5,90 €
SEITE 23
Ihnen mangelt’s an Konzentration? Mit unseren Hacks klappt’s wieder.
SEITE 28
Wie der Tüftler Horst Kriechbaum Banküberfälle verhinderte.
SEITE 34
Mahlzeit! Vegane Food-Innovationen aus Österreich.
SEITE 40
Wie ÖBB, ASFINAG und Co. zu Innovationstreibern wurden.
INTELLIGENT WACHSEN
Von der Krebsfrüherkennung bis zur Kreditvergabe: KI ist im Alltag angekommen. Ein Überblick über innovative Lösungen heimischer Unternehmen.
SEITE 14 MIT INNOVATION ZUKUNFT GESTALTEN
INNOVATION LIEGT IN UNSEREN WURZELN.
Wer den Wandel proaktiv annimmt und Veränderungen nachhaltig gestaltet, ist zukunftsfit. Dieser Wille zum Fortschritt treibt uns seit jeher dazu an, mit dem Wissen eines Traditionsunternehmens und der Kreativität eines Start-ups die innovativen Kran- und Hebelösungen von morgen zu entwickeln – und auch in digitalen Zeiten über uns hinauszuwachsen. Mehr zur Zukunft auf www.palfinger.ag
Rahofer. PALFINGER.AG
IMPRESSUM
Chefredaktion
Ulrike Moser-Wegscheider, Arndt Müller
Grafik
Anika Reissner (Art Director)
Bildbearbeitung
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Anika Reissner/shutterstock.com: Hein
Nouwens/Rawpixel.com (S. 1, 15, 20, 27); shutterstock.com: Maks Narodenko (S. 12), Bartlomiej K. Wroblewski (S. 13), In Art (S. 23) Nata_Alhontess (S. 23), Canicula (S. 48), Marti Bug Catcher (S. 48), sdx15 (S. 49), Timmary (S. 49), Ozrolf (S. 50); HOLCIM (S. 4, 6, 7); Chronus Robotics (S. 8, 9); RanMarine (S. 10, 11); IBM (S. 13); TUWIEN/Florian Aigner (S. 14); Invenium-Bewegung (S. 15); enliteAI (S. 16); Senseven GmbH (S. 17); Brantner (S. 18); Chris Laistler (S. 18); Dishtracker (S. 19); HSG (S. 20); Reinhard Lang (S. 29); C. H. Beck (S. 31); ACR/Alice Schnür-Wala (S. 33); Severin Wurnig (S. 34); Revo Foods (S. 35); VeggieMeat (S. 36); martinsteiger. at (S. 37); wildbild (S. 37); Sebastian Froehlich (S. 38); leorosasphoto.com (S. 39); Georg Kritsch (S. 39); Steinberger (S. 41); Tobias Holzer (S. 42); Johannes Zinner (S. 43); gtec (S. 45, 46, 47)
Lektorat
Ewald Schreiber, Iris Erber Redaktionsanschrift
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LIEBE LESERINNEN, LIEBE LESER!
M ONATEN: ChatGPT und ähnliche Anwendungen basierend auf künstlicher Intelligenz (KI), die unseren (Arbeits-)Alltag umkrempeln, viele Aufgaben obsolet machen, aber wohl auch ganz neue Tätigkeitsfelder schaffen werden. Wenn Sie ebenso neugierig und wissbegierig wie die -Redaktion sind, haben Sie die entsprechenden Chatbots wahrscheinlich auch schon selbst ausprobiert und waren verblüfft über die Möglichkeiten, die sich damit eröffnen. Dabei basieren bereits jetzt zahlreiche Anwendungen, die wir tagtäglich nutzen, auf KI. Und erstaunlich viele davon stammen aus Österreich, etwa ein Tool zur Tumorfrüherkennung, das die menschliche Expertise unterstützt. Warum wir uns dennoch (noch) nicht davor fürchten müssen, von Maschinen gänzlich ersetzt zu werden, verrät Experte Siegfried Handschuh von der Universität St. Gallen in einem ausführlichen Interview im Rahmen unserer KI-Strecke.
So viel sei verraten: Die KI mag zwar bei der Erkennung von Mustern und Strukturen punkten, ihr fehlt es aber an Innovationsgeist. Daher finden Sie im Tipps und Tricks, mit denen Sie KI auch in Zukunft überflügeln: Unser Autor Harald Sager hat für Sie Hacks für bessere Konzentration gesammelt, der Schweizer Innovationsberater Jean-Philippe Hagmann verrät im Interview unkonventionelle Herangehensweisen, um Innovationskraft in Unternehmen zu fördern, und Renate Süß stellt einen Tüftler vor, der mit einer außergewöhnlichen Erfindung Banken sicherer gemacht hat.
Zu guter Letzt eine Meldung in eigener Sache: Gleich die erste Ausgabe von – Mit Innovation Zukunft gestalten wurde mit dem „European Publishing Award“ ausgezeichnet. Für uns ein klares Signal, dass sich Innovation auszahlt.
Viel Vergnügen und Inspiration mit der aktuellen Ausgabe von wünscht Ihnen
Ulrike Moser-Wegscheider Redakteurin bei Egger & Lerch
3 01 • 2023
ES WAR DAS THEMA IN DEN VERGANGENEN
Editorial
PUBLISHINGEUROPEANAWARD WINNER 2023
6_ HINGUCKER
Ökologische Häuser aus dem 3-D-Drucker, ein Rollstuhl als Mobilitätsroboter und ein autonomer Abfallsammler.
12_ BREAKTHROUGH
Die nächste Generation Computerchips ist kleiner, schneller und leistungsfähiger als alle bisherigen.
14_ WIE KÜNSTLICH INTELLIGENT IST ÖSTERREICH?
ChatGPT ist derzeit in aller Munde, doch KI ist schon längst Teil unseres Alltags.
20_ KANN EINE KI BEWUSSTSEIN ERLANGEN?
Siegfried Handschuh von der Universität St. Gallen im Interview.
23_ DRANBLEIBEN? NICHT UNBEDINGT!
Wie Sie Ihre Konzentrationsfähigkeit verbessern können.
01 • 2023 4
44
24_ W ARENKORB
Von praktischen Gadgets zu extravaganten Wasserfahrzeugen – alles, was man fürs OutdoorAbenteuer braucht.
26_ ZAHLEN , DATEN & FAKTEN
Österreichs F&E-Landschaft auf einen Blick.
28_ V OM RICHTIGEN ZEITPUNKT
Tüftler Horst Kriechbaum im Porträt.
der abgefrag nen über unseren Er f ange g reist ni Zeit gle Das müssen Daves bedeu bereits hinte st od chen die a dennoc d deckkunge g n h hier im Vonni machen werde die Date sag für die Kreation unse Dieses E-Book ist lizensiert für: Token yFsiEivQcAVN
Reisetagebuch Terra III und Männern zusammen, die uns ebenfalls freundlich begrüßten. Danach bat der Empfangsjunge Sue ihren Armreif an ein Gerät zu halten. Beim Betrachten der abgefragten Informationen aus Sues Datenträger runzelte er die Stirn. Er sehe keine Informationen über unseren Herkunftsplaneten. Er fragte uns, wie der Planet heiße von welchem wir angereist seien und nach einer kurzen Abfrage in seinem System begann er zu nicken und erklärte uns, dass die Erde vor nicht sehr langer Zeit gleich zweimal in anderen Sunutroppo-Galerien als Basisinformation angegeben wurde.
30_ INTER VIEW Wie Autor und Innovationsberater
40_ A GILE RIESEN Verstaubt? Im Gegenteil! Staatsbetriebe von ÖBB bis ASFINAG setzen auf Innovation.
44_ KRAFT DER GEDANKEN
Das oberösterreichische Unternehmen g.tec gibt MS-Patient:innen ihre Bewegungsfreiheit zurück.
48_ AL T, ABER GUT
Hätten Sie gewusst, dass es Brillen bereits im Mittelalter gab?
50_ Q UIZ
Das müssen Daves sowie Erics Crews gewesen sein und bedeutet, dass die Terra I den anderen Planeten, den es als erstes angesteuert hatte, bereits hinter sich gelassen hat und hier auf Oitulos ist oder war. Wie viele Wochen Vorsprung die anderen Crews uns gegenüber wohl haben? Egal, nur weil sie einen zeitlichen Vorsprung haben, heißt das nicht, dass wir nicht dennoch die wertvolleren Entdeckungen hier im Planetensystem Noita Vonni machen werden. Der junge Mann am Empfang lud die Daten über unsere Erde auf Sues Armring uns sagte, wir seien nun bereit für die Kreation unseres Sunutroppos.
n gten uns, wie der Plan icken eich n s utet, n es als erstes er der war. anderen Crews uns gewe w il sie einen ch en. en über unsere Erde auf gte, eres
Jean-Philippe Hagmann brachliegendes Potenzial erkennt.
33_ K OMMENTAR
Warum Interdisziplinarität Unternehmen weiterbringt, weiß Rita Kremsner von ACR.
34_ WEDER FISCH NOCH FLEISCH
Heimische Food-Produzenten erobern mit veganen Produkten die Supermärkte.
Testen Sie Ihr Wissen! Welche transhumanen Technologien gibt es tatsächlich – und welche ist erfunden?
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07 34 30 40
01 • 2023 Internationales 6
UMWELTFREUNDLICH HÄUSER DRUCKEN
14 Trees, ein Projekt des Schweizer Baustoffherstellers Holcim, will Menschen in Entwicklungsländern günstigen und ökologischen Wohnund Arbeitsraum verschaffen, etwa 40.000 neue Klassenräume in Malawi. Mit den riesigen 3-D-Druckern von 14 Trees würde das nur noch zehn statt 70 Jahre dauern und wäre zudem günstiger und umweltfreundlicher. So ließen sich die CO2-Emissionen um rund 70 Prozent reduzieren. Beim Bau eines Hauses entspricht das 14 Bäumen – daher der Name des Unternehmens.
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Den KIM-e als Rollstuhl zu bezeichnen, wird ihm nicht wirklich gerecht, sein Entwickler Chronus Robotics aus Litauen nennt das Gefährt deshalb auch lieber „selbst balancierenden Mobilitätsroboter“. Gesteuert wird er durch Körperbewegung; die Sitzplattform ändert je nach Bedarf sekundenschnell die Höhe, womit man auch an sonst schwer erreichbare Kästen gelangt. Ein echter Fortschritt also! Vielleicht mit Ihrer Hilfe? Derzeit sucht der Hersteller Kooperationspartner.
01 • 2023 8
PER ROLLSTUHL AUF AUGENHÖHE
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01 • 2023 10
GEFRÄSSIGER
ABFALLSAMMLER
Unhörbar zieht er auf dem Wasser seine Kreise, sammelt dabei aber Unrat wie kein zweiter: der Wasteshark des niederländischen Unternehmens Ranmarine. In Rotterdam, wo Europas größter Hafen liegt, kennt man sich eben aus mit schmutzigem Gewässer. Angetrieben von zwei E-Motoren bewegt sich der 1,5 Meter lange Hai autonom mit bis zu 3 km/h durch das jeweilige Gewässer und sammelt dabei Plastikmüll, Algen und weiteren Schmutz ein – bis zu einer halben Tonne pro Tag.
01 • 2023
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COMPUTERCHIPS WAREN
ZULETZT VOR ALLEM IN DEN MEDIEN, WEIL SIE ÜBERALL
MANGELWARE SIND. DIE FORSCHUNG BETRIFFT DAS WENIGER, SIE VERMELDET EINEN DURCHBRUCH NACH
TÜFTELN AN DER NÄCHSTEN GENERATION
VON ARNDT MÜLLER
REIFES OBST AUS
DER FERNE ERKENNEN
Üblicherweise bestehen Chips hauptsächlich aus Silizium. Ein Team der australischen RMIT University hat stattdessen mit Lithiumniobatsalz als Leiterplatte experimentiert, beteiligt waren Fachleute aus China und von der Harvard University. Das Material ermöglicht nicht nur kleinere und preiswerte Chips, es reagiert auch sehr sensibel auf Lichtveränderungen, entsprechende Chips arbeiten mit Laser. Eingesetzt werden sollen sie in der Raumfahrt, es ließe sich damit beispielsweise über den – nicht mit GPS-Infos versorgten – Mond navigieren. Bereits jetzt könnte die Technologie in Mini-Drohnen eingesetzt werden, die auf Obstplantagen den Reifegrad mittels Laser bestimmen.
DEM ANDEREN.
OPEN SOURCE
STATT OLIGOPOL
RISC-V ist das Kürzel eines vor einigen Jahren entwickelten Standards der grundlegenden Befehlsarchitektur eines Computerchips, der sich zunehmend verbreitet und die gesamte Chipindustrie revolutionieren könnte. Bislang ist die Herstellung von Chips ein äußerst geheimniskrämerisches Geschäft, das von sehr wenigen, sehr großen Herstellern dominiert wird. Wer Chips etwa der bekannten „x86“- Architektur nachbauen will, muss dafür hohe Lizenzgebühren an Intel entrichten. RISC-V jedoch ist Open Source, er ermöglicht also auch kleinen Start-ups den Einstieg in die Chipindustrie.
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01 • 2023
Breakthrough
WELTREKORD
DER DATENÜBERTRAGUNG
Mit einem photonischen Chip, also einem, der mit Licht arbeitet, konnte ein dänisches Wissenschaftsteam vor Kurzem in einem Experiment 1,84 Petabit Daten pro Sekunde übertragen. Wer nicht weiß, wie viel das ist: Der gesamte Datenverkehr des Internets beträgt derzeit rund die Hälfte dieser Datenmenge. Theoretisch wäre es möglich, damit 230 Millionen Fotos herunterzuladen – innerhalb einer Sekunde. Dem Team von der TU in Kopenhagen gelang das, indem sie den Datenstrom in einzelne Pakete aufteilten. Mit der Technologie ließen sich einfachere, auf Datenverkehr spezialisierte Chips produzieren, die mit deutlich höheren Bandbreiten oder umgekehrt sehr viel weniger Energieverbrauch operieren könnten.
Quantensprung für nutzbare Quantencomputer.
Der neue Superchip von IBM punktet mit längerer Akkulaufzeit bei niedrigerem Energieverbrauch.
QUANTENCOMPUTER LERNEN KOMMUNIZIEREN
An Quantencomputern wird seit Jahren geforscht, theoretisch stellen sie auch die derzeit größten Supercomputer in den Schatten, einsatzfähig sind sie allerdings noch immer nicht. Das liegt auch daran, dass es bislang nicht gelungen ist, Qubits zwischen einzelnen Chips eines Quantencomputers zu übertragen. Ein Qubit entspricht einem Bit beim jetzigen linearen Computing, es definiert die kleinstmögliche Speichereinheit. Nun hat ein Start-up der britischen University of Sussex erstmals ein Qubit zwischen zwei Chips übertragen können, und das auch noch äußerst präzise. Mithilfe der Technologie sollen nun nutzbare Quantencomputer für das deutsche Zentrum für Luft und Raumfahrt gebaut werden. Auch mit Rolls Royce arbeitet das Start-up zusammen. Der Flugzeugbauer möchte damit noch besser die Luftbewegungen für den Turbinenbau simulieren können.
ZWEI-NANOMETER-GRENZE GEKNACKT
Ein Nanometer entspricht dem millionsten Teil eines Zentimeters. Zwei davon entsprechen der Größe eines Transistors auf einem neu entwickelten Chip von IBM. Auf diesem finden unglaubliche 50 Milliarden Transistoren Platz. Bis dato waren fünf Nanometer pro Transistor das Maß aller Dinge, der IBM-Chip schafft also das Vielfache davon. Ein Vorteil: Geräte mit dem neuen Superchip hätten eine viermal so lange Akkulaufzeit, da der neue Chip einen um 75 Prozent niedrigeren Energieverbrauch hat.
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CHATGPT IST
INNERHALB WENIGER
WOCHEN ZUM RISING
STAR DER KÜNSTLICHEN INTELLIGENZ (KI)
GEWORDEN. DER HYPE
TÄUSCHT JEDOCH: DENN
AUCH WENN WIR ES
KAUM MERKEN, IST KI
LÄNGST IN UNSEREM
ALLTAG ANGEKOMMEN.
WIE KÜNSTLICH INTELLIGENT IST ÖSTERREICH?
TOPA USBILDUNG.
Stefan Woltran organisiert vom 3. bis 7. Juli 2023 die 1. ASAI National Summer School in Ar tificial Intelligence.
Noch nie war es so einfach, künstliche Intelligenz zu nutzen. Schulkinder verwenden ChatGPT für Hausaufgaben, Unternehmen für das Schreiben ihrer Marketingtexte. Einfach jeder mit Internetanschluss kann die künstliche Intelligenz kinderleicht nutzen. Doch der Hype trügt: Künstliche Intelligenz klopft in Form von ChatGPT nicht gerade erst an unsere Tür, sie ist schon länger in unserem Alltag gegenwärtig. Ohne es zu merken, nutzen wir sie beim (Online-)Einkaufen, im Restaurant, im Krankenhaus, im Verkehr oder bei Bankgeschäften. Aber künstliche Intelligenz ist nicht gleich künstliche Intelligenz. Grob und vereinfacht gesprochen gibt es zwei Ansätze, erklärt Stefan Woltran, Professor für formale Grundlagen der künstlichen Intelligenz an der TU Wien: Computer erledigen Aufgaben, indem sie menschliches
Denken simulieren – die KI folgt also den Prinzipien der Logik, repräsentiert Wissen und plant damit. Der andere Ansatz: Die KI findet Muster in Daten und erkennt sie in neuen Situationen. Dabei muss sie auf riesige Datenmengen – zum Beispiel aus dem WWW – zugreifen und eine energieaufwendige Rechenleistung erbringen. Darauf bauen etwa ChatGPT sowie Sprach- oder Bilderkennungstools auf. Bei einigen Anwendungen von KI kommt es sogar zu einem Zusammenspiel beider Ansätze. Je nach Form und Abstufung sprechen die Expert:innen von maschinellem Lernen, Deep Learning oder (tiefen) neuronalen Netzwerken, die dem menschlichen Gehirn nachempfunden sind. „Die ‚schwache‘ künstliche Intelligenz simuliert Fähigkeiten, die wir menschlicher Intelligenz zuordnen“, so der Informatiker. Bis sich künstliche Intelligenz tatsächlich intelligent verhalten wird, braucht es noch einige fundamentale Erkenntnisse, ist sich Woltran sicher. Die aktuellen Methoden vermissen nämlich zwei wesentliche Merkmale menschlicher Intelligenz: Bewusstsein und Selbstreflexion.
KÜNSTLICHE INTELLIGENZ
IN ROT-WEISS-ROT
So vielfältig künstliche Intelligenz ist, so bunt sind auch deren Anwendungsbeispiele in Österreich. Einen ersten Überblick über die
01 • 2023 14
Coverstory
VON EVA BAUER
DIE
INTELLIGENZ
SIMULIERT FÄHIGKEITEN, DIE WIR MENSCHLICHER INTELLIGENZ ZUORDNEN.
rot-weiß-rote KI-Landschaft erhält man auf der Website von enliteAI. Die Grafik des Wiener Technologieunternehmens zeigt über 340 innovative Start-ups, Unternehmen und Forschungseinrichtungen, die auf KI basierende Lösungen entwickeln. Übrigens: 2022 gewann das Team rund um CEO Clemens Wasner den Österreichischen Staatspreis für Innovation in der Kategorie Energie & Nachhaltigkeit. Das ausgezeichnete Projekt „Powergrid 4.0“ hilft Energieunternehmen mit künstlicher Intelligenz, eine konstante und sichere Stromversorgung zu gewährleisten.
INVENIUM ERKENNT BEWEGUNGSSTRÖME Invenium, 2016 aus einem Forschungsprojekt an der TU Graz entstanden, kooperiert in
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LICHT IM DUNKEL KI macht Bewegungsströme sichtbar.
KÜNSTLICHE„SCHWACHE“
AI START-UPS & COMPANIES
EARLY ADOPTERS
ENABLERS & EXTENDED ECOSYSTEM
ÜBERBLICK.
Die Karte von enliteAI ist die Vermessung der österreichischen KILandschaft.
Österreich mit dem Netzbetreiber A1 und analysiert anonymisierte Mobilfunksignalisierungsdaten. Bei diesen Mobilitätsanalysen unterliegt das Unternehmen strengen Datenschutzbestimmungen: So sind keine Rückschlüsse auf einzelne Personen oder mobile Endgeräte möglich, versichert Markus Streibl, verantwortlich für Business Development und Marketing. KI sortiert diese Mengen an Mobilfunkdaten, bereinigt Ausreißer wie Abweichungen und erkennt Muster unter den Bewegungsdaten. Neben diesem maschinellen Lernen machen algorithmische Modelle und leistungsfähige Big-Data-Technologien die Bewegungsströme
sicht- und begreifbar. Das ist für Städte, Tourismusgemeinden, Einkaufszentren und Eventveranstalter gleichermaßen interessant, um Besucherströme zu lenken, Verkehrsmaßnahmen zu planen u. v. m. In der Pandemie halfen die ausgewerteten Mobilitätsdaten dem Krisenstab der Bundesregierung dabei, Maßnahmen zu planen und zu bewerten.
SENSEVEN INSPIZIERT VENTILE Smartphones spielen eine wesentliche Rolle beim Wiener Start-up Senseven. Anna Grausgruber und ihre beiden Co-Gründer verwandeln diese in intelligente und einfache,
01 • 2023 16
MENSCH UND MASCHINEN WERDEN IN ZUKUNFT NOCH MEHR ZUSAMMENARBEITEN.
Anna Grausgruber, CoGründerin Sense ven GmbH
mobile Inspektoren für Industrieanlagen. Mitarbeiter:innen in unterschiedlichsten Branchen können ohne Fachwissen Ventile überprüfen. Eine digitale Anwendung am Smartphone führt sie durch den Prüfprozess. Sensoren liefern die Messdaten. Bei deren Interpretation kommt nun künstliche Intelligenz ins Spiel, da die Abschätzung des Schadens die größte Herausforderung für menschliche Inspektor:innen ist: Die KI automatisiert und beschleunigt diesen Vorgang. Durch das maschinelle Lernen wird es in naher Zukunft möglich sein, das Ausmaß des Schadens genau zu berechnen. Getestet wird jedenfalls schon. Industrieunternehmen sparen Zeit und Kosten: Denn es macht einen enormen Unterschied, ob ein Ventil sofort oder erst bei der nächsten Wartung repariert werden muss.
HAWKEYE SCANNT UNSEREN MÜLL PET-Flaschen, Autobatterien, Gartenzwerge landen mitunter in der Biotonne und erschweren das Kompostieren durch den Abfallentsorger Brantner. Das Kremser Familienunternehmen mit über 600 Mitarbeiter:innen in Österreich entwickelte einen Störstoffscanner. Ein Smartphone scannt den Inhalt jeder Biotonne beim Entleeren in den Lkw und lädt die Aufnahmen in Echtzeit in eine Cloud. „Hawkeye“ ist anhand der gemachten Fotos bereits auf dreißig verschiedene Müllarten trainiert, die nicht in die
MOBILER INSPEKT OR.
Momentan lernt die SensevenKI, den genauen Schaden zu berechnen.
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SCHARFBLICK. SCHARFBLICK. KI im Einsatz beim Kreislaufwirtschaftsexperten Brantner
KI- MODELLE SOLLTEN TRANSPARENT UND VER STÄNDLICH NACHVOLL ZIEHBAR IN IHREN ENT SCHEIDUNGSWEGEN SEIN.
CHRISTOPH P ASCHING
setzt als Geschäftsführer von Brantner Digital Solutions auf KI bei der Müllsortierung.
Biotonne gehören. Die KI entscheidet anhand eines Punktesystems binnen Sekunden, wie wertvoll bzw. wie stark verunreinigt der Biomüll im Lkw ist. Sie wird ebenso in der Müllsortierung eingesetzt. Mülltouren können effektiver geplant und mehr hochwertige Abfallstoffe nachhaltig recycelt anstatt verbrannt werden, nennt Christoph Pasching, Geschäftsführer von Brantner Digital Solutions, die Vorteile: „Waren wir früher am Ende des Müllverwertungskreislaufs, sind wir nun dank künstlicher Intelligenz mittendrin und schaffen neue Arbeitsplätze wie jene für ‚KI-Trainer‘ für Hawkeye.“
HÄFERLGUCKER
Bilderkennung ist auch das Herzstück von Dishtracker aus Wien. 0,3 Sekunden benötigt die KI in der Kantine am Bank Austria Campus, um das Mittagessen am Teller zu erkennen und automatisch ins Kassensystem einzubuchen. Früher dauerte dieser Vorgang normalerweise bis zu dreißig Sekunden und verlängerte die Wartezeit der Gäste. Im Einsatz sind hier fünf Kameras, die mit einer Objekterkennungs-Software die Speisen visuell identifizieren. Trainiert wird die KI auf einer eigenen Plattform, die laufend verbessert wird. Mittlerweile lernt die KI binnen weniger Sekunden, sich eine neue Speise anzueignen.
KI UNTERSUCHT DEN DARM
Ferner treffen wir künstliche Intelligenz bei wichtigen Vorsorgeuntersuchungen wie der Darmspiegelung. Das Kepler Klinikum Linz hat bereits 2020 im Kampf gegen Darmkrebs ein endoskopisches Verfahren zur Erkennung von Darmpolypen eingeführt, das weltweit als erstes auf künstlicher Intelligenz basiert. Zu Beginn wurde es mit Tausenden Bildern von Polypen gespeist, um dann im Deep Learning immer mehr Schleimhautvorwölbungen zu erkennen.
01 • 2023
18
beträgt die Trefferquote beim Entdecken von Darmpolypen, wenn Mensch und KI zusammenarbeiten.
BESCHÄFTIGTE
FÜR KI SENSIBILISIEREN
0,3 SEKUNDEN. So schnell erkennt die KI die Speisen am Tablett in der Kantine am Bank Austria Campus.
Bei jeder Vorsorgeuntersuchung durch eine Fachärztin oder einen Facharzt tastet zusätzlich die KI die Darmschleimhaut elektronisch ab und markiert auffällige Areale mit möglichen Polypen farbig am Monitor. „Durch dieses Zusammenwirken von menschlicher Expertise und künstlicher Intelligenz konnte in Studien die Trefferquote beim Auffinden von Darmpolypen von 40 Prozent auf 54 Prozent gesteigert werden“, ist der Leiter des Endoskopie Zentrums, Alexander Ziachehabi, zufrieden. Nunmehr können auch sehr kleine, weniger als 5 mm messende und anfangs gutartige Polypen aufgespürt werden. Dadurch wird die Entstehung von Darmkrebs noch zielsicherer verhindert. In Zukunft wird KI teilweise das Schreiben von Befunden übernehmen, damit mehr Zeit für andere Aufgaben bleibt.
„Bis künstliche Intelligenz Kredite vergibt, wird es noch sehr lange dauern“, räumt David Eschwé ein. Der Mathematiker leitet bei der Raiffeisen Bank International den Bereich „Advanced Analytics“ und kennt die strengen Vorgaben von der Europäischen Zentralbank zu technischen Standards für Rating- und Kreditvergabemodelle. Zum Einsatz kommt künstliche Intelligenz bei der RBI im Dokumentenmanagement: Wenn es darum geht, eine Vielzahl an Dokumenten zu scannen, um Adresssätze oder Überweisungsbeträge zu prüfen, spart KI Zeit und Kosten. Seit drei Jahren sensibilisiert die RBI ihre 44.000 Beschäftigten in der „Data Science Academy“ auf den Einsatz von KI. Denn: „Es wird immer den Menschen brauchen, der die Entscheidungen der KI kontrolliert und beurteilen kann, ob sie sinnvoll sind. Eine künstliche Intelligenz ist nicht per se intelligent“, so Eschwé.
QUO VADIS, KI?
Bernhard Göbl, Partner bei Deloitte Österreich, beobachtet, dass „wir in Österreich einen Tick zögerlicher und kritischer bei der Anwendung von KI sind als anderswo“. Hat Österreich sehr wohl noch eine innovative Vorreiterrolle im Forschungsbereich bei KI, tut es sich schwer, diese auf Anwendungsebene einzunehmen. So wird nur ein Bruchteil vielversprechender Forschungsergebnisse in die heimische Wertschöpfung übergeführt. Dabei definierte dies die Bundesregierung als Ziel in ihrer Strategie für künstliche Intelligenz 2030. Darin verspricht sie, ebenso am Gemeinwohl orientierte und „nur menschenzentrierte, die Grundrechte der Betroffenen wahrende Lösungen“ in allen Anwendungsfällen von KI umzusetzen. „Nicht nur die Politik, auch Unternehmen und jeder Einzelne tragen Verantwortung, wie wir KI anwenden und entwickeln“, so Digitalisierungsexperte Göbl. Doch Politik und Gesellschaft hinken im Tempo den rasanten Entwicklungen der KI hinterher: Eine EU-weite Verordnung für den Umgang mit künstlicher Intelligenz wird frühestens 2024 auf Entwickler, Anbieter und Nutzer angewendet werden können. In Zukunft werden wir einen viel strenger regulierten Umgang mit der sich schnell entwickelnden Technologie haben. Denn: KI betrifft jetzt schon viele Bereiche unseres Lebens und wird es weiterhin tun.
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KANN EINE KI BEWUSST SEIN ERLANGEN?
VON MARKUS DEISENBERGER
in: ChatGPT verspricht, Texte zu verstehen und selbst menschenähnliche Texte zu erstellen. Wie lange werde ich als Journalist noch meine Brötchen verdienen können?
Siegfried Handschuh: Ich gehe davon aus, dass Assistenten zu ersetzen sein werden, das heißt der Anwaltsassistent wird ersetzbar sein. Der Anwalt selbst nicht so schnell. Ein Journalist, der Leitartikel schreibt oder sich mit jemandem über künstliche Intelligenz unterhält, braucht sich keine Sorgen zu machen.
DER CHATBOT CHATGPT HAT EINEN WAHREN HYPE AUSGELÖST. SIEGFRIED HANDSCHUH, EXPERTE FÜR KÜNSTLICHE INTELLIGENZ, ÜBER MASCHINEN MIT MENSCHENÄHNLICHEN EIGENSCHAFTEN UND ANTWORTEN, DIE WIR FÜR BARE MÜNZE NEHMEN WERDEN.
Das heißt, durchschnittliche PR-Artikel werden Firmen in Zukunft inhouse durch KI erledigen können?
Davon gehe ich aus. Ganz generell wird man Leute, die sonst keine Texte hinbekommen, in die Lage versetzen können, brauchbare Artikel zu schreiben. Aber was viel Erfahrung, Einfühlungsvermögen und vielleicht auch Genialität erfordert, kann nur schlecht simuliert werden. Dann ist es aber doch verwunderlich, dass KI immer wieder als Ideenlieferant ins Spiel gebracht wird. Nehmen wir an, ich suche nach einem möglichst noch nicht da gewesenen Plot für einen Krimi. Keine Dreiecksgeschichte und auch der Gärtner soll’s nicht gewesen sein. Könnte das denn funktionieren?
Gute Frage. Ich benutze das System als eine Art persönlichen Assistenten. Wenn ich einen Vortrag zu einem bestimmten Thema halte, frage ich das System, wie es den Vortrag strukturieren würde. Meistens entscheide ich mich dann gegen den Vorschlag, weil ich ihn zu langweilig finde. Aber manchmal sind ein, zwei Punkte dabei, die ich sonst vergessen hätte. Strukturieren kann der Chatbot gut, und er ist eine gute Gedächtnisstütze. Aber wenn Sie kreativ sind, stellen Sie auch kreative Fragen, die das System aus seiner Mittelmäßigkeit herausholen. Durch Ihre Fragestellungen finden Sie vielleicht doch die Nadel im Heuhaufen.
SIEGFRIED HANDSCHUH
ist Professor für Informatik an der Universität Sankt Gallen in der Schweiz. Dort beschäftigt er sich vor allem mit Natural Language Processing (NLP), also der Verarbeitung natürlicher Sprache durch Computer.
Dieselbe KI hat sich auch als Textdichter im Stile des Sängers Nick Cave versucht. Cave selbst meinte, das Ergebnis sei „Bullshit“ und „eine groteske Verhöhnung dessen, was es heißt, ein Mensch zu sein“. Können Sie die vehemente Reaktion nachvollziehen?
Ja, ich würde wahrscheinlich auch so reagieren, wenn einer versucht, meine Arbeit zu kopieren.
01 • 2023 20
Coverstory
35 PROZENT DER KUNDENKONTAKTE BEI BANKEN WERDEN SICH AUTOMATISIEREN LASSEN.
Das System produziert Texte, die gewisse Stilelemente seiner Lyrik aufweisen, sie haben jedoch bei Weitem nicht das Potenzial der Originale. Aber das sind generalistische Systeme. Wenn ich das System nur auf Lieder von Nick Cave oder Pop-Songs an sich trainieren würde, sähe es vielleicht anders aus. Und es gibt Genres, in denen es von vorneherein besser funktioniert, etwa Schlager.
KI wird bereits sehr erfolgreich bei der Tumoroder der Plagiatserkennung eingesetzt, aber am Ende einer Telefon-Warteschleife möchte ich lieber mit einem Menschen sprechen. Das sehe ich anders. Mir wurde in einer Hotline mehrmals von Mitarbeitern ein Rückruf versprochen, der nie kam. Da würde ich mir von einem Chatbot eine Verbesserung erwarten. Weil er fokussiert mit dem entsprechenden Wissen auf Ihr Problem reagiert?
Und weil er Zeit hat. Es gibt Unternehmen, die wenig Interesse an Kundenbindung haben. Ein guter Chatbot kann mir vielleicht besser helfen als ein Mitarbeiter, der keine Lust hat. Man geht auch davon aus, dass sich 35 Prozent der Kundenkontakte bei Banken automatisieren lassen. Spannend ist, dass Menschen dazu neigen, einem Chatbot, wenn er ein Finanzprodukt anbietet, mehr zu vertrauen als einem Menschen, weil er ja vermeintlich neutral ist.
Blake Lemoine, ehemaliger Senior Software Engineer bei Google, behauptete neulich gegenüber der „Washington Post“, dass „Lamda“, ein Chatbot der Superlative, ihm anvertraut habe, ein Wesen mit Gefühlen zu sein und Bewusstsein zu haben. Was halten Sie davon?
Wenn man die gesamte Konversation, die er mit der Maschine hatte, unkritisch liest, könnte man schon meinen: Der Mann hat recht. Die Antworten sind außergewöhnlich gut. Wenn man das aber zu rationalisieren versucht, kann man sich das schon erklären. Lamda ist sehr gut im Rollenspiel, und diese Chatbots sind auch sehr
stark beeinflussbar. Das heißt, sie neigen dazu, Vorgegebenes zu akzeptieren und nicht in frage zu stellen. Das System hat die Eigenschaft, Informationen einfach zu erfinden. Blake hat sehr viele Suggestivfragen gestellt, wohl auch von seinem religiösen Hintergrund beeinflusst, und so die Antworten ein Stück weit provoziert. Lemoine verlor seinen Job.
Ja, das ist tragisch. Aber die interessante philosophische Frage ist: Angenommen, die Maschine würde ein Bewusstsein entwickeln, woran könnten wir das festmachen? Meine bescheidene Vorstellung als Mathematiker: Bewusstsein setzt voraus, dass ich ein Erinnerungsvermögen habe und nicht eine rein deterministische Maschine bin und – was uns Menschen auszeichnet – innere Dialoge führe. Ich bin bei diesem Thema hin- und hergerissen. Einerseits fehlt das, andererseits entwickeln Maschinen bereits Eigenschaften, die eine gewisse Ähnlichkeit zu uns aufweisen.
Was genau meinen Sie damit?
In den alten Science-Fiction-Filmen gab es immer Figuren wie Spock oder Data, die alles völlig rational erklärten und am Emotionalen, Assoziativen scheiterten. Umgekehrt fallen logisches Denken und Mathematik dem Durchschnittsmenschen eher schwer. Verallgemeinerungen, Muster erkennen, das Assoziative – das liegt uns. Diese Chatbots sind aber sehr gut im Assoziativen und Dinge-Erfinden, wenn sie keine Infos haben. Wir sind auf dem richtigen Weg, eine starke KI zu schaffen. In zehn, fünfzehn Jahren werden wir ungefähr die tausendfache Rechenleistung zur Verfügung haben. Dann könnte ich mir schon vorstellen, dass wir einmal so etwas wie ein digitales Bewusstsein bekommen. Und je größer die Systeme werden, desto mehr entwickeln sie Eigenschaften, mit denen wir nicht gerechnet haben. Sie reagieren auf die Eingaben viel stärker, als wir erwartet haben. Diese Reaktion nennt man „Few Shot Learning“. Die Maschine entwickelt einen fast zwanghaften Lösungsdrang.
Lassen Sie uns noch über die Probleme von künstlicher Intelligenz reden. Der Psychologie-Professor Gray Marcus warnt davor, mit KI ließe sich „Propaganda wie am Fließband“ erzeugen.
Da steckt ein bedenkliches Menschenbild dahinter, wonach sich Menschen quasi einsacken lassen, wenn sie nur oft genug die gewünschte Botschaft hören. In Wirklichkeit hören die
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meisten in sozialen Netzwerken nur auf Leute, denen sie vertrauen. Die Propaganda müsste also von Leuten kommen, denen ich vertraue. Der Chatbot müsste es daher schaffen, sich in meine soziale Twitter-Blase einzuschleichen, und dort zu einem Meinungsführer avancieren. Das setzt aber viel mehr voraus, als gute Texte schreiben zu können. Ich sehe ein eher anderes Problem: Die Systeme sind so groß geworden, dass sie nur noch von großen Unternehmen gebaut werden können.
Die Forschung wird undemokratisch?
Genau. Für alle Universitäten wird das Ganze eine Herausforderung. Wir haben nicht die Ressourcen, um ein Sprachmodell für 12 Millionen Dollar zu trainieren. Das muss man in Forschungsverbünden machen. Die Menschen glauben, was sie in Google und Wikipedia finden, und wenn sich ChatGPT als System durchsetzt, werden die Leute auch dessen Antworten glauben. Dass solch ein Normativ von einer Firma kommt, ist bedenklich. Das System ist auch nicht neutral, sondern basiert
auf der Ethik, die ihm beigebracht wurde. Als neugieriger Forscher ziehe ich Systeme vor, die keine Antworten filtern. Manche Antworten gibt das System nicht einmal widerwillig, sondern gar nicht.
Zum Beispiel?
Ich habe das System gefragt, ob es mir einen Ballermann-Song komponieren könnte. Es hat sich geweigert.
Mit welcher Begründung?
„Die sind oft sexueller Natur. Das schreib’ ich nicht für dich.“ Während wir sprachen, hab’ ich den Chatbot übrigens nach einem Plot für einen Krimi befragt.
Jetzt bin ich gespannt.
Ein Serienkiller, der sich auf künstliche Intelligenz spezialisiert hat und nun seine Opfer auswählt, indem er Algorithmen nutzt, um ihre Verhaltensmuster zu analysieren. Oder: Ein Polizist, der sich mit einem selbstlernenden Überwachungssystem zusammentut, um einen unsichtbaren Killer zu fassen.
Vielen Dank für das Gespräch.
22 Nachhaltig unterwegs mit starken Versicherungspaketen > KFZ-Versicherung > www.hdi.at/kfz
FAHR FREUDE
WER SEINE KONZENTRATION VERBESSERN WILL, SOLL RUHIG MEHR TAGTRÄUMEN. DAS HÖRT SICH ZWAR AUF ANHIEB ETWAS KONTRAINTUITIV AN, IST ABER WISSENSCHAFTLICH GEDECKT.
DRANBLEIBEN? NICHT UNBEDINGT!
SEI ACHTSAM!
NIMM’S LEICHTER!
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Auch abseits der Arbeitswelt ist Konzentration ein Thema: Als „Achtsamkeit“ („Samma Sati“) ist sie nicht nur das siebente im achtgliedrigen Pfad des Buddhismus, sondern auch, in ihrer Wiedergeburt als „Mindfulness“, ein riesiger kommerzieller Erfolg und wohl der größte Hype, der in den letzten Jahrzehnten im buddhistischen Dunstkreis entstanden ist. Dabei werden Techniken der Achtsamkeitsmeditation (MBSR) nach Jon Kabat-Zinn genutzt, um Stress zu reduzieren, die Konzentration zu verbessern und besser mit Ängsten umzugehen. Vielleicht war auch der Buddha selbst schon mit Fragestellungen dieser Art konfrontiert, denn eines Tages bat ihn ein Mönch um Rat: Er könne sich die mehr als 200 Mönchsregeln nicht merken, geschweige denn sie befolgen. Als der Buddha ihn fragt, ob er wenigstens eine behalten könne, bejaht der Möch. Darauf der Buddha: „Sei achtsam.“ *
Wenn es darum geht, für längere Zeiträume konzentriert zu bleiben, ist weniger mehr, so eine Studie des Boston Attention and Learning Labs. In Experimenten mittels Gehirnbildgebung blieben die Untersuchten am zuverlässigsten „auf Kurs“, wenn sie zwischen zwei Konzentrationsphasen eine kurze Pause einlegten. Wer versuchte, lange Zeit voll konzentriert zu bleiben, machte im Durchschnitt mehr Fehler. Das konvergiert mit Studienergebnissen bereits aus den neunziger Jahren, denen zufolge wir uns nicht länger als 90 Minuten am Stück intensiv konzentrieren können, ehe wir uns eine Pause von einer Viertelstunde gönnen sollten, nein, müssten. 3
SCHWEIFE AB!
Es klingt kontraintuitiv, aber eine Gruppe aus Psychologie und Neurowissenschaft kommt in einem Artikel im Journal „NeuroImage“ zu dem Schluss, dass „mind wandering“, sprich, seine Gedanken herumschweifen zu lassen, eine gute Methode sein kann, die Konzentration zu verbessern. Allerdings sollte es „beabsichtigtes“ („deliberate“), nicht „unbeabsichtigtes“ („accidental“) Abschweifen sein. Hintergrund ist die Erkenntnis, dass wir fast die Hälfte unserer Zeit Tagträumen nachhängen. Das sei dann eben die Arbeitsweise des Gehirns, so die Schlussfolgerung. An unserer Konzentration sind mehrere Gehirnareale beteiligt, und das kostet viel Energie. An einem bestimmten Punkt „streikt“ das Gehirn, und wir schweifen ab. Genau das sollten wir zulassen!
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& Tricks
Tipps
VON HARALD SAGER
* Zitiert nach Joseph Goldstein, The Experience of Insight
FÜR OUTDOOR-AKTIVITÄTEN
NUR DAS NÖTIGSTE MITNEHMEN?
NICHT, WENN WIR UNS MIT STIL UND KOMFORT DURCH DIE WILDNIS SCHLAGEN.
1_ AKK U-SAFT DURCH SONNENKRAFT
Ein aufgeladenes Handy ist im Gelände kein überflüssiger Luxus, sondern in Notfällen sogar lebenswichtig. Die Solar Powerbank Extreme mit 25.000 mAh Akkukapazität behebt den Mangel an Steckdosen im Wald durch Solarenergie: Die sechs faltbaren Solarmodule laden bis zu zwei Handys in sechs bis acht Stunden. Bei direkter Sonneneinstrahlung kann eine Eingangsleistung von bis zu 1 A erzielt werden, bei bedecktem Himmel dauert es etwas länger. Die Solar Powerbank Extreme ist spritzwassergeschützt, wasser- und staubdicht, stoßfest und leicht (550 g).
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2_ M OBIL GRILLEN
Im eigenen Garten grillen ist eine schöne Sache, aber in der Natur hat es gleich noch etwas Archaisches. Natürlich könnte man das Steak auch über offenem Feuer grillen, doch wenn es nach dem Grillspezialisten Weber geht, kommt der Traveler Gas grill zum Einsatz. Dank zweier Räder lässt er sich wie ein Trolley durchs Gelände bewegen. Bis zu 15 Burger bzw. 20 Würstel auf der Grillfläche platzieren und loslegen!
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24 01 • 2023 Warenkorb
PROST & MAHLZEIT
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VON HARALD SAGER
3_ K OCHEN UND LADEN
Eine mobile Feuerstelle, die zugleich auch ein Herd ist und nichts weiter benötigt als Brennholz, um zu funktionieren, und nebenbei auch noch Geräte wie Handys, Kameras oder Tablets auflädt? Gibt es, nennt sich CampStove 2 (vom US-Hersteller Biolite) und ist vom Wirkprinzip her ein thermoelektrischer Generator. Sprich, die Hitze des Feuers wird in elektrische Energie umgewandelt und in einem 2.600-mAh-Akku gespeichert. Kochen, Grillen, Wärmen, Laden – der nur 21 cm hohe, 12,7 cm breite und 935 g schwere CampStove 2 macht’s möglich.
Gesehen bei krisenvorsorge.at um 144,90 €, Topf (59,95 €) und Grill (69,95 €) sind extra.
4_ SITZEN AUF RÄDERN
Natürlich hat es Sitzbänke mit Rädern auch bisher schon gegeben – aber keine, die das Prinzip einer Sitzbank mit dem einer Schubkarre kombiniert hätten. Genau das ist die Wheelbench des niederländischen Gartenmöbelherstellers
Weltevree: eine betont geradlinig gestaltete Bank für zwei bis drei Personen aus Accoya bzw. Eiche. Griffe am einen Ende, ein Schubkarrenrad auf der anderen –fertig. Die Wheelbench lässt sich, immer auf der Suche nach dem besten Platz an der Sonne oder im Schatten, genauso bequem wie eine Schubkarre durch den Garten navigieren. Rogier Martens, der Designer, hat übrigens auch einen Kindersessel nach demselben Prinzip (für den italienischen Hersteller Magis) entworfen.
Von weltevree.eu
5_ C OOLE WESTE
Das niederländische Unternehmen
Bertschat stellt kühlende Westen und Baseballkappen her, so auch die Kühlweste PRO. Ihre Kühlelemente sind mit sogenanntem Phasenwechselmaterial (PCM) gefüllt, das sowohl Wärme als auch Kälte vorübergehend speichern kann: Durch die Aufnahme von Wärme schmilzt es und kühlt den Körper, während es bei sinkenden Temperaturen durch Wärmeabgabe gefriert. Die Kühlelemente sind in drei Varianten mit Durchschnittstemperaturen zwischen 15 und 24 Grad und einer Kühlwirkung zwischen 2 und 8 Stunden erhältlich. Bertschat hat aber auch umgekehrt beheizbare Socken, Sohlen, Handschuhe, Hoodies, Westen und Jacken im Programm, die von all jenen genutzt werden, die privat oder beruflich viel Zeit im Freien verbringen und dabei nicht frieren wollen.
Zu beziehen bei bertschat.at für 119,95 €
6_ DER SCHWIMMENDE WHIRLPOOL
In einem Jacuzzi über einen See schippern? Wenn das für Sie nicht nur dekadent, sondern nach einer echten Gaudi klingt, sollten Sie sich das „Spacruzzi“ näher anschauen. Das Gefährt, dessen Name sich aus „Spa“ und „cruisen“ zusammensetzt, wird in Montana und Nevada gebaut. Das tropfenförmige E-Boot für maximal fünf Personen ist mit einer Whirlpool-Anlage und einem gasbetriebenen Kamin mit Temperaturregelung ausgestattet. Der See blubbert Ihnen zu wenig? Dann Leinen los! Dank genügend Flaschen- und Gläserhaltern lässt sich auf der Fahrt mit dem Partyboot auch noch mit Sprudel anstoßen.
Bestellbar bei spacruzzi.com, Einstiegspreis 48.900 $
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jeweiliger Hersteller
66% Koop. mit Universitäten und Fachhochschulen
53% Koop. mit Zulieferern
GEMEINSAM STARK
42% Koop. mit Kunden
Unternehmen, die mit Partnern zusammenarbeiten, sind unabhängig von ihrer Größe innovativer. Am beliebtesten sind dabei Kooperationen mit Universitäten und Fachhochschulen.
59% Koop. mit privaten F&E-Einrichtungen, Labors, Beratern
WOHER STAMMEN DIE F&E-AUSGABEN?
EURO Unternehmen (davon
1,1 Mrd. Euro Forschungsprämie vom Staat)
7,8 MRD.
DIE FORSCHUNGSLEISTUNG ist in den vergangenen Jahrzehnten enorm angestiegen. In Bezug auf das Bruttoinlandsprodukt betrug sie: 1993: 1,45% 2003: 2,17% 2013: 2,95%
5,1 MRD.
2,6 MRD.
EURO ausländische Unternehmen
EURO Staat (davon 4,2 Mrd. Euro vom Bund und 630 Mio. von den Bundesländern)
Quellen: Statistik Austria, Community Innovation Survey, F&E-Schnellschätzung 2023 der Statistik Austria
26 Zahlen, Daten & Fakten
01 • 2023
BELGIEN
1 2
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ZIEL ERREICHT
Im Jahr 2014 wurde hierzulande erstmals das EU-Ziel von 3% F&EAusgaben in Bezug auf die Wirtschaftsleistung erreicht.
ÖSTERREICH
3,35% 3,20% 3,23%
SCHWEDEN
LUFT NACH OBEN
Im EU-Vergleich liegt Österr eich auf dem drit ten Platz (Jahr 2021).
2,26% beträgt die F&E-Quote derzeit durchschnittlich in der EU – und damit deutlich weniger als das selbst ge steckte Ziel. Weltweiter F&ESpitzenr eiter ist hingegen Südkorea mit 4,8%, währ end es in China lediglich 2,4% sind.
STOCKERLPLATZ FÜR ÖSTERREICH
BEI DEN F&E-AUSGABEN HAT ÖSTERREICH ENORM
AUFGEHOLT – UND LIEGT NUN IN DER EU AM 3. PLATZ.
VON ARNDT MÜLLER
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HORST KRIECHBAUM HAT MIT SEINEN ERFINDUNGEN FINANZIELL AUSGESORGT.
GUTE IDEEN LASSEN IHM ALLERDINGS WEITER
VOM RICHTIGEN ZEITPUNKT
Horst Kriechbaum sagt: „Mir ist der kommerzielle Erfolg nicht mehr so wichtig, erwarten darf ich ihn trotzdem!“ Zehn Jahre lang – von Mitte 50 bis Mitte 60 – hat Kriechbaum seinen frühen Ruhestand mit Motorradfahren, Saxofonspielen, der Gründung eines Jazzclubs und dem Bauen einer Modellbahnwelt ausgefüllt. Dann war ihm das allerdings zu langweilig. „Derzeit bin ich wieder im absoluten Business-Modus“, erklärt er, warum er sich wieder jener Tätigkeit widmet, die ihn zu einem „Mann ohne finanzielle Sorgen“ machte: der Entwicklung technischer Ideen. Diesmal hat er eine ganz neue Art von Blumenübertopf erdacht, der sich durch ein simples Stecksystem an jede Wurzelgröße anpassen lässt (siehe Kasten). Die Umsetzung wird Horst Kriechbaum noch einige schlaflose Nächte kosten, aber er weiß: Er wird es schaffen – und seine Idee wird sich verkaufen.
KEINE RUHE.
EINE IDEE IM KOPF
In den 1970er-Jahren spezialisierte sich der Elektrotechniker auf die Errichtung und Störungsbehebung von Alarmanlagen sowie in weiterer Folge auf die technische Weiterentwicklung und schließlich auf den Verkauf von Sicherheitssystemen für Banken und Museen. Hier kam er zum ersten Mal mit einem Vorläufer jenes Systems in Kontakt, das ihn später erfolgreich machen würde. „Die Idee ging mir nicht mehr aus dem Kopf“, erinnert er sich, und: „Ich mag es nicht, wenn mein Hirn schläft.“ Zehn Jahre trug er sie mit sich herum, ohne etwas daraus zu machen – bis zur Scheidung von seiner ersten Frau. „Das war ein Wendepunkt in meinem Leben“, sagt er, „und keine einfache Zeit. Aber die neue Freiheit hat mir auch Mut verliehen, meinen Job aufzugeben und Unternehmer zu werden.“
DER SPRUNG INS KALTE WASSER
Seine potenziellen Kunden, die Banken, kannte er gut, er war in der Branche bestens vernetzt. „In den 70er-Jahren stieg die Zahl der Banküberfälle enorm an. Die Banken investierten viel in Standard-Sicherheitsanlagen. Der Erfolg hielt sich allerdings in Grenzen“, erinnert er sich. „Hier wollte ich ansetzen.“ Er investierte so ziemlich sein ganzes Geld und entwickelte im Sommer 1988 gemeinsam mit Fachleuten für Telemetrie von der TU Graz das erste Alarmpaket. „Natürlich war das ein Risiko“, blickt er heute zurück, „aber es war kalkulierbar. Ich wusste
01 • 2023 28
VON RENATE SÜSS Porträt
ICH MAG ES NICHT, WENN MEIN HIRN SCHLÄFT.
DIE ERFINDUNGEN DES HORST KRIECHBAUM
Das „Alarmpaket“ ist ein präpariertes Geldscheinbündel, das beim Banküber fall unter die Beute gemischt wird. Darin befindet sich ein Hohlraum mit einem Rauchkörper, der beim Verlassen der Bank roten Rauch freisetzt. Seit den späten 90ern passt die „Smokenote“ sogar zwischen zwei Geldscheine. Anfang der 2000erJahre entwickelte Kr iechbaum ein System zum Schutz von Bankomaten gegen Sprengungen mit Gas. Sein neuester Streich ist der Surrounder, ein flexibler und gegen Kälte schützender Übertopf für Pflanzen (surrounder.at).
ja, dass Bedarf da war. Unsicher war ich allerdings, wie die Sicherheitsmanager der Banken darauf reagieren würden, dass das Alarmpaket sich nicht in die Standardsysteme der Banken einfügte, sondern ein Nischenprodukt war.“ Dass die Kapazitäten, um die Technik ausreichend zu testen, nicht vorhanden waren, steigerte die Aufregung in jenen Monaten weiter. „Im Dezember 1988 war ich endlich überzeugt davon, dass sich das Alarmpaket verkaufen würde. Von der Größenordnung hatte ich allerdings keine Ahnung!“
EXPLOSIVE ERFOLGE
Die ersten Banken zu gewinnen, war am schwierigsten. Als sich Erfolge einstellten und die Medien spektakulär von den Rauchexplosionen berichteten, die die Beute der Bankräuber unbrauchbar machten, wurde das Produkt zum Renner. Bald war Österreichs Bankenwelt zum Großteil mit Alarmpaketen ausgerüstet. Etwa 150 Mal im Jahr ging eines hoch. Die Nachfrage stieg auch international. In Deutschland kam man nach der Wende nicht nach damit, Ostbanken auf Weststandard aufzurüsten. Kriechbaums Produkt wurde auch dort zum Renner, gewann die Britischen Inseln schließlich als größten Markt. „Von da an ging es Schlag auf Schlag – wir waren fast überall in Osteuropa vertreten, zudem in Italien, Spanien und Frankreich.“
FIRMENVERKAUF MIT STRATEGIE
In seinem 50. Lebensjahr hatte Kriechbaum wieder ein einschneidendes Erlebnis, das erneut seinen Lebensweg entscheidend verändern sollte. Er verstarb fast an einer Operation. „Ich überdachte meine Lebensphilosophie, wollte nicht mehr all meine Energie in die Arbeit stecken, sondern mein Leben auch genießen.“ Einen Nachfolger, der das mittlerweile stattlich angewachsene Unternehmen weiterführen konnte, hatte er nicht. Das Kaufangebot der Konkurrenz war ihm auch nicht attraktiv genug. Statt sich einfach vom Markt zurückzuziehen, entwickelte er ein neues Produkt zum Schutz von Bankomaten und eröffnete weitere Verkaufsniederlassungen, auch in Übersee. „Dieser lange Atem bedurfte einiger Investitionen, aber er war die richtige Strategie“, sieht Kriechbaum heute seine Vorgehensweise von damals bestätigt. 2007, knapp vor der Bankenkrise, verkaufte er das Unternehmen schließlich. „Ein bisschen Glück braucht man auch!“, resümiert er. Und das genießt er heute: „Ich brauche keine Jacht, aber ich kann tun, was ich mag.“ Und was er am meisten mag, das ist das Aushecken von ganz neuen Ideen.
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„ RADIKALE INNOVATION ENTSCHEIDEND FÜRS ÜBERLEBEN“
DER SCHWEIZER INNOVATIONSBERATER
JEAN-PHILIPPE HAGMANN
HÄLT VON DEN MEISTEN
INNOVATIONSMETHODEN WENIG.
BRACHLIEGENDE POTENZIALE IN
UNTERNEHMEN VERSUCHT ER ANDERS ZU HEBEN.
langjährigen Analyse präsentiert. Und beim Betrachten des umfangreichen Katalogs ihres Projektes »Fingerabdruck« wurde mir bewusst, warum es wertvoll war, sich ebenfalls etwas vertiefter mit der Erde zu befassen. Nur so konnten wir die Vorarbeit von Rony und seinem Team wirklich wertschätzen. Basierend auf diesem Katalog hat Ronys Team eine Auswahl von vier möglichen Planetensystemen getroffen, die für uns als Reiseziele in Frage
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BUCHTIPP.
Innovationskonzepte in Form eines ScienceFictionA benteuers: Ein MetaModell für agile Innovation von JeanPhilippe Hagmann, Verlag Vahlen, 35,88 €
in: Was ist agile Innovation und wovon handelt Ihr neues Buch?
Jean-Philippe Hagmann: Ich verwende das Wort „agil“ nicht als Schlagwort, sondern um einen Kritikpunkt zu setzen: Aus meiner Sicht geben viele kursierende Innovationsmethoden theoretisch vor, agil oder auch iterativ (durch Wiederholung gleicher bzw. ähnlicher Prozesse zu einer Lösung kommend, Anm.) zu sein – sind aber letztlich in der Praxis linear, das heißt, sie setzen, aus der Vergangenheit kommend, nach einer vorgegebenen Reihenfolge einen Schritt vor den anderen. Innovation meint aber anderes, nämlich einen neuen Weg anzulegen und zu gehen. Das funktioniert nur, wenn man agil ist in dem Sinne, wie ich es verstehe: Man geht zunächst ein paar Schritte ins Unbekannte und überlegt dann, welche Richtung als Nächstes einzuschlagen ist.
kommen könnten. Je nach Gewichtung der Kernelemente unseres blauen Planeten ergeben sich unterschiedliche Zielempfehlungen.
Seit dem Mittag haben wir eine längere Pause eingelegt. Morgen beginnen wir dann mit dem Entscheidungsprozess unserer Zielbestimmung. Um meinen Kopf etwas zu durchlüften, ging ich vorhin noch einige Hundert Meter außerhalb der Mondbasis spazieren. Ja, ich weiß, durchlüften ist ohne Luft und Wind hier draußen das falsche Wort. Auf jeden Fall war der Blick aus einer gewissen Distanz auf die Gebäude von Oitar so eindrücklich, dass ich diese Stimmung in einem Bild einzufangen versucht habe. Und es tat extrem gut, wieder einmal etwas auf Papier zu illustrieren.
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Ich wollte vermeiden, einen weiteren Innovations-Ratgeber zu schreiben, der in fünf, sechs oder zehn Schritten erklärt, wie man Innovation erzielt. Mein Buch versucht stattdessen, so etwas wie eine Landkarte zu erstellen: An jedem Punkt, an dem ich stehe, kann ich da- oder dorthin weitergehen. Was macht im jeweiligen Unternehmenskontext am meisten Sinn? Das bedeutet für mich, agil zu sein. Mein Modell ist letztlich eine Anregung zum Selbstdenken. In welcher Weise unterscheidet sich das Buch auch vom Erscheinungsbild her von anderen Innovations-Ratgebern?
Es ist eine Art Parabel über den Innovationsprozess, angelegt als Reisetagebuch einer Astronautin aus der Zukunft, die sich auf die Suche nach einem für die Menschheit besiedelbaren Planeten macht und dabei sowohl über die Herausforderungen der Expedition als auch
01 • 2023 30
VON HARALD SAGER
viel stärker ins Auge, als wenn man auf der Erde tagein, tagaus mental in Routinen steckt. Immer wieder stellte ich mir die Frage: Welche dieser Qualitäten unserer Erde würde ich in eine neue Heimat mitnehmen, wenn ich könnte? Rony und sein Team haben uns nach unserem zweitägigen Studium unseres Heimatplaneten die Ergebnisse aus ihrer
Die Erde besitzt viele wunderbare Qualitäten. Dies springt uns hier oben aus der Distanz noch
Interview
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über den Zustand unseres Heimatplaneten reflektiert. Sie ist Teil einer Crew, aber es gibt noch zwei weitere, die die gleiche Mission haben. Alle drei Teams nehmen unterschiedliche Wege, um das Planetensystem Noita Vonni –„Innovation“, verkehrt herum gelesen – zu erforschen. Dieses Setting gab mir die Gelegenheit, die heute weltweit maßgeblichen Innovationsmethoden, Design Thinking und Lean Startup, meinem Modell der agilen Innovation bzw. des Selbstdenkens gegenüberzustellen. Eingerahmt ist das Ganze in die Geschichte, dass mir das Tagebuch zugespielt wird und ich es lese und mit meinen handschriftlichen Anmerkungen versehe: Das ist sozusagen die Metaebene des Buchs, die das Prozesshafte und Flexible von Innovation auch optisch bzw. gestalterisch widerspiegelt.
Worin unterscheidet sich Ihr Konzept der radikalen Innovation bzw. der „perpetual radical innovation“ von Innovation, wie wir sie üblicherweise verstehen?
Ich mache die Unterscheidung zwischen inkrementeller Innovation, das heißt die schrittweise Verbesserung bestehender Lösungen, und radikaler Innovation, also eine, die das Thema von der Wurzel – lateinisch radix – anpackt. Die radikale Fragestellung, die ich vorschlage, lautet: Wie kommt es, dass wir gerade die Lösungen haben, die wir haben, und was wären die Alternativen? Sich als Unternehmen Fragen dieser Art permanent zu stellen und zu beantworten, nenne ich „perpetual radical innovation“. Radikale Innovation war in den Unternehmen zu lange ein „Nice to have“, etwas, das man nicht als notwendig angesehen hat. Heute hingegen wird es zunehmend entscheidend fürs Überleben.
Baut Ihr Buch auf den Erkenntnissen des Vorgängerbands „Hört auf, Innovationstheater zu spielen“ auf?
Sie sind beide in der gleichen Gedankenwelt angesiedelt und komplementär. Das erste
Buch beschäftigt sich mit den Voraussetzungen für Innovation, das zweite mit den Prozessen, um dorthin zu gelangen. Man könnte sagen, das erste untersucht die „Erde“, das zweite sieht zu, dass das „Pflänzchen“ aus ihr heraus gut wächst und gedeiht.
Die meisten Bücher über Innovation bzw. Universitätslehrbücher nehmen den Prozess von der Idee bis zum Endprodukt, das in einen Markt eintritt, in den Blick. Mein Ansatz in „Hört auf, Innovationstheater zu spielen“ ist: Wichtiger ist, erst einmal zu schauen, ob die Grundlagen für Innovation vorhanden sind. Bei vielen Unternehmen ab einer Größe von etwa zwanzig Personen ist das nämlich meiner Beobachtung nach nicht der Fall, und zwar annähernd branchenunabhängig.
Daher habe ich das Buch entsprechend den jeweiligen Problemfeldern in vier Teile gegliedert: Der erste arbeitet heraus, dass der kreative Prozess andere Regeln, Phasen und
abgefrag nen über unseren Er f net heiße von welchem wir ange g reist seien ni dass die Erde vor nicht sehr Zeit gle
ZUR PERSON
Der in Zürich lebende JeanPhilippe Hagmann hat einen Background als Maschinenbauingenieur und Industriedesigner. Er hat ein Startup gegründet und verkauft, in einem der größten Energiekonzerne der Schweiz ein interdisziplinäres Innovationsteam aufgebaut und die Bücher „Hört auf, Innovationstheater zu spielen!“ und zuletzt „Die Entdeckung von Noita Vonni – ein MetaModell für agile Innovation“ geschrieben. Seit über zehn Jahren berät JeanPhilippe Hagmann Unternehmen unterschiedlichster Branchen rund um das Thema radikale Innovation. Beide Bücher sind im Verlag Franz Vahlen, München, erschienen.
Reisetagebuch Terra III
und erklärte uns, dass die Erde vor nicht sehr langer Zeit gleich zweimal in anderen Sunutroppo-Galerien als Basisinformation angegeben wurde.
Das müssen Daves wesen sein und bedeu anderen Planeten, den hinte od chen die a dennoc d deckkunge g n h hier im werde die Date sag für die Kreation unse
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Das müssen Daves sowie Erics Crews gewesen sein und bedeutet, dass die Terra I den anderen Planeten, den es als erstes angesteuert hatte, bereits hinter sich gelassen hat und hier auf Oitulos ist oder war. Wie viele Wochen Vorsprung die anderen Crews uns gegenüber wohl haben? Egal, nur weil sie einen zeitlichen Vorsprung haben, heißt das nicht, dass wir nicht dennoch die wertvolleren Entdeckungen hier im Planetensystem Noita Vonni machen werden. Der junge Mann am Empfang lud die Daten über unsere Erde auf Sues Armring uns sagte, wir seien nun bereit für die Kreation unseres Sunutroppos.
Was mir bei diesem Anblick durch den Kopf ging, war: Warum? Warum mischen sich Leute aus allen Himmelsrichtungen hier irgend so einen Leuchtcocktail zusammen? Ich habe nachgefragt und von einer Oitulanerin eine superspannende Antwort erhalten: Diese Sunutroppo-Cocktails seien der Lotterieschein, mit welchem man sein Glück beim Flug ins Schwarze Loch versuchen konnte. Wie ein Talisman werde dieses mit Leuchtpartikeln gefüllte Kügelchen am Raumschiff befestigt und dann schwups … ab ins Schwarze Loch und Daumen drücken, dass sich ein Durchgang, also ein Wurmloch öffnet. Die Oitulanerin erzählte uns noch etwas von einer Exotischen Materie. Aber ganz ehrlich – diesen Teil habe ich echt nicht verstanden. Sue hat ständig äußerst interessiert genickt, aber Robert erging es glaube ich genauso wie mir.
eine supperspannende Antwort erhalten: Diese seien der n mit ins füllte am Raumschiff und dann Oitulaner e in erzählte uns noch etwas von einer Exotischen Materie. A Aber ehrlich – diesen Teil habe ich echt nicht verstanden. Sue hat äußerst interessiert aber Robert es ich wie mir.
So oder so, auch wenn ich noch nicht genau weiß, ob diese Sunutroppo-Kügelchen nur esoterische Glücksbringer sind oder tatsächlich mehr dahintersteckt, ich muss zugeben, dass sie durchaus eine große Anziehungskraft auf mich ausüben. Mein Kopf sagt mir, dass ich noch mehr über dieses merkwürdige Phänomen herausfinden muss. Aber mein Gefühl verrät mir: Ja, ich hätte auch gerne eine solche Murmel.
aus eine auf mich ausüben. Mein sagt sol o che
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der Empfangsjunge Sue ihren Armreif an ein Gerät zu halten. Beim Betrachten der abgefragten Informationen aus Sues Datenträger runzelte er die Stirn. Er sehe keine Informationen über unseren Herkunftsplaneten. Er fragte uns, wie der Planet heiße von welchem wir angereist seien und nach einer kurzen Abfrage in seinem System begann er zu nicken
Reisetagebuch Terra III und Männern zusammen, die uns ebenfalls freundlich begrüßten. Danach bat
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Der Autor bietet in ungewöhnlicher Weise Orientierungshilfe für Innovator:innen.
helle Seite – Mond Sucitirc – erneut Oitulos, helle Seite – Oitulos, dunkle Seite – Planet Iuc – wiederum Oitulos, dunkle Seite – und schließlich abermals Iuc. Jap. Ganz schön viel gereist. Aber diesmal wussten wir genau, warum wir jeweils ein nächstes Reiseziel auswählten. Und es hat sich wirklich gelohnt. An dieser Stelle darf ich auch mit etwas Stolz meine größte persönliche Veränderung verkünden: Ich habe meine Tamagotchi-Phase hinter mich gebracht. Obwohl wir jetzt einen Sunutroppo mit an Bord haben, der um Welten besser ist als Sunie und Troppie zusammen, habe ich es mit etwas
glaube, Iuc – Mond – Planet Oitulos, helle Seite – Mond SuciAber diesmal wussten wir gees hat sicich wirklich was Sttol o z habe meine hinter mich gebracht. Obwohl wir ei e nen ser ist t habe
Selbstbeherrschung geschafft, keine emotionale Bindung zu ihm entstehen zu lassen. Es ist unser Sunutroppo, in den wir viel Zeit und Herzblut investiert haben – aber es ist dennoch nur ein Zwischenergebnis auf unserer Reise zu einer neuen Erde. Und dieses Loslassen war nicht zuletzt deshalb ein großer Vorteil, da sich der Sunutroppo mit jeder neuen Destination und jeder neuen Information verändert hat. Sich nicht an eine Version zu klammern, hilft extrem dabei, selbst große Anpassungen und Veränderungen
Bindung zu ihm entstehen zu lassen. un u d n schhenerg b ebnis au a f unserer Reise zu einer neuen Erde. Und dieses Loslassen war nicht zuletzt de d shalb und neuen Inforhilft extrrem vorzunneh e men.
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Funktionsweisen hat als das klassische Management – weshalb auch dieses vielfach nur wenig Verständnis dafür aufbringt. Daraus folgt – und das ist der zweite Teil –, dass Innovation Freiraum braucht. Tatsächlich sind die Beschäftigten in den meisten Unternehmen ja so sehr mit dem Tagesgeschäft überlastet, dass kaum Zeit für Innovatives übrigbleibt. Im dritten Teil geht es um die anders gearteten Aufgaben und Rollen jener Menschen, die für Innovation sorgen sollen, und im vierten um die „Kultur“, sprich die informalen, ungeregelten, gewohnheitsmäßig etablierten Strukturen in den Unternehmen – die sich meist nur indirekt ändern lassen. Was raten Sie Führungskräften, die Innovation bzw. Kreativität in ihren Unternehmen fördern wollen, aber nicht wissen, wie? Raten Sie jungen Unternehmen andere Dinge als etablierten?
Häufig sind die Strukturen verkrustet in dem Sinne, dass zu viele Prozesse und Regeln vorhanden sind. Da geht es dann darum, zu schauen: Was können wir weglassen? Meine Erfahrung ist: Wenn sich Freiräume öffnen und die Beschäftigten wissen, in welche Richtung die Reise geht, dann geschieht Innovation geradezu automatisch. Bei kleinen, jungen Start-ups ist die Innovation das Tagesgeschäft. Das ist zwar einerseits ihre Stärke im Innovationswettkampf; andererseits haben aber größere Unternehmen mehr Möglichkeiten, gezielt Ressourcen aus dem Tagesgeschäft für Innovation abzuziehen.
In der Praxis sieht es aber leider häufig so aus, dass das Tagesgeschäft das Innovationspotenzial komplett auffrisst. Ab und zu gründen Etablierte kleine Innovationseinheiten. In diesen
„Innovation Labs“ oder „Hubs“ ist den Leuten allerdings oft gar nicht klar, was sie überhaupt machen sollen, und sie fühlen sich überfordert. Aus meiner Sicht ist der richtige Weg die strukturelle sowie räumliche Trennung zwischen jenen, die das Unternehmen am Laufen halten, und jenen, die für Innovation sorgen. Denn die einen erzielen rasche Ergebnisse, bei den anderen ist oft lange nichts da, was sich vorweisen lässt: Innovation setzt eben Ausprobieren und Irrwege voraus und braucht seine Zeit. Ein wichtiges und zugleich schwieriges Element stellt die Brücke zwischen diesen beiden Systemen dar, denn ganz losgelöst voneinander dürfen Kerngeschäft und Innovation nicht sein. Haben Sie es als Innovationsberater nicht schwer in einem Land, dessen Wirtschaft eben erst – laut Global Innovation Index 2022 – zum zwölften Mal in Folge zur innovativsten weltweit gewählt wurde? Das ist zwar einerseits ein schöner Erfolg für die Schweizer Wirtschaft. Andererseits glaube ich, dass die Studie manche falschen Schlüsse zieht. In der Schweizer Wirtschaft funktionieren viele Prozesse tatsächlich vorbildlich. Trotzdem, wenn ich als Berater in die Unternehmen hineingehe, sehe ich in der Regel viel brachliegendes Potenzial.
MUT ZUM SELBERDENKEN .
01 • 2023 32
Ich glaube, es ist am einfachsten, zuerst einfach mal die Route nach dem letzten Eintrag auf Taredised aufzuschreiben: Planet Iuc – Mond Sutirep – Planet Oitulos,
SICH INTERDISZIPLINARITÄT LOHNT. GETEILTES WISSEN FÜHRT ZU
WARUM
schon so viel Detailwissen vorhanden, dass wir vor allem dann einen Mehrwert daraus ziehen, wenn wir Wissen kombinieren. Innovationen und technische Neuerungen entstehen heute vor allem fächerübergreifend bzw. an den Schnittstellen der Disziplinen.
Wir leben in einer Zeit, die von zahlreichen Krisen geprägt ist. Einfache Lösungen gibt es leider für keine davon, eines ist aber sicher: Die komplexen Herausforderungen unserer Zeit lassen sich nicht mehr durch einzelne Expertisen bewältigen, sondern nur gemeinsam, über die Disziplinengrenzen hinweg.
Insbesondere in der angewandten außeruniversitären Forschung spielt Interdisziplinarität eine zunehmend wichtige Rolle. Oft als Schlagwort verwendet, wird sie in der Austrian Cooperative Research (ACR) aber bereits seit vielen Jahren gelebt. Denn innerhalb des ACR-Netzwerks bestehen etablierte und erprobte Strukturen, die gemeinsame, interdisziplinäre Forschungsprojekte sowie fächerübergreifenden Austausch ermöglichen und fördern.
Und genau das braucht es auch. Man muss wissen, was der Forschungspartner weiß und kann, um Anknüpfungspunkte zu finden und einander optimal zu ergänzen. Wichtig ist auch, einander zu vertrauen und eine gemeinsame Sprache zu finden. Denn derselbe Ausdruck kann in den Fachsprachen unterschiedlicher Disziplinen durchaus verschiedene Bedeutungen haben und zu Missverständnisse führen. Es braucht also Geduld und Verständnis und ein Umfeld, das diese Annäherung ermöglicht und Ressourcen dafür bereitstellt. Interdisziplinäre Forschungsprojekte sind in der Regel ressourcen- und kostenintensiver als monodisziplinäre Partnerschaften. Wer also Interdisziplinarität ernst nimmt und vorantreiben will, muss auch die Möglichkeiten schaffen. Aber es lohnt sich.
INNOVATION DURCH INTERDISZIPLINARITÄT
Interdisziplinäre Forschung erweitert das Spektrum innovativer Lösungen und erschließt neue Anwendungsfelder. Ihr Mehrwert besteht auch im Zugang zu neuen, spezifischen Methoden und Verfahren, die für das eigene Forschungsfeld genutzt werden können, sowie in der Möglichkeit, bestehende Forschungsinfrastrukturen weiterzuentwickeln bzw. zu kombinieren. Heute ist in einzelnen Fachgebieten
Die Bedeutung interdisziplinärer Forschung im weiteren Sinn, etwa zwischen naturwissenschaftlich-technischen und sozial- bzw. geisteswissenschaftlichen Disziplinen, aber auch zwischen Institutionen, wird aus meiner Sicht weiter zunehmen. Kleinere und hoch spezialisierte Institute kommen schon jetzt nicht mehr an interdisziplinären Partnerschaften vorbei, aber auch größere Institutionen sowie Universitäten und Fachhochschulen müssten sich noch mehr öffnen und mehr strukturellen Austausch zulassen. Nur wenn wir unser Wissen teilen, kann daraus neues Wissen entstehen.
RITA KREMSNER
ist stv. Geschäftsführerin der ACR und plädiert für mehr Zusammenarbeit über Fachgrenzen hinweg, Die ACR vereint 19 Forschungsinstitute unter einem Dach, alle privat, eigenständig und gemeinnützig und alle mit verschiedenen Schwerpunkten und Spezialgebieten. Was sie verbindet, ist das gemeinsame Ziel, Unternehmen – und hier vor allem KMU – als Forschungspartner zur Seite zu stehen und ihnen dabei zu helfen, Innovationen auf den Markt zu bringen.
01 • 2023
Kommentar
VON RITA KREMSNER 33
NEUEM WISSEN
VEGANE WÜRSTEL, LACHS ODER
LEBERKÄS – AUCH
FLEISCHLOS WIRD AM
LIEBSTEN TRADITIONELL
GESPEIST. WIE SICH DIE HERSTELLER DARAUF EINSTELLEN.
WEDER FISCH NOCH FLEISCH
VON HARALD SAGER
Vegetarier hat es immer schon gegeben, sie waren tendenziell in alternativen bzw. esoterisch angehauchten Kreisen oder auch unter Gesundheitsaposteln anzutreffen. Für den Fleischverzicht belächelt wird heute niemand mehr. Denn mittlerweile wird auch der Veganismus, also der Verzicht auf jegliche tierischen Produkte, zunehmend salonfähig. Die Flut an entsprechenden Kochbüchern zeugt zumindest von stark gestiegenem Interesse an dem Thema.
Die Beweggründe für beide Ernährungsweisen waren in erster Linie tierethische sowie Zweifel daran, ob Fleisch- und Milchprodukte wirklich gesund sind. In den letzten Jahren ist ein weiterer dazugekommen: der Klimaschutz. Denn vor allem Rinder wurden als große „Klimasünder“,
wenn man so sagen darf, ausgemacht. Nicht nur, dass sie das Treibhausgas Methan ausstoßen, das einen 25-mal stärkeren negativen Emissionseffekt hat als CO2. Zur Produktion ihrer Futtermittel werden auch große Waldflächen gerodet und in Ackerland umgewandelt, das wiederum Dünge- und Pflanzenschutzmittel benötigt. Und schließlich tragen auch die Transporte, so etwa von Soja aus Nord- und Südamerika für europäische Rinder, zur Verschlechterung der CO2-Bilanz bei.
In den letzten Jahren hat das Thema Veganismus weltweit an Fahrt aufgenommen, und Treiber der Entwicklung war – wie bei vielen gesamtgesellschaftlichen Phänomenen, über die sich die Älteren die Haare raufen – die Generation Z, also die jungen Menschen, die um die Jahrtausendwende herum geboren wurden. Für viele von ihnen ist Veganismus sowohl Lebensstil als auch ein „politisches“ bzw. klimapolitisches Statement. Und die anderen Generationen, Y, X und wie sie alle heißen, folgen dem nach, wenn auch etwas
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verhaltener und vergleichsweise „flexibler“. Wer in dem Kontext zu veganen Artikeln greift, kann mit geringem Aufwand vage „etwas für die Umwelt“, das Tierwohl und die Gesundheit tun und sein Gewissen damit gleich in dreifacher Hinsicht beschwichtigen.
Und so ist vegan in der „Mitte der Gesellschaft“ angekommen: Die großen Player des Lebensmitteleinzelhandels haben eine neue Kund:innengruppe entdeckt und setzen mittlerweile sogar selbst auf vegane Eigenmarken. In Deutschland hat Christoph Graf, Chefeinkäufer von Lidl, erst kürzlich angekündigt, den Anteil tierischer Produkte im Sortiment deutlich zugunsten pflanzlicher verschieben zu wollen.
VEGANISTA. Die beiden Wienerinnen Cecilia Havmöller und Susanne Paller eröffneten mit Veganista das erste vegane Eisgeschäft des Landes. Seit 2020 betreiben sie zudem „the Lala“, Restaurants, in denen sie unter Beweis stellen, dass vegan richtig gut schmeckt und aussieht.
LACHS –WIE GEDRUCKT
Veganer Lachs aus dem 3DDrucker? Das hört sich erst einmal etwas befremdlich an. Aber letztlich ist ein 3DDr ucker auch nichts anderes als eine Maschine, die einem CADBauplan folgt und ihr Endprodukt dadurch präzise und schichtweise modellieren kann. Das in Wien ansässige Startup Revo Foods stellt pflanzlichen Räucher- und
Graved Lachs mit dem 3DDr ucker her, Zutaten sind Erbsenprotein, Algenextrakte und pflanzliche Öle. „Unsere nächste Innovation ist das vegane Lachsfilet, das wir noch heuer auf den Markt bringen wollen“, sagt Geschäftsführer Robin Simsa. Revo Foods’ Lachs sieht bis in die Maserung und Textur hinein so überzeugend nach einem echten aus und schmeckt auch so sehr danach, dass Risikokapitalgeber mit namhaften Beträgen eingestiegen sind. Die Mission ist, eine Alternative zur Überfischung der Meere anzubieten.
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ÖSTERREICH
Und dabei geht es ihm, wie er im Interview mit der „Lebensmittelzeitung“ erklärt, ebenso sehr darum, auf die begrenzten Ressourcen des Planeten Rücksicht zu nehmen, wie darum, ein „Differenzierungs“-Signal an die jüngere Generation auszusenden: „So werden wir auch positiver wahrgenommen.“
Ja, selbst die großen Fast-Food-Ketten wie McDonald’s, Subway oder Burger King bieten fleischlose Varianten ihrer Speisen an. Letzterer betrieb acht Monate ein rein veganes Restaurant am Wiener Westbahnhof. Dem Unternehmen zufolge sei das ein großer Erfolg gewesen, nun suche man jedoch nach einem anderen Standort für eine rein vegane Filiale und wolle in der Hochfrequenzlage am Westbahnhof wieder das gesamte Programm anbieten. Das vegane „Patty“ kommt jedenfalls vom niederländischen Unternehmen The Vegetarian Butcher, dessen fleischlose Hühnerstreifen, Wiener Schnitzel oder Hamburger auch im heimischen Einzelhandel zu haben sind.
VEGAN – ABER AUCH FLEXIBEL
Wenn man sich das vegane Sortiment so ansieht, zeigt sich: Bei den meisten wird versucht, Geschmack und Aussehen von Fleisch- bzw. Fischprodukten nachzuahmen, man denke nur an pflanzlichen Leberkäse, an Schnitzel, Bratwurst, Faschiertes, Ćevapčići, Fischstäbchen oder Lachs (siehe Porträtboxen). Und das liegt ganz einfach daran, dass die anzusprechenden Konsument:innen nicht Hardcore-Veganer:innen sind (die selbst den Geschmack von Fleisch weit von sich weisen würden). Sondern überwiegend „Flexitarier“, also Menschen, die zwar – aus den erwähnten „Gewissensgründen“ – weniger Fleisch essen, aber keineswegs
VEGINI. Hinter dieser Marke steckt
VeggieMeat aus Niederösterreich, das auf Basis von Erbsen, Reis und Kichererbsenprotein Fixstarter der österreichischen Küche kreiert.
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LIEGT BEI DER EINFÜHRUNG VON VEGANEN LEBENSMITTELN AN FÜNFTER STELLE WELTWEIT.
„VEGANHEAD QUARTER“ BREITENBR UNN
Ritter Sport produzierte bisher ausschließlich in Waldenbuch in BadenWür ttemberg – bis sich vor drei Jahren die Gelegenheit ergab, das ehemalige MarsWerk im burgenländischen Breitenbrunn zu erwerben. Dort wird nun das gesamte vegane Sortiment der Marke für den internationalen Markt produziert. Und das mit einigem Aufwand: Statt Milchpulver wird hier Haselnusspaste und teilentöltes Mandelmehl
verwendet. Außerdem sind für das VeganLabel sehr strenge Auflagen einzuhalten. Dafür muss ein Produkt weniger als ein Millionstel tierischer Bestandteile enthalten. Dafür sind also entweder sehr strenge Reinigungsprozesse nötig oder eine Trennung von veganer und nichtveganer Produktion. Das vegane Angebot wird dennoch weiter ausgebaut: „Damit bieten wir allen SchokoLiebhabern eine breite Palette an pflanzlichen Alternativen und unterschiedlichen Geschmäckern an“, so Wolfgang Stöhr, Geschäftsführer von Ritter Sport in Österreich.
WIE GESUND VEGANE LEBENSMITTEL SIND, HÄNGT IMMER AUCH VON IHRER VERARBEITUNG AB.
EASY VEGAN. Egal ob BurgerLaberl, Linsenbällchen oder stäbchen: Cassandra Winter und Martin Jager haben sich mit ihrem Unternehmen easyVEGAN ganz der proteinreichen Hülsenfrucht verschrieben.
ganz darauf verzichten wollen. Und wenn sie schon vegan essen, dann soll es irgendwie nach Fleisch oder Fisch schmecken und auch so aussehen. Mit Tofu, Tempeh oder Seitan, den traditionellen veganen Eiweißlieferanten, braucht man ihnen nicht zu kommen: „Ich hab’s probiert“, sagen sie oft. „Schmeckt nach nichts.“ Was wohl auch an den nicht immer vorhandenen Kochkenntnissen liegen mag.
Nur geschätzte 106.000 Österreicher:innen ernähren sich vegan, während sich 4,6 Millionen selbst als Flexitarier:innen verstehen (laut Statista, Stand 2021). Das allein dürfte für die Lebensmittelindustrie ein unabweisbares Argument sein, die Zielgruppe genauer ins Auge zu
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DER PFLANZLICHE LEBERKÄS, DER SOGAR FLEISCH TIGER ÜBERZEUGT.
VEGANER LEBERKÄS
IST KEIN PFLANZ
Was wäre urösterreichischer als Leberkäs und Wiener Schnitzel? Nadina Ruedl, Gründerin der „Pflanzerei“, scheint einen Riecher dafür zu haben, ihre Landsleute behutsam ans Vegane heranzuführen. Als Erstes lancierte sie mit ihrem Team aus Lebensmitteltechnikfachleuten den „Gustl“ – das Gegenteil eines „Ungustls“ –, den pflanzlichen Leberkäs aus Erbseneiweiß und einer Gemüsemischung. Erbseneiweiß ist sehr ballaststoffreich und liefert essenzielle Aminosäuren, die der Mensch nicht selbst bilden kann. Das Gemüse besteht aus Roten
Rüben, Erdäpfeln, Zwiebeln und Karfiol aus heimischer Landwirtschaft. Damit kam sie im Jahr 2020 unter die Top 10 von Greenstart, dem Accelerator des Klima und Energiefonds. Ihr jüngster Streich ist die „Mitzl“, ein Wiener Schnitzel auf Basis von Soja und Weizenprotein mit einer Panier aus (hauptsächlich) Weizenmehl. „Die Mitzl ist schon allein deshalb einzigartig, weil sie übertellergroß ist!“, sagt Mitarbeiterin Denise Kronthaler.
fassen. Und sie tut das auch: Einer Studie des Marktforschungsunternehmens Mintel zufolge liegt Österreich bei der Einführung von veganen Lebensmitteln an fünfter Stelle weltweit (16,9 Prozent aller Lebensmitteleinführungen waren vegan, Stand 2021).
Und doch sind leise Zweifel angebracht, ob vegane Erzeugnisse grundsätzlich die gesündere Alternative zu Fleisch sind. So hat etwa der „Beyond Burger“ von Beyond Meat, einem kalifornischen Konzern für veganen Fleischersatz, nicht weniger als 18 Inhaltsstoffe, darunter Aromen, Proteine, pflanzliche Öle, Stabilisatoren, Konzentrate, Emulgatoren usw. – polemisch
könnte man einwerfen, dass Fleisch hingegen nur eine Zutat hat. Viele vegane Produkte sind hochgradig verarbeitete Lebensmittel, die sogar aus dem 3-D-Drucker kommen können (siehe Porträtbox zu Revo Foods). Und wie bei allen anderen empfiehlt es sich auch bei ihnen, sich vor dem Kauf zunächst einmal die Zutatenliste durchzulesen. Josef C. Sigl, Leiter der Trumer Privatbrauerei, die letzten Herbst ihren eigenen Haferdrink herausgebracht hat (siehe Interview), fasst es so zusammen: „Wie alle Lebensmittel werden sich auch die veganen über kurz oder lang in die hochwertigen und andererseits in die industriell für den Massenmarkt gefertigten ausdifferenzieren.“
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Interview
in: Bier und Haferdrink – liegt das nicht etwas weit auseinander?
Josef C. Sigl: Im Grunde ist eine pflanzliche Milch-Alternative näher am Bier dran als an der Kuhmilch, und es verblüfft mich immer wieder, dass noch keine andere Brauerei auf die Idee gekommen ist.
Was sind die Zutaten Ihres Drinks, und worin unterscheidet er sich von den Erzeugnissen industrieller Hersteller?
Gerste und Gerstenmalz – das ist unser ureigenstes Metier, und unser Drink verbindet es mit Hafer, der Hauptzutat. Dazu unser eigenes Tiefbrunnenwasser, ein wenig Rapsöl und Salz – fertig!
Hafer und Gerstenmalz passen ausgezeichnet zueinander: Die Malzenzyme spalten den Hafer auf und setzen dessen mollig-karamelligen Geschmack frei. Die großen, industriellen Hersteller von pflanzlichen Drinks setzen für diesen Vorgang technische Enzyme ein, wir hingegen arbeiten mit den natürlichen im Gerstenmalz.
War es Ihre Idee, es mit einem Haferdrink zu versuchen?
Ja, mir wurde klar, dass wir einen pflanzlichen Beitrag zu einer gesünderen Zukunft leisten können, und Know-how mit Getreide haben wir ja zur Genüge. Es ist nicht so, dass wir mit unserem Hafer-Gersten-Drink ein Statement gegen die Kuhmilch setzen wollten. Beides hat seine Berechtigung und seine positiven ernährungsphysiologischen
Eigenschaften. Allerdings hinterlässt Kuhmilch einen ungleich größeren ökologischen Fußabdruck
Wie lange hat es gedauert, das Produkt zu entwickeln bzw. seine Zusammensetzung abzustimmen?
Hafer war für uns Neuland. Und so experimentierten wir, die Braumeister Felix Bussler und Axel Kiesbye und ich, über zwei Jahre an der richtigen Mixtur.
Abgefüllt wird unsere „Sigl Bio Hafer & Gerste“ in einer Molkerei, aber produziert wird sie in unserem Sudhaus. Die Produktionsweise ist dem Bierbrauen sehr ähnlich – und das machen wir schließlich seit 1775
„DER HAFERDRINK IST UNSER BIER“
Die Trumer Privatbrauerei im salzburgischen Obertrum hat Ende des Vorjahres die „Sigl Bio Hafer & Gerste“, einen Haferdrink mit Gerstenmalz, auf den Markt gebracht. Josef C. Sigl, Leiter der Brauerei in achter Generation, erläutert im Interview, wie es es dazu kam und was es damit auf sich hat.
TEAMWORK. Braumeister Felix Bussler hat gemeinsam mit Privatbrauer Josef C. Siegl und Sophie Leitner, Leiterin Business Development in der Trumer Privatbrauerei, das neue Getränk entwickelt.
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ÖSTERREICHS AGILE RIESEN
STAATSBETRIEBE SIND SCHWERFÄLLIG UND BÜROKRATISCH? DASS DIESES
KLISCHEE NICHT ZUTREFFEN
MUSS, BEWEISEN DIE HEIMISCHEN BIG PLAYER IM VERKEHRSSEKTOR.
Eine Lärmschutzwand an der S 1 Wiener Außenring Schnellstraße. Grau, hoch, scheinbar endlos. Täglich flitzen hier Tausende Menschen mit ihrem Auto vorbei. Nur ganz wenige wissen, dass dieser Betonwall etwas Besonderes an seiner Außenseite montiert hat: das Photovoltaik-Testfeld der ASFINAG (Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft). Rund 70 Meter lang, gespickt mit mehr als 100 Solarpaneelen, produziert es bis zu 45.000 Kilowattstunden sauberen Strom pro Jahr. Damit versorgt es die Sicherheitsausrüstung der 16 Kilometer langen S-1-Strecke zwischen Vösendorf und Schwechat mit grüner Energie.
Die Klimakrise geht uns alle an. Der Ausbau der erneuerbaren Energien und der respektvolle Umgang mit den natürlichen Ressourcen
verlangen langfristige Lösungen durch innovative Technologien und unkonventionelle Ideen. Auch öffentliche Big Player im Bereich Mobilität wie ASFINAG, ÖBB und Wiener Linien wissen, ihre Zukunft muss nachhaltig sein. Und liefern: Ob Sonnenenergie direkt von der Autobahn, komfortable Sharing-Angebote abseits der Schiene oder ungewöhnliche Paketzustellung mit der Straßenbahn – viele ihrer Ideen haben das Potenzial, die Welt ein bisschen besser zu machen. Sie beweisen damit auch, dass Staatskonzerne zwar groß sind, aber deshalb nicht unbedingt auch schwerfällig sein müssen.
DIE AUTOBAHN ALS SOLARKRAFTWERK
So zeigt etwa das Photovoltaik-Testfeld der ASFINAG an der S 1, dass man umweltfreundlich Sonnenenergie gewinnen kann, ohne wertvolle Böden zu verbrauchen. Theoretisch könnte die ASFINAG aus dem Autobahnnetz den größten Verbund an Solarkraftwerken des Landes machen. Schließlich gibt es insgesamt 1.400 Kilometer an Lärmschutzwänden, die sich (südseitig) mit Solarpaneelen zu Sonnensammlern umfunktionieren ließen. Bei der Eigenstromerzeugung hat die ASFINAG schon ungewöhnliche Projekte umgesetzt. Dazu zählen die Mikrowindturbinen auf der Tiroler Europabrücke und das Kleinwasserkraftwerk am Semmering, das den Tunnel mittels Bergwasser mit Strom versorgt. Bis 2030 möchte der Autobahnbetreiber stromautark sein. Hartwig Hufnagl, Vorstandsdirektor ASFINAG, erklärt:
01 • 2023 40 Mobilität
VON ALEXIOS WIKLUND
„Der Ausbau der eigenen erneuerbaren Energiequellen zur Stromversorgung von Tunnels und Autobahnmeistereien ist ein wichtiger Aspekt unserer Nachhaltigkeitsstrategie.“
Enormes Potenzial, innovativ zu agieren, bietet auch der Straßenbelag der mehr als 2.200 Autobahn- und Schnellstraßen-Kilometer. Sehr vieles von dem, was bei Sanierungsarbeiten abgetragen und ausgehoben wird, kann nämlich wiederverwertet werden. Bereits jetzt liegt die Recyclingquote bei Beton- und Asphaltabbruch bei über 90 Prozent.
SICHER MIT KÜNSTLICHER INTELLIGENZ
Nachhaltiger werden ist ein wichtiges Ziel, aber auch für Sicherheit muss gesorgt werden. Hierfür nutzt der Autobahnbetreiber künstliche Intelligenz (KI). Die Sicherheitskontrolle von Brücken mit hohen Pfeilern und Bögen übernehmen bei der ASFINAG nämlich mit Kameras ausgerüstete Drohnen. Sie schießen Tausende Fotos, um ein 3-D-Modell des realen Bauwerks zu erstellen. Mithilfe von Algorithmen lassen sich kleinste Veränderungen im Objekt schnell und leicht identifizieren.
KI kommt außerdem bei der Bekämpfung von „gefährlichen“ Pflanzen zum Einsatz, die sich entlang der Autobahn rasant ausbreiten. Dazu zählt etwa der Götterbaum, der seine Heimat einst im Fernen Osten hatte. Seine starken Wurzeln brechen die Fahrbahn auf. Den kräftigen Baum einfach zu fällen, reicht nicht. Er reagiert darauf wie eine Hydra: Schnell treiben in bis zu zehn Metern Entfernung zig neue Bäumchen aus. Wo genau, das erkennt ein neuronales Netzwerk automatisch in Videos, die aus Streckenfahrzeugen gefilmt wurden.
ERSATZTEILE AUS DEM DRUCKER
Die ÖBB, die immerhin schon vor einem Jahrhundert von Kohle auf Strom umgestiegen sind, wollen mit digitaler Technologie die Transportkapazitäten im Personen- und Güterverkehr signifikant steigern, verspricht CEO Andreas Matthä.
Und das ist nur eine Facette. Denn Digitalisierung liefert z. B. auch Echtzeit-Infos für den Fahrplan und 3-D-Drucker, um schnell, individuell und in geringer Stückzahl Ersatzteile selbst herzustellen. Bisher haben die ÖBB mit diesem phänomenalen Werkzeug rund 17.000 Teile aus Metall- und Kunststoffpartikeln gefertigt – viele davon für die
DRUCKREIF. ÖBB-Mitarbeiter
Sebastian Otto druckt am 3DDrucker eine Lüfterradabdeckung für eine Zirkulationspumpe. Diese wird für verschiedene Lokomotiven benötigt.
WILL BIS 2030 STROMAUTARK
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DIE ASFINAG SETZT AUF EIGENSTROMERZEUGUNG UND
WERDEN.
AUS DER BREMS ENERGIE DER WIENER
U-BAHNGARNITUREN
WIRD GENÜGEND ENERGIE
GEW ONNEN, UM GANZE S TATIONEN DAMIT ZU BELEUCHTEN.
Railjet-Flotte. Übrigens: Für diese wurde eine umweltfreundliche Klimaanlage von Liebherr getestet, die Kohlendioxid als natürliches Kältemittel nutzt. Vor allem in Kombination mit einer Wärmepumpenfunktion und Abwärmenutzung bringt das eine deutlich bessere Energiebilanz. Und: CO2 ist zwar der erklärte Feind aller Klimaschützer:innen, aber immer noch bis zu tausend Mal weniger klimaschädlich als die bisher verwendeten Kühlmittel.
Umweltfreundliche Lösungen sind bei der Bahn auch abseits der Schiene gefragt. In Baden bei Wien etwa stehen für Gäste und Einheimische
70 E-Scooter, vier E-Car-Sharing-Autos und ÖBB-Transfer, ein Shuttle zu Hotelbetrieben und Kuranstalten, bereit – alles buchbar über die App „wegfinder“.
VERNETZT UNTERWEGS
Dass Öffis und Leih-Angebote einander optimal ergänzen können, beweisen die Wiener Linien mit „WienMobil“. Alexandra Reinagl, Geschäftsführerin der Wiener Linien: „Unser Ziel ist, in unmittelbarer Nähe zur eigenen Wohnung einen Zugang zu allen Mobilitätsformen anzubieten. Je nach individuellem Weg wählt man das passende Transportmittel aus U-Bahn, Bim oder
Bus, Fahrrädern oder eben auch E-Autos.“ In ganz Wien können an 240 Standorten insgesamt 3.000 Räder ausgeliehen und zurückgegeben werden. Zum Leih-Angebot gehört auch die WienMobil-Auto-Flotte. Sie wird auf rund 100 E-Fahrzeuge ausgeweitet. Dazu zählen Klein- und Komfortwägen, aber auch Transporter. Und WienMobil lässt sich nicht nur am eigenen Handy nutzen, es wird auch an anderer Stelle sichtbarer: Die neue U-BahnGarnitur „X-Wagen“ von Siemens bietet digitale Fahrgastinfos, um die Öffi-Nutzung auf den Linien U1 bis U4 einfacher und komfortabler zu machen. Auf Bildschirmen über den Zugtüren erfahren die Fahrgäste alle relevanten Infos: von Umsteigemöglichkeiten über Anschlussverbindungen bis zu Abfahrtszeiten.
Rund zwei Millionen Fahrgäste nutzen pro Tag in Wien die 450 Busse, 500 Straßenbahnzüge und 150 U-Bahn-Züge. Und die müssen bremsen, und zwar oft. „Warum nicht nutzen?“, hat man sich bei den Wiener Linien irgendwann gedacht und mit Energie-Rückgewinnung der U-Bahn-Bremsanlagen herumexperimentiert. Heute bringen die tonnenschweren Züge mit der Bremsenergie ganze Stationen zum Leuchten. Das Verfahren spart bis zu vier Gigawattstunden im Jahr. Das entspricht dem Stromverbrauch von durchschnittlich 800 Haushalten.
POST VON DEN WIENER LINIEN Buchstäblich ausgezeichnet ist die Idee, ÖffiRemisen und Busgaragen als neue Logistikzentren zu nutzen, um den Lieferverkehr in
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LICHTGEST ALTEN.
Die Wiener Linien setzen auf umweltfreundliche Stromerzeugung.
Wien zu verringern. Für dieses Projekt gab es den „Innovation in Politics Award 2020“. Durch den Boom bei Onlinebestellungen sind aktuell rund 120 Millionen Pakete pro Jahr auf Wiens Straßen unterwegs, Tendenz weiter steigend. Schlecht für die CO2-Bilanz der Stadt. Mit dem Forschungsinstitut Fraunhofer Austria testen die Wiener Linien gerade, Pakete mit der Bim klimafreundlich auszuliefern. Die „Öffi-Packerl“ könnten, laut Wiener Linien, bis zu 20 Prozent der Treibhausgase, die durch Pakettransporte entstehen, einsparen. Mithilfe eines QR-Codes könnten Fahrgäste die Pakete in eigenen Boxen bei Öffi-Stationen abholen und abgeben. Eine Befragung von 6.000 Menschen im Rahmen der Machbarkeitsstudie ergab: 67 Prozent wären bereit, ein Paket in der Bim mitzunehmen. Schon nächstes Jahr soll der Testbetrieb starten.
Vielleicht sind die Wiener Linien also bald die zweite Post. Hat man sich erst einmal vergegenwärtigt, wie innovativ Österreichs Verkehrsbetriebe wirklich sind, erscheinen diese Aussichten gar nicht mehr so ungewöhnlich.
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G.TEC SCHLAGANFALL- UND MS-PATIENT:INNEN, IHRE BEWEGUNGSFREIHEIT
ZURÜCK ZUERLANGEN. DIE TECHNO L OGIE DAHINTER IST BEI FORSCHUNGSINSTITUTIONEN WIE TECHNOLOGIEKONZERNEN HEISS BEGEHRT.
DER GEDANKEN
Wenn Jahre nach einem Schlaganfall die Grob- und Feinmotorik zurückkehren, glaubt man schnell an ein Wunder. Tatsächlich ist es ein Wunder der Technik, dass Menschen, die lange an Verkrampfungen in den Extremitäten litten, wieder ihre Bewegungsfreiheit zurückerlangen: dank Brain-Computer-Interfaces (BCI), die Gehirnwellen hochauflösend messen und Impulse an die Muskeln senden. Entwickelt wurde das System von Christoph Guger, sein Unternehmen g.tec ist mittlerweile weltweit ein Begriff – und zählt NASA, Google und Amazon zu seinen Kunden.
Begonnen hat Gugers Karriere wie so viele Innovationsgeschichten mit einer wissenschaftlichen Abschlussarbeit. Bei einem Auslandssemester an der Johns Hopkins University in
Baltimore, Maryland, stieß der junge Elektrotechnik-Student 1995 auf die Neurowissenschaften und befasste sich eingehend mit dem Elektroenzephalogramm (EEG). Mit dem Wissen aus den Vereinigten Staaten kehrte er nach Österreich zurück, an die TU Graz, wo man sich schon mit der Verknüpfung des Gehirns mit Computern beschäftigte. „Oft muss man erst ganz weit weggehen, um wertzuschätzen, was es zu Hause an coolen Forschungsvorhaben gibt“, sagt Guger. Seine Dissertation verfasste er zur Frage, wie mit Gedanken in Echtzeit technische Geräte angesteuert werden können. Das erste daraus entstandene System verkaufte er 1999 schnurstracks an die Cambridge University, das zweite ging gleich darauf an ein Forschungszentrum in Südkorea – g.tec war damit aus der Taufe gehoben.
LERNEN VOM WIRTSHAUS
Zunächst arbeitete das Unternehmen als Spinoff der TU Graz, die Guger im Rahmen des Förderprogramms „Wissenschaftler gründen Firmen“ unter die Arme griff: „Was Start-ups zu Beginn immer fehlt, ist Geld. Von der TU gab es damals 350.000 Schilling Startkapital, das ist
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DIE KRAFT
VON JOSEF PUSCHITZ
Porträt 44
richtig viel, wenn man frisch anfängt.“ Mit der Anschubfinanzierung kaufte g.tec die erste Matlab-Lizenz, die es Guger erlaubte, sein System weiterzuentwickeln. Die wirtschaftliche Seite des Unternehmens schreckte den Wirtssohn nicht ab, im Gegenteil: „Meine Eltern waren Gastwirte, ich habe von klein auf mitbekommen, wie man mit Finanzen und Kunden umgeht. Das Kaufmännische war nie ein Problem“, sagt Guger. Auch ein gewisses Verkaufstalent dürfte ihm in der Gaststube mitgegeben worden sein, denn schon bald nach der Firmengründung überzeugte er große Fördergeber wie die EU oder den FWF von seiner Idee des Brain-Computer-Interfaces.
Zu Beginn waren die Anwendungsmöglichkeiten noch überschaubar spektakulär. Das erste System war in der Lage, rein mit Gedanken einen Cursor am Computerbildschirm von links nach rechts zu verschieben. „Das Besondere daran war, dass es gelungen ist, das Interface in nur wenigen Minuten auf die Gehirnströme des
GEISTESBLITZ. Die Beschäftigung mit EEG war für Gründer Christoph Guger der Grundstein zum Erfolg.
ELEKTRISIEREND. Elektrische Impulse helfen Patient:innen, ihre Bewegungsfreiheit zurückzugewinnen.
Probanden einzustellen und dabei 100 Prozent Genauigkeit zu erreichen“, sagt Guger. Der nächste Meilenstein gelang 2006: Ein vollständig gelähmter Patient konnte mittels Interface auf einem Schirm Buchstaben auswählen, zwei pro Minute. Die Kalibrierung dafür brauchte fünf Minuten. Verbesserte Hard- und Software ließen diese Zahlen dahinschmelzen, mittlerweile kann das Interface in 20 Sekunden kalibriert werden, Buchstaben werden innerhalb von wenigen Augenblicken ausgewählt, was den Nutzer:innen eine wesentlich flüssigere Kommunikation erlaubt.
GEHEIMTÜREN ÖFFNEN
Die Technologie lässt sich aber auch für Unterhaltungszwecke einsetzen. Computerspiele sollen künftig nicht mehr nur mit Gamepad und
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COMPUTERSPIELE KÜNFTIGSOLLEN AUCH MIT DEN GEDANKEN ANGESTEUERT WERDEN KÖNNEN.
Joystick angesteuert werden, sondern auch mit den Gedanken: „Mit reiner Vorstellungskraft lassen sich Geheimtüren öffnen und kann der Spielablauf beeinflusst werden. Nur wer cool bleibt, kann das Spiel meistern, unser Interface lässt sich auf unterschiedlichste Weise integrieren“, sagt Guger. Gespräche mit Spieleentwicklern seien schon am Laufen, man erwartet sich großes Wachstumspotenzial. Ein Headset befindet sich gerade in der Entwicklung – es soll auch für Serious Games zum Einsatz kommen, darunter eines, bei dem Kinder mit ADHS ihre Konzentration trainieren können. Nicht alle wollen mit den g.tec-Produkten nur spielen: Die US Army etwa ist an der Technologie interessiert, um damit Pilot:innen zu trainieren.
Ein besonders zukunftsweisendes Anwendungsgebiet liegt aber in der Neuro-Reha. Vor sechs Jahren hat g.tec damit begonnen,
Sich kraft der Gedanken durch ein Computerspiel zu bewegen, wird schon bald Realität sein.
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XXXXXXXX VERKABELT.
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Applikationen für Menschen mit Schlaganfall oder Multipler Sklerose zu entwickeln. Das Ergebnis wurde „Recoverix-Therapie“ getauft: Patient:innen trainieren dabei in 25 Einheiten zu jeweils einer Stunde, bislang unbewegliche Körperpartien wieder zu aktivieren. „Sie werden dabei angeregt, sich eine Bewegung vorzustellen, die vom Brain-Computer-Interface erkannt wird und einen elektrischen Impuls auslöst, der den betroffenen Muskel stimuliert. Das führt dazu, dass sich Neuronen im Gehirn neu verknüpfen und die Patienten die Bewegungsabläufe wieder erlernen“, sagt Guger. Dabei sei es unerheblich, wie lange die Erkrankung schon zurückliegt – Therapieerfolge wurden auch mit Patient:innen erzielt, die teils schon seit Jahrzehnten mit körperlichen Einschränkungen zu leben haben.
SPRACHE WIEDERFINDEN
Guger berichtet auch von Nebeneffekten, die sich mit der Therapie einstellen: So sei auch das Temperaturempfinden manchmal zurückgekehrt, andere berichten von besserem Erinnerungsvermögen und verminderten Schmerzen. Auch die Sprache habe sich verbessert, vor allem bei denen, die vorher Schwierigkeiten hatten, ganze Sätze zu bilden. Bis zu 25 Verbesserungen konnten in klinischen Studien nachgewiesen werden, vom besseren Gangbild bis hin zur Rückkehr der Blasenfunktion. g.tec hat ein Franchise-System entwickelt, um möglichst viele Krankenhäuser und Therapieeinrichtungen mit der Technologie ausstatten zu können. In Österreich war das Kepler Universitätsklinikum in Linz der erste Kooperationspartner, Einrichtungen in Wien, Klagenfurt, Graz, Schladming, Bregenz und Innsbruck folgten. „Im Endausbau möchten wir 20 Standorte in Österreich betreiben, um eine flächendeckende Therapie anbieten zu können. International bewegen wir uns bereits in Slowenien, Deutschland, den Niederlanden, Nigeria und Hongkong“, sagt Guger.
International zusammengesetzt ist auch die Belegschaft am Firmensitz in Schiedlberg südlich von Linz. „Anders würde es auch gar
nicht gehen, wir könnten auf keinen Fall nur mit Menschen aus Österreich durchkommen. Wir haben in Schiedlberg Leute aus der ganzen Welt, auch aus Südkorea, China – das wirkt sich positiv auf unsere Innovationskraft aus“, sagt Guger. Weitere Standorte betreibt g.tec in Barcelona, New York, Kanada, Japan und Hongkong. Mit einer Belegschaft von rund 75 arbeitet g.tec nun daran, die „Recoverix-Therapie“ auf weitere Patientengruppen auszuweiten, Parkinson- und Schmerzpatient:innen sind in der engeren Auswahl. Geforscht wird auch daran, wie sich Elektroden direkt ins Gehirn einpflanzen lassen, um noch genauere Signale zu erhalten, was in Zukunft vielleicht Querschnittgelähmten und Tumorpatient:innen zugutekommen könnte.
CHRISTOPH GUGER, GRÜNDER VON G.TEC
1. Was halten Sie von Elon Musks Unternehmen „Neuralink“ – ein potenzieller Konkurrent? Was Neuralink macht, wurde auch vorher schon von vielen Universitäten entwickelt. Für Patient:innen mit schweren Schädigungen ist es auf jeden Fall toll, wenn diese Technologie auf den Markt kommt. Ob sich ein Gesunder jemals ein Implantat wünschen wird, bin ich mir nicht sicher. Neuralink ist auf jeden Fall auch ein g.tec-Kunde.
2. Wie gehen Sie mit den ethischen Bedenken um, die mit dem Auslesen von Gehirnwellen und Implantaten ins Gehirn einhergehen?
Als Medizintechnik-Unternehmen arbeiten wir in der am strengsten regulierten Branche der Welt. Alles, was wir tun, ist zum Wohle der Patient:innen. Mitbewerber allerdings versuchen sich an der mentalen Extension, also der Verbesserung der Gehirnleistung. Das überschreitet eine Grenze.
3. Würden Sie sich auch ein Implantat ins Gehirn einsetzen lassen?
Wäre ich querschnittgelähmt mit Locked-in-Syndrom und ein Implantat die einzige Möglichkeit, durch meine Hirnsignale nach draußen kommunizieren zu können: auf jeden Fall.
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3 Fragen an …
VON WEGEN „DÜSTER“:
ZWAR VERSCHWANDEN
EINIGE IDEEN UND TECHNIKEN DES ALTERTUMS WÄHREND
DER ZEIT DER BURGEN
UND RITTER – AUF DER
ANDEREN SEITE WURDEN
IM SELBEN ZEITRAUM
HÖCHST INNOVATIVE
TECHNIKEN ERDACHT.
GENIESTREICHE DES MITTELALTERS
WINDMÜHLE
ÜBER 1.000 JAHRE
Die Geschichte der Zivilisation beginnt mit dem Ackerbau. Schon früh gab es auch Mühlen, per Hand betriebene Exemplare werden bereits in der Bibel erwähnt. Im 9. Jahrhundert entstanden in Persien die ersten Windmühlen. Das Windrad stand dabei allerdings noch waagerecht. Die ersten Windmühlen mit senkrechter Anordnung der Flügel wurden Ende des 12. Jahrhunderts in Belgien, Frankreich und England gebaut. Ein Jahrhundert später kamen Bockwindmühlen auf, bei denen das gesamte Mühlenhaus samt Flügeln in den Wind gedreht werden konnte. Ende des 17. Jahrhunderts, also bereits nach dem Mittelalter, gab es eine weitere Innovation: Bei den Holländerwindmühlen ließ sich nur mehr die Mühlenkappe mit den Flügeln nach dem Wind ausrichten.
01 • 2023 48 Alt, aber gut
VON ARNDT MÜLLER
DREIFELDERWIRTSCHAFT
War bis dahin die Zweifelderwirtschaft (je zur Hälfte Anbau und Brache) populär gewesen, entwickelte sich ab dem 8. Jahrhundert die Dreifelderwirtschaft. Dabei machte die Brachfläche nur mehr ein Drittel aus, auf den beiden weiteren Dritteln wurde Sommer- und Wintergetreide angebaut. Dieser Kniff steigerte die Erträge um bis zu 50 Prozent. Die meisten Arbeiten konnten nun ganzjährig durchgeführt werden, das existenzielle Risiko von Missernten sank. Die Dreifelderwirtschaft kann auch als einer der ersten Ansätze einer arbeitsteiligen Gesellschaft gesehen werden – außerdem wurde damit überhaupt erst der Ausbau einer Mühlenwirtschaft ( Windmühle) möglich.
BRILLE
Cicero (106–43 vor unserer Zeitrechnung) hatte noch gejammert, dass er sich wegen seiner Sehschwäche Texte von Sklaven vorlesen lassen musste. Er hätte noch viele Jahrhunderte warten müssen, bis die Augengläser sozusagen das Licht der Welt erblickten. Im Jahr 1240 wurde das Werk „Optik“ des arabischen Gelehrten Ibn al-Heitam (965–1040 nach unserer Zeitrechnung) ins Lateinische übersetzt, auf Basis seiner Ideen entwickelten italienische Mönche im 13. Jahrhundert den „Lesestein“, eine halbkugelförmige Linse, mit der sich Texte vergrößern ließen. Ende des 13. Jahrhunderts gelang es den Glaskünstlern in Murano in der Lagune von Venedig, zwei Linsen zu schleifen und in zwei miteinander verbundene Holzringe einzuarbeiten. Erst Anfang des 18. Jahrhunderts entstand mit der „Ohrenbrille“ die heutige Form.
49 ÜBER 750 JAHRE
1.200
ÜBER
JAHRE
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SIE NENNEN SICH BODYHACKER
ODER GRINDER: MENSCHEN, DIE DEN NÄCHSTEN SCHRITT
HUMANER EVOLUTION DARIN
SEHEN, MIT MASCHINEN ZU VERSCHMELZEN – UND DAMIT
GLEICH EINMAL SELBST
BEGINNEN. ZWEI DER BEISPIELE
UNTEN SIND ECHT, EINES HAT
DAS TRANSHUMAN-RESSORT DES ERFUNDEN. ERRATEN SIE, WELCHES DAS IST?
EIN SPEZIELLES AUGENLICHT
Es gibt eine ganze Reihe von Superhelden mit Laseraugen. Superman, Captain Marvel oder Cyclops von den X-Men gehören dazu. Aber echte Menschen mit leuchtenden Augen? Wohl kaum. Falsch! Seit einiger Zeit trägt der kalifornische Ingenieur Brian Stanley eine selbst gebastelte Augenprothese, die wie eine Taschenlampe leuchtet. Stanley, der sein Auge infolge einer Krebserkrankung verloren hat, nennt seine Prothese „Titanium Skull Eye“ und ist damit zum Star auf der Plattform TikTok mutiert. Die Batterie halte 20 Stunden am Stück, besonders praktisch sei das „Augenlicht“ beim nächtlichen Lesen, so Stanley.
MUSK, DIE MENSCH-MASCHINE
Die einen halten ihn für mindestens so visionär wie Nikola Tesla, die anderen für den größten Scharlatan aller Zeiten: Elon Musk. Nun könnte sich bald entscheiden, welche der beiden Gruppen richtig liegt. Denn neben Twitter und Tesla hat der Tech-Milliardär vor einigen Jahren auch das Unternehmen Neuralink gekauft. Dort wird an einer Mensch-Maschine-Schnittstelle in Form einer direkten Verbindung zwischen Gehirn
QUIZ: I, ROBOT
3
und Computer getüftelt. Musk wollte eigentlich bereits im Jahr 2022 mit Experimenten am Menschen beginnen, dies wurde aber von der US-Aufsichtsbehörde FDA unterbunden. Nun hat sich Musk selbst als erstes Testobjekt ins Spiel gebracht: Noch vor Jahresende will sich Musk via Schnittstelle direkt mit dem Internet verbinden lassen – sofern die FDA ihren Segen gibt.
HUMANER ELEKTROBAUKASTEN
Es wirkt extrem, was Lepht Anonym, so der Kunstname einer in Berlin lebenden Britin, in den vergangenen Jahren mit ihrem Körper angestellt hat. Alles begann im Jahr 2007 mit einem Medizin studierenden Freund, von dem sich Anonym einen Chip mit Zahlungsfunktion implantieren ließ. Seither kann die junge Frau elektronisch zahlen, indem sie sich dem entsprechenden Terminal einfach nähert. Anonym war anscheinend auf den Geschmack gekommen, denn inzwischen hat sie sich 50 verschiedene Elektronikbauteile implantiert, und zwar so gut wie immer selbst und ohne Betäubung. Richtig problematisch war dabei allerdings die „Pirate Box“, ein größeres Gerät inklusive WLAN-Antenne und USB-Speicher. Dieses musste nach wenigen Monaten operativ aus ihrem Arm entfernt werden, ihr Körper kam damit nicht zurecht.
Schummelgeschichte: die Musk-Mensch-Maschine
Geschichtenerfinder
01 • 2023
VON ARNDT MÜLLER
boldcommunity.org Die globale Innovationscommunity der WKÖ für die österreichische Wirtschaft von morgen. 105 Ausblicke in die Zukunft. anwendbar. verständlich. greifbar. innovationmap.at BESUCHE UNS! 20.06.2023 DIE ZUKUNFT gemeinsam erleben am Exporttag. Blockchain Asset Tracking e-Residency Social Credit System Pr ogrammable Law Enforcement Household Robot Assistant Blockchain-Based Carbon Credit Ambulance Drone Wasteasa Currency Sovereign MetaverseCryptocurrency FullyAutomated Self-Driving VehicleDriverlessExtendedCityMap PublicPodCloud-ConnectedSupplyChain AerialWirelessNetwork RobotSociometricBadge CaregiverEmotion-BasedInteractiveStorytelling TactileResponseHologram Dynamic6GMobileNetwork NeuralAvatar Mutagenesis Microculture Fungi-Grown Material Autonomous Agriculture Vehicle Aquatic Drone Underwater Farm Synthetic Apiary Environment Nanotagging Machine Learning Weather Model In Vitro Meat Algae-BasedMealReplacement Agro-WasteBiodegradableCoating 3DPrintedFood FoodWasteMonitoringPlatform EndophyticPlantProtectionInSilicoFarmingHigh-AlbedoCropCropEpigenetics AutomatedHomeFarmingHypoallergenicPlant InterstellarTerraforming rgyBuildingsTreatmentrvesting Grid Plan t Voting Algorithm Human-Machine Interaction Ethics Quantum AgritechandFood Data Era SmartLiving Va dation Concept Proof of Concept Prototype Product
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