60-Jährige. „Aber wenn die Zinsen fließen, fragt man nicht mehr nach.“ Doch die Zinsen stammten nach seinen Angaben nicht von vermieteten Hotelzimmern auf Gran Canaria, sondern von neuen Teilhabern.

Nach drei Jahren flog der Schwindel auf und landete vor Gericht. Seinem Geld läuft Dietrich H. noch immer hinterher. So geht es auch den türkischstämmigen Teilhabern der ehemaligen Yimpas-Holding, darunter vermutlich auch vielen aus Ehrenfeld. Wo heute Hochzeitspaare eine eheliche Erstausstattung erstehen, im „Maas-Center“ an der Venloer Straße, hatte bis zum Jahr 2004 ein Yimpas-Supermarkt geöffnet. Garantiert kein Feu-Ki-Besteller, da alkoholfrei. Eine islamkonforme Warenhauskette für gottgefällige Waren und ritengerecht zubereitete Lebensmittel zu etablieren, versprachen Geschäftemacher im Umfeld von Moscheen und sammelten bei 120.000 gläubigen Deutschtürken rund 300 Millionen Euro ein. Auch ihr zinsloses Modell der stillen Beteiligung priesen sie als islamgerecht. Wer hier einzahlte, stieß sich an der Idee von Zinsen, fand aber eine Gewinnbeteiligung von über 20 Prozent pro Jahr in Ordnung. Einige Geschäfte wurden eröffnet, dann aber dichtgemacht. Von ihrem Geld haben die Anleger nichts wiedergesehen. Ob und wann sie einen Teil zurückbekommen, ist nach Auskunft der Insolvenzverwalterin der Kanzlei Hövel & Collegen auch sechs Jahre nach der Pleite unklar. Das Insolvenzrisiko haben Genske und Kirsch ihren Anlegern nicht verschwiegen. „Jeder muss wissen, dass es reines Risikokapital ist“, sagt Genske. „Wenn jemand fragt, wie sicher das Geld ist, kann ich nur sagen: So sicher, wie unsere Firma ist“, sagt Kirsch. Der 63-Jährige stellt sich selbst gelegentlich die Frage, wie zukunftssicher eine Firma ist, die 90 Prozent ihrer Umsätze mit dem Produkt Tabak macht, dessen Konsum mehr und mehr behindert und besteuert wird. „Ich weiß nicht, ob Kinder in 20 Jahren noch anfangen werden zu rauchen“, sinniert er. „Aber eins weiß ich: Dann werden wir ein anderes Genussmittel haben!“ Vielleicht liegt es an der Verunsicherung durch die Finanzkrise, dass Vermögende ihr Erspartes nicht den üblichen Verdächtigen Bank, Sparkasse oder Fonds anvertrauen, sondern es beim Ökomöbelhändler oder dem Lasterwarenkrämer besser aufgehoben glauben. Vielleicht liegt es auch an deren persönlicher Ausstrahlung oder Geschäftsidee. In jedem Fall ist es Johannes Genske und Klaus Kirsch gelungen, ihre Teilhaber davon zu überzeugen, dass ihre jeweiligen Firmen eine Zukunft haben. So können die einen im Glauben investieren, dass ein Trend die Verbraucher zum verantwortungsbewussten Konsum hinführt, während die anderen sich ihr Investment mit der Gewissheit begründen: Gesoffen wird immer. Vertrauen in die Sicherheit von Geldanlagen hat eben viele Facetten.


Banken: Zwischen 8 und 9 Prozent Zinsen pro Jahr schuldet die Sparkasse Köln-Bonn den Städten Köln und Bonn sowie die Commerzbank dem staatlichen Bankenrettungsfonds „Soffin“ für die stillen Einlagen, die ihnen über die Finanzkrise helfen sollen. Da die Kreditinstitute 2009 voraussichtlich keine Gewinne gemacht haben, gibt’s für die generösen Geldgeber auch keine Zinsen.

Kleine Unternehmen: So viel zahlen die Ehrenfelder Unternehmen Biomöbel Genske und Feu-Ki ihren stillen Teilhabern. Genussmittelhändler Feu-Ki gibt 6 Prozent pro Jahr. Genske zahlt eine Mindestverzinsung von 4 Prozent und einen Bonus, die 2008 zusammen mehr als 10 Prozent ergaben. Im Durchschnitt bekamen seine Investoren durchschnittlich 6,17 Prozent pro Jahr.

Große Unternehmen: Für diese Zinsen haben deutsche Konzerne (ohne Banken) Geldgeber gefunden. Zu Beginn der Finanzkrise mussten sie durchschnittlich bis zu 8 Prozent locker machen, um Anleger von ihren Unternehmensanleihen zu überzeugen. Der Staat: Günstiger als alle Unternehmen verschuldet sich die öffentliche Hand. Kommunen, Länder und Bund müssen derzeit nur rund 4 Prozent Zinsen bieten, damit Anleger deren Anleihen zeichnen und damit die Staatsverschuldung ermöglichen.

Tagesgeldkonto & Co.: Geld auf Konten mit täglicher Verfügbarkeit oder kurzer Kündigungsfrist bringen zurzeit weniger als 2 Prozent.

Quellen: Deutsche Bundesbank, Soffin, Firmenangaben

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Erfolg à la Hua Lin Ein Rezept für gelungene Integration in Köln-Ehrenfeld Interview: Prasanna Oommen Text: Prasanna Oommen & Jessica Hoppe Fotos: Tanja Steffen Zutaten: zwei Eltern & drei Kinder (2 x w/1 x m) aus Ubon/Thailand Chinesische Wurzeln 1 Prise Optimismus Gespür für Ort und Zeit haltbare Familienbande Biss zum Erfolg 1 gerüttelt Maß Offenheit 1 große Portion Gastfreundlichkeit

Wirt schaft en

Soumephone Soukaseum ist Koch und Sohn im Hause „Hua Lin“ auf der Venloer Straße. 1990 eröffnet seine Familie das Restaurant mit Partyservice und zählt damit zu den Pionieren der asiatischen Küche in Ehrenfeld. Der 30-jährige Soumephone, genannt „Titi“ („der Jüngste“), wurde in Thailand geboren und kam im Alter von vier Monaten mit seinen chinesisch-stämmigen Eltern und zwei älteren Schwestern nach Deutschland. Er spricht fließend Mandarin und Deutsch, ist katholischer Messdiener und fühlt sich in Ehrenfeld zuhause. Für das Restaurant würde er sich auf Dauer Außengastronomie wünschen, für sich selbst etwas mehr Freizeit und dass er im Veedel „fremd“ essen gehen kann, ohne dafür kritisch beäugt zu werden. Soumephone schätzt seine Ehrenfelder Gastronomie-Kollegen und findet, dass Konkurrenz das Geschäft belebt – besonders liebt er die Italienische im „Amalfi“. Im Familienbetrieb freut er sich über sein gemischtes Publikum (mittags viele Berufstätige, sonst Singles, Paare, ganze Familien) und findet vor allem den Nationalitäten-Mix seiner großen Stammkundschaft spannend (Deutsche, Türken, Italiener, Schwarzafrikaner und andere). Grundsätzlich denkt er, dass seine Gäste immer ein Lächeln verdient haben und hält Gesundheit, Unabhängigkeit und Zeit für das Wichtigste in seinem Leben. Nett wie er ist, verrät Soumephone uns sogar das Rezept zu seinem Lieblingsessen auf der Karte: U3 TitiSpezial.

Links und rechts: Rheinischer Sauerbraten und Hühnchen süß-sauer, Selbstgebrannter und Jasmin-Tee koexestieren auf der Venloer Straße in friedlicher Eintracht.

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Wir befinden auf der Venloer Straße vis à vis zum Haus Scholzen.


Titis Reis-Spezial für 1 Person: Zutaten: 1 EL Pflanzenöl 1 Ei 1 Zange frischer, in Streifen geschnittener Ingwer (= ca. 1 EL) 1 Zange kleingeschnittene Zwiebel 1 Tasse kleingeschnittenes Gemüse (Mix aus Porree, Weißkohl und Karotten) 100 g vorgegartes Hühnerfleisch 350 g gekochter Jasminreis Salz, Zucker, etwas kleingeschnittener Knoblauch Zubereitung: Ins heiße Öl Ingwer, Zwiebeln und das geschlagene Ei geben und kurz pfannenrühren. Gemüse und Hühnerfleisch hinzufügen und kurz mitbraten. Zum Schluss den gekochten Jasminreis mit Salz und einer Prise Zucker vermischen. Knoblauch hinzufügen und kurz unterheben. Titis Geheimtipp: Über das Gericht eine halbe Zitrone pressen: „Das gibt dann diese besondere Kombination aus Ingwer mit Schärfe und frischer Zitrone“.

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Stammkundschaft spielt auch in anderen Ehrenfelder Wirtschaften eine wichtige Rolle. Seite 22

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ApplicationEhrenfelder

Idee Text/Konzeption: Sandro Thiemann Objektorientierte Programmierung Die objektorientierte Programmierung (kurz OOP) ist ein auf dem Konzept der Objektorientierung basierendes Programmierparadigma. Die Grundidee der objektorientierten Programmierung ist, Daten und Funktionen, die auf diese Daten angewandt werden können, möglichst eng in einem sogenannten Objekt zusammenzufassen und nach außen hin zu kapseln, so dass Methoden fremder Objekte diese Daten nicht versehentlich manipulieren können. Im Gegensatz dazu beschreibt das vor der OOP vorherrschende Paradigma eine strikte Trennung von Funktionen (Programmcode) und Daten, dafür aber eine schwächere Strukturierung der Daten selbst. Zitat: http://de.wikipedia.org/wiki/Objektorientierte_Programmierung

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Wir befinden uns in unserer Wohnzimmer-Schrankwand, dem größten Büro der Kollegen.


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Objekt-orientierte Programmierung am Beispiel ef (ehrenfelder)

Dieses Klassendiagramm soll am Beispiel der Arbeiten und Themen des Magazins einen Einblick in die Arbeit eines Entwicklers geben. Die objekt-orientierte Programmierung, im folgenden OOP genannt, ist hierbei das Paradigma vieler Programmiersprachen und somit wichtig für unsere Arbeit. Dieses Thema soll hier nur grob umrissen werden. OOP könnte man als den Versuch bezeichnen, ein Programm an Hand einer Art „Real-Welt-Modell“ abzubilden: Das Programm wird in Objekte unterteilt. Ein Objekt hat Eigenschaften und Methoden. Wenn ein Mensch ein Objekt ist, könnte man nach OOP sagen, eine Eigenschaft ist der menschliche Arm. Eine Methode könnte sein, diesen zu bewegen.

Nehmen wir also weiterhin an, das Magazin ef (ApplicationKollegenPerspectiveEhrenFeld) sei ein Programm: Dann ist die Boxtrainerin Serna Caner ein Objekt. Sie hat nach OOP also Eigenschaften und Methoden. Eine Eigenschaft könnte sein, dass sie eine Trainerausbildung hat. Eine Methode könnte sein, dass sie Training gibt. Man unterscheidet in OOP zwischen abstrakten und konkreten Objekten. Ein abstraktes Objekt liefert eine Art Bauplan, eine Anleitung wie das konkrete Objekt auszusehen hat. Die abstrakten Objekte werden auch als Klassen bezeichnet. Das konkrete Objekt wird dann anhand des Bauplanes des abstrakten Objektes zusammengesetzt. Erst danach ist es für das Programm verfügbar.

Serna Caner wird in dem Objekt „Mit Ballett kommen wir bei denen nicht weiter“ zum Leben erweckt. Das Objekt „Mit Ballett kommen wir bei denen nicht weiter“ wiederum wird in „ApplicationEhrenfelder“ geboren, welches das Programm ist. Ein weiterer Aspekt der OOP ist das Prinzip der Vererbung. Wenn also Serna Caner ein Objekt ist, könnte man sagen, dass Trainerin von Beruf erbt. Beruf könnte wiederum von Mensch erben. Wenn man dieses Prinzip anwendet, müssen eine oder mehrere Eigenschaften für Mensch nur einmal definiert werden, da durch die Vererbung gewährleistet wird, dass Beruf oder Trainerin diese Eigenschaften erben. Wenn nun Beruf weitere Eigenschaften bekommt, so kann diese Vererbung Mensch eingegrenzt oder genauer spezialisiert werden.

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Herman van Veen Köln Ehrenfeld (2009)

Jede Menge Immigranten leben in Köln Ehrenfeld, und die Grenze ihrer Sprache ist die Grenze ihrer Welt. In der Venloer Straße meinen Moslems bei einem türkischen Gastronom, dass die Moschee, die heißumstrittene, so groß wird wie der Kölner Dom.

Gib uns zu essen, gib uns Halt, beschütze uns vor allem vor Gewalt. Bleibt bei der Menschheit Herr, bleib unser Band, verschone uns vor Zeichen an der Wand.

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Wo immer man auch Fremde nicht ertrug, Köln-Ehrenfeld hat Platz genug. Auch wenn sie von den Kölnern vieles trennt, ihre Kinder reden Deutsch mit kölschem Akzent.

Hermannus (Herman) van Veen geboren am 4.März 1945, ist ein niederländischer Künstler. Bis heute hat er 150 CDs, 12 DVDs, um die 60 Bücher und dutzende Drehbücher veröffentlicht. Er war jahrelang Ehrenamtlicher, Vorstandsmitglied und Goodwill-Botschafter von UNICEF Nederland. Zudem gründete Herman Van Veen verschiedene Organisationen, darunter die Stiftung Colombine, die Stiftung Alfred Jodocus Kwak, die Stiftung Roos und die Herman van Veen Foundation. All diese Organisationen setzen sich für die Rechte des Kindes ein. 2009 erschien Herman van Veens Ehrenfeld Lied, das sich auf das holländische Lied Java Straat bezieht. Es erzählt von einem Viertel in Enschede, wo die Welt friedlich zusammenkommt. Von Stephan A. Vogelskamp (Manager von HvV) erfuhren wir, dass Herman van Veen das Kölner Viertel Ehrenfeld insbesondere aufgrund des Moscheebaus als beispielhaft für gelebtes und friedliches Miteinander empfindet. Der mit orientalischen Klängen untermalte Song ist Ausdruck einer Anerkennung der – in Ehrenfeld möglich gewordenen – Debatte und der tatsächlichen Umsetzung des Moscheebaus. Wir danken Ihnen, Herman van Veen, dass wir Ihren Liedtext zur Premiere von ef abdrucken dürfen! Text bearbeitet von Prasanna Oommen/www.hermanvanveen.com, Illustration: Mareile Busse

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Was man hier hört, was man hier sieht, ist der gelebte Unterschied. Ob Allah oder Gott Jesus, Mohammed – man betet dasselbe Angstgebet.

Zeichen an der Wand ganz anderer Art finden sich auf Seite 15


Wir befinden uns an der Grenze zu Ehrenfeld. Mitten im künftigen religiösen Zentrum der Kölner Muslime klafft derzeit noch ein riesiges Loch.

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> Die gefühlte Mitte zeigte sich im Laufe unserer Recherchen an unterschiedlichen Stellen Ehrenfelds. Seite 78

Next Station: Piusstraße/Mosque! Ehrenfeld vor der Entstehung einer Landmarke. Text: Johannes Böttger

01. Januar 2010, 5.30 Uhr. Ich bin, unter der Kapuze, den Mantelkragen hoch, im Grüngürtel unterwegs nach Ehrenfeld. Das fängt dort an, wo hinten im dunklen Park die Ampel steht. Zwei Mädchen sind auf dem gleichen Weg, die eine motiviert ihre Freundin zum Durchhalten: „Wir sind gleich da, da vorne – ich kann Allah schon fast spüren.“ Ein etwas wirrer Spruch, aber der Uhrzeit entsprechend, und er bedeutet etwas, was mich sehr interessiert. Ehrenfeld steht unmittelbar vor der Errichtung einer Landmarke, und noch bevor das bauliche Zeichen überhaupt errichtet ist, gibt es bereits Orientierung. Schon bald wird es eine Moschee geben, ganz vorne an der Ecke von Ehrenfeld, genau an der Stelle, von der das Mädchen gesprochen hat. Die Ecke Venloer Straße/Innere Kanalstraße wird zu einem Ort werden, nämlich: An der Moschee. Hier wird spürbar der Eingang nach Ehrenfeld sein. Die „Venloer“ ist die Schlagader des Viertels, eine der Kölner Radialen, die sternförmig angeordneten Straßen, die von der Altstadt, vom Dom, raus führen. Hier: Richtung Venlo. Es ist eine wunderbar funktionierende Straße, in den Fassaden alte Läden und neue Stores, auf den Bürgersteigen Szene-Menschen und Anwohner mit Hund, viel Verkehr und viel Flair; europäische Großstadt, wie man sie sich wünscht, und in der Samstagsausgabe werden Wohnlagen in ihrer Nähe gesucht.

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Wo aber liegt dieses Viertel „Ehrenfeld“ genau? Von der Stadt aus liegt es jenseits des Grüngürtels, der Colonius steht auf dem Weg, aber der Funkturm ist dann doch eher Außenposten der Innenstadt, sicher nicht Wahrzeichen des Quartiers. Das bunt gekachelte Herkuleshochhaus steht auch dort, aber es liegt an der Autobahn arg im Abseits und dient höchstens als Eckpfosten. Die gefühlte Mitte des Viertels liegt irgendwo an „der Kirche an der Körnerstraße“, aber zur Verortung von Ehrenfeld dienen letztlich Beschreibungen seiner Grenzen besser als benennbare räumliche Identitäten. Man mag die populäre Diskussion um den Moscheebau für mehr oder weniger relevant halten, jedenfalls ist wichtig, dass und was hier gebaut wird. Denn ein bauliches Zeichen wie dieses drückt die Verfasstheit einer Gesellschaft aus; nach Kevin Lynch, einem Stadttheoretiker der 1960er Jahre, nimmt so Gemeinschaftsgeist Gestalt an. Natürlich trägt ein solches Haus Türme, hier zwei Minarette, um den Bet-Raum weithin sichtbar anzukündigen. Die Planung stammt aus dem Büro Peter Böhm und schreibt die Tradition der Familie fort: Vater Gottfried und Großvater Dominikus waren bedeutende Kirchenbauer. Der Entwurf sichert architektonische Qualität; abgesehen von der Diskussion um die formale Qualität, die bereits begonnen hat und auch lange nach Fertigstellung noch geführt werden wird, ist ohne Zwei-

fel eine Übersetzung des Bautypus Moschee in die lokale Bautradition geschehen. Ergebnis eines Architekturwettbewerbs, die Arbeit guter Planer, engagierter Bauherren und einer fordernden und fördernden Stadtverwaltung. Und für Köln bedeutet das? In Ehrenfeld entsteht zeitgleich mit dieser Moschee eine Adresse, eine Ikone und eine zukünftige Postkarte. Entsteht hier für Köln vielleicht ein neuer Dom? „Ne Nü Döm“? Neben dem christlichen Leuchtturm Dom nun ein islamischer Mittelpunkt Zentralmoschee in Köln? Werden in naher Zukunft Kulturreisende, die in Toledo die Spuren jüdischer, christlicher und maurischer Kultur lesen lernen, eine Parallele in unsere Gesellschaft spüren? Werden die Besucher der Sultan-Ahmed-Moschee in Istanbul, die einst die christliche Hagia Sophia war, ihre staunende Bewunderung mit Köln verknüpfen? Köln, die DoMoscheestadt am Rhein? Ich frage mich, ob dieser – am Dom gemessen – bescheiden kleine Neubau einen Zweiklang im Außenbild der Stadt hervorrufen kann? Werden Abgussfiguren der Moschee als Souvenirs in den Kiosks der Venloer Straße über die Theke gehen? Denkt man zurück an den Dom? Den gab es ja auch lange nicht und über Jahrhunderte nur zum Teil. Noch erheblich unvollendet wurde er schon zum Wahrzeichen der Stadt und erfüllte seine Funktion als Pilgerstätte und touristischer Zielpunkt. Daher warten wir nicht und greifen der Geschichte gerne vor: 2009 entstand die Idee zur Marke „Ne Nü Döm“. Vorsorglich werden wir das Merkzeichen als Markenzeichen etablieren: „Ne Nü Döm Copyright“. Und möglichst bald starten wir den Vertrieb mit T-Shirts, Buttons, Aschenbechern – ab in den Warenkorb! Das Erzeugen und das Verkaufen von Identität ist in einer Welt, die von Marken dominiert wird, zu einer Gleichzeitigkeit geworden. Und Marken werden hier gemacht. Ein Moment wie dieser bleibt in Ehrenfeld, einem Quartier voller Medienheinis, sicherlich nicht unbemerkt. Next Station: Piusstraße/Mosque!


Kaum hatte Edison das elektrische Licht erfunden, schickte die stets expandierende Firma Helios AG Leuchttürme an die Küsten der Meere und um dies ja nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, gab es prompt einen Leuchtturm für Ehrenfeld: ein Werbemittel von besonderer Strahlkraft und bleibendem historischen Wert!

Heliosturm Basierend auf der Diplomarbeit „Konzeption und Entwurf von Kommunikationsmitteln für den Stadtteil Köln-Ehrenfeld“ von Kerstin Rößler. Text bearbeitet von Prasanna Oommen Foto: Stefan Ditner

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Sound of Cologne Haus/4711 Urspr端nglich wollte Dirk Kels hier networken, jetzt workt er woanders. Warum? Siehe Seite 74 Foto: Stefan Ditner

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Ehrenfeldhopping im Jungle Ehrenfeld. So sp채t noch? Seite 16

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Auf der anderen Seite Seite 78

Idee: Boris Sieverts Texte: Matthias Knopp, Boris Sieverts Foto links: Patrik Prior, rechts: Stefan Flach Modell Gestaltung & Umsetzung: Ethel Strugalla, Anja Neuefeind

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Selberbauen Bastelbogen separat erhältlich und bestellbar unter www.ehrenfelder.org

Momentaufnahme Ehrenfeld, das schnellste Viertel in Köln. Seite 40

Powercorner Big E jetzt zum Selberbauen

Als hätten sie sich verabredet, stoßen Häuser, Grundstücke und Infrastrukturen im Dreieck Ehrenfeldgürtel/Venloer Straße/Bahndamm in maximaler Zerklüftung aufeinander und formen dabei dennoch (oder gerade deswegen) ein Ensemble von selten eindringlicher erzählerischer Kraft und Plastizität. Sie alle sind Prototypen und ausgeprägte Originale zugleich: Das doppelt angeschnittene alte Eckhaus mit halbem rosa Anstrich, das im Krieg seinen Schmuck und die Hälfte seiner Obergeschosse verlor; der blaue Flachbau mit großen, leeren Schaufenstern und einer seitlichen, auf der Innenseite (!) orangebraun gestreiften Attika aus der Brandwand eines nicht mehr vorhandenen Nachbargebäudes; der Parkplatz auf dem Trümmergrundstück samt Backsteinmauer; die ockerfarben verputzte Brandwand mit Bierreklame; das kleine Wohnhochhaus mit Balkonen und Restaurant mit „internationaler Küche“; das unscheinbare 50er-Jahre-Haus mit vorgelagertem Flachbau; der zurückgesetzte Supermarkt mit rot gerahmtem Portikus und vorgelagertem Parkplatz auf der Verschnittfläche zum Bahndamm mit

Wandmalereien! Wie auf einer Bühne präsentieren sich die Akteure dieses Straßenabschnitts: gut ausgeleuchtet, die immense Oberfläche offengelegt, das Ganze von eigenartiger Farbigkeit und hoher räumlicher Tiefe. Wie bei einer Bühne, so gibt es auch hier ein „Hinter den Kulissen“: Über den Penny-Parkplatz, entlang des Bahndamms und durch die Durchfahrt unter der Polizeiwache führt eine beliebte Abkürzung bis auf die Venloer Straße! In Köln gibt es viele zerklüftete Straßenzüge. Aber nur die wenigsten erreichen diese Prägnanz und entfalten eine solche räumliche Wirkung. Auf den Plakaten des Ehrenfeldhopping ist seine Silhouette denn auch bereits zum Wahrzeichen Ehrenfelds avanciert (noch vor dem Helios-Leuchtturm)

Erfahre spektakuläre Zerklüftung und treffe extreme Entscheidungen! Hol dir deine Superhelden Lücke, Brandwand, Fassade und bau sie nach. Einmal, zweimal, dreimal – so oft du willst! Sei besser als die gemeinen Stadtplaner und zeig ihnen, was ein starkes Stück Stadt ist!

Ehrenfeld im Herbst 2009 nahm ein Architekturstudent die vorhandenen plastischen und raumbildenden Qualitäten ernst und versuchte, das hier zu beobachtende Phänomen der maximierten Außenoberfläche weiter zu entwickeln. Das Ergebnis seines Nachverdichtungsvorschlags war ein hoher, vielfach geknickter, unruhig vorund zurückspringender Baukörper an Stelle des Parkplatzes auf dem Trümmergrundstück. So wenig passend, albern und egozentrisch solche Bauwerke in städtischen Kontexten oft wirken, so großartig sah seine kleine perspektivische Skizze an dieser Stelle aus. Das unruhige Ding, das er in die Lücke gesetzt hatte, überhöhte die ganze umgebende Situation nochmals. Wer sie jetzt immer noch lediglich schäbig fand, dem war wirklich nicht zu helfen.

Für viele Stadtplaner, die im Lesen von räumlichen Qualitäten doch eigens ausgebildet sind, ist dieser Straßenabschnitt dennoch ein Schandfleck. Wie kommt das? Sieht man ihre Vorschläge für eine Schließung und Beruhigung der Fronten, wird man sprachlos ob so viel Einfältigkeit. Auf dem Open Source Workshop zu

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„Open Source ist eine radikale Alternative zur etablierten hierarchisch-ökonomischen Praxis der Erzeugung und Weitergabe von Wissen“1

Warum Ehrenfeld?

Andernorts wird mehr neu 3 Bernd Streitberger auf der gebaut, verändert sich das Abschlussdiskussion des Workshops „Open Source Stadtbild radikaler, doch in Planning Ehrenfeld“ am der Wahrnehmung vieler ist 2.10.2009 Ehrenfeld der Kölner Stadtteil, wo es passiert! Ehrenfeld bewegt, erfindet, erneuert sich kontinuierlich, Ehrenfeld lebt. Gemeint sind die Vielfalt der Menschen und ihrer Interaktionen, aber auch die gegensätzlichen, oft direkt aufeinanderprallenden Räume, das Nebeneinander von Geplantem und Geduldetem. Der Kölner Baudezernent Bernd Streitberger drückt es so aus: „Ehrenfeld ist das Schnellste, was wir in Köln haben.“3 Der Workshop

Sebastian Deterding 2007: Into the Great Wide Open – Open Source, jenseits von Software. Auf: http:// www1.bpb.de/themen/ FC8K5M,0,0,Into_the_Great_ Wide_Open.html 2

Open Source in der Stadtplanung?

Heute greifen wir selbstverständlich auf Open Source Lösungen zurück, ohne uns dessen bewusst zu sein. Wir benutzen Linux als Betriebssystem oder Wikipedia als Lexikon. Wenn wir wollten, könnten wir all diese Anwendun1 So der Wiener Philogen mit- und weiterentwickeln. Genauso „wie das soph Herbert Hrachovec 2009: Sokrates als freie Bearbeiten und Weiterverbreiten von QuellStadtplaner? Problecode [Open Source] zu besserer Software für alle me mit open source. führt, sollte auch jede Art von Information, Wissen Vortrag im Rahmen des Workshops „Open und Kulturgut so frei wie irgend möglich sein, da sie Source Planning Ehrensich nur dann optimal entwickeln könne.“2 feld“ am 27.09.2009. Hieße das nicht auch, dass Stadt sich optimal entwickelte, wenn ihre Planung so offen und frei zugänglich wie möglich wäre? Was spricht für eine Übertragbarkeit des Konzepts, was dagegen? Dies wollten wir in dem Workshop „Open Source Planning Ehrenfeld“ im Rahmen der plan09 – Forum aktueller Architektur in Köln – herausfinden. 20 Studentinnen und Studenten verschiedener Richtungen und Unis nahmen teil, die Ehrenfelder Bürgerinnen und Bürger waren aufgerufen, ebenfalls mitzumachen.

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siehe Bastelbogen „Powercorner Big E“ (kaufen und selberbauen), mehr dazu Seite 39

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Es geht los an einem spätsommerlichen Samstagvormittag im September mit drei Stadtwanderungen durch Ehrenfeld, mit drei Stadtführern, in drei unterschiedliche Gebiete des Stadtteils. Wir wollen den Quellcode von Ehrenfeld finden und lesen; wollen uns das Ausgangsmaterial erlaufen. Orte, Teil 1: Venloer Straße, Ecke Ehrenfeldgürtel

Da sie bei den Stadtwanderungen nicht angesteuert wird, rückt die Kreuzung Venloer Straße/Gürtel nicht direkt ins Blickfeld der meist von außerhalb Ehrenfelds kommenden Mitwanderer. Ein Ehrenfelder, von Beruf Stadtplaner, sieht in jener Kreuzung den zentralen Punkt des Stadtteils, dessen Architektur und Städtebau dieser Funktion in seinen Augen in keiner Weise gerecht werden. Seine Lösung: Ein repräsentatives Gebäude muss an die Kreuzung; genauer: Das Ehrenfelder Bezirksrathaus als städtebauliche Dominante an die Ecke, wo bislang ein nur zweistöckiges Haus, gefolgt von einem tristen, leeren Flachbau steht. Er entwirft ein entsprechendes Gebäude und stellt es auf dem Wandsystem in der Workshophalle aus – Blatt Nr. 000043: für jeden lesbar, kopierbar, weiterführbar. So kommt die Sache ins Rollen. Einige Teilnehmer, Stadtplanungsstudenten zuvorderst, fühlen sich offenbar von Beitrag Nr. 000043 zu einem weniger traditionell städtebaulichen Gegenentwurf animiert. Steht die Fläche nicht beispielhaft für einen „Ehrenfelder Nischenurbanismus“, wie es Nr. 000118 äußert? Und ist das Auf und Ab in den Gebäudehöhen nicht selbst ein markantes städtebauliches Merkmal? Der Eckbereich wirke dadurch skulptural und plastisch, meint Boris Sieverts, einer der Stadtführer vom Auftaktsamstag. Die Studierenden postieren sich mit neongelben Warnwesten und Sitzbank auf der anderen Seite der Kreuzung, um die Passanten auf die außergewöhnlich gewöhnliche Ecksituation aufmerksam zu machen und nach ihrer Meinung zu befragen. Die Aktion wird als Nr. 000150 auf der Wand festgehalten. Ein Teilnehmer projiziert die berühmte Leuchtreklamefront am Londoner Piccadilly Circus auf die Ecke. Nr. 000154: Köln-Ehrenfeld = London West-End? Nr. 000161 nimmt Entwurf und Gegenentwurf auf und versucht, die charakteristischen Gebäudesprünge zu erhalten und gleichzeitig zu verdichten.


Ehrenfeld weiterdenken als Open Source-Prozess

78-79 Höhensprünge & Klüfte

Der Workshop zu Gast in der schicken DQE-Halle: 25.09.-02.10.09

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Orte, Teil 2: Gießereihalle der Schiffspropellerfabrik, Fa. Ostermann

Vor siebzehn Jahren wurde in der eindrucksvollen Halle noch Deutschlands derzeit größte Schiffsschraube gegossen. Kurz danach wurden die letzten 140 Mitarbeiter entlassen. Geblieben ist ein baulicher Zeitzeuge: eine dreischiffige Halle, 80 Meter lang, 32 Meter breit, in der Mitte 17 Meter hoch. Sie ist so stark kontaminiert, dass eine Umnutzung bislang nicht realisierbar war. Die Präsenz in der Lichtstraße, der riesige leere Innenraum und der desolate Zustand der Halle schreien danach, neue Nutzungen zu denken. Erste Skizzen dazu erscheinen schon am ersten Workshoptag auf der „Pinnwand“. Statt die ganze Halle als Innenraum nutzbar zu machen, wird vorgeschlagen, mehrere Container als Raumzellen auf verschiedenen Etagen der Halle aufzustellen. In den Containern kann gearbeitet und gewohnt werden, der überdachte Raum der Gießerei dient als gemeinsame Erschließung und Aufenthaltsfläche. Blatt Nr. 000042 stellt eine solche „Parasitäre Umnutzungsstrategie“ dar. Die Pinnwand ist eine „Open Source Planungsmethode“. Urheber, die dort ihre Ideen veröffentlichen, sind bereit, dieses geistige Eigentum mit allen zu teilen und weiterdenken als auch verändern zu lassen. Beispiel Gießereihalle: Ein Workshopteilnehmer greift die Idee der Umnutzungsabsichten auf und beschäftigt sich mit der Problematik der Kontamination des Hallenbodens. Er gelangt per Recherche zu einem Ansatz, bei dem Pflanzen dem belasteten Boden die Schadstoffe entziehen. Das dauert zwar Jahre, wäre aber eine kostengünstige Alternative zu Bodenaushub und -entsorgung. Die Zusammenführung dieser zwei Ansätze, der „Haus in Haus“Lösung mit der „Grünen Altlastenbeseitigung“ lässt eine wahre Flut weiterer Ideen entstehen. Ein Student entwickelt auf Nr. 000221 ein „Strategiepapier der geduldeten Raumaneignung im Bestand“. Er schlägt die sukzessive Besiedelung der Fabrikhalle vor und versieht das Papier mit der expliziten Aufforderung zur Weiterentwicklung: „Please Fork or Improve“! Orte, Teil 3 oder: Wie man Zugänge zu ihnen schafft

„Good walls make good neighbours“ – beim Spaziergang mit Boris Sieverts kommt man in drei Minuten durch sieben Türen oder Tore und hat dabei im Schatten der Bahnlinie einen privaten Kindergarten, einen Fabrikhof, eine Außenterasse und einen türkischen Hochzeitssaal durchquert. Und steht kurz darauf vor einer Brache, abgetrennt durch einen zwei Meter hohen Metallzaun. Die Überquerung ist vorbereitet mit einfachen Mitteln: Drei entfernte Stäbe ergeben eine Art Leiter; über die spitzen Enden des Zauns wird eine Fußmatte gelegt. Aus diesem kleinen Erlebnis bleibt ein Leitgedanke zurück, der „Raumdietrich“, und ein Gefühl: Die Experimente und die teilweise verlorene Industriegeschichte machen die Faszination Ehrenfelds aus und sind gleichzeitig kaum sichtbar. Man muss sie erst entdecken und verständlich machen, um eine Zukunft zu finden. Ein Werkzeug wie die Fußmatte, geeignet, mit wenig Aufwand die freien, aber nicht öffentlichen Flächen Ehrenfelds zu erreichen, um zu entdecken und zu experimentieren. Das fehlt.

Das Vorhandensein so vieler kleinerer und größerer Unternehmungen, bei denen man nie ganz sicher sein kann, wer ihnen eigentlich was erlaubt hat, was formell geregelt oder gerade so hingenommen wird, das ermutigt und trägt eine ganze Welle von Ideen voran: Einer der ersten Beiträge überhaupt – Blatt Nr. 000003 – schlägt die Einrichtung von Duldungszonen vor. Es folgt eine ganze Reihe von Versuchen, die historische Substanz des Viertels durch Informationspfade zu öffnen und in ihnen nach dem Potential für morgen zu suchen. Wer ist dafür verantwortlich, wer bestimmt und wie lässt sich herausfinden, wie man reinkommt, was könnte man damit machen? Der Raumdietrich erscheint erstmalig auf der Wand: Nr. 000056 regt eine Sammlung von „desire lines“ an, Linien, die Orte und Punkte, an denen etwas gewünscht wird, via Raumdietrich verbinden, ohne Rücksicht auf die Verfügungsgewalt über die Flächen. Urban Hacking und autonome Nutzungen sind das Leitbild für eine bürgerbestimmte Stadt, die sich ihre Regeln selbst gibt. Parallel entwickelt sich eine technische Ebene: Was genau könnten Raumdietriche eigentlich sein? Sowohl einfache Werkzeuge zur Überwindung von Grenzen, wie die Fußmatte, eine Leiter oder ein Steigbügel, als auch Informationen oder eine Intervention sind Mittel, um sich „Zugänge und räumliche Abkürzungen zu schaffen, langweilige Wege zu interessanten zu machen, neue Raumverbindungen zu legen, Ein- und Ausblicke zu ermöglichen und eine individuelle Erweiterung des nutzbaren Stadtraums zu erreichen“ (Nr. 000069). Nr. 000068 fragt, in welche Rolle man schlüpfen kann, um Zugang zu einem verschlossenen Raum zu bekommen: in die eines Investors beispielsweise. Informationssammlungen über Zugänge zu Räumen werden vorgeschlagen, in Form einer digitalen Karte (Nr. 000090), eines Blogs (Nr. 000104, 000120) oder eines Informationspools Ehrenfeld (Nr. 000116). Nr. 000152 unterbreitet die Errichtung eines „Ehrenfeld Fonds“. Die Idee ist, über Eigentumsbildung die juristische Verfügungsgewalt über frei gewordene Industrieareale zu erhalten, auf denen dann kleinteilige (Unternehmens-)Strukturen entwickelt werden können. Die vorläufige, temporäre Öffnung der Räume schafft zwar den Experimentierraum, aber erfolgreiche Experimente sollen verstetigt werden, so die These. Mit Reflexionen zu Raumdietrichen als „individuelle Oberflächenerweiterung“ der Stadt für einzelne Stadtbewohner (Nr. 000085), besagtem Nischenurbanismus als Stadtentwicklungsstrategie und der Gründung des Ehrenfeld Fonds wird über den Open Source Prozess ein komplettes Modell einer planerischen Entwicklungshaltung entworfen. Dieses kann den selbstbestimmten, ungeplanten Charakter Ehrenfelds kultivieren und eröffnet somit eine Alternative zur stadtplanerischen Nutzungsfestsetzung mit gesetzlichen Abstandsregeln und Regulierungsnotwendigkeiten. Darum Ehrenfeld!

Hilft Open Source nun in der Stadt? Hat unser Experiment „Open Source Planning Ehrenfeld“ funktioniert? Eine Woche ist zu kurz, um die Anwendbarkeit von Open Source in der Stadtplanung abschließend bejahen oder verneinen zu können. Das war uns von vornherein klar. Aber der Workshop hat gezeigt, dass über den Open Source Prozess die unterschiedlichsten Menschen mit ihren unterschiedlichsten Ansichten zusammenkommen und über die fortwährende Offenlegung ihrer Ideen und Lösungen in einen Dialog treten, ohne dass dabei Mittelmaß und Belanglosigkeit generiert werden. Begünstigt ein Ort mit großer Diversität und Offenheit solch einen fruchtbaren Dialog? Bestimmt. Darum Ehrenfeld! Hintergrundinformationen und die Ergebnisse des Workshops sind auf www.opensourceplanning.de/ehrenfeld zu finden. Text: Frauke Burgdorff, Andreas Fritzen, Martin Kohler, Robert Ambrée Illustrationen, Fotos: Teilnehmer des Workshops Text bearbeitet von Matthias Knopp

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Ehrenfeld verortet

Orte wie Menschen stehen in vielfältiger Weise zueinander in Beziehung. Die zwölf ef Macher verorten zwölf Beziehungen zwischen Menschen und Orten, Menschen und Menschen, Orten und Orten. Folge den Seitenzahlen zu den Themen im Heft.

Idee & Text: Mareile Busse, Matthias Knopp, Illustration: Mareile Busse

01 >_Ehrenfeld, erfunden in der Innenstadt? 03 <> 80_Markengegner 06 <> 46 <> 49_Suchen, finden, sammeln, ordnen 18 < 76_tummeln 32 >_Besingt aus der Ferne Ehrenfeld. 39 <> 52_Interessieren sich für Nischen. 40 > 18/22/28/60/66_Bürger planen Ehrenfeld. 52 <> 40_Nutzen gleiche Räume. 56 <> 22_Im Nebel 60 > 34_Weiß nicht, was das soll. 78_Echte Mitte 82 <> 40_Ähnliche Methoden Die Pfeile geben die Richtung der Beziehungen an.

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Der Mensch lernt seit jeher Muster und aus Mustern. Er nutzt sie oft und vielfältig.

Venloer Str. 241-245

Zum Beispiel Handlungsmuster wie Gang einlegen, dann Gas geben, Schwingungsmuster wie Radio- oder Ozeanwellen, musterhaftes Auftreten von Naturphänomenen, Identifikationsmuster, Klangmuster, Ordnungs-

Totale

muster, Kachelmuster etc.

Untersicht

Fotos: Stefan Ditner, Text: Matthias Knopp

Muster entstehen, indem man verschiedene Vorkommen ähnlicher Objekte gruppiert (zum Beispiel geflieste Häuser). In Anlehnung an die legendäre Architekturstudie „Learning from Las Vegas“ von Venturi/Brown (1972) geschieht dies hier mit den in Ehrenfeld prominent und zahlreich vertretenen Fliesenfassaden der Nachkriegszeit – prägen diese doch noch immer das (Ehrenfelder) Stadtbild; versprenkelt, aber ungemein. Ziel des Schemas ist eine nicht-repräsentative Bestandsaufnahme des Ist-Zustands und die damit geschaffene Möglichkeit zu vergleichen als auch Muster zu erkennen. Die abgebildeten Fliesenfassaden prägen in ihrer Geschlossenporigkeit die Vorderfronten vieler Ehrenfelder Gebäude. Nach dem Krieg mag für ihren Einsatz die Strapazierfähigkeit, Langlebigkeit und Abwaschbarkeit gesprochen haben. Eventuell war es en vogue, das Eigenheim oder Mietobjekt zu fliesen. Es ist diese Vorderfront, die immer zuerst von der Mitwelt erfasst wird; dementsprechend wird sie mit den Insignien der Bewohner geschmückt. Ihr wird wesentlich mehr Aufmerksamkeit geschenkt als der Hinterfront (in Köln häufig einfach nur verputzt). Die Fliesenfassade betont den Unterschied zwischen Außen und Innen; sie entspricht darin häufig nicht dem dahinterliegenden Raum – womit ihr [der Fassade] ein Hauch von Betrug schon immer in die Wiege gelegt ist. Schwitzt das Haus hinter den Fliesen?

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Detail

Fenster

Spezial

Stammstr. 27


Learning from E Keplerstr. 32

Vogelsanger Str. 167

Wahlenstr. 54

Ehrenfeldg端rtel 63


Die Kollegen haben mehr als 88 gute Seiten.

21 Kollegen bieten außerdem: Grafikdesign, Redaktion und Text, PR- und Öffentlichkeitsarbeit, Linguistik, Webdesign, Motiondesign, Architektur und Architektur-Visualisierungen, Webprogrammierung, Fotografie, Kamera, Produktion, Eventmanagement, Drehbuchberatung und mehr. Die Kollegen von der Vogelsanger Straße arbeiten einzeln und im erprobten Netzwerk. Mehr unter: www.diekollegen.net oder bei einem guten Kaffee.

Köln-Ehrenfeld, Vogelsanger Straße 193 Haus A/1. Etage | www.diekollegen.net


Illustration: Alina Edelstein

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Illustration: Alina Edelstein Rekonfiguriert Lies diesen Text bis zum Ende. Schließe dann die Augen für 20 Sekunden. Öffne die Augen und betrachte unsere Tafel. Du kannst sie beliebig drehen. Was könnte das sein? Sende das Ergebnis deiner Formdeutung an: rorschach@ehrenfelder.org

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Sommerflieder Migrationshintergrund: Ostasien, eingef端hrt als Zierstrauch

Neophyten auf der Brache

Neophyten=Pflanzen, die erst nach der Entdeckung der neuen Welt in unsere Flora eingef端hrt wurden

Wir befinden uns im Westen auf der Brachfl辰che Alter G端terbahnhof Ehrenfeld.

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Putzerpflanzen säubern die Brache, Seite 43

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Kanadisches Berufskraut Migrationshintergrund: Nordamerika, wohl im 17. Jahrhundert unbeabsichtigt eingeschleppt

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Schmalblättriges Geiskraut Migrationshintergrund: Südafrika, eingeführt mit Wolle

Acker-Kratzdistel Die einzige einheimische Pflanze auf der Brache. Ein Quotenkölner

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In seinem hinteren Teil ist Ehrenfeld von Grundstücken durchsetzt, die seit Jahren nicht mehr genutzt werden. Das Vegetationsbild der großen Brachfläche Alter Güterbahnhof wird stark von sogenannten Neophyten geprägt. Dies sind zum Beispiel der Sommerflieder, das Schmalblättrige Greiskraut, die Gemeine Nachtkerze oder das Kanadische Berufkraut. Diese vier Arten machen etwa 80 % des Pflanzenbestandes dort aus. Auf der Fläche kommen auch einheimische Pflanzen vor, sie machen etwa 20 % der Pflanzendecke aus: zum Beispiel Acker-Kratzdistel, Behaartes Schaumkraut, Efeu, Gemeines Hornkraut, Große Brennnessel, Schwarzer Holunder oder Weißer Gänsefuß. Das vorkommende Echte Johanniskraut und das Jakobskreuzkraut sind bemerkenswerterweise wiederum als Neophyten in andere Erdteile eingedrungen. Text: Karl-Heinz Linne von Berg

Rückeroberung

Flächen, die nach ihrer Bewirtschaftung sich selbst überlassen sind, werden relativ schnell von Pflanzen wiederbesiedelt. Die Zusammensetzung der Vegetation hängt dabei jeweils stark vom Untergrund und der damaligen Nutzungsart ab (ehemaliges Ackerland, alter Parkplatz, Industriebrache o.ä.. Auf den anfangs vegetationsfreien Flächen beginnt eine Sukzession verschiedener Vegetationstypen, beginnend mit Pflanzengemeinschaften aus ein- bzw. zweijährigen Pflanzenarten. Es folgen mehrjährige krautige Arten (Stauden), wiederum gefolgt von Licht liebender Strauch- und Baumvegetation. Endpunkt einer solchen Vegetationsabfolge könnte nach Jahrhunderten ein mitteleuropäischer Laubwald (Buchenwald) sein. Von einem solchen Endstadium ist unsere Brachfläche noch weit entfernt: Es findet sich – von einem vereinzelten jungen Bergahorn abgesehen – keine einzige für den mitteleuropäischen Laubwald charakteristische Pflanzenart. Abhängig vom Ausgangszustand läuft die Sukzession völlig unterschiedlich ab: Auf Industriebrachen zum Beispiel ist der Untergrund (hier=Bahnschotter) in der Regel trocken und nährstoffarm, also vegetationsfeindlich. Solche Flächen werden von Pflanzen besiedelt, die meist in der Umgebung schon vorhanden sind und die mit nährstoffarmen, warmen und trockenen Verhältnissen auskommen. Dies sind auch hier häufig Pflanzen fremder Herkunft, unsere Neophyten. Unter diesen setzen sich vor allem die Arten durch, deren Samen aufgrund ihrer geringen Größe weit fliegen können (Nachtkerze, Königskerze, Johanniskraut, Sommerflieder) und solche Arten, deren Samen oder Früchte mit einem Flugapparat versehen sind (Berufkraut, Greiskräuter, Weidenröschen, Birke). Der Bahnhof ein Wald

Die Entwicklung wird nicht beim jetzigen Zustand stoppen. Wir sehen schon an einigen Stellen Pflanzen, die auf einen höheren Nährstoffgehalt im Boden (zum Beispiel Bodenstickstoffe) hindeuten; dies sind Brennnessel, Gänsefuß, Nachtnelke und Stumpfblättriger Ampfer etc. Die Robinie als Vertreter der Familie Schmetterlingsblütler ist sogar in der Lage, Stickstoff in den Boden einzutragen; hierfür sorgen sogenannte Wurzelknöllchen. In ihnen leben Bakterien, welche Luftstickstoff in pflanzenverwertbaren Stickstoff (Ammonium) umwandeln. Dies kommt nicht nur dem Baum selbst zugute. Unter der Robinie auf der Brachfläche war dementsprechend auch schon höherwüchsige Vegetation zu sehen. Über längere Zeitspannen werden die höherwüchsigen Sträucher und Bäume die Licht liebende Vegetation beschatten, sie in ihrer Konkurrenzfähigkeit beeinträchtigen

und so letztendlich die Lebensgrundlage entziehen, ein Jahrzehnte andauernder Prozess. An Stelle dessen würde sich auf dem nun beschatteten Boden eine Vegetation einstellen, die unserer Laubwaldflora ähnelt. In einer Großstadt ist eine solche jahrzehntelange ungestörte Entwicklung kaum zu erwarten; der Mensch wird das Gebiet irgendwann wieder einer Nutzung zuführen. Brachflächen als Wert

Das Ödland, das nutzlose Land, die Brache hat keinen wirtschaftlichen Nutzen mehr. Nichtsdestotrotz haben Brachflächen auch eine ökologische Bedeutung: Der Sommerflieder zum Beispiel ist jedem Gartenliebhaber als Schmetterlingsstrauch bekannt. Während seiner Blütezeit (einige Wochen im Sommer) wimmelt es um ihn herum nur so von Tagfaltern, die sich am reichlich vorhandenen Nektar gütlich tun. Passend dazu eignen sich die an einigen Stellen vorhandenen Brennnesselfluren hervorragend als Kinderstube für einige Tagfalter: So ernähren sich die Raupen gleich drei unserer häufigsten Großfalter, nämlich Kleiner Fuchs, Admiral und Tagpfauenauge nahezu ausschließlich von Brennnesseln. Auch für Nachtfalter ist die passende Futterpflanze vorhanden: Nachtkerzen, die ihre Blüten erst am Abend öffnen und dann einen betörenden Duft ausströmen, locken Nachtfalter in großer Zahl an, die dann mit ihren langen Rüsseln im Schwirrflug vor den Blütenröhren stehen und von deren Grund Nektar in großer Menge tanken. Auch sind für die anderen Insektengruppen wie Käfer, Fliegen, Bienen und Hummeln reichlich Blüten vorhanden. Invasion

Das Auftreten von Neophyten ist nicht immer unproblematisch. Einige der Neuankömmlinge dringen in vorhandene Pflanzengesellschaften ein und können dort einheimische Arten verdrängen, weil sie konkurrenzfähiger sind. Solche Pflanzen werden als invasive Pflanzenarten bezeichnet. Im Falle unserer Brachfläche werden durch die Neophyten jedoch keine Arten verdrängt, wir vermuten ja eine anfangs weitgehend vegetationsfreie Fläche. Zumindest aber haben die Robinie und der Sommerflieder an anderer Stelle das Potenzial, einheimische Pflanzen von ihren Standorten zu verdrängen.

Fotos: Stefan Flach Text bearbeitet von Matthias Knopp

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Fotos: Ivo Mayr

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Zu lieblich f端r Ehrenfeld ? Jungle E zeigt andere Seiten. Ab Seite 14

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sideseeing: ehrenfeld

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Einen eigenen Blick auf Ehrenfeld hat auch Aski Ayran Elber. Seite 68

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Fotos: Ivo Mayr

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Moschee als zweiter Dom für Köln? Seite 34

Träumen – von Griechenland 1975. Parthenopi heißt jetzt mit Nachnamen: Vaidou (weibliche Form des Familiennames Vaidis) und ist noch immer da – verheiratet mit einem Griechen, den sie zunächst nur von einem Foto kannte. Noch immer glaubt sie fest an die baldige Rückkehr und bringt deshalb vorsorglich die Söhne, 1973 und 1975 geboren, nach Griechenland zu ihrer Mutter – der Jüngere ist erst wenige Monate alt.

Pläne – in Deutschland 1969. Als die junge Griechin Parthenopi aus Katerini nach Deutschland kommt, um in Aachen in der Schokoladenfabrik Lindt zu arbeiten, plant sie nicht, besonders lange zu bleiben. Sie will nur „ein bisschen arbeiten und sparen“ und dann zurückgehen, um in Griechenland ein Haus zu bauen und eine Familie zu gründen.

Ankommen und Bleiben – in Ehrenfeld 1981. Mittlerweile sind die Eheleute Vaidis in Köln-Ehrenfeld gelandet und eröffnen dort eine Schneiderei. Eigentlich wollte sie ja einen Imbiss aufmachen, doch er setzt sich mit der Schneiderei durch. Jetzt gibt es kein Zurück: Die Zeichen stehen endgültig auf Bleiben und die Vaidis holen die Söhne zurück nach Deutschland.


„Wie Sie sehen, sind wir immer noch da“ Wie Parthenopi Vaidou nach Ehrenfeld kam und warum sie blieb. Interview: Jessica Hoppe & Mareile Busse, Text: Jessica Hoppe & Prasanna Oommen, Foto: Tanja Steffen.

Ein Stück Heimat, ein Stück Sehnsucht – in Ehrenfeld November 2009. Die Geschäfte von Parthenopi Vaidou laufen gut. Besser sogar, seit sie von ihrem Mann getrennt ist. Die freundliche, lebensbejahende Schneiderin hat nette, treue Kunden, für die sie sogar einmal wöchentlich Kuchen backt. „Wenn ich aus dem Urlaub komme, fragen schon alle: Wo warst du, Frau Vaidou, wir warten auf dich!“ Parthenopi Vaidou fühlt sich wohl in Deutschland ... doch die Heimat vermisst sie noch immer. „Aber was soll ich machen – meine Kinder und ihre Familien sind hier.“ Zum Leben reicht die Schneiderei trotz der treuen Ehrenfelder Stammkundschaft nicht: Bevor sie den Laden mittags aufschließt, hat Parthenopi Vaidou bereits eine Frühschicht in der Putzkolonne der Kölner Uniklinik in Lindenthal hinter sich. In Ehrenfeld lebt sie zwar gerne – aber eigentlich eher zufällig. Die Zufalls-Wahl-Ehrenfelderin sieht das so: Hier fand sie Arbeit, spä-

ter ihr Ladenlokal und irgendwie auch ein Stück griechische Heimat. Die griechische Gemeinde in Ehrenfeld ist bis heute groß – es gibt viele griechische Imbisse und Restaurants. Häufig besucht Parthenopi Vaidou das Griechische Zentrum in der Ehrenfelder Liebigstraße, wo die Gemeinde Feste feiert, der griechische Fußballverein „Galanolefkos-Hellas“ zu Hause ist und die Mädchen griechischen Volkstanz lernen. Im Gegensatz zu anderen Nationalitäten seien die Griechen, sagt Parthenopi Vaidou, häufiger in ihre Heimat zurückgekehrt. Dementsprechend sind die Kontakte inzwischen dünner geworden. Doch sie kommt auch mit ihrer multinationalen Kundschaft – Italiener, Türken, Russen, viele Deutsche – gut aus. Private Beziehungen sind allerdings nicht entstanden. „Die Deutschen machen nicht so viele Kontakte. Aber die Menschen sind nicht alle gleich und das müssen sie auch nicht sein, hat schon meine Mutter gesagt. Für mich gibt es kein Problem!“ Und doch, bei aller Offenheit, stellt sie sich in Ehrenfeld

Wir befinden uns auf der Rückseite des Barthonia-Forums.

trotzdem die eine Frage: „Warum lassen die Deutschen es zu, dass hier so eine große Moschee gebaut wird?“ Glück – im Kölner Alltag Zwei-, dreimal im Monat fährt Parthenopi Vaidou von Ehrenfeld nach Deutz in die griechisch-orthodoxe Kirche, auf die sie besonders stolz ist: „Wir haben dafür alle Sachen aus Griechenland geholt. Das ist jetzt die beste, größte, schönste in Deutschland. Kommen Sie mal gucken, am Besten zu Ostern.“ Bei schönem Wetter verschlägt es sie auch schon mal in die Altstadt, an den Rhein, um ein bisschen spazieren zu gehen. „Und ich gehe gern in die Kalk-Arkaden. Kaufe ein, trinke danach einen Kaffee und esse ein Brötchen, das ist schön.“

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Serna Caner: „Ich habe keine besonders soziale Ader. Aber wir haben uns diese jungen Leute hier großgezogen, wir müssen uns jetzt auch um sie kümmern.“ „Die Kids lernen bei uns auch etwas über anständige Umgangsformen und Ausdrucksweisen. Nicht nur dieses Kanackendeutsch.“

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„Mit Ballett kommen wir bei denen nicht weiter“ Interview/Text: Prasanna Oommen, Jessica Hoppe Fotos: Olaf Hirschberg

Serna Caner boxt schon seit ihrer Kindheit. Die Unternehmensberaterin mit Zusatzausbildung als Kommunikations- und Verhaltenscoach wurde im Frühjahr 2009 von einem Mitarbeiter des Jugendamts angesprochen, der sich für das Projekt Mitternachtsboxen in Rondorf engagiert – und zögerte nicht lange. Gesucht wurde ein Trainer mit Migrationshintergrund, der pädagogische Arbeit leisten und mit Jugendlichen umgehen kann. „Der ist für mich wie gemacht, der Job!“, findet die Ehrenfelderin.

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Auf die Schnelle:

Mitternachtsboxen wird vom gemeinnützigen Verein „Haus der Familie e. V.“ in Rondorf organisiert und finanziert. Der Verein stellt in der Sporthalle auch einen Spind mit Boxhandschuhen und Boxsack bereit.

Wir befinden uns außerhalb von Ehrenfeld in einer Sporthalle in Rondorf.

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Die Ehrenfelderin Serna Caner boxt samstags über das ehrenamtliche Gewaltpräventionsprojekt Mitternachtsboxen für Jugendliche in Köln-Rondorf. Samstagabend, 22 Uhr, eine Sporthalle in Rondorf. „Murat, sprich deutsch, sonst fliegst du raus!“ und „Hört auf mit dem Mist oder ihr kriegt Ärger mit mir!“ – wenn Serna Caner mit den Jungs spricht, nimmt sie kein Blatt vor den Mund. Wie jeden Samstag steht die 35-jährige Ehrenfelderin in der Turnhalle der Anne-FrankGrundschule, um „die Jungs“ zu trainieren: Die Jungs, das sind Kinder und Jugendliche, die sich sonst um diese Uhrzeit auf der Straße aufhalten. Die einfach rumhängen. Mist machen. Heute sind sie stattdessen hier. Von den Streetworkern Mona und Gabor, die die einschlägigen Plätze der Stadt kennen und sie regelmäßig besuchen, wissen die Kids, dass das Mitternachtsboxen stattfindet. Zehn sind an diesem Abend zum Training gekommen. Manchmal sind es 15 oder 20. Manchmal auch nur fünf. Das Boxtraining ist kostenlos und freiwillig. Regelmäßiges Erscheinen ist keine Pflicht – Pünktlichkeit schon. Wer zu spät kommt, der kann gleich wieder gehen. Klare Regeln wie diese gehören für die Trainerin unbedingt dazu: „Durch Boxen kann man vieles lernen – auch Disziplin. Und die haben die Kids hier besonders nötig, auch in ihrem eigenen Interesse.“ Doch es geht nicht um Drill bei diesem Training: „Ich zwinge niemanden, bis zum Umfallen zu trainieren, aber jeder sollte sein Bestes geben. Wer nicht mehr kann, hört auf – das ist okay.“ Serna Caner und den anderen ehrenamtlichen

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Mist machen auch Kleinviecher. Siehe Titel.

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Projektbeteiligten geht es darum, den Kindern und Jugendlichen eine Alternative zum Rumhängen auf der Straße anzubieten. Eine Möglichkeit, sich gemeinsam sportlich zu engagieren und so Aggressionen abzubauen. „Die Jungs lernen hier etwas über den gezielten Einsatz von Körperkraft, aber

„Die müssen erst mal den Frust rauslassen, um überhaupt wieder einen klaren Kopf zu kriegen.“ auch über Kommunikation, über gewaltfreien und demokratischen Umgang miteinander.“ Und auch noch für eine andere Sache steigt Serna Caner aus Überzeugung mit den Jugendlichen in den Ring: das Thema Ernährung. „Zu uns kommen Kinder, die schaffen keine zwei Sit-ups. Es gibt übergewichtige Kinder, aber auch welche, die sind größer als ich und wiegen nur 40 Kilo. Wenn ich die frage, wann hast Du heute zuletzt etwas gegessen, dann kriege ich keine Antwort. Inzwischen habe ich die Kids so weit, dass sie mir abends beim Training stolz erzählen, dass sie eine Banane, eine Mandarine oder einen Salat gegessen haben. Chips und Cola bringen die kaum mehr mit.“ Doch der Abbau von Aggression steht für Serna Caner an vorderster Stelle: „An dem Spruch mit

dem gesunden Körper und dem gesunden Geist ist viel dran.“ Beim Boxtraining schlagen die Kids allerdings nicht aufeinander ein, sondern auf den Boxsack oder die Weichmatte – und das unter sportlich-pädagogischer Aufsicht. Dank ihrer Ausbildung als Kommunikations- und Verhaltenstrainerin und aufgrund ihrer eigenen Geschichte weiß Serna Caner, dass der Großteil der Jugendlichen durchaus zugänglich ist, wenn man sich ihnen richtig nähert. „Ich habe es als junger Mensch auch nicht leicht gehabt. Aber ich habe schon früh geboxt und viel trainiert – da lernt man alle möglichen Leute aus unterschiedlichen Bereichen kennen und kommt mit vielem in Kontakt. Natürlich gibt es sehr, sehr aggressive Jugendliche, bei denen man merkt: Hier komme ich so nicht weiter. Dann ändere ich mein Verhalten – und sage vielleicht auch erst mal gar nichts. Aber irgendwann kommen wir ins Gespräch.“ Die Jugendlichen treffen sich häufig beim Mitternachtsboxen zum ersten Mal – und bauen allmählich neue soziale Kontakte auf, die über Stadtteilgrenzen hinausreichen. „Bei uns interessiert es nicht, wer welche Klamotten trägt oder woher er kommt. Das wird von Anfang an geklärt, der respektvolle Umgang miteinander.“ Der doppelt positive Effekt: Die Jugendlichen sind nicht nur am Samstagabend von der Straße. Es gibt unter ihnen anschließend auch draußen weniger Ärger. Denn: „Wenn die Gruppen sich untereinander kennen, respektieren sie sich.“


„Wir werden in diesem Land auch verurteilt aufgrund des schlechten Benehmens einzelner Leute mit Migrationshintergrund.“ kischen Abstammung werde ich von Jugendlichen mit Migrationshintergrund von vornherein eher respektiert, das ist einfach so. Diesen Respekt bringen die Kids einem Deutschen oft nicht entgegen – und das ist nicht in Ordnung! Diskriminierung gibt es in beide Richtungen.“ Aus Überzeugung setzt sie für das Projekt auf die Kombination aus einem Trainer mit Migrationshintergrund und einem deutschen Trainer. Die „Verkehrssprache“ beim Training ist ohnehin grundsätzlich Deutsch: „Das mache ich zur Pflicht, damit jeder genau versteht, was der andere sagt.“ Weil sie seit vielen Jahren in Ehrenfeld lebt und mit offenen Augen durch die Straßen geht, sieht sie auch dort erhöhten Bedarf für Projekte wie das Mitternachtsboxen. „Hier lungern viele Kids

abends einfach nur rum. Viele sind zu dick oder zu dünn und bewegen sich schlecht. Außerdem haben wir hier einen sehr hohen Anteil an Jugendlichen mit unterschiedlichsten Migrationshintergründen. Die müssen lernen, sich in einem fremden Land den Gegebenheiten gewaltfrei anzupassen und auch untereinander klarzukommen. Ich sage den Jungs klipp und klar: Man muss das Anderssein respektieren, das gilt aber für alle Seiten – für die ausländischen Jugendlichen genauso wie für die deutschen. Die meisten wissen das eigentlich selbst, aber man muss es ihnen noch mal deutlich machen. Da könnte man viel erreichen, wenn die Zeit und das Geld und die richtigen Leute zur Verfügung stünden.“ Dass dieses Engagement sich lohnt, zeigt sich für Serna Caner in Rondorf jede Woche aufs Neue: „Wenn ich zur Halle komme und die Kids warten schon, dann weiß ich, ich mache was richtig.“ Und was erhofft sie sich langfristig? „Auf Dauer muss solche Arbeit öffentlich viel stärker wahrgenommen und gefördert werden. Das sind wir diesen jungen Leuten schuldig.“

„Wir haben viele deutsche Kinder, aber auch tunesische, jugoslawische, afrikanische und auch viele Zigeuner – darf man das noch so sagen? Ich bin immer für eine ganz klare Sprache, suche nicht stundenlang nach politisch korrekten Formulierungen.“

Dass sie eine Frau ist, stand ihrer Autorität als Boxtrainerin nie im Wege – ihr Migrationshintergrund hat ihr nach eigener Einschätzung aber sehr wohl einiges an Akzeptanz eingebracht, räumt Serna Caner ein: „Mit meiner tür-

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Engagement für Jugendliche gibt es auch in Ehrenfeld – auf 23 m2 mit Beats und Rhymes. Seite 66

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eigene Erfahrung hilft auch Serna Caner beim Boxtraining mit den Jungs. Seite 62

23 m Hiphop 2

„Siehst du, was los ist!?“ – oder: Wie echte Vorbilder Berge versetzen. Text: Mirjam Leuze, Fotos: Strassenkinda Productions

Ortstermin bei Strassenkinda Productions in Köln-Ehrenfeld: Übernächtigt und mit verwuscheltem Haar öffnet Juju die Tür einer kleinen Einzimmerwohnung. Juju, der mit bürgerlichem Namen Jürgen Davis heißt, ist Musiker und Produzent von Strassenkinda Productions, einem kleinen Label für Hiphop und RnB, das seit zwei Jahren seinen Sitz in Ehrenfeld hat. Hinter der Wohnungstür versteckt sich auf 23 Quadratmetern das Studio von Strassenkinda Productions: in der linken Ecke eine selbstgezimmerte, schalldichte Aufnahmekabine, daneben eine Arbeitsfläche mit Rechnern, Bildschirmen und Mischpult, dazu ein altes Ledersofa, Sessel und Stühle, in der Ecke gegenüber eine Kochnische. So klein das Studio von Strassenkinda Productions ist, so groß sind die Ambitionen der fünf Musiker, die sich unter dem Label zusammengetan haben: Juju Davis und sein Bruder Jamie, Isa, Aurelia und Raoul wollen nicht nur gute Musik machen. Sie schreiben und performen Songs, die sich gegen die zunehmende Gewalt in Kölns sozialen Brennpunkten richten. Damit grenzen sie sich ganz bewusst vom Gangstarap-Image vieler anderer rappender Kollegen ab. „Mittlerweile rappen sogar die prominenten Zuhälter in Köln, jeder darf es sich hier erlauben. Hiphop ist wirklich ein bisschen verkommen, die Werte, da, wo es herkommt, das ist verloren gegangen“, erzählt Raoul. Der junge Rapper ist wie die meisten seiner Musikerkollegen von Strassenkinda Productions in Porz aufgewachsen. Gewalt und Drogen, das sei die Realität vieler Kinder und Jugendlicher, die heute in Köln groß werden. Alle der zwischen 22 und 35 Jahren alten Musiker kennen diese Welt aus eigener Erfahrung und wissen, wie fatal die

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Vorbildfunktion von Rappern wie Sido für die Kids ist. „Hiphop und Rap wird mit Fäkalsprache verbunden, mit Gangstarap und Killersein, mit: Ich erschieß Leute und häng nachts auf der Straße rum“, ergänzt Juju. Um Kinder und Jugendliche mit ihrer anderen Botschaft trotzdem zu erreichen, hat Phillip Neuhaus, Manager und PR-Mann bei Strassenkinda Productions, sich etwas besonderes ausgedacht: Anfang 2009 rief er zusammen mit Strassenkinda Productions, dem HKC, einem Netzwerk Kölner und Hamburger Künstler und der Gruppe Komekaté eine Initiative namens „Strassenkinda Movement“ ins Leben. Die Idee ist, Jugendlichen mit Hiphop-Songs und Workshops Perspektiven jenseits von Gewalt und Drogen aufzuzeigen. Zum öffentlichkeitswirksamen Auftakt pressten Phillip Neuhaus und seine Kollegen 2000 CDs mit ihren Songs und verteilten diese umsonst sowohl an Kiosken in KölnMülheim, Kalk und Ehrenfeld, als auch im Adidas- und Carhart-Store auf der Ehrenstraße. „Wir wollten, dass ein ganz breites Spektrum von Leuten vom Movement etwas mitbekommt“, erklärt Phillip Neuhaus. Dieses Ziel wurde erreicht: Die CDs fanden reißenden Absatz und im Sommer 2009 folgte eine Release-Party im Ehrenfelder Underground. Die Einnahmen der Party – das Underground stellte seine Räumlichkeiten kostenlos zur Verfügung – spendeten die Musiker an den Verein „Köln kickt“. Das zweite Standbein des Movement besteht aus den Hiphop-Workshops, die Raoul und seine Kollegin Aurelia in Hauptschulen und Kölner Vororten geben. Im Auftrag von „Köln kickt“ sind die beiden viermal pro Woche in Meschenich und Godorf unterwegs und bringen Kinder und Jugendliche unter dem Motto „Fußball meets Hiphop“ zusammen. „Wir gehen durch die Blocks und suchen uns die Kinder förmlich,“ erzählt Aurelia. Die Bedingungen, unter denen die beiden Musiker arbeiten, sind jedoch nicht ohne: „Wir waren gerade am Spielen und nach 20 Minuten kommt so ein türkischer Baba an den Zaun und ich seh’, der hat irgendwas in der Hand und dann seh’ ich, der hat ne Knarre. Und ich frag ihn, welches sind denn deine Kinder? Und da zeigt er mit der Waffe auf die Kinder“, berichtet Raoul von den durchaus bedrohlichen Arbeitsbedingungen. Für ihn und seine Kollegin Aurelia ist es jede Woche ein Highlight, wenn sie es schaffen, Kids zusammen zu bringen und Brücken zwischen Kindern und Jugendlichen zu bauen, die sonst kaum etwas miteinander zu tun hätten: wie zum Beispiel auch zu den Sinti und Roma, die in Köln-Godorf in eigenen Siedlungen leben und bisher nur wenig Kontakt zu anderen Kindern im Viertel hatten.


Das Engagement der Musiker ist umso erstaunlicher, wenn man weiß, dass sie von ihrer Musik allein nicht leben können und sich mit Aushilfsjobs oder mit Harz IV über Wasser halten. Die Mehr Infos und Songs zum freien 22-jährige Sängerin Aurelia, die in der kongoDownload unter: www.strassenkinda.de lesischen Hauptstadt Kinshasa geboren wurde www.myspace.com/strassenkindamovement und in Bonn aufwuchs, weiß aus schmerzhafter eigener Erfahrung, warum sie sich engagiert: „In der Zeit, als ich ausgerastet bin, wenn ich nen. Doch schon das erste Jahr des Kölner Strassenkinda Movement hat da solche Leute gehabt hätte, dann wäre vieles gezeigt, dass die Musiker es ernst meinen mit ihrem Engagement – und anders gelaufen.“ Aurelia jobbt zur Zeit für ih- dass sie ihre Zielgruppe erreichen. ren Lebensunterhalt im Café. Doch sie träumt davon, eines Tages von ihrem Gesang leben zu Aus wenig viel machen – diesem Prinzip des Hiphop kommen die Makönnen und irgendwann in der Zukunft auch cher von Strassenkinda Movement jedenfalls schon ziemlich nahe. Den mal ein Projekt mit Straßenkindern in ihrer langfristigen Plan stellt Philipp Neuhaus so vor: „Wir haben gedacht, wir Geburtsstadt fangen einfach Kinshasa zu mamal an, und „Mittlerweile rappen sogar die promichen. Die Vorausdann sollen setzungen dazu Leute, die ein nenten Zuhälter in Köln, jeder darf es hat sie, denn mit bisschen mehr Deutsch, Franzö- sich hier erlauben. Hiphop ist wirklich ein Geld in der sisch und Ninga- bisschen verkommen, die Werte, da, wo es Tasche haben, la ist sie perfekt was dazu tun.“ herkommt, das ist verloren gegangen.“ dreisprachig aufgewachsen – eine Bis es soweit Brückenbauerin ist, machen sie im wahrsten Sinn des Wortes, die vielen Kin- jedenfalls engagiert auf eigene Faust weiter. Das nächste Projekt ist bedern und Jugendlichen in Köln ein weit glaub- reits in vollem Gange: Die Musiker drehen im Rahmen des Videoprojekts würdigeres Vorbild sein dürfte als mancher So- „Kölner Blicke“ einen Dokumentarfilm über ihre Musik und die Workzialarbeiter. shops in den Vierteln. Man darf gespannt sein, welche Pläne als nächstes aus der 23 Quadratmeter großen Ideenschmiede in Köln-Ehrenfeld Die Initiative, die nicht am Schreibtisch von kommen. Fachleuten entstanden ist, wurde anfangs von einigen belächelt. „Als ich gesagt habe, was wir vorhaben, da waren viele skeptisch, so von wegen, irgendwo ist da ein Haken, die wollen selber nur Kohle ranschaffen, was sollen die den Kindern schon beibringen? So nach dem Motto: Jetzt machen die Asis was für die Asis“, beschreibt Phillip Neuhaus die ersten ReaktioRough Neighborhood: Die Ecke Weinsbergestraße/Gürtel

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// D as große

Fehlen und die Stadt //

Von Haltungen, Ökonomien und emotionalen Karten im öffentlichen und privaten Raum. Text und Illustration: Aski Ayran Elber

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Liebesschmerz Ein zerrissenes Herz zum Anschauen auf der Rückseite.

I. These Boots are Made for Walking

Bei Liebesschmerz – und das heißt ganz allgemein, dass mir etwas oder jemand sehr fehlt (so wie jetzt) – ist es meist die Stadt, die mich rettet: ein Song hinter einer Auto­scheibe hervor, wenn ich aus der Haus­tür trete, das Hin und Her des Hin­ter­teils eines Hünd­chens vor mir auf dem Bürgersteig, die nächtliche Anekdote einer Taxi­fahrerin, das Gra­fitto auf der gelben Tür an der Haltestelle Frie­sen­­platz, das aussieht wie Kalli­grafie. Und manchmal retten mich auch die Ökonomen. “These Boots are Made for Walking. Why the most Divorce Filers are Women”. Das Leben geht weiter, auch wenn man sich schwer verrechnet hat in der Liebe und nun geschiedene Leute ist.

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herumkritisieren an Stadt und Leuten muss man manchmal. Seite 80

Ich habe schon dreimal in Ehrenfeld in der Piusstraße gewohnt. Das erste Mal zum Studium auf dem Teilstück zwi­ schen Barthel­ straße und Melaten. Ich war eine Kombination aus Ambi­tio­nen und Un­wil­ligkeit (bin ich immer noch). Wenn ich den Eindruck hatte, ich sei dif­ fus, zwecklos, flüchtig, ging ich auf dem Fried­hof umher. Ich suchte ein gewichti­ ges Gefühl, eine Hal­tung. Und fand eine versteckt stehende Grab­figur. Nicht grö­ ßer als eine Frau, der Körper vorgebeugt, der Blick auf Au­gen­höhe, aufmerksam, müde, die Flügel ab­geschabt. Sie machte einen etwas heruntergekommenen Ein­ druck. Und ei­nen würdigen. Das ist es, dachte ich, heruntergekommen und da­ mit okay sein. Als ha­be sie irgend­­wann ge­merkt: Verdammt, ich kann mich hier nicht ewig aufspielen. Ich setzte mich neben das Grab und rauchte Damen­­­pfeife (vom Ex­freund zum Ge­ burtstag bekommen) und kam mir dabei peinlich exis­tenzialistisch vor. Die Figur blickte müde und würdig und Pein­lichkeit ist ja auch bloß umgedrehte

Venloer Straße. Viele haben hier ein Talent zu prome­nieren und dabei mit großer Selbstverständlichkeit un­mög­liche Frisuren und Beklei­dun­­gen zu tragen. Ange­berei, also rauche, wenn du rauchen willst, und, memento, irgendwann ist es vorbei und neue Generationen werden in ihren Schuhen über dir herumlaufen. Venloer Straße. Viele haben hier ein Talent zu prome­ nieren und dabei mit großer Selbstverständlichkeit un­ mög­ liche Frisuren und Beklei­ dun­­ gen zu tragen, Kombinationen zusammenge­ setzt aus den selt­sam­sten Motiven, sehr schick und auch sehr billig oder nicht billig, nicht einzuordnen, auf sexy Wei­se unsexy und umgekehrt, ober­unter­­cool, unterobercool, man kann sich nicht satt­ sehen an diesen unerwarteten Leuten.

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Sie sind mein Vorbild und ich hoffe, dass es hier nicht irgendwann mal nur noch mögliche Klei­ dung gibt, Erwart­ bares, Standes- und Stand­­ort­ge­mäßes. These Boots are Made for Walking, es sind noch einige Stra­ßen zu überqueren und ich habe gerade einen Dis­put mit einem Auto, als jene mit Ver­wirrung auf mich zu­kommt. Ich hab sie gern, aber auch etwas Angst vor ihr. Sie ist immer so hungrig, trägt teure Schuhe und wohnt mehr in der Innenstadt, wo die Leute mehr hungern. Hungrig erzählt sie mir im Wei­ter­gehen noch eine ihrer verwirrten Ver­liebt­heits­­ge­schich­ten. Ge­mein­sam fin­ den wir he­raus, dass sie befürchtet, dass er sie nicht mehr ge­ heim­nisvoll fände. Beim Zu­hören arbeite ich immer hart und am Ende haben sich die Leute meis­tens satterzählt. Das nächs­te Mal wird sie wie­ der Hun­ger ha­ben, diese Stadt scheint ja nie ge­nug zu bekommen von verwirr­ten Ver­liebt­­heits­­­­ge­schich­­ten. Lei­den­­­schaft ist an vielen Plät­zen das höchs­­­te Gut, das andere höchs­te Gut ist Per­fek­tion – wie verträgt sich das eigentlich? Diese Stadt ein Möchtegern. Aber man soll an Stadt und Leuten nicht ständig herumkritisieren. Da fällt mir ein Ge­ danke von Jack Handey ein: Bevor du je­manden kritisierst, solltest du erst mal eine Meile in seinen Schuhen laufen. Ein weiser Rat. Denn dann bist du, wenn du ihn kritisierst, eine Meile weit weg. Und du hast seine Schuhe. II. Im Bett mit einem Ökonomen

Das zweite Mal ziehe ich in das Teilstück zwischen Ven­loer und Vo­gel­­­­sanger. Selt­ sam lustlos hilft mir mein Freund beim Streichen der Wände. Kurz drauf erfahre ich, dass er meine Rolle schon mit einer neuen, sehr hübschen Ak­teurin besetzt hat. Tja, so wird man nach fünf Jahren seinen Job im Leben eines anderen los.


Der Cambridger Ökonom John Maynard Keynes fand seinen Körper hässlich. Zeit seines Lebens suchte er nach der Grenze der Öko­nomie. Er suchte in der Kunst und im Bett mit Männern und Frauen. Er suchte in Theorie und Praxis. Wo hört das Wirt­schaf­ten auf und fängt das Leben an? Ich liege im Bett mit Keynes, und heute will ich nicht noch mal rausgehen, denn heute war kein guter Tag. Heute muss­te ich ge­zwun­gener­maßen mal wieder Pass­­­­­bil­der von mir ma­chen lassen. Jetzt sitze ich hier, und starre diese Bilder an. Ich fühl mich dabei wie das sprichwörtliche Ka­nin­chen und die Schlange. Ich bin das Kaninchen, das Foto die Schlange. Wo hören die Bilder auf und fangen die Körper an? She catches the fotos like a cat catches a fly / and let ‘em vanish in her deepthroat / they vanished, she said, and the party was high! Es ist spät, sehr spät, und ich gehe mit drei Freun­den noch kurz in den Sonic Ball­room, und als wir nach einer guten Stunde die Tür wieder öffnen, ist da draußen der grellhelle gesetzliche Feiertag, der uns mitten in die Ge­sichter blickt: Denkt nicht, ich hätte euch nicht gesehen … ich sehe euch … ich sehe euch genau!, und vier Erbsünder (die nicht so genau wissen, was sie Böses gemacht haben) ducken sich schnell in ein Taxi, und später beim Be­zahlen versucht der junge Fahrer eine Fliege zu krie­­gen, die ihn schon die ganze Nacht lang genervt hat. Und dann kriegt er sie. Und wir atmen auf. Müssen nicht automa­tisch einige auf der Stre­ cke bleiben, wenn hier so viele Interessen und Lebensstile zusam­ menleben? Wird nicht irgend­wer den Stil vor­ geben wollen?, vielleicht sogar wir? Ja, wir hätten das Zeug dazu: die Hardund Softskills, den intellektuellen Back­ ground, die richtigen Gebete, Geräte, Grafiken und Zitate. Das führt uns auf einen heik­len Punkt: Die arro­gan­teren unserer eigenen Glaubenssätze sind mit­ver­ant­­ wort­lich für all die Plät­ze, an denen es kaum auszuhalten ist. Kultur­­aktive Städter, die wir sind, wollen wir stets als wir er­kenn­bar und dabei alles andere sein als provin­ziell, selbst unsern Protest gegen die Ver­hältnisse performen wir. Plan: unperformatives Un­ver­halten, uneindeutige Kleidungen, die jedes mögliche Image auf Au­gen­­höhe runterdiffundieren. Alle Kreter lügen, glaubt uns, wir sind selber welche! Ja, ich geb’s zu, ich bin eine Sozial­­­­­ roman­ti­kerin, au­ßer­­dem Städ­te­­­rin aus Lei­den­­­­schaft und ziemlich gut trainiert

zweige ich nun, o what a move!, behende ab – und bin auch schon in der Hüttenstraße im L und by the way: Wo liegt denn eigentlich heute genau die Linie zwischen bloßer Selbst­ darstellung und echter Bewe­gungs­­­­­freude?, und im L lerne ich meinen jetzigen Freund kennen. Nach meiner vorläufigen Defini­tion der modernen Verliebtheit handelt es sich um eine Form von Tauschgeschäft, bei dem jede Par­tei das Interesse hat, von der anderen Partei ständig eindeutige Belege dafür zu erhalten, nicht-aus­ tausch­ bar zu sein. Man will je­mand für sich allein haben und sich per Treue­vertrag einen Großteil von dessen Ge­fühlen für die Zu­ kunft sichern. Äußerungen des Vertrags­ part­ners, die dem Bildnis des The-oneand-only-forever zu­wi­der­laufen, werden sank­tioniert. Das gilt übrigens auch für die Selbst­verliebt­heit: Immer be­dacht auf

Fast alle meine Freunde woh­­­nen jetzt in Ehren­feld. Wir sind oft krank. Eloquenz und Stil, verbiete ich mir alles, was mich in den eigenen Augen unbesonders macht. Dabei ist der eigene Stil auch bloß ein Set technischer Tabus, um ihn sich auszutreiben: den täglichen Un­ter­­ schied zu sich selbst, die Be­wegungs­freu­ de mit durchs Viertel stol­pern, stot­tern und die eigene Spra­che nicht verstehen. III. Soft and blue, I’ll kiss you

Ich bin zum dritten Mal in der Piusstraße, ein Dachgeschoss­zwischen Vogel­ sanger und Barthelstraße. Fast alle meine Freunde woh­­­nen jetzt in Ehren­feld. Wir sind oft krank. Bauch, Nase, Lunge, Haut. Apo­the­kensalben sind uns vertraut wie der Zu­cker­guss auf dem Ku­chen. Tab­ letten und Tropfen nehmen wir zu uns wie Erdnüsse und Cola. Jemand fehlt mir sehr. Der Gedanke, dass obwohl wir so viel teilten, er nie wieder mit mir reden wird, macht mich traurig. Der Freund neigt glücklicherweise nicht zur Eifer­ sucht. Manchmal ist da aber noch was anderes, ein anderes Fehlen, schwe­ rer zu beschreiben.

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meine Freunde und auch Deine Freunde wohnen in Ehrenfeld. Seite 76

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Ein unbestimmtes, nicht auszumessendes Ver­missen von ich weiß nicht was. Nichts scheint dann richtig. Weder mein Be­ fasst-sein und heilig Arbei­ten noch mein Befreundet-sein und wild Aus­gehen, weder mein Pray’n’Work noch mein Rock’n’Roll. Nichts davon. We­der dieses Viertel noch ein anderes. Jedes Handeln, Reden, Tan­zen, Fühlen wie aus Pappe. Schlecht ge­spielt. Und falscher Film außerdem. So als ob ich bereits jetzt irgendwo­anders ein schöneres, richtigeres Leben führen würde, aber ich weiß nicht, wo das ist. Nichts ist da – das große Fehlen. Qloster­stüffjen. Klick-Klack-Aah-Klack macht der Ki­cker. Wir hier am Holztisch sind alle nicht oder nur so mittel erfolg­ reich. Die Freun­ din hat den Agenturjob bekommen und wir machen uns lustig. Ohne die Designer, kontert die Freun­din, hätte es weder The Velvet Under­ground noch die Sex Pistols noch Cabaret Vol­ taire noch die Monks gegeben. Tor. Da ist was dran, alles Bands, hinter denen ein Gestal­tungskonzept stand. Viel­leicht, sagt ein Freund, hät­te es was Bes­seres gegeben. Was kann es denn Bes­seres geben als die Monks, die nach Liebe rufen? Soft and blue, I‘ll kiss you / So much glory, not the story / Roar of star, it‘s so far … Vielleicht, sagt er, etwas so völlig anderes, dass du es dir nicht mal vorstellen kannst, weil du, um es dir vorzustellen, schon ein völlig anderes Leben führen müsstest, ein so viel weiteres Leben oder mehr als nur ein Leben, sodass– – – Der Freund hält inne und wir sehen ihn er­staunt an. Sollte da etwas sein, in ihm, dem allseits Gelas­senen, eine Sehn­sucht, von deren Heftig­keit keiner etwas ahnte? Oh, sage ich, das große Fehlen. Aber an der Theke sagt uns einer das Re­ zept für Vodka-Litschi und einer erzählt vom Kölner Gangs­ter­rap, meine Ant­wort auf Bil­dung ist meine Kampf­­sport­aus­ bildung, und alles kommt vom Hölz­chen aufs Stöckchen, sodass wir erst mal wieder gerettet sind aus dem großen Fehlen. Schock am Morgen. Das halbe rechte Bein mit Kaffee verbrannt. Un­ ter panischen Schmerzen die Vogel­sanger runter

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Gangsterrap Vom Kölner Gangstarap ganz ohne Gangsta berichten wir auf Seite 66

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zum 4711-Platz. Um die Hüften bloß ein weißes Bettlaken, auf das ich immer wieder Was­ser gieße zum Kühlen. Es tut so weh. Ich tropfe den Hinweg und das ganze Wartezimmer voll. Egal. Zweiten Gra­des, sagen sie in der Pra­xis. Der Kranken­wagen nach Mer­­heim, Ver­brennungs­station, hält mitten vor der Eis­diele, es tut so weh, ich werde links und rechts eskor­tiert und das Volk schaut, auf die Evita Peròn von Ehrenfeld, ich zucke tapfer mit den Schultern, don’t cry for me, Argen­tina. Neu: Die Venloer Straße ist keine Linie mehr, sondern ein langes Recht­eck. Keine Straße mehr, sondern ein Platz. Weil wir unser Büro jetzt hinterm Le Saveurs de Provence haben und wir mittags so oft drau­ßen vor den Lokalen sitzen. Ich rauche im Büro­hof. Nicholas, kannst du mir einen Milch­kaffee durchs Fenster rausgeben. Madame, das ist ‘ier nicht McDrive. Den Kaffee bekomm ich trotzdem. Ich lege mein Bein auf ein dickes Rohr, ver­brannte Fläche: zwei Din-A5-Sei­ten, wow, das soll mir erst mal einer nachmachen.

Jede Ver­liebtheit ist wohl ein Beispiel für soziale Ansteckung und eine Neue-Ära-Story. This time it’s different, diesmal wird es *nicht* aufhören, sagt sich der Zo­cker an der Ge­fühls­börse. IV. Soziale Ansteckung

Ich wohne weiter in der Piusstraße und es geht nicht recht voran mit mir, es fehlt der Kick im Leben. Der Ökonom Robert Shiller sagt, dass es Geschichten sind, die das wirtschaftliche Handeln motivieren. Sehn­ sucht, soziale An­ste­ckung, Boom-Denken, irrationaler Überschwang, Neue-Ära-Storys. Jede Ver­liebtheit ist wohl ein Beispiel für soziale Ansteckung und eine Neue-ÄraStory. This time it’s different, diesmal wird es *nicht* aufhören, sagt sich der Zo­cker an der Ge­fühls­börse. Bis es aufhört. Selbst die besten Dinge und Räusche hören auf. Und der soziale Kater kommt. Das beste Konzert meines Lebens war ein ausgefallenes Konzert im Under­ground. Es war nicht richtig angekündigt, die finnische Band war spät dran und nur noch ein knappes Dut­zend Leute da. Die Freunde und ich halfen, die Instru­ mente in das Häus­chen schräg vor der Halle zu tragen,


wo die Fin­nen übernachten sollten. Dann standen wir da im Wohnzimmer herum, Sofa, Couch­tisch, Kühl­schrank, Gar­dinen, Zeit dehnten sich – zu einer Idee. Kurzes Ge­stöpsel, die letzten Zu­rück­­geblie­benen reingerufen, ein paar Bier auf, und dann ging es so schnell los, dass wir nicht wussten, wie uns geschah: Schlag­­­zeug, Gi­tarre, das Wohn­zim­mer schüt­telte sich und nach zwei Songs standen die Freunde und ich plötzlich oben auf dem Sofa: If you wan­na talk about poetry / well baby, I’m your man / And if you wanna see me go wild / I can get … fucking … wild … / but Baby: Slap my ass! Wir slapten / schlugen auf den skandinavischen Hin­tern, sie stöhnten, sangen, My friend Sal / caught a fish / he caught a fish / That’s it, sie machten Pause, wir fielen runter aufs Sofa, tranken Zigaretten, redeten An­ste­ckung und Fieber, zwei Skate­ boards fuhren los für Getränke vom Kiosk. Die Finnen tranken, spiel­ten weiter, wir tanzten das Sofa, die Fens­ter, die Tische, der Schweiß der Dinge lief Stir­nen, Wände runter, von der Decke tropfte es – und wir hatten dies Wetter gemacht, nein, wir waren das Wetter, ich wuss­te nicht mehr, wo ich aufhörte und die anderen anfingen, wuss­te nur, dass mir gut ging und weiter ging und nichts ging kaputt in dieser Nacht, außer ein paar Bier­fla­schen und das Leben: Leistung und Ge­gen­­leistung, Dienst­­­­leister und Pub­li­kum, Ein­tritt, Ge­­trän­ke­­mar­ken, Tür­steher, abgewiesene Ge­­fühle, die gan­­ ze elend lange Ge­schich­­te bis hierher galt

Einer will Moschee, einer will nach dem Tod auf keinen Fall weiterleben. nicht mehr, denn jetzt und hier, leibhaftig, war ihr Happy­­end: Slap my ass! Schlag dein Wohn­zim­mer auf den Arsch, es bettelt darum, sind deine Bedürf­nisse Pro­bleme, die gelöst werden müssen?, bist du nicht viel mehr als ein Haus­halt, ein Bedarf?, zieh deinem Haushalt die Hosen runter, damit er vor aller Augen da­stehe: der nackte Arsch und sein Ge­brauchs­­­wert, der unendlich ist, denn es gibt weit mehr Arten, gut auf einen Arsch zu schlagen, als ein Wohn­zimmer, einen Text, eine Be­ziehung nett einzurichten, hör auf, dich einzurichten!, nicht mehr einrichten, hörst du!, das Zeitalter des Einrichtens ist vorbei, der Innenausstatter in uns hat die letzte Schlacht verloren. Ich weiß nicht, ob es hinten auf den Etagen­­ betten auch Sex gab, die ganze Nacht war ja Sex, wenn Sex das­selbe ist wie Hun­ ger nach Le­ ben, einem großen, überflüssigen Leben, ma­chten wir weiter, bis wir nicht mehr konnten, die Fin­nen,

die Hand­voll Leute, die Freunde, ich waren am Ende fix und fertig, auseinandergenommen und neu zusammengesetzt. Die bes­ten Partys kommen aus dem Nichts. Das beste Kon­­­zert meines Lebens war ein aus­­ge­fal­le­nes Kon­zert. Danach war nichts mehr, wie es war. Mein Kör­per war neu, das Leben nicht. Großes Fehlen. Alle Kon­zerte danach (auch die von Boomhauer) folg­ten der üblichen Lo­gik. Von Leis­tung und Ge­ gen­leistung, Eintritt und Show, Bedarf und Bedarfsdeckung. Es war nichts Über­­flüs­si­ ges daran. Al­len Kon­zer­ten da­nach ha­be ich nicht verziehen, dass sie nicht waren wie dieses eine. Slap my ass. Das stimmt nicht. Bei No Means No im Gebäude 9 im Sommer fühlte ich mich auf andere Weise genauso gut. Die Stadt ist nicht immer gut zu einem. Oft ist sie lau, launisch, pampig oder bösartig. Jedoch, in meiner emotionalen Karte der Stadt sind einige Orte gespeichert, an die ich mich mit bestimmten Gedanken oder Gefühlen wenden kann. Etwa wenn ich jemand (im­mer noch) vermisse. Ein Teil will vermissen, ein Teil will das nicht mehr. Ein Teil will rechnen, ein Teil will vergessen zu rechnen. Ei­ ner will zukunftsplanen und haushalten, einer will den Rest Ju­ gend verschwenden. Einer will Ökologie, einer will dreckig lachen (Wenn Bäume schreien könnten, würden wir sie dann einfach so ab­holzen? Na klar, wenn sie nicht aufhören rumzuschreien, Jack Handey). Einer ist ambitioniert, einer ist unwillig. Einer will das perfekte Spiegelbild, einer will sich kein Bildnis machen. Einer will Mo­schee, einer will nach dem Tod auf keinen Fall weiterleben. Manch­mal komme ich mir sehr schlau vor. Und manch­­­­mal denke ich mir, hey, ich weiß einen Scheiß. Nach dreimal Pius­­ straße kann die Stadtwis­senschaft lediglich drei Dinge festhalten: 1. Man kommt nicht mit nur einer Hal­ tung, einem Stil durch. Fürchte dich nicht vor den befremdlichen Leu­ ten, die in dir oder draußen auf der Straße herumlaufen. 2. Es ist nicht zu er­warten, dass irgendeine große Liebe einen erlöst aus dem großen Fehlen. 3. Es kann nicht immer die gleiche Sa­che sein, die einen rettet. Aber irgend­was wird es sein, morgen, übermorgen. Don’t panic. – Im Übrigen bin ich der An­sicht, dass die Sitz­­bänke rund um den Brunnen auf dem 4711-Platz wieder aufgestellt werden müssen. Danke.

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4711-Platz Kölnisch Wasser gibt es hier nicht mehr, aber immer noch orange Rollos am Wochenende. Seite 36

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Die Kollegen: Wir haben gerade erfahren, dass Du mit Kelsdesign aus Ehrenfeld weggehst. Und das als echter Ehrenfelder. Warum?

Kels: Weil die symbiotischen Zwecke, die hier im Sound of Cologne vorherrschen sollten, dass also ganz viele Menschen ganz viel umtriebiges Zeug zusammen machen, sich hinter abgeschlossenen Türen auf langen Gängen verlieren. Du bist hauptberuflich Designer, aber auch bekannt als DJ & Musiker. Ist Köln noch die richtige Stadt für Musik, muss man nicht eigentlich nach Berlin?

Ganz im Gegenteil. Köln war schon immer eine Musikstadt, ne Innovatorenstadt – und das wird sie auch weiterhin bleiben. Man muss nur einfach richtig hinschauen, um diese Tradition zu finden. Wohin?

Ich glaube, dass viele Leute, eigentlich wie im richtigen Leben, lernen müssen, hinzuhören und hinzuschauen – auch bei Musik. Wenn man natürlich nicht die Zugänge bekommt, sich mit Musik auseinanderzusetzen, oder auch mit Design und Kunst, dann kann man sich nur „verbilden“. Wer ist Dein nicht verbildetes Publikum?

Menschen zwischen 18–58 … Ein Traum für Marktforscher!

Ich mache Musik für alle, die tanz- und soulaffin sind. Musik für das Herz und die Hüfte. Und wenn man nun genau hinschaut, wen findet man in Köln, der Musikstadt?

Ehrenfeld – ein Requiem? Dirk Wilhelm Kels alias DJ Fangkiebassbeton über den Verlust von Wärme in Ehrenfeld. Interview/Text: Prasanna Oommen, Foto: Tanja Steffen

Was wäre Ehrenfeld ohne Leute wie den „Kels“? Ehrenfeld hat einen wie den Kels verdient, einen „Echten“, DEN Ehrenfelder. Doch den Kels hält nichts mehr in Ehrenfeld. Nicht mal mehr das 4711Haus. Wir wollten wissen, warum so einer ein „Emmi“1 ist und sprachen an seinem letzten Tag im Sound of Cologne-Haus2 mit ihm über die Kölner Musikszene, das aufstrebende Ehrenfeld und darüber, welche Legende über den Heliosturm tatsächlich wahr ist. 74

Leute wie Jörg Kühnel, der mit seinem „Brave George Music“ gutes Label Mangement betreibt (hat Sharon Jones & The Dap Kings aus New York unter Exklusiv- Vertrag für Deutschland, die Red.) oder auch Oliver „Olski“ Felbert von „MPM Records“. Das sind Leute, die ganz viel für die zeitgenössische Musiktradition in Köln tun. Wenn man nun speziell nach Ehrenfeld schaut: Gibt es hier eigentlich einen organisierten Zugang zu elektronischer Musik, ausser über Parties, zum Beispiel auch über Orte?

Generell ist Musikkultur in Köln nicht mehr so stark verortet, wie es früher war übers Liquid Sky, zum Beispiel. Zwar wird es im Kleinen in bestimmten Umfeldern noch so gelebt, doch es überträgt sich nicht als Welle. Das trifft für Soul, Funk und elektronische Musik in Köln zu. Diese Musik wird nur über Parties wahrgenommen. Würde es sich denn lohnen, in Ehrenfelds Musikszene zu investieren und einen solchen Ort gegebenenfalls zu schaffen?

Das würde sich in jedem Fall lohnen. Die Leute von „la nuit de Funk“, die ja das Schnittfeld von Funk-Musik zur Elektronik anbieten, versuchen ja seit einiger Zeit in den Bahnbögen einen eige-


Was inspiriert Dich eigentlich hier in Ehrenfeld?

Hier sind meine Roots. Ich kenne Ehrenfeld noch, als es das letzte Asi-Viertel war. Heute ist es ein aufstrebendes, super-teures, nicht bezahlbares Agentur-Hip-Viertel. Mir gefallen beide Seiten. Was mir nicht gefällt ist, dass ich nicht mehr in Ehrenfeld wohnen kann, weil ich mir die Mieten hier nicht mehr leisten kann. Deswegen musste ich nach Nippes gehen – aus Kostengründen. Jetzt muss ich zugeben, dass Nippes long, long cooler geworden ist, als Ehrenfeld es jemals sein kann. Da leben auch ganz viele verschiedene Leute. Aber im Gegensatz zu Ehrenfeldern sind die geerdet. Sie wissen, worum es geht und ziehen sich nicht gegenseitig ab. Hier hab ich manchmal das Gefühl, dass das Lebensgefühl anders ist. Inwiefern anders?

Hier ist alles supertrendy-fancy geworden. Die Leute sehen sich gegenseitig als Konkurrenten, haben Berührungsängste.

haben ja dann auch den „Subbelrather Hof“ im Wettbewerb3 bekommen. Die ziehen natürlich ihr Publikum an, aber das ist halt „Immi-Bespaßung“. Das ist in keiner Weise authentisch. Aber das ist auch gut so. Ja? Warum ist das gut so?

Heutzutage ist so etwas auch ein wichtiger Bestandteil der Szene in Köln, aber es ist nicht das, was es ausmacht, in Köln zu leben. Das ist nicht Köln. Ist das Image?

Ja genau, das ist Image. Was treibt denn Dich und Deine eigene Musik an?

Ich muss mit meiner Musik kein Geld verdienen. Ich muss nicht bedienen. Ich kann mich austoben und das macht vielleicht meine Musik aus. Ich probiere Neues und ich bin hemmungslos im Mischen von kulturellen Musikstilen. Im Network eben. Wie hier im Haus?

Nein, das ist „nett Working“. (lacht)

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nen Laden aufzumachen. Im März wird er wohl tatsächlich eröffnet.

Profil Dirk Wilhelm Kels/36/ Ehrenfelder mit italienischen Vorfahren/geb. in Ehrenfeld – geblieben bis zum 29. Lebensjahr/differenzierter Lokalpatriot/gelernter Schauwerbegestalter/ selbsternannter GraffitiKünstler/studierter Designer (Kels-Design), passionierter Musiker und DJ/verheirateter Familienvater, seit 2010 Ex-Ehrenfelder.

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Kostengründe spielen auch in Hamburg eine Rolle, wie wir bei „Not in our Name“ ab Seite 80 erfahren.

Was hat sich denn genau verändert?

Ist das bei allen so?

Nein natürlich nicht bei den Leuten, die man kennt, da ist das anders. Aber ich sag mal, die Hürde, jemanden kennenzulernen, ist größer geworden.

Wie könnte sich Ehrenfeld in Zukunft zum Positiven verändern?

Ja, wenn es hier wieder warmherziger werden soll, dann muss Ehrenfeld etwas tun, was andere Stadtviertel auch geschafft haben: es muss familienfreundlicher werden. Weil all die Leute, die jetzt Veränderungen hervorrufen könnten und die vielleicht den passenden kulturellen Einfluss haben, die langsam anfangen, Kinder zu bekommen... Und dann wird es wie in Berlin am Prenzlauerberg ?

Nein, das sollte es sicher auch nicht werden, aber eine Infrastruktur wie in Nippes wäre hier schon gut. Die Leute sollten sich eben wirklich mischen. Und Grünflächen müsste es endlich geben, hier fehlen einfach Ruhepole. Apropos Ruhepol. Wenn Du die Möglichkeit hättest, städtebaulich mitzuwirken, was würdest Du bauen?

Ich würde die Rheinlandhalle abreißen und dann würde ich einen ins Stadtbild integrierten altbauartigen Bau, ähnlich dem Bürgerzentrum Ehrenfeld, errichten. Auf den oberen Etagen ein Begegnungszentrum, das mit Cafekultur belebt ist. Man sollte Bock drauf haben. Und unten sollte Interkulturelles stattfinden, auch GenreInterkulturelles in den Bereichen Kunst, Musik, Design. Ein Ort, wo man sich treffen kann. Eben eine Mischung aus Veranstaltungs- und Ausstellungsorten sowie Arbeitsräumen. Für Begegnung wird ja einiges in Ehrenfeld getan?

Nicht gerade typisch für Köln.

Nein, das ist überhaupt nicht typisch für Köln oder Ehrenfeld. Aber es gibt hier so viele Leute, die glauben zu wissen, was typisch für Köln ist. Zum Beispiel die Leute, die diese Rhythmusgymnastik-Veranstaltungen machen, das ist ja so ein Ganzjahres-Karneval für Studenten. Und die

Ja, ich weiß .. das beschissene Straßenfest. Welches von den dreien meinst Du denn?

Alle drei. Dirk, wir danken Dir für das Gespräch.

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Heliosturm Und wie kam der Heliosturm tatsächlich nach Ehrenfeld? Seite 35

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Ehrenfeld war früher ein Arbeiterviertel. Die Vulkanhallen, wo jetzt in der Rheinlandhalle diverse Möbelläden und Fitnessläden sind, waren industrialisiert. Da haben Menschen in der Fabrik gearbeitet. Danach lag natürlich viel aufgrund der Pleite gegangenen Firmen brach. Und dann kamen die Immobilienmakler und haben das Potenzial gesehen und alles an fancy Werbeagenturen verkauft. Plötzlich drängen dann angebliche Kreative, die total hip sind, in so ein Viertel, weil die Mieten noch günstig waren. Damit ändert sich dann natürlich auch das Bürgerverhalten. Viele sind davon abgeschreckt, ziehen in andere Gegenden, und die Leute, die in den Agenturen arbeiten, die wollen natürlich in diese Ecke ziehen. Dabei ist die Wärme verloren gegangen. Es herrscht, so empfinde ich das, eine gewisse Arroganz, die dazu führt, dass man sich noch nicht mal mehr grüßt. Ich kenne das halt ein bisschen anders. Ich mag das halt, wenn man eine Anlaufstelle hat, wo man mal kurz einen Schnack halten kann. Hier im Haus, das ist auch so ein Konzentrationspunkt: da begegnet man sich nur mit seiner Coolheit, die aneinander vorbei läuft und – oh Gott – als würde die Welt untergehen, wenn man dem anderen mal Hallo sagt.

Fußnoten 1 Emmi = Emmigrant 2 4711-Haus 3 Gaffel Kölsch hatte einen Wettbewerb ausgeschrieben: „Szenekneiper gesucht“. Das Team Rhythmusgymnatik hat gewonnen und den Subbelrather Hof als KonzeptKneipe neu eröffnet.

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Ehrenfeld braucht

Freunde!

Du bist so schön hässlich!

Wir sind stolz auf dich – sagen Ute und Thor. Text: Katharina Feldkamp

Ute & Thor sind Freunde. Ute ist eine Freundin von Thor

und Thor ist ein Freund von Ute. Und mit anderen F ­ reunden haben die beiden die selbsterfundene Wählergemeinschaft DEINE FREUNDE * gegründet. // * Seit September 2009 dank 2904

Kölner Wählerstimmen mit einem Sitz im Rat vertreten – durch den Ehren­felder Ratsherrn Thor.

Blick von oben? Bestimmt nicht schön, weil wenig grün, spekulieren beide, aber ganz sicher imposant. Dabei hat Ute Ehrenfeld immerhin schon von ziem-

4711-Hauses. Das gestreifte Gebäude ist für Ute Ehrenfelds Mittelpunkt. Und seit einiger Zeit arbeitet sie genau da – mittendrin auf der dritten Etage. Von der Kaffeeküche lässt sich das Treiben vorm Barthonia-Forum* beobachten. * Noch, Ute wird es ja abreissen lassen. Doch zuvor wird, wenn es nach Thor, Ute und ihren DEINE FREUNDE-Mitstreitern geht, die Venloer Straße autofrei, das steht nämlich ganz oben auf ihrer Wunschliste für Ehren­feld: Weniger Autoverkehr, gleich neben Mehr Grün – genauso wichtig. Dann kommt der Badesee! // Vereinfacht sind genau das schon einige der Überlegungen, auf denen die Idee zur Gründung der Wählergemeinschaft DEINE FREUNDE basiert – mehr grün, mehr schön, weniger Autoverkehr – und mehr Mitbestimmung und Einmischung – vor der eigenen Haustür und der der Freunde, also auf kommunaler Ebene. lich weit oben gesehen, nämlich aus der zehnten Etage des

Szene Ehrenfeld?

Ute findet Ehrenfeld schön

unver­ stellt, ehrlich und unszenig. Mit Szene assoziiert sie gekünstelten Hipp-Kram. // Ehrenfeld ist einfach Ehren­feld und so kann Ute hier einfach Ute sein. ­Beide müssen nichts vorgeben, was nicht ist. // Ehren­feld spielt keine Rollen. Doch es bekommt welche zugesprochen, zugeteilt und aufgestempelt, wird etwa gern als Szene- oder In-Viertel verkauft. Thor findet, dass der Begriff Szene hier mitunter seine Berechtigung hat.

Früher alles schöner?

Schwankt dabei aber zwischen einer positiven Besetzung – er-

es gleich schön hässlich, meint sie. Und auch Thor, der hier schon so viel länger

Neptunplatz, das ist Thors geographischer Mittelpunkt Ehren­felds, mit netten Veranstaltungen attraktiver

wohnt, und sogar das Neptun-Bad noch als Bade- und Waschanstalt kannte,

zu machen – und einer negativen, – da fällt ihm das in seinen

weiß nicht so genau. Vorm Krieg vielleicht – als die ganzen alten schönen Häu-

Augen überambitionierte verquerte Bestreben der Design-

// Doch nicht nur der Krieg hat viele von ihnen dahin gerafft. Das, was anschließend noch stand, wurde von skurrilen stadtplanerischen Maßnahmen nochmals dezidiert. So musste etwa ein schöner Wohnblock dem wenig geliebten Barthonia-Forum weichen, das wiederum aller Voraussicht nach bald – dank Ute – einer Wiese mit Badesee weichen wird. // Ehrenfeld braucht dringend einen Badesee. Viel dringender na-

Quartier-Menschen ein.

zählt dann von den ambitionierten Bemühungen, den

ser noch standen.

türlich noch als Schuhgeschäfte, wie Ute findet, und vielleicht auch noch viel dringender als ein Museum. Dringlichkeit hin oder her

auch Thor gut.

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– Badesee findet

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… kann Ute nicht sagen, seit 2002 ist

Not in our Name wehren sich gegen ungewollte Vermarktung von außen. Seite 80


Mülheim

Nippes

Südstadt

Deutz

Chorweiler

Altstadt

Belgisches Viertel

Lindental

Agnesviertel

Niehl

Heimat Ehrenfeld?

Ute und Thor sind in Ehren­feld nicht nur zu Hause, sondern fühlen sich hier auch so, und DEINE FREUNDE auch, wobei Letztere sich darüber hinaus auch noch in vielen ande-

// Wie so viele hier sind auch Ute und Thor weder echte Ehrenfelder, noch echte Kölner. Aber das tut ihrem heimischen Gefühl keinen Abbruch. // Ute ist 2002 ren Kölner Vierteln zu Hause fühlen.

Flanieren oder spazieren? Thor flaniert nicht, entwe-

nach Köln Ehrenfeld gezogen. Thor kam zum Studieren nach Köln. Das ist über 20 Jahre her, mindestens 15 davon verbrachte er in Ehrenfeld. Die Freunde fühlen sich hier wohl, wegziehen

der geht er spazieren oder einkaufen, aber nicht flanieren.

steht in absehbarer Zeit nicht zur Debatte. Vielmehr können

Spazieren heißt für ihn gemächlich und ziellos durch die kleinsten der kleinen

sie sich sogar vorstellen, hier alt zu werden – theoretisch, wer

Straßen zwischen Subbelrather, Venloer und Vogelsanger schlendern. Einkaufen

weiß schon, was in fünf, zehn oder zwanzig Jahren ist, passiert

hingegen ist nicht ziellos und das erledigt Thor auf der Venloer: erste Anlauf-

– und überhaupt.

stelle Kaufland. Ein Laden, in den Ute keinen Fuß setzen würde. Schließlich steht das Barthonia-Forum ganz oben auf ihrer Liste* der Ehren­felder Gebäude, die auf der Stelle abgerissen gehören. *  auf den Abdruck der vollständige Liste der von Ute und Thor genannten Bausünden, die abgerissen gehören,

Thor

Zu den übrigen Stationen auf Thors Einkauftour würde sie dagegen mitkommen. Anders als Thor flaniert sie auch schon mal. Rechts und links der Venloer, etwa auf der muss aus Platzgründen verzichtet werden.

Rothehausstraße, ein Mal rock-it-baby hin und zurück.

Fehlt’s am Platz?

Eigentlich finden beide, dass es hier beinahe alles

gibt, was man so braucht. // Gut, ein bis zwei nette Schuh- oder Klamottenläden könnten es für Ute schon sein. Platz in zentraler Lage gäbe es ja zu Genüge, würde sich einer der ungefähr 38 Ein-Euro-Shops auf der Venloer verabschieden. Soviel Plastikkram braucht schließlich kein Mensch, jedenfalls Thor und Ute nicht. // Doch nicht nur an Schuhgeschäften mangelt es in Ehrenfeld, sondern auch an

Kultur fällt Thor beim Thema Mangel zu allererst ein. Schließlich gibt es hier kein einziges Museum. Da hat er Recht. Doch ist Ehrenfeld deshalb gleich eine kulturlose Enklave? // Immerhin wird hier weit mehr geboten als in manch sehr viel Bedeutsameren.

Ute

anderen Veedeln. So gibt es zum Beispiel und immerhin gleich mehrere Theater, zahlreiche Veranstaltungsräume, etliche Konzerte, Lesungen, Tanz- und Kulturabende und eine Menge Kneipen noch dazu, darunter auch gute. Sicher – es

Unprätentiös wie eine ausgediente alte Bushaltestelle steht er wenig beachtet im vorderen Teil des Parks.

vielleicht wichtiger noch: Das, was da ist, könnte schlicht besser genutzt werden – Bestehendes und auch das, was noch Raum bietet, Neues entstehen zu lassen. › Es sind nicht mehr so viele, aber es gibt sie noch: die Brachflächen, verwaisten Fabrikhallen, leer stehenden Häuser. › Die kulturelle Nutzung der schön hässlichen Kolbhalle

Beiden fallen noch viele andere Lieblingsorte und Verstecke

– ein Beispiel, das spiegelt, was Ehrenfeld mit ausmacht – noch: der Funke des

// Und Nischen? Neben den zahlreichen alten Fabrikhallen und Brach­flächen hier sind für Ute und Thor vor allem auch die vielen kleinen Läden, Kunst- und Werkräume in Ehrenfeld echte Nischen. All die

Wir-bauen-uns-die-Welt-wie-sie-uns-gefällt-Gedankens und der Hauch von

cherpark als prima Versteck ausgemacht.

ein, doch die sind eben geheim.

Orte und Stätten, in denen Menschen versuchen ihr Ding zu machen und ihren Lebensunterhalt jenseits von Festanstellung, Sicherheit und fremdauferlegten Beschränkungen zu verdienen; mit Herzblut und dem Risiko, davon nicht ausschließlich oder nur mäßig leben zu können.

könnte von allem mehr geben. Doch,

eben diese krude Mischung: hässliche Wohnblocks, schöne, alte Stadthäuschen, Billig-Läden, Ateliers, Industrie­brachen. Anarchismus. Und darüber hinaus

Arkadas-Theater Bühne der Kulturen Heliosturm Kölner Künstlertheater

Versteckte Nischen? Ute hat einen Unterstand im Blü-

Vogelsanger See

ARTheater

Odonien

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Herkulesberg


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Foto: Patrik Prior

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Ehrenfeld-Mitte. Gefühlt. siehe auch Seite 40 , Ehrenfeld weiterdenken Die zentralste Stelle Ehrenfelds: Rathaus Ehrenfeld, Nischenurbanismus, Ehrenfeld Town Square, neue Architektur der Höhenversprünge? Die vorhandene Substanz bietet viele Entwicklungsmöglichkeiten jenseits klassischer Vermarktungswege. Komplexe Rahmenbedingungen lassen Entwicklungen eher im „Weiterfrickeln“ als im „Großen Wurf“erwarten. Oft zählt der kreative, ortbezogene Ansatz mehr als der gute Kontakt zur finanzierenden Bank.

Open Source ist die Freiheit, Ideen vorzuschlagen, ohne Rücksicht darauf, wer dies tut. Open Source ist die Freiheit, diese Ideen weiterzuentwickeln, egal von wem sie kommen. Open Source ist sogar die Freiheit, Ideen in einem völlig anderen Kontext zu benutzen und daran zu lernen.


Ehrenfeld-Mitte. Gemessen: Breite=50°57‘0.19“N Länge=6°54‘46.32“E Laut eigener Messmethoden nur 132 Meter von den Kollegen entfernt.

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Gefühlte Grenzen Auch unsere Interviewpartner hatten ihre gefühlten Mittelpunkte und Grenzen.

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NOT IN

OUR NAME, Marke Ehrenfeld!

Am 29. Oktober 2009 hat eine Gruppe Hamburger im Gängeviertel ein Manifest namens „Not in Our Name, Marke Hamburg!“ vorgestellt. Darin beziehen sie differenziert Stellung zu den Themen Gentrifzierung und Stadtentwicklung. Dem Manifest widerfährt bis dato große Unterstützung; Gentrifizierung, die 5200 Personen unterzeichneten es bislang. – „Wenn arme StadtDas Original-Manifest drucken wir hier mit freundlicher Genehmigung aus Hamburg ab, da wir ähnliche Entwicklungen – auch auf Mikroebene, wie zum Beispiel dem Stadtbezirk Ehrenfeld – aufziehen sehen. Wir gehen von einer unvermeidlichen Generalisierbarkeit der Entwicklung aus und lesen somit das Manifest mit Blick auf Ehrenfeld. Wir meinen: Ehrenfeld gehört allen; seine Bewohner haben ein Recht auf Stadt. Natürlich haben diese Bewohner auch ein Recht auf Aufwertung ihres Stadtbezirks; nichtsdestotrotz kann ein Bezirk keine Marke sein, braucht Ehrenfeld kein aufgezwungenes „Made in Köln-Ehrenfeld“. Die Entstehung dynamischer „Kreativ-/ Design-Zentren, Cluster, Quartiere“ etc. sollte, wenn überhaupt, nur an solchen Orten forciert werden, wo es tatsächlich und nachweislich vonnöten und von Vorteil ist. Dort, wo die Entwicklung so oder so im Gange ist, möge sie lieber weiterhin graswurzelhaft von selbst durch die Einwohner geschehen.

viertel hipp werden.“ (auch „Gentrifikation“; von engl. Gentry – niederer Adel). Ehemalige Wortwaffe. Mittlerweile zum Unwort avanciert. Der ursprünglich aus der Soziologie stammende Begriff beschreibt die Änderungen, die mit der Sanierung gewachsener Quartiere einhergehen; zum Beispiel die Umwandlung von Arbeitervierteln in teure Szeneveedel. Die Veränderungen sind nicht unbedingt in jeglicher Hinsicht negativ zu bewerten. Ergebnis Netzsuche: 260.400 Funde. Siehe auch Seite 3

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Vorwort: Matthias Knopp, Manifest: Ted Gaier, Melissa Logan, Rocko Schamoni, Peter Lohmeyer, Tino Hanekamp, Katharina Köhler, Thorsten Seif, Christoph Twickel u.a.

mehr Recht auf Stadt: „Nehmen wir uns das Recht auf Stadt! Es liegt auf der Straße, es hängt in Bäumen und versteckt sich unter Pflastersteinen.“ http://www.rechtaufstadt.net/

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Gentrifizierung gibt es auch in Ehrenfeld. Seite 3

Ein Gespenst geht um in Europa, seit der US-Ökonom Richard Florida vorgerechnet hat, dass nur die Städte prosperieren, in denen sich die „kreative Klasse“ wohlfühlt. „Cities without gays and rock bands are losing the economic development race“, schreibt Florida. Viele europäische Metropolen konkurrieren heute darum, zum Ansiedelungsgebiet für diese „kreative Klasse“ zu werden. Für Hamburg hat die Konkurrenz der Standorte mittlerweile dazu geführt, dass sich die städtische Politik immer mehr einer „Image City“ unterordnet. Es geht darum, ein bestimmtes Bild von Stadt in die Welt zu setzen: Das Bild von der „pulsierenden Metropole“, die „ein anregendes Umfeld und beste Chancen für Kulturschaffende aller Couleur“ bietet. Eine stadteigene MarketingAgentur sorgt dafür, dass dieses Bild als „Marke Hamburg“ in die Medien eingespeist wird. Sie überschwemmt die Republik mit Broschüren, in denen aus Hamburg ein widerspruchfreies, sozial befriedetes Fantasialand mit Elbphilharmonie und Table-Dance, Blankenese und Schanze, Agenturleben und Künstlerszene wird. Harley-Days auf dem Kiez, GayParaden in St. Georg, Off-Kunst-Spektakel in der Hafencity, Reeperbahn-Festival, Fanmeilen und Cruising Days: Kaum eine Woche vergeht ohne ein touristisches Megaevent, das „markenstärkende Funktion“ übernehmen soll. Liebe Standortpolitiker: Wir weigern uns, über diese Stadt in Marketing-Kategorien zu sprechen. Wir sagen: Aua, es tut weh. Hört auf mit dem Scheiß. Wir lassen uns nicht für blöd verkaufen. Wir wollen weder dabei helfen, den Kiez als „bunten, frechen, vielseitigen Stadtteil“ zu „positionieren“, noch denken wir bei Hamburg an „Wasser, Weltoffenheit, Internationalität“, oder was euch sonst noch an „Erfolgsbausteinen der Marke Hamburg“ einfällt. Wir denken an andere Sachen. An über eine Million leerstehende Büroquadratmeter zum Beispiel und daran, dass ihr die Elbe trotzdem immer weiter zubauen lasst, mit Premium-Glaszähnen. Wir stellen fest, dass es in der westlichen inneren Stadt kaum mehr ein WGZimmer unter 450 Euro gibt und kaum mehr Wohnungen unter 10 Euro pro Quadratmeter. Dass sich die Anzahl der Sozialwohnungen in den nächsten zehn Jahren halbieren wird. Dass die armen, die alten und migrantischen Bewohner an den Stadtrand ziehen, weil Hartz IV und eine städtische Wohnungsvergabepolitik dafür sorgen. Wir glauben: Eure „wachsende Stadt“ ist in Wahrheit die segregierte Stadt, wie im 19. Jahrhundert: Die Promenaden den Gutsituierten, dem Pöbel die Mietskasernen außerhalb. Und deshalb sind wir auch nicht dabei, beim Werbefeldzug für die „Marke Hamburg“. Nicht dass ihr uns freundlich gebeten hättet. Im Gegenteil: uns ist nicht verborgen geblieben, dass die seit Jahren sinkenden kulturpolitischen Fördermittel für freie künstlerische Arbeit heutzutage auch noch zunehmend nach standortpolitischen Kriterien vergeben werden. Siehe Wilhelmsburg, die Neue Große Bergstraße, siehe die Hafencity: Wie der Esel der Karotte sollen bildende Künstler den Fördertöpfen und Zwischennutzungs-Gelegenheiten nachlaufen – dahin, wo es Entwicklungsgebiete zu beleben, Investoren oder neue, zahlungskräftigere Bewoh-


ner anzulocken gilt. Ihr haltet es offensichtlich für selbstverständlich, kulturelle Ressourcen „bewusst für die Stadtentwicklung“ und „für das Stadt-Image“ einzusetzen. Kultur soll zum Ornament einer Art Turbo-Gentrifizierung werden, weil ihr die üblichen, jahrelangen Trockenwohn-Prozesse gar nicht mehr abwarten wollt. Wie die Stadt danach aussehen soll, kann man in St. Pauli und im Schanzenviertel begutachten: Aus ehemaligen Arbeiterstadtteilen, dann „Szenevierteln“, werden binnen kürzester Zeit exklusive Wohngegenden mit angeschlossenem Party- und Shopping Kiez, auf dem Franchising-Gastronomie und Ketten wie H&M die Amüsierhorde abmelken. Die Hamburgische Kulturpolitik ist längst integraler Bestandteil eurer Eventisierungs-Strategie. Dreissig Millionen Euro gingen an das Militaria-Museum eines reaktionären Sammlerfürsten . Über vierzig Prozent der Ausgaben für Kultur entfallen derzeit auf die „Elbphilharmonie“. Damit wird die Kulturbehörde zur Geisel eines 500-Millionen-Grabes, das nach Fertigstellung bestenfalls eine luxuriöse Spielstätte für Megastars des internationalen Klassik- und Jazz-Tourneezirkus ist. Mal abgesehen davon, dass die Symbolwirkung der Elbphilharmonie nichts an sozialem Zynismus zu wünschen übrig lässt: Da lässt die Stadt ein „Leuchtturmprojekt“ bauen, das dem Geldadel ein Fünf-Sterne-Hotel sowie 47 exklusive Eigentumswohnungen zu bieten hat und dem gemeinen Volk eine zugige Aussichtsplattform übrig lässt. Was für ein Wahrzeichen! Uns macht es die „wachsende Stadt“ indes zunehmend schwer, halbwegs bezahlbare Ateliers, Studio- und Probenräume zu finden, oder Clubs und Spielstätten zu betreiben, die nicht einzig und allein dem Diktat des Umsatzes verpflichtet sind. Genau deshalb finden wir: Das Gerede von den „pulsierenden Szenen“ steht am allerwenigsten einer Stadtpolitik zu, die die Antwort auf die Frage, was mit städtischem Grund und Boden geschehen soll, im Wesentlichen der Finanzbehörde überlässt. Wo immer eine Innenstadtlage zu Geld zu machen ist, wo immer ein Park zu verdichten, einem Grünstreifen ein Grundstück abzuringen oder eine Lücke zu schließen ist, wirft die Finanzbehörde die „Sahnelagen“ auf den Immobilienmarkt – zum Höchstgebot und mit einem Minimum an Auflagen. Was dabei entsteht, ist eine geschichts- und kulturlose Investoren-City in Stahl, Glas und Beton. Wir haben schon verstanden: Wir, die Musik-, DJ-, Kunst-, Theater- und Film-Leute, die Kleine–geile–Läden –Betreiber und Ein–anderes–Lebensgefühl-Bringer, sollen der Kontrapunkt sein zur „Stadt der Tiefgaragen“ (Süddeutsche Zeitung). Wir sollen für das Ambiente sorgen, für die Aura und den Freizeitwert, ohne den ein urbaner Standort heute nicht mehr global konkurrenzfähig ist. Wir sind willkommen. Irgendwie. Einerseits. Andererseits hat die totale Inwertsetzung des städtischen Raumes zur Folge, dass wir – die wir doch Lockvögel sein sollen – in Scharen abwandern, weil es hier immer weniger bezahlbaren und bespielbaren Platz gibt.

Mittlerweile, liebe Standortpolitiker, habt ihr bemerkt, dass das zum Problem für euer Vorhaben wird. Doch eure Lösungsvorschläge bewegen sich tragischer Weise kein Jota außerhalb der Logik der unternehmerischen Stadt. Eine frische Senatsdrucksache etwa kündigt an „die Zukunftspotenziale der Kreativwirtschaft durch Stärkung ihrer Wettbewerbsfähigkeit zu erschließen“. Eine „Kreativagentur“ soll zukünftig u.a. „Anlaufstelle für die Vermittlung von Immobilienangeboten“ sein. Wer sich die Mieten nicht leisten kann, muss sich als „künstlerischer Nachwuchs“ einsortieren lassen und bei der Kreativagentur um „temporäre Nutzung von Leerständen“ ersuchen. Dafür gibt es sogar einen Mietzuschuss, allerdings nur, wenn „die Dringlichkeit des Bedarfs und die Relevanz für den Kreativstandort Hamburg“ gegeben sind. Unmissverständlicher kann man nicht klarstellen, was „Kreativität“ hier zu sein hat: Nämlich ein profit center für die „Wachsende Stadt“. Und da sind wir nicht dabei. Wir wollen nämlich keine von Quartiersentwicklern strategisch platzierte „Kreativimmobilien“ und „Kreativhöfe“. Wir kommen aus besetzten Häusern, aus muffigen Proberaumbunkern, wir haben Clubs in feuchten Souterrains gemacht und in leerstehenden Kaufhäusern. Unsere Ateliers lagen in aufgegebenen Verwaltungsgebäuden, und wir zogen den unsanierten dem sanierten Altbau vor, weil die Miete billiger war. Wir haben in dieser Stadt immer Orte aufgesucht, die zeitweilig aus dem Markt gefallen waren – weil wir dort freier, autonomer, unabhängiger sein konnten. Wir wollen jetzt nicht helfen, sie in Wert zu setzen. Wir wollen die Frage „Wie wollen wir leben?“ nicht auf Stadtentwicklungs-Workshops diskutieren. Für uns hat das, was wir in dieser Stadt machen, immer mit Freiräumen zu tun, mit Gegenentwürfen, mit Utopien, mit dem Unterlaufen von Verwertungs- und Standortlogik. Wir sagen: Eine Stadt ist keine Marke. Eine Stadt ist auch kein Unternehmen. Eine Stadt ist ein Gemeinwesen. Wir stellen die soziale Frage, die in den Städten heute auch eine Frage von Territorialkämpfen ist. Es geht darum, Orte zu erobern und zu verteidigen, die das Leben in dieser Stadt auch für die lebenswert machen, die nicht zur Zielgruppe der „Wachsenden Stadt“ gehören. Wir nehmen uns das Recht auf Stadt – mit all den Bewohnerinnen und Bewohnern Hamburgs, die sich weigern, Standortfaktor zu sein. Wir solidarisieren uns mit den Besetzern des Gängeviertels, mit der Frappant-Initiative gegen Ikea in Altona, mit dem Centro Sociale und der Roten Flora, mit den Initiativen gegen die Zerstörung der Grünstreifen am Isebek-Kanal und entlang der geplanten Moorburg-Trasse in Altona, mit No-BNQ in St. Pauli, mit dem Aktionsnetzwerk gegen Gentrifizierung und mit den vielen anderen Initiativen von Wilhelmsburg bis St. Georg, die sich der Stadt der Investoren entgegenstellen. Selbst unterzeichnen und Unterzeichnerinnen und Unterzeichner ansehen: www.buback.de/nion

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Jessica Hoppe

Prasanna Oommen

Hintergrund Kölsch Mädche mit Macke im Stammbaum: geb. in Bonn (jetzt Berlin!).

Hintergrund Echt kölsch Mädche mit südwestindischem Stammbaum (nein, nicht Goa!).

Studien-/Lehrjahre Staatsexamen Deutsch/Englisch, Journalismus, Werbung, seit 2007 glücklich selbständig mit Oommen OH! Hoppe.

Studien-/Lehrjahre Tanzausbildung, Magisterabschluss Deutsch/ Englisch/Politik, Funk- und Fernsehen, seit 2007 glücklich selbständig mit Oommen OH! Hoppe.

Wanderjahre A57, A3, A1, A46 und zurück.

Wanderjahre Köln, England, Indien, Dortmund, Köln.

Charakteristik Der Taten sind genug gewechselt, nun lasst uns Worte sehen.

Charakteristik In dieser Brust schlagen fünf bis sieben Seelen, aber Karneval geht immer.

Schwerpunkte Texte, Ideen, Konzepte.

Schwerpunkte Schreiben & Moderation, Beratung & Kommunikation. Wandelt zunehmend auf filmischen Abwegen.

Besonderheiten Kann auch mit links schreiben.

Besonderheiten Kann 120 Minuten am Stück tempeltanzen.

Matthias Knopp

Alina Edelstein

Hintergrund Aufwuchs im Bergischen, nun Köln.

Hintergrund Rumänischer Kulturexport.

Studien-/Lehrjahre Lehramt, Germanistik, Universität zu Köln. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, namentlich Angewandter Sprachwissenschaftler.

Studien-/Lehrjahre Kunstpädagogin, Dipl. Designerin (FH).

Wanderjahre Polen/England; prinzipiell aber noch ausstehend.

Charakteristik Ernsthaft-verspielt.

Charakteristik Ruhelos, aber talentiert.

Schwerpunkte Layouterin mit dramatischem Hang für Typo und Rot.

Schwerpunkte Sprache, schriftlich als auch mündlich. En detail: Computervermittelte Kommunikation, Mündlichkeit & Schriftlichkeit, Gesprächsforschung, Schreibprozessforschung, Typographie, Textlinguistik.

Wanderjahre Von den Karpaten ins Rheinland.

Besonderheiten Kann gut zum Rhythmus tanzen.

Besonderheiten Kann in Kurven und Schemata denken, ohne Kopfkirmes zu kriegen.

Patrik Prior

Hintergrund In Köln gelandeter Ruhrgebietler. Studien-/Lehrjahre Architektur. Wanderjahre Essen. Charakteristik Mag das Stadtleben. Schwerpunkte Alles, was mit Architektur zusammenhängt. Besonderheiten Kann einen Grill mit der chilenischen Methode anzünden.

Stefan Ditner

Hintergrund Geboren an einem unbedeutsamen Ort; Sohn eines Elternpaares; mittlerer Lebensabschnitt; Zukunft: Am Samstag kommt Max Goldt ins Gloria! Studien/Lehrjahre Film-Theaterwissenschaft, FFM/Fotografie (Lette Verein, Berlin), Kamera (FilmhochschuleBaden Württemberg). Wanderjahre Frankfurt: Parkplatz Uni FFM zum Hörsaal und zurück, ca. 500-mal; Berlin: Kreuzberg nach Schöneberg und zurück, ca. 400-mal; Ludwigsburg: aufgrund kleinstädtischer Situation sind kaum Meter zusammen gekommen. Charakteristik Hätte schneller gehen können. Schwerpunkte In 2010: Nimm’s leicht. Besonderheiten Macht weiter, auch wenn’s weh tut!

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Die hier abgebildeten Kollegen haben ef ins Leben gerufen. Auf www.diekollegen.net gibt es aber noch viel mehr kompetente Kollegen ...

Mareile Busse

Hintergrund Norddeutsche mit frühkindlicher Auslandserfahrung in Chile, nun beheimatet in Ehrenfeld. Studien-/Lehrjahre Medial unterwegs in Bewegtbild und Print. Diplom in Kommunikationsdesign, FH Düsseldorf, seit 2003 selbständig. Wanderjahre Aus Osnabrück über einige internationale Umwege nach Kölle. Charakteristik Wort- und bildgewandt, frankophil und sprachbegeistert. Schwerpunkte Analyse und Konzeption von Corporate PublishingMaßnahmen.

Stefan Flach

Hintergrund Geboren, erzogen und aufgewachsen in Köln. Studien-/Lehrjahre Grafik Design, Diplom in Krefeld. Wanderjahre Europa, Vorder- und Hinter-Asien, Nord- und Mittelamerika. Charakteristik Findet, sucht nicht. Schwerpunkte Typografie in Print und Web. Besonderheiten Kann auch mit der Gitarre spielen.

Besonderheiten Kann von Rügen nach Stralsund in 47 Minuten schwimmen.

Ethel Strugalla

Hintergrund Beitrag zur deutsch-französischen Völkerverständigung. Studien-/Lehrjahre Freie Kunst und Grafik, Kunsttheorie (Uni). Diplom Kommunikationsdesign (FH). Wanderjahre Von Mainz über Paris, New York, Düsseldorf nach Köln. Charakteristik Rückt jeden Satz ins rechte Raster. Schwerpunkte Konzept. Grafik. Typografie – in Buch und Co. Besonderheiten Kann in jeder Karnevalshochburg leben, ohne Jeck zu werden.

Tanja Steffen

Anja Neuefeind

Hintergrund Aus den Bergen in die Stadt. Studienjahre/Lehrjahre Dipl. Kommunikationsdesignerin mit Hecken und Kanten. Wanderjahre Vom Allgäu über Ulm nach Würzburg, Maastricht, Berlin, nun glücklich in Köln. Charakteristik Liebt Bücher außen wie innen. Schwerpunkte Konzeption, Buchgestaltung. Besonderheiten Kann jeden Kaugummiautomaten zwischen Nippes und Ehrenfeld finden.

Sandro Thiemann

Hintergrund Geboren in Durban, Südafrika, gepfeffert mit einer Prise Ungarn, aufgewachsen in Karlsruhe, Homebase Köln, fühlt sich Dank rheinländischer Großeltern in Köln endlich heimisch.

Hintergrund Geboren in Köln in den 70er Jahren.

Studien-/Lehrjahre Grafik Design, Diplom in Krefeld. Wanderjahre USA, Kanada, Frankreich, Düsseldorf, Heidelberg.

Wanderjahre Europa auf Rückbank des elterlichen Antiquitätentransporters, Köln, HH, Köln, Jamaica, USA, Brasilien.

Charakteristik I got to move it, move it!

Charakteristik Chameleon, Teilzeit-Nerd.

Schwerpunkte Multitaskingfähig, mit Hang zur Fotografie.

Schwerpunkte Entwicklung von interaktiven Medien.

Besonderheiten Kann bei der Überquerung des Siebengebirges die besten Lösungen finden.

Besonderheiten Kann sich beim Kite-Surfen mehrfach um die eigene Achse drehen.

Studien-/Lehrjahre Tontechniker, Kamera-Assistent, Mediengestalter, Autodidakt.

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IMPRESSUM: CHEFREDAKTION: Jessica Hoppe, Matthias Knopp, Prasanna Oommen-Hirschberg www.designorama.de, www.oommenhoppe.de CREATIVDIREKTION: Mareile Busse, Stefan Flach www.mareilebusse.de, www.filter-design.de GRAFIK: Alina Edelstein, Anja Neuefeind, Ethel Strugalla www.alinaedelstein.com, www.konzeptundgestaltung.de www.ethel-strugalla.de FOTOS: Stefan Ditner, Stefan Flach, Patrick Prior, Tanja Steffen www.stefanditner.de, www.archdigital.de, www.steffen-kommunikation.de ILLUSTRATIONEN: Mareile Busse, Alina Edelstein LEKTORAT: Petra Hengge, Jessica Hoppe, Matthias Knopp Sebastian Stobbe, www.drehbuchlotsen.de HERAUSGEBER: Die Kollegen www.diekollegen.net DANKE! Auf unserer Suche nach Ehrenfelder Geschichten, Highlights, Skurrilitäten, Originalen und nach den Besonderheiten des Alltags haben uns viele unterstützt, die mit ihrem Wohnsitz, ihrem Büro oder einfach ihrem Herzen mit diesem Stadtteil verbunden sind. Sie alle haben mit Worten, Bildern, Ideen, Anregungen und finanziellen Mitteln dazu beigetragen, dass dieses Heft werden konnte, was es werden sollte: ein spannender Spiegel eines Stadtteils mit vielen Facetten und Brüchen, in dem scheinbar Getrenntes oft miteinander verknüpft ist und Naheliegendes überraschend weit auseinander klafft. GASTAUTOREN: Robert Ambrée, Karl-Heinz Linne von Berg, Johannes Böttger, Frauke Burgdorff, Aski Ayran Elber, Katharina Feldkamp, Andreas Fritzen, Thilo Großer, Martin Kohler, Mirjam Leuze, Boris Sieverts GASTFOTOGRAFEN: Martin Gaissert, Olaf Hirschberg, Ivo Mayr, Bastian Radermacher GASTILLUSTRATOREN: Aski Ayran Elber, Thilo Großer BEREITSTELLUNG DER GASTBEITRÄGE UND MATERIALIEN: „Konzeption und Entwurf von Kommunikationsmitteln für den Stadtteil Köln-Ehrenfeld“ von Kerstin Rößler „Not in Our Name, Marke Hamburg“-Initiative von: Ted Gaier, Tino Hanekamp, Katharina Köhler, Melissa Logan, Peter Lohmeyer, Rocko Schamoni, Thorsten Seif, Christoph Twickel u.a. „Köln Ehrenfeld“ (2009) von Herman van Veen, (Management: Stephan A. Vogelskamp) Beratung, Empfehlungen: Armin Chodzinski, Claudia Plöchinger, Martin Sinken UNTERSTÜTZUNG DER HERAUSGEBER: Daniel Quade VERANTWORTLICH FÜR DEN INHALT: Die Kollegen, Vogelsanger Straße 193, 50825 Köln. vorzimmer@kollegen.de Nachdruck, Aufnahme in Online-Dienste, Internet und Vervielfältigung dürfen nur nach schriftlicher Zustimmung der Herausgeber erfolgen. Alle Rechte vorbehalten. www.ehrenfelder.org

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