DSO-Nachrichten 03/04 2014

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Stéphane Denève | David Afkham

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Eine Publikation des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin | dso-berlin.de

FRANZÖSISCHE FRIEDENSBOTSCHAFT Stéphane Denève und Bertrand Chamayou am 29.03., Casual Concert am 30.03. sich der Komponist formal auf die Wiener Klassik, begibt sich aber durch die bis zur Polytonalität erweiterte Harmonik in die musikalische Moderne.

Der programmatische Blick des Deutschen SymphonieOrchesters Berlin ist — neben weiteren Schwerpunkten — auch stets nach Frankreich gerichtet. Das Repertoire der »Grande Nation« ist reich an musikalischen Schätzen, bekannten und weniger im Fokus stehenden. So stellten Marc Minkowski und Jérôme Pernoo 2013 Offenbachs fulminantes Violoncellokonzert erstmals in der Philharmonie vor, DSO-Chefdirigent Tugan Sokhiev bringt am 2. und 3. März den Komponisten Albert Roussel dem Berliner Publikum näher, und am 29. und 30. März steht wiederum ein rein französisches, sehr abwechslungsreiches Programm auf dem Spielplan. Klassische Moderne Dirigent Stéphane Denève hat sich in der Vergangenheit als Bewahrer und Verfechter französischer Werke verdient gemacht; nicht etwa aus patriotischem Sendungsbewusstsein, sondern aus tiefer Überzeugung vom Gehalt der Werke. Genau wie Tugan Sokhiev richtet der Chefdirigent des Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart des SWR dabei im Symphoniekonzert am 29. März sein Augenmerk auf Albert Roussel. In dessen Dritter Symphonie, die er als Auftragswerk zum 50-jährigen Jubiläum des Boston Symphony Orchestra schrieb, besinnt

Aufrüttelnder Appell »Ich wollte in diesem Werk die Auflehnung des modernen Menschen gegen die Glut der Barbarei, der Dummheit, des Leidens, des Maschinismus, der Bürokratie symbolisieren, die uns seit einigen Jahren bestürmt«, sagte Arthur Honegger über seine Dritte Symphonie ›Liturgique‹. Dabei entstand keine gefällige Friedensbotschaft, sondern ein Werk, das den Schrecken in Honeggers Empfindungen Ausdruck verleiht und erst gegen Ende der Komposition eine Vision des Friedens am Horizont erscheinen lässt. Neben Ravels ›Boléro‹, seinem wohl bekanntesten Stück, stehen César Francks Symphonische Variationen für Klavier und Orchester auf dem Programm. Für den Klavierpart, der wechselweise Teil und Gegenspieler des Orchesters ist, konnte mit Bertrand Chamayou der perfekte Solist gewonnen werden. Der zweifache Gewinner des ›Gramophone Editor’s Choice‹ und des ›Victoire de la musique‹ besticht durch sein tiefes musikalisches Verständnis in symphonischen und kammermusikalischen Zusammenhängen.

Ca su al Co nc er t

Einen Tag später dirigiert und moderiert Stéphane Denève Honegger und Ravel auch im Rahmen des Casual Concerts. Mit dem Elan des ›Boléro‹ und dem Tiefsinn der Symphonie ›Liturgique‹ führt er das neugierige Publikum eloquent durch den Abend, bevor Live Act und DJ in der Casual Concert Lounge auch das Foyer der Philharmonie mit Leben füllen.

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Arthur Honegger Symphonie Nr. 3 ›Liturgique‹ César Franck Symphonische Variationen für Klavier und Orchester Albert Roussel Symphonie Nr. 3 g-Moll Maurice Ravel ›Boléro‹ STÉPHANE DENÈVE Bertrand Chamayou Klavier Sa 29. März 20 Uhr | 18.55 Uhr Einführung Philharmonie Karten von 20 € bis 59 € | AboPlus-Preis ab 17 €

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Casual Concert Arthur Honegger Symphonie Nr. 3 ›Liturgique‹ Maurice Ravel ›Boléro‹ STÉPHANE DENÈVE So 30. März 20.30 Uhr Philharmonie Im Anschluss Casual Concert Lounge mit OSCA (Live Act) und Johann Fanger (DJ) Karten zu 15 € | 10 € für Schüler, Studenten und im Abonnement Freie Platzwahl

So 30.03.

PAOLO OLLIG

VERBORGENE BEZIEHUNGEN David Afkham und Leonidas Kavakos am 10.04.

Dieses Programm gibt zunächst einmal Rätsel auf. Für sein zweites Konzert am Pult des DSO hat der junge deutsch-persische Dirigent David Afkham, dessen steiler Karriereweg ihn ab Herbst 2014 auf den Chefposten des Spanischen Nationalorchesters führen wird, zwei grundverschiedene Werke des 20. Jahrhunderts ausgewählt. Anton Webern gilt als Vater der »seriellen Musik«, der die gesamte Nachkriegs-Avantgarde huldigte, von Boulez bis Stockhausen, von Messiaen bis Nono. Dmitri Schostakowitsch dagegen betrieb die Erneuerung der großen Symphonik auf den Spuren Gustav Mahlers, schwor innerhalb klassischer Formen der Tonalität nie ganz ab. Und doch ist der Bezugspunkt zwischen beiden Komponisten ausgerechnet Mahlers Ausdrucksmusik — auf kleinste Formen eingedampft, zersplittert und zerfasert beim einen, neoklassisch gebrochen, in Ironie und Groteske noch gesteigert beim anderen. Die Tradition hinter ihren spezifischen Formen von Modernität benennt das Violinkonzert von Johannes Brahms. Leonidas Kavakos, oft und gern gesehener Gast beim DSO, wird beweisen, wie unsinnig Hans von Bülows Ausspruch war, dies sei ein Konzert gegen statt für die Violine. Expression pur Auch die Avantgarde kennt große Gefühle. Weberns Orchesterstücke op. 6, 1909 entstanden und 1928 überarbeitet, können als Vorklang der Katastrophe des Ersten Weltkriegs gedeutet werden. Dafür liefert die »freie Atonalität« ganz neue, unerhörte Klänge. Die äußerste Verknappung der Form spitzt die Spannung noch zu — die Stücke dauern jeweils nur wenige Minuten, Nr. 3

umfasst gerade einmal elf Takte. Arnold Schönberg bewunderte die Fähigkeit seines Schülers Webern, »einen Roman durch eine einzige Geste, ein Glück durch ein einziges Aufatmen« auszudrücken — so stürzt der Hörer taktweise von flüchtig aufscheinender Harmonie in grellste Dissonanzen, von banger Erwartung und aufkeimender Hoffnung in ihre brutalste Zerschlagung. Nr. 4 ist ein nicht enden wollender Trauermarsch, der mit tiefem Glockengeläut und Trommelwirbel unerbittlich in die Schreckensvision der Blechbläser-Aufschreie führt.

Maskierung der Auslöschung Eine »muntere kleine Symphonie« wolle er schreiben, teilte Schostakowitsch 1971 seinen Studenten mit. Doch ironische Doppelbödigkeit hatte die Musik des sowjetischen Komponisten immer mehr geprägt, der von der stalinistischen Nomenklatura teils verfolgt, teils gehätschelt wurde. So maskierte das Heitere bei ihm oft das

Bittere: Tod und Resignation wurden dem Schwerkranken immer mehr zum zentralen Thema. Die Fünfzehnte beginnt mit einem hellen Glockenschlag, gefolgt von einem munteren Flötenmotiv — Zirkusmusik. Irgendwann entpuppt sie sich als ein Zitat aus Rossinis ›Wilhelm Tell‹ — Sinnbild der Banalität, mit der Schostakowitsch zeitlebens zu kämpfen hatte? Beißend schrille Formen nimmt es an, kehrt im auffallend kurzen Scherzo wieder. Zwei langsame Sätze bilden dazu den ernsten Kontrast; angefüllt mit Zitaten aus Schostakowitschs eigenen Symphonien, mit Beethoven-Anklängen und dem Zitat der »Todverkündigung« aus Wagners ›Götterdämmerung‹ ziehen sie schmerzhafte Lebensbilanz. Die abschließende Heiterkeit ist auf ihr Skelett reduziert: Zum Schluss klappert nur noch das Xylofon, knöcherne Klänge, in denen sich das Zitatmaterial, die abendländische Tradition, die Existenz des Komponisten auflösen. ISABEL HERZFELD

—–– Anton Webern Sechs Stücke für Orchester op. 6 (1928) Johannes Brahms Violinkonzert D-Dur Dmitri Schostakowitsch Symphonie Nr. 15 A-Dur DAVID AFKHAM | Leonidas Kavakos Violine Do 10. April 20 Uhr | 18.55 Uhr Einführung Philharmonie Karten von 15 € bis 45 € | AboPlus-Preis ab 13 €


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