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VERÖFFENTLICHUNGEN DES DEUTSCHEN AUSLANDS WISSENSCHAFTLICHEN INSTITUTS
Herausgegeben von Prof, Dr. F, A. Six Band 1: Die angelsächsische Neue Welt und Europa. Von Prot. Dr. K. H. Pfeffer. 1941. 152 Seiten, broschiert RM. 4.80
Band 2; Deutscher Aufstand gegen den Westen. Eine geistesgeschichtliche Aus einandersetzung. 2. Auflage. 1941. 176 Seiten. Brosch. RM. 5.50, HalbL RM.7.—
Band 3: USA. und Weltpolitik. Gesammelte Vorträge von F. Schonemann u. a. 1940. 113 Seiten. Brosch. RM. 4.—, Leinen RM, 5.50
Band 4: Die Bedeutung des Volker bundsgedankens für die englische Außenpolitik
1914—1919. Von Dr. J. Westphalen. 1942. 240 Seiten. Brosch. RM.10.—
Band 5: Die Grenzen des Reiches. 4 Teile. (Verlag B. G. Teubner, Leipzig) . Fortsetzung dieser Veröffentlichungen s. zweite Klappentextseite
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Junker und Dünnhaupt Verlag Berlin
V E RÖ F F E N T L I C HU NG E N DES D E U T S C H E N A U S l A N D W I S S E N S C H A F T L I C H E N I NS T I T UT S
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BAND
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f
PROBLEME , DES EUROPÄISCHEN GROSSWIRTSCHAFTS RAUMES GESAMMELTE BEITRÄGE VON
A. REITHINGER, B, KIESEWETTER, W. GRÄVELL K. KRÜGER, W. SCHMIDT
19 43 JUNKER UND DÜNNHAUPT VERLAG / BERLIN
Alle Rechte Vorbehalten. Copyright 1943 by Junker und Dünnhaupt Verlag/Berlin. Printed in Germany.
, Buchherstellung: E. F. Keller's Wwe., gegr. 1758, Stollberg i. Erzgeb./Berlin.
INHALTSVERZEICHNIS \
Vorwort .
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Voraussetzungen und Größenordnungen der kontinental europäischen Großraumwirtschaft. Von Dr, Anton Reithinger
9
Europäische Rohstoffprobleme. Von Dr. Bruno K iesewetter ,
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Großraumbedingte Umlagerungen im europäischen Außen handel. Von Dr. Walter Grävell ..................................... . . 59 Mötorisierungs- und Straßenbauprobleme in der Großraum wirtschaft Von Prof. Dr, Karl Krüger . . . • . . . •■ . .
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Die Verkehrsträger Großdeutschlands vor neuen Aufgaben\ <• in der europäischen Großraumwirtschaft. Von Dr. W alter Schmidt, i . . . . . . . 101
VORWORT Die vorliegende Schrift Ist eine Sammlung von Vorträgen, die im Oktober bis Dezember 1940 im Deutschen Auslandswissenschaftlichen Institut gehalten wurden. Sie beschäf tigen sich mit den Problemen des. europäischen Großwirt schaftsraumes im Sinne einer zukünftigen, gemeinsam auf zubauenden kontinental europäischen Wirtschaft. Wir sind uns der Mannigfaltigkeit der in dieser Zielsetzung enthaltenen Aufgaben bewußt, die in gewissem Umfang Änderungen erfahren und deshalb vorläufig einer Teillösung unterworfen sind. Es kam uns in diesen Vorträgen nicht darauf an, Methoden und Wege zu dem gesteckten Ziel aufzuzeigen — das muß allein der praktischen Politik Vorbehalten bleiben —, sondern die Probleme als solche und den Begriff „Europa“ herauszustellen, der heute noch vielen, die sich allgemein als „Europäer" bezeichnen, nichts bedeutet und nichts sagt. Selbstverständlich mußte aus der Fülle der Aufgaben stellungen eine Auswahl getroffen werden. Wir haben uns neben einem einführenden Vortrag, der sich mit den Voraus setzungen und Größenordnungen befaßt, auf die Rohstofflage, die Außenhandels- und die Verkehrsprobleme beschränkt.Die Verfasser sind sich bewußt,.keine erschöpfende Dar stellung der behandelten Themen auf einem so kleinen v Raum gegeben zu haben, sie sind aber alle mit wissenschaft lichem Ernst an ihre Aufgabe herangetreten und wollen mit ihren Ausführungen zum weiteren Nachdenken und zur Bildung eines gefestigten politischen Urteils über das Pro blem „Europa“ beitragen. B. Kiesewetter.
f
VORAUSSETZUNGEN UND GRÖSSENORDNUNGEN DER KONTINENTALEUROPÄISCHEN GROSSRAUM. WIRTSCHAFT ’’
. Von' ' : ’• Dr. A n t o n R e i t h i n g e r
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Über die Voraussetzungen und Größenordnungen der kontinentaleuropäischen Großraumwirtschaft zu sprechen, ist in diesem Augenblick aus zweierlei Gründen schwierig. Einmal, weil die politischen Grundlagen für die wirtschaft liche Neuordnung des europäischen Kontinents noch nicht festliegen , oder, genauer ausgedrückt, uns noch nicht bekannt sind; und zweitens, weil dieser Krieg nicht nur ein militärischer Waffengang zwischen zwei Völkern oder Völkergruppen, sondern eine revolutionäre Entscheidung . zwischen zwei Weltanschauungen und Lebensformen ist und daher auch die wirtschaftlichen Größenordnungen und Werte der Zukunft mit anderen Maßstäben zu messen sein werden als die uns bekannten Größenordnungen und Werte der Vergangenheit. Ich glaube, wir können unterstellen, daß, gleichgültig, wann und wie die militärischen Entschei dungen dieses Krieges letzten Endes fallen werden, eine Rückkehr zu den früheren Formen des Wirtschaftslebens und der wirtschaftlichen Beziehungen innerhalb des euro päischen Kontinents ausgeschlossen ist, und daß die bereits im Gang befindliche Neuordnung alle Bereiche des politi schen, wirtschaftlichen, sozialen und geistigen Lebens in Europa erfassen und weitgehend umgestalten wird, V
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Dr. Anton Reithinger i *», * Wir werden also einerseits den Mut zu etwas Phantasie und neuen Ideen aufbringen müssen, die nicht nur ängst lich an den bekannten Vorgängen und Formen der Ver gangenheit kleben bleiben, andererseits aber dürfen wir dabei den festen Boden der Tatsachen nicht unter den Füßen verlieren, wenn wir uns nicht in unfruchtbare Spekulationen verirren wollen. Dieser feste Boden der Tatsachen, von dem ich eben sprach, bietet zunächst zwei sichere und tragfähige , Ausgangspunkte für unsere weiteren Über legungen: 1. Eine g e o g r a p h i s c h e , nämlich den kontinental europäischen Raum mit seinen verschiedenen Nationen und Staaten ihrer völkischen und sozialen Struktur und ihren wirtschaftlichen Beziehungen innerhalb und außerhalb Europas — den kontinentaleuropäischen Raum, der gegen die übrigen Großräume der Erde klar abgegrenzt ist, ohne * Großbritannien, das durch seinen politischen und wirtschaft lichen Zusammenhang mit dem überseeischen Empire und durch seine traditionelle Politik gegen das europäische Festland als eine außereuropäische Macht betrachtet werden muß, deren Mutterinsel nur zufällig an der Peri pherie unseres Kontinents liegt. 2. Die zweite Tatsache ist eine p o l i t i s c h - m i l i t ä r i s c h e , nämlich die quer durch Europa verlaufende deutsch-italienische Achse, die seit dem Siege im Westen den Kontinent beherrscht und damit die Voraussetzungen für den Durchbruch der neuen Ordnungsideen geschaffen hat. Die Ähnlichkeit der biologischen Voraussetzungen — rasches Bevölkerungswachstum auf zu engem Lebensraum ohne zu reichende natürliche Rohstoffbasis — und der Gleichklang der daraus entsprungenen sozialen Revolutionen des nationalsozialistischen und faschistischen Geistes und ein Blick auf die Karte macht die ungeheure geopolitische
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Voraussetzungen und Größenordnungen
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Bedeutung der Achse als Instrument der Neuordnung unseres Kontinents sofort klar. Die Nord-Süd-Achse zer legt mit einem Block von 150 Mill. Menschen das euro päische Festland praktisch in zwei Teile, einen westlichen und einen östlichen, die mit je 60—80 Millionen Menschen politisch wie wirtschaftlich durch die Achse sowohl ge trennt wie zusammengehalten werden. Ich habe vorher von dem Durchbruch der neuen Ordnungsideen gesprochen und damit das Bild einer angestauten Flutwelle gebraucht, die durch ihre Naturkraft den entgegenstehenden Damm von künstlichen Wider ständen bricht; und in der Tat ist seit unserem Sieg im Westen geradezu eine Sturzflut von Schriften und Artikeln zum Thema der europäischen Neuordnung über uns herein gebrochen. Alle Welt spricht davon, aber die exakte Kennt nis der tatsächlichen Voraussetzungen und Größenord nungen, das innere Bewußtsein um das letzte Ziel dieser Neuordnung und das Verständnis für ihre möglichen Formen und Methoden ist noch recht spärlich verbreitet. ‘ Sie haben in dieser Vortragsreihe eine Anzahl von Fach leuten gehört, die Sie mit den verschiedensten Einzel problemen einer künftigen kontinentaleuropaxschen Groß raumwirtschaft bekanntgemacht haben, und ich werde ver suchen, diese Vortragsreihe zu beschließen, indem ich Ihnen den allgemeinen Rahmen dazu mit einer Darstellung . ihrer grundlegenden Voraussetzungen und Größenord nungen vermittle und dabei auch einige Bemerkungen über das Ziel und die möglichen Formen dieser Neuordnung einflechte. Das Problem der europäischen Neuordnung ist nicht erst heute akut geworden, sondern durch die Entwicklung des 19. Jahrhunderts bereits lange vorbereitet. Die verbesserten hygienischen Voraussetzungen, die wirtschaftliche Intensi-
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Dr. Anton Reithinger
vierung und die gewaltige Vermehrung der europäischen Bevölkerung während des letzten Jahrhunderts haben be sonders in Zentraleuropa zur Bildung riesiger industrieller Massen geführt, vor allem zu städtischen Massensiedlungen mit ganz neuen Führungs- und Organisationsproblemen, wie sie das ländliche Dorf oder die kleine und mittlere . Stadt, in der sich noch das Leben unserer Eltern und Groß- . eitern abspielte, überhaupt noch nicht kannten. Auch die •. völlig veränderten technischen und verkehrsmäßigen Vor- • aussetzungen unseres Zeitalters verlangen eine Neuordnung • der Inneren und äußeren Beziehungen der europäischen .Völker untereinander und besonders; der Formen 'ihres'.' politischen Zusammenlebens und ihrer wirtschaftlichen und sozialen Gemeinschaftsarbeit, wenn nicht unser Erdteil zur völligen Bedeutungslosigkeit gegenüber der Entwick lung anderer Großräume,, vor allem Amerikas, herabsinken soll. v ;• ■.
Der europäische Kontinent ohne Rußland ist im letzten Jahrhundert von 150 auf über 25QMill, Menschen angewachsen und wird bis zur Mitte unseres Jahrhunderts eine Gesamtbevölkerung von rd. 350 Millionen erreicht haben — eine Entwicklung, die schon rein quantitativ gewaltige Probleme . der Ernährung und Beschäftigung für diesen Menschenzuwachs mit sich bringt. Das Problem ist jedoch nicht nur I ein quantitatives, sondern vor allem ein qualitatives und organisatorisches. Die zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch rein ländliche und bäuerische Struktur des europäischen Festlandes hat einen grundlegenden Wandel durchgemacht, in dem besonders die zentraleuropäische Mitte zu neuen Formen des großstädtischen Zusammenlebens und der indu- : striellen Tätigkeit mit ihren ganz anderen hygienischen, sozialen und kulturellen Voraussetzungen übergegangen ist. Von diesen einschneidenden Umwälzungen hat zwar der Westen Europas im Verlaufe der beiden letzten Genera- - '
Voraussetzungen und Größenordnungen
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tionen nicht mehr sehr viel verspürt, weil er bereits weit, gehend sein wirtschaftliches Gleichgewicht, gefunden hatte, - über große koloniale Ausgleichsräume verfügte und biologisch stagnierte. Um so mehr aber wurden die mittel-,' süd- und osteuropäischen Völker davon betroffen, die auf einem für ihr hohes Bevölkerungswachstum zu engem Lebensraum zusammengedrängt sind und keine zusätz lichen kolonialen Siedlungs- oder Rohstoffgebiete zur Ver fügung haben. H i e r s t o ß e n w i r z u m e r s t e n m a l auf das P r o b l e m des i n n e r e n W i r t s c h a f t s a u s g l e i c h e s in K o n t i n e n t a l e u r o p a . N i c h t weniger, w i c h t i g ist d e r A u s g l e i c h de r ' i außenwirtschaftlichen Beziehungen zwi schen K o n t i n e n t a l e u r o p a und den ü b e r seeischen Großräumen. In- den voran. 'X gegangenen Vorträgen wurde bereits geschildert, daß X„ die kapitalistische Weltwirtschaft schließlich zu einer J X weitgehenden Trennung zwischen Rohstoffproduktions und Rohstoffverbrauchsgebieten der Erde geführt hat, deren wirtschaftliche Gefahren nur durch eine verständige Zusammenarbeit aller Völker hätten überwunden werden können. Statt dessen haben die Westmächte, an ihrer Spitze England, diese Situation als Mittel der Politik bewußt aus genutzt und im Weltkrieg und den Völkerbundssanktionen r gegen Italien politisch und militärisch mißbraucht .und X damit den Gedanken der arbeitsteiligen Weltwirtschaft für alle Zeiten diskreditiert. ; Die militärischen Erfolge Großdeutschlands haben nun mehr, die Voraussetzungen für den Durchbruch einer ' völlig neuen Entwicklung in den inneren wie den äußeren Beziehungen des kontinentaleuropäischeh Großraumes ge schaffen, Ich glaube, Sie werden mit mir einig sein, wenn ich mich zu der Auffassung bekenne, daß diese Neuordnung auf die Dauer nicht mit Gewalt, sondern nur durch die
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Dr. Anton Reithinger
Überzeugungskraft neuer Ideen erreicht werden kann. Die militärische Macht ist die n o t w e n d i g e V o r a u s s e t z u n g u n d d e r ä u ß e r e G a r a n t für eine imgestörte friedliche Weiterentwicklung, die E n t wi c kl ung s e l b s t muß a b e r von i n n e n h e r a u s dur ch die l e b e n d i g e K r a f t d e r ,g e i s t i g e n Idee vorwärts getrieben und e ndgültig g e s i c h e r t w e r d e n . Ich persönlich bin überzeugt davon, daß diese Neuordnung dauerhaft nur auf der Grund lage aufgebaut werden kann, die sich im letzten Jahrhun-. dert als die stärkste geschichtsbildende Kraft erwiesen hat, nämlich der v ö l k i s c h e n E n t f a l t u n g a n s t e l l e kapitalsm äßiger Bindungen und f i n a n z i e l l e r A b h ä n g i g k e i t e n . Sie könnte mit dem Ziel aufgebaut werden, das dem Grundgefühl unseres Jahr hunderts entspricht, nämlich der Ü b e r t r a g u n g d e s sozi al en G e d a n k e n s aus dem i nternen. Leben auf das Z u s a m m e n l e b e n de r Völker. Dabei ist ein Ziel von vornherein klar: Großdeutschland innerhalb seiner neuen Grenzen, dem nach dem Sieg seiner Waffen zusammen mit seinem Achsenpartner die macht politische, wirtschaftliche und kulturelle Führung innerhalb des europäischen Raumes zukommt, muß in militärischer, wehrwirtschaftlicher und moralischer Hinsicht so stark sein und erhalten bleiben, daß jeder Versuch einer Änderung dieses Zustandes durch inner- oder außereuropäische Kräfte von vornherein aussichtslos ist. Aber wir sind verpflichtet, nicht nur großdeutsch, son dern auch europäisch im besten Sinne des Wortes zu denken, und da scheint es mir, daß wir als Europäer danach streben sollten, daß Europa und seine geschichtlich als völkische Einheiten geformten Nationen auf der Grundlage der Erkenntnisse und Fortschritte unserer Zeit als eine.
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politische, wirtschaftliche und kulturelle Lebensgemein schaft gegenüber den übrigen Erdteilen und Großräumen fortentwickelt werden sollten. Dabei müssen die im Laufe vieler Jahrhunderte herausgebildeten Gemeinsamkeiten und gemeinsamen Interessen gefördert werden, ohne daß die Vielseitigkeit der wirtschaftlichen und kulturellen Ent faltung vernichtet wird. Großbritannien ist gegenüber dieser Lebensgemeinschaft der kontinentaleuropäischen Völker eine t a u m f r e m d e M a c h t , deren politischer und geistiger Einfluß auf unseren Erdteil auf die üblichen Beziehungen zu •raumfremden Mächten beschränkt werden muß. In wirtschaftlicher Beziehung stellt sich das Problem unter möglichster Schonung der Gesichtspunkte der frei zügigen nationalen und kulturellen Entwicklung der einzel nen europäischen Völker ihre w i r t s c h a f t l i c h e n K r ä f t e in e i nem u n s e r e n h e u t i g e n t ech-. nischen und v e r k e h r s m ä ß i g e n V o r a u s s e t z u n g e n a n g e p a ß t e n G r o ß r a u m so zu o r g a n i s i e r e n , daß die h ö c h s t e w i r t s c h a f t liche und sozi al e W o h l f a h r t der G e s a m t ' Völ ker u n d n i c h t n u r e i n z e l n e r S c h i c h t e n e r r e i c h t w i r d . Dabei sollte die Neuordnung den lebendigen und sozialen Kräften der einzelnen Völker freien Raum lassen, sie aber davor bewahren, in einer unnatürlichen Zersplitterung aller einzelnen Partner zu erstarren, wie dies nach dem Weltkrieg der Fall war. Daß es in Zukunft nicht mehr möglich sein darf, daß Konti nentaleuropa ein riesiger Verbrauchsmarkt für Nahrungs mittel und Rohstoffe ist, dessen lebenswichtigste Bezugs quellen in Übersee liegen, und jeder militärische oder politische Gegner in der Lage ist, diese Verbindungswege durch eine Blockade abzuschneiden, ist selbstverständlich. Deutschland und Italien werden daher ihre bisherigen
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Autarkiebestrebungen in lebensnotwendigen Nahrungs- und Rohstoffen auf den ganzen kontinentaleuropäischen Raum erweitern müssen. Dabei wäre es schon mit Rücksicht auf die psychologischen Voraussetzungen einer europäischen Gemeinschaftsarbeit höchst erwünscht, daß die einzelnen europäischen Völker nicht widerstrebend in einen groß deutsch - europäischen Wirtschaftsblock hineingezwungen werden, sondern daß sie in Erkenntnis der wirtschaftlichen und kulturellen Vorteile aus eigener Einsicht den Anreiz finden, an einer von der zentraleuropäischen Mitte aus ge steuerten kontinentaleuropäischen Wirtschaftsgemeinschaft teilzunehmen. Die Lösung einer derartigen Aufgabe stellt an die Wirtschaft Anforderungen von ganz großem Aus maß und hoher Verantwortlichkeit, und unser aller Leben . wird damit ausgefüllt sein. Sie werden mir kaum widersprechen, wenn ich die Über zeugung ausdrücke, daß die Lösung dieser Aufgabe nur auf dem Weg einer planvollen Einordnung aller Kräfte erreicht . werden kann und somit die I d e e d e r P l a n u n g a l s O r d n u n g s p r i n z i p d e r i n n e r e n . wi e d e r ä u ß e r e n W i r t s c h a f t s b e z i e h u n g e n gegenüber^ der liberalistischen Idee der vollen Freizügigkeit eine selbstverständliche Voraussetzung ist. Die Bejahung der Planung als Ordnungsprinzip der inneren wie der zwischen staatlichen Wirtschaftsbeziehungen stellt die Frage nach den Voraussetzungen und Aufgaben der zwischenstaatlichen Wirtschaftsplanung in großen Wirtschaftsräumen, in diesem Fall in unserem kontinentaleuropäischen Großwirtschafts raum.'” „
Wenn Sie mir, meine Damen und Herren, bisher in meinen Ausführungen über die Grundlagen und Voraussetzungen. der Neuordnung im kontinentaleuropäischen Großraum ge folgt sind, dann müssen wir uns nunmehr mit, den Faktoren •
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und Größen beschäftigen, mit denen jede künftige Form der Großraumwirtschaft auf dem europäischen Kontinent zu rechnen hat, Ich muß mich dabei auf die Besprechung der primitivsten Grundtatsachen beschränken, sonst würde mein Vortragsthema eine uferlose Ausweitung erfahren, Bleiben wir zunächst bei den Größenordnungen innerhalb des kontinentalen Wirtschaftsraumes: Sie wissen, daß Kontinentaleuropa mit seinen 4% Mill. qkm und rd. 325 Mill, Menschen wesentlich kleiner ist als die übrigen Großräume der Erde wie Nord- oder Süd amerika oder der ostasiatische Raum, hinsichtlich seiner Bevölkerungszahl und -dichte aber die meisten dieser Großräume beträchtlich übertrifft. Mit 70 Menschen je qkm hat unser Erdteil ganz andere Siedlungs- und Produktions probleme zu lösen als etwa Nordamerika mit noch nicht . 10 Menschen je qkm. Noch stärker aber wird das Problem des kontinentaleuropäischen Großwirtschaftsraumes' be stimmt durch die große Verschiedenheit seiner einzelnen Teilräume, aus denen er zusammengesetzt ist, Kontinental europa gliedert sich, im großen gesehen, in fünf geographisch zusammengehörige Teilräume ähnlicher politischer and wirtschaftlicher Struktur: , 1, die zentraleuropäische Mitte (im wesentlichen das Groß deutsche Reich) mit zurzeit 880 000 qkm und 112. Mill, Einwohnern; 2, Westeuropa (Frankreich, Belgien, Holland, Schweiz) mit 640 000 qkm und rd. 60 Mill, Eirwohnem; 3, Südosteuropa (Ungarn, Jugosl? wien, Bulgarien, Rumä- nien) mit insgesamt 760 000 qkm und 50 Mill, Einwohnern; 4, Südeuropa (Italien, Spanien, Portugal, Griechenland) mit 1 Mill, qkm und rd. 85 Mill. Einwohnern; - ^ 5, Nordeuropa (Dänemark, Norwegen, Schweden, Finnland) mit 1,2 Mill. qkm und 17 Mill. Einwohnern. ■
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Dr. Anton Reithinger
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Diese fünf Teilräume haben eine völlig verschiedene biologische und wirtschaftliche Grundstruktur und sind auch in ihrer bisherigen Außenwirtschaftsverflechtung innerhalb des Festlandes und mit den außereuropäischen Großmächten weitgehend voneinander verschieden. Die z e n t r a l e u r o p ä i s c h e M i t t e ist germanisches Siedlungsgebiet mit dichter Bevölkerung auf engem Raum, in dem der Ver dichtungsdruck zu einer weitgehenden Verstädterung und Industrialisierung geführt hat. Hier sind bereits mehr als 2/s der Bevölkerung in nicht landwirtschaftlichen Berufen tätig, während das übrige Europa von der Mitte nach der Peripherie hin immer mehr in den rein agrarischen Typus übergeht. W e s t e u r o p a , in seinem französischen Kern stück romanisches Siedlungsgebiet mit überalteter und abnehmender Bevölkerung auf großem Raum, überwiegend agrarisch und ohne innere Entwicklungsimpulse ist es der Prototyp der demokratisch-kapitalistischen Vergangenheit. Dagegen ist S ü d o s t e u r o p ä überwiegend Siedlungs- gebiet slawischer Völker mit höchstem Geburtenzuwachs auf engem Raum und infolge der bisherigen weltwirtschaft lichen Voraussetzungen in seiner Grundstruktur über einen hochübervölkerten Agrarstatus nicht hinausgekommen. Die chronische Übervölkerung wirkt sich hier als anhaltend starker Druck zur wirtschaftlichen Intensivierung aus, der unter veränderten großräumigen Bedingungen heftig zum Durchbruch kommen wird. Ähnliches gilt für S ü d e u r o p a , während N o r d e u r o p a mehr dem west europäischen Typus entspricht. Ich will Sie nicht mit zu vielen statistischen Ziffern lang weilen, aber einige muß ich doch anführen, damit Sie einen Begriff von dieser Verschiedenheit bekommen. In unserem Großwirtschaftsraum steigen Geburtenrate und Bevölke rungsverdichtung von West nach Ost und von Nord nach Säd stark an, während Lebensstandard und Einkommens-
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höhe in der gleichen Richtung rapid absinken. Im äußersten Westen haben wir einen Sterbeüberschuß von 0,5—1 %o, im äußersten Süden und Osten dagegen eine Zunahme von 15 . bis 20 auf Tsd. der Bevölkerung, Die landwirtschaftliche Bevölkerungsdichte, d. h. die Zahl der Landbevölkerung .je qkm landwirtschaftlicher Nutzfläche, beträgt im Westen und Norden 40—50 und steigt im Süden und Osten mit 80—100 auf etwa das Doppelte. Wenn Sie überlegen, daß die Flächenerträge m Osten wegen der geringeren Intensi vierung und Kapitalausstattung der Landwirtschaft nur etwa die Hälfte der Flächenerträge in Mittel- und West europa erreichen und außerdem noch die Preise wesentlich unter unseren Agrarpreisen liegen, dann können Sie bereits den Schluß ziehen, daß die durchschnittliche Einkommens. höhe und Lebenshaltung eines südosteuropäischen Bauern vielleicht ein Achtel bis ein Zwölftel der Kaufkraft eines mittel- oder westeuropäischen Bauern beträgt. Entsprechend ist auch das Gefälle der Arbeiterlöhne und in abgeschwäch terem Ausmaß der festen Gehälter und Einkommen. Damit haben Sie bereits eine Vorstellung von den enormen Unterschieden in den einzelnen Teilräumen unseres europä ischen Großwirtschaftsraumes. Ich möchte sie noch durch einige Angaben über den Verbrauchsstandard ergänzen, damit Sie auch einen Begriff von der Differenzierung der Konsumgewohnheiten bekommen. Während die Grundlage der Ernährung, nämlich der Verbrauch an Brot und Mehl, im großen und ganzen ziemlich einheitlich ist, zeigt der Ver brauch an höherwertigen Nahrungsmitteln in der West-Ostund Nord-Süd-Richtung einen gewaltigen Abfall. Der jähr liche Fleischverbrauch pro Kopf beträgt in West- und Nord europa 35—40 kg und sinkt in Süd- und Südosteuropa bis auf etwa 15 kg pro Kopf und Jahr ab; ebenso erreicht der Fettverbrauch pro Kopf im Osten und Süden nur etwa die Hälfte, des Verbrauchs im Norden und Westen, und . der 2»
, ,20
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: P o Anton Reithinger
Zuckerkonsum beträgt mit 6—8 kg sogar nur ein Viertel bis ein Sechstel des Pro-Kopf-Verbrauchs, der im Westen 26 und im Norden sogar 40 kg erreicht. Der Verbrauch an Textilien beträgt im'Süden und Osten die Hälfte bis ein Drittel des Verbrauchs im Westen und Norden und der Verbrauch an Industrieprodukten nurmehr ein Fünftel bis. ein Zwanzigstel des mitteleuropäischen Verbrauchs. Sie sehen schon, welche Bedeutung die Kenntnis dieser Unter schiede für alle Überlegungen einer wirtschaftlichen An gleichung innerhalb des kontinentaleuropäischen Großraums hat, und daß aus solchen Grundtatsachen heraus die , gelegentlich diskutierte Frage einer Zoll- und Wirtschafts union der europäischen Länder noch gute Weile hat. Würde beispielsweise der Verbrauchsstandard der süd- und südost europäischen Völker dem Verbrauchsstandard der mittelund westeuropäischen Völker angeglichen werden, dann würden nicht nur die bisherigen Exportüberschüsse Südost europas an Nahrungs- und Futtermitteln fortfallen, sondern in der gesamteuropäischen Ernährungs- .und Rohstoffbilanz ein Defizit auf treten, das überhaupt nicht mehr überbrückt werden könnte. Aber dies nur nebenbei. Umgekehrt würde der Bedarf an Industrieprodukten so groß, daß eine Fertig warenausfuhr nach Übersee nicht mehr nötig wäre; Die ,J ganze Wirtschaftsstruktur Kontinentaleuropas würde damit auf den Kopf gestellt. .'
In der gleichen West-Ost- und Nord-Süd-Richtung,', in .. der Geburtenreichtun und Bevölkerungsdichte zunehmen und Einkommenshöhe, Kaufkraft und Lebensstandard ab nehmen, sinkt auch die Versorgung der Wirtschaft mit Kapital ab. Die westlichen und nördlichen Teilräume Konti- • • nentaleuropas verfügen über mehr Kapital, als sie ver brauchen, die südlichen und östlichen Teilräume über, weniger Kapital, als sie für ihre Entwicklung benötigen. Infolgedessen waren schon bisher die west- und nordeuropä
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ischen Länder Gläubiger, die süd- und osteuropäischen Länder Schuldnergebiete, Sie können als rohen Index dieser Verschiedenheit der Kapitalausstattung den Geldumlauf pro Kopf der Bevölkerung annehmen, der in den letzten Jahren vor dem Krieg in Frankreich 200 RM., in Deutsch land ,110 RM,, in Italien 60 RM, und in Bulgarien noch nicht 20 RM, pro Kopf erreichte. Dementsprechend zeigt von West nach Ost und von Nord nach Süd das Zinsniveau in Europa einen beträchtlichen stufenweisen Anstieg. Der landesübliche Zinsfuß betrug kurz vor Ausbruch des Krieges in West- und Nordeuropa 2%—4 °/o, in Zentraleuropa 4y2 bis 5 °/p und in Südosteuropa 7—11 %, Im Augenblick be trägt der Notenbankdiskont im Westen 2% , in Zentral europa 3% #/o und in Südosteuropa 5—6 %>. Alle groß räumigen Wirtschaftsüberlegungen müssen mit diesen Fakten rechnen, die nur langsam und allmählich umzubilden sind. -• Sie sehen schon aus diesen kurzen Ausführungen, wie vielseitig die Probleme sind, die die Verschiedenartigkeit der einzelnen Teilräume in Europa für eine großräumige' Wirtschaftsplanung mit sich bringt. Sie werden noch be trächtlich dadurch erweitert, daß die i n d u s t r i e l l e n S t a n d o r t e im w e s e n t l i c h e n in Z e n t r a l e u r o p a k o n z e n t r i e r t sind, während^die Gebiete an der Peripherie des Festlandes ganz überwiegend agrarischen Charakter aufweisen. Wir können in Europa zwei große Linien der industriellen Massierung unterscheiden. Die eine in der Nord-Süd-Richtung verlaufende Zone der europä ischen Industrie ist an den mittelalterlichen Handelsstraßen entstanden, die von Oberitalien über die Alpen nach Süd westdeutschland und den rheinischen und flandrischen Städten führten; der zweite in der West-Ost-Riehtung ver laufende Zug erstreckt sich vom Rhein über Mitteldeutsch land bis an den Rand der Karpathen. Von den rd. 125 Mill.
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Dr. Anton Reithinger
gewerblicher und industrieller Bevölkerung in Europa sind mehr als drei Viertel in den hier gekennzeichneten Stand orten konzentriert. Es würde zu weit führen, auf die Gründe dieser Standortentwicklung und ihre möglichen Verschie bungen im Rahmen einer großräumigen Wirtschaftsplanung einzugehen, und ich will Ihnen stattdessen lieber eine Charakteristik der güterwirtschaftlichen Abhängigkeit Kon tinentaleuropas und seiner einzelnen Teilräume kurz um reißen. Die raumwirtschaftliche Verflechtung Kontinentaleuropas, die wir aus dem politischen und wirtschaftlichen System der Vergangenheit übernommen haben, ist den Notwendigkeiten und dem Ziel einer eigenständigen kontinentalen Großraum wirtschaft genau entgegengesetzt. Die politischen und welt wirtschaftlichen Kräfte des Kapitalismus, der von einem außereuropäischen Kraftzentrum aus auf unseren Kontinent einwirkte, haben eine zentrifugale Entwicklung der einzelnen Teilräume unseres Festlandes, d. h. eine nach außen gerichtete Verflechtung, begünstigt. Die vom groß deutschen Wirtschaftsraum ausgehende Neuordnung muß eine zentripetale Entwicklung, also eine verstärkte W irt schaftsverflechtung nach dem natürlichen Schwerpunkt, der europäischen Mitte, hin erstreben. Was das für die gesamte Wirtschaftspolitik im künftigen europäischen Großraum be deutet, werden Sie gleich sehen. Zunächst ist festzuhalten, daß die innereuropäische Wirtschaftsverflechtung seit jeher intensiver gewesen ist als der Geld- und Güterverkehr des europäischen Festlandes mit den übrigen Großräumen der Erde, Vom Gesamthandelsumsatz der kontinentaleuropä ischen Länder von rd. 46 Milliarden RM, entfielen vor dem Krieg rd. 24 Mrd., also über 51 % auf den Handel innerhalb' Kontinentaleuropas. Nur rd, 8 Mrd., das sind 17 %>, entfielen auf den Handel mit Amerika, rd, 4 ^ Mrd., das sind rd. 10 %>, auf Asien/Australien und nur 3,8 Mrd., das sind rd, 8 %>,
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auf den Handel mit Afrika. Kontinentaleuropa war mit diesen Räumen mehr indirekt über die Vermittlung Groß britanniens verbunden, auf das ein Handelsumsatz von rd. 6 Mrd. = 13 % entfiel. Im Gegensatz zu Kontinentaleuropa konzentriert sich der großbritannische Außenhandel zu zwei Drittel auf die über seeischen Räume, während nur etwa ein Drittel auf das europäische Festland entfällt. Innerhalb Kontinentaleuropas hat die weitaus vielseitigste Verteilung der außenwirtschaftlichen Verflechtung der z e n t r a l e u r o p ä i s c h e T e i l r a u m , der infolge dessen auch die größte Unabhängigkeit im Verkehr mit den außereuropäischen Großräumen aufweist. Reichlich die Hälfte seiner Außenhandelsumsätze verteilt sich in guter Streuung auf das Festland, während die andere Hälfte in annähernd gleicher Verteilung auf Übersee entfällt. Die außenwirtschaftliche Verflechtung mit Großbritannien ist am geringsten von allen Teilräumen des Kontinents und wird deshalb von einer Ausschaltung der englischen Insel am wenigsten berührt. Wichtig ist, daß Zentraleuropa im Handel mit dem euro päischen Festland stark aktiv, dagegen mit allen übrigen Großräumen der Erde passiv ist. Die Zahlungseingänge aus dem Aktivverkehr mit dem europäischen Festlands haben also bisher die Zahlungsausgänge im Passivverkehr mit den überseeischen Großräumen finanziert. Es liegt somit ein Interesse des zentraleuropäischen Raumes vor, . daß diese gesamteuropäische Grundlage seines Zahlungs bilanzgleichgewichts auch im Rahmen der Neuordnung erhalten bzw. solange nicht gefährdet wird, bis dieses Gleichgewicht auf andere Weise gesichert ist. Die Außenwirtschaftsstruktur des . s ü d o s t e u r o p ä i s c h e n T e i l r a u m e s ist völlig auf Europa und hier i
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wiederum in der Hauptsache ‘auf Mitteleuropa eingestellt. Außer dem europäischen'Festland, mit dem vier Fünftel der Handelsumsätze abgewickelt werden, kommen Handels partner von einiger Bedeutung nicht mehr in Betracht, Vor allem mit der Sowjet-Union finden kaum nennenswerte Um sätze statt (1 %), was von der wirtschaftlichen Seite her die völlige Beziehungslosigkeit der Sowjet-Union zu Südösteuropa zeigt. Der Einbau des südosteuropäischen Raumes in ' eine neue, von Zentraleuropa her gesteuerte Großraumwirt schalt ist deshalb materiell und psychologisch weitaus am leichtesten, weil er den Interessen dieser Länder absolut parallel läuft, In ' einem g r u n d s ä t z l i c h a n d e r e n a u ß e n wirtschaftlichen Beziehungssystemsteht d e r n o r d e u r o p ä i s c h e T e i l r a u m , der bisher auf Großbritannien und in der Verlängerung nach Westen auf Amerika eingestellt war. Die Hälfte der Handelsumsätze Nordeuropas konzentrierte sich bisher auf diese beiden Räume, und aus dem Handel mit Großbritannien zog Nord europa auch die Aktivsalden für die Deckung seiner Passiv überschüsse im Handel mit dem europäischen Festland, Die Herauslösung Nordeuropas aus der bisherigen Verflechtung" mit England und Ubersee und der Einbau in eine neue,^. nach Zentraleuropa ausgerichtete Wirtschaftsordnung wird - daher zwangsläufig für diesen Teilraum grundlegende Strukturveränderungen und eine Zeit krisenhafter .Um stellungsschwierigkeiten mit sich bringen. Eine noch s c h w i e r i g e r e S i t u a t i o n l i e g t für den w e s t e u r o p ä i s c h e n T e i l r a u m vor, dessen außenwirtschaftliche Verflechtung etwa zur H älfte. innerhalb Europas abgewickelt wird, während die andere Hälfte auf die überseeischen Großräume entfällt. Die außen wirtschaftlichen Verflechtungen Westeuropas waren mit sämtlichen Großräumen der Erde bisher passiv, und der bei
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der Neuordnung unvermeidliche Verlust eines Teils der Auslandskapitalien, mit deren Zinsen diese Passivität finanziert wurde, bedeutet für den westeuropäischen Teil raum den Entzug der wichtigsten Grundlagen seines bis herigen Wirtschaftssystems und der daran interessierten Schichten. Die auf England und den Westen eingestellte Mentalität des westlichen und auch des nördlichen Teil raumes Kontinentaleuropas ist also nicht nur eine kulturelle und weltanschauliche, sondern findet ihre stärkste Wurzel in den materiellen Existenzbedingungen dieser beiden feil räume. Eine Umstellung der Mentalität Im Sinne einer aktiven Teilnahme an einer kontinentaleuropäischen groß räumigen Zusammenarbeit ist daher nur zu erwarten, wenn die Umschaltung der Wirtschaftsverflechtung von der zentrifugalen in die zentripetale Richtung diesen Teil räumen auch einen wirtschaftlichen Ersatz für die Verluste aus der Aufgabe ihrer bisherigen Verflechtung mit England und Übersee bieten kann. f ; - S ü d e u r o p a schließlich zeigt in der Verteilung seiner außenwirtschaftlichen Verflechtung eine ähnliche Struktur wie Zentraleuropa, jedoch mit einer wesentlich stärkeren Ausrichtung nach dem Mittelmeerraum und nach Afrika hin,. Nach dieser kurzen Charakteristik der bisherigen außen wirtschaftlichen Verflechtung des kontinentaleuropäischen Großwirtschaftsraumes und seiner einzelnen Teilräume muß ich mit ein paar Worten noch auf ihre produktions- und güterwirtschaftliche Abhängigkeit eingehen. In der Außenwirtschaft des europäischen Festlandes spielt der Bedarf an industriellen Rohstoffen und der Ab satz von Fertigwaren dis weitaus wichtigste Rolle, während der Austausch von Nahrungs- und Genußmitteln dagegen stark zurücktritt. Von der Nettoeinfuhr Kontinentaleuropas entfielen vor dem Krieg rund 6% Mrd. RM. auf Rohstoffe und nur 1,3 Mrd. RM. auf Nahrungs- und Genußmittel,
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während bei den Fertigwaren ein Ausfuhrüberschuß von 4,2 Mrd. RM. vorhanden war. Die Nahrungsmittelver sorgung wird also bei der Neuordnung des kontinental europäischen Großraumes in der Hauptsache eine An gelegenheit der innereuropäischen Wirtschaftspolitik und der snnereuropäischen Produktion sein, während die Ver sorgung mit industriellen Rohstoffen und der Absatz von Fertigwaren bis auf weiteres auch künftig eine starke wirt schaftliche Verflechtung des europäischen Kontinents mit den übrigen Großräumen der Erde voraussetzen. Innerhalb des kontinentalen Großraumes ergeben sich hach ihrer bisherigen Produktions- und Verbrauchsstruktur folgende Gruppierungen der einzelnen Teilräume: Z e n t r a l e u r o p a ist ein dicht bevölkerter, hoch industrialisierter Zuschußraum an Rohstoffen und ab geschwächt auch an Lebensmitteln und ein Überschußraum an Fertigwaren, der finanziell seine Einfuhr an Rohstoffen und Nahrungsmitteln in Höhe von 4^2 Mrd, RM, durch die Ausfuhr von Fertigwaren in Höhe von fast 5 Mrd, RM, mehr als gedeckt hat. Er ist also, zahlungsbilanzmäßig be trachtet, ein aktiver Raum, der mehr produziert, als er verbraucht, S ü d o s t e u r o p a ist Überschußraum an Lebensmitteln und Rohstoffen und Zuschußraum an Fertigwaren, wobei die Ausfuhr an Nahrungsmitteln und Rohstoffen in Höhe von rd. 1 Mrd. RM- noch beträchtlich größer ist als die Einfuhr von Fertigwaren mit rd, 3A Mrd. RM, Auch'Süd osteuropa ist also ein aktiver Teilraum, der mehr erzeugt, als er konsumiert. W e s t e u r o p a dagegen ist Zuschußraum an Rohstoffen und Nahrungsmitteln in Höhe von fast 4 Mrd. RM-, deren Passivsaldo durch den geringen Ausfuhrüberschuß an Fertigwaren in Höhe von rd, 800 Mül, RM, nicht entfernt
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gedeckt wird. Hier haben wir also einen hochpassiven Teilraum vor uns, der bisher wesentlich mehr verbraucht hat, als er produziert, d. h. also aus seinem Kapital als Rentner gelebt hat. N o r d e u r o p a hat einen Überschuß von rd. 400 Mill. i RM. in Rohstoffen und Nahrungsmitteln, aber einen doppelt . so großen Einfuhrbedarf an Fertigwaren (840 Mill. RM.), so daß zahlungsbilanzmäßig ein kleiner Passivsaldo besteht, der bisher durch Dienstleistungen, Schiffahrt, Zinsen usw. gedeckt wurde. S ü d e u r o p a schließlich hat einen Einfuhrüberschuß an Rohstoffen in Höhe von 1,1 Mrd. RM,, dem ein geringer Ausfuhrüberschuß in Nahrungsmitteln und Fertigwaren in Höhe von rd. 300 Mill. RM. gegenübersteht, so daß auch hier ein Passivsaldo von rd. 800 Mill. RM. verbleibt, der bisher durch Kapitalaufnahme gedeckt werden mußte. ' Diese wenigen Zahlen, die ich Ihnen hier vorführte, zeigen einige Grundtatsachen der Struktur des kontinentaleuropä ischen Großwirtschaftsraumes, die für alle Überlegungen , über eine engere wirtschaftliche Zusammenarbeit von grundlegender Bedeutung sind. Der gesamte z e n t r a l - u n d w e s t e u r o p ä i s c h e R a u m ist Zuschußgebiet für Rohstoffe und Nahrungsmittel und Überschußgebiet für Fertigwaren. Während aber die z e n t r a l e u r o p ä i s c h e M i t t e in ihrer Zahlungs bilanz völlig ausgeglichen ist, weist der w e s t e u r o p ä i s c h e T e i l r a u m übermäßig hohe, durch die Fertig warenausfuhr nicht entfernt gedeckte Einfuhrdefizite in Nahrungsmitteln und Rohstoffen auf, die bislang durch die Zahlungseingänge aus den Kapitalanlagen im Ausland, be sonders aus den Kolonialreichen, gedeckt waren. Die Kriegsentscheidung, die zum Verlust mindestens eines Teils dieser Auslandsanlagen führen muß, wird unvermeid-
• 28 . Dr. Anton Reithinger / ' ' bar zu einer weiteren Passivierung der Zahlungsbilanz des westlichen Teilraumes führen, die nur durch eine starke Senkung des Lebensstandards und unter krisenhaften Um stellungserscheinungen allmählich ausgeglichen werden kann. Dazu kommt, daß mit der Änderung der gesamtwirt schaftlichen Voraussetzungen auch der Kapitalbegriff noch wesentlichen Verschiebungen unterliegen wird. Der Kapi talreichtum einer Volkswirtschaft kann in einer hohen inneren Produktionskraft liegen, wie beispielsweise bei Deutschland, oder auch in dem Besitz von Gold- und Aus landsschul dtiteln, wie dies bei den westeuropäischen Völ, kern besonders ausgeprägt ist. Der Besitz von Gold und Auslandstiteln ist heute reich lich fragwürdig geworden, und aller Wahrscheinlichkeit, nach wird Deutschland im künftigen kontinentaleuropäischen Großwirtschaftsraum auf Grund seiner hohen Pro. duktionskraft das kapitalreichste Gläubigerland sein, wah rend es noch vor einigen Jahren als kapitalarmes Schuld%nerland galt. Der n o r d e u r o p ä i s c h e T e i l r a u m - weist in Nahrungsmitteln und Rohstoffen zahlungsbilanzmäßig einen kleinen Überschuß auf, hatte aber in Fertigwaren bisher einen beträchtlichen Zuschußbedarf. Einem organi satorischen Einbau in den europäischen Großwirtschafts raum stehen deshalb weniger Schwierigkeiten entgegen als dem des westeuropäischen Teilraume§, weil die Passiv. posten nicht übermäßig groß, zum Teil sogar durch Zins leistungen an das Ausland bedingt sind und durch sehr-" beträchtliche Aktivposten im Dienstleistungsverkehr reich lich gedeckt werden können. Der s ü d o s t e u r o p ä i s c h e T e i l r a u m ist Zu- ' schußgebiet in Fertigwaren und Überschußgebiet in. Nah rungsmitteln und Rohstoffen und auf Grund seiner Produk tions- und Verbrauchsstruktur in seiner Gesamtbilanz aktiv. „
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Er wird aus diesem Grunde in der wirtschaftlichen Zu sammenarbeit mit dem zentraleuropäischen Raum die weit aus größere Affinität erweisen als das kulturell an sich näherstehende West- und Nordeuropa und in einer engeren Verbindung mit Zentraleuropa auch eine Steigerung der Lebenshaltung seiner Bevölkerung erwarten dürfen. Dabei ist allerdings von größter Wichtigkeit, daß die Steigerung der Produktion der Zunahme des Verbrauchs vorangeht — d. h. daß bei den kommenden Kapitalinvestitionen seitens der deutschen Wirtschaft streng darauf geachtet wird, daß sie produktions- und nicht verbrauchswirtschaftlichen Charakter haben. (Also Investitionen in Landwirtschaft und Industrie, keine Staatsanleihen usw.) Sonst wird die Wirtschaft dort völlig auf den Kopf gestellt und die Rück wirkungen auf den gesamten Großwirtschaftsraum wären unabsehbar. , Der s ü d e u r o p ä i s c h e T e i l r a u m ist Zuschuß gebiet in Rohstoffen und im großen und ganzen Selbst versorger in Nahrungsmitteln und Fertigwaren. Er wird im Zusammenhang mit der Neuordnung im Mittelmeerraum und den Anliegergebieten Nordafrikas und des Vorderen • Orients seine eigenen Wirtschaftsprobleme zu lösen haben. Auf diese Probleme möchte ich jedoch hier nicht weiter eingehen, zumal dadurch das umfassende Problem 'der deutsch-italienischen Zusammenarbeit bei der wirtschaft lichen Neuordnung Europas angeschnitten würde. Diese hier skizzierten Verschiedenheiten in der Außen wirtschaftsstruktur der einzelnen Teilräume treten bei einer Berücksichtigung nicht nur der produktions- und ver brauchswirtschaftlichen, sondern der gesamten Zahlungs bilanzstruktur noch schärfer hervor. Außer Mittel- und Südosteuropa ist kein.Teüraum unseres Kontinents wirt schaftlich im Gleichgewicht. Der Westen und Norden waren bisher so einseitig auf die zahlungsbilanzmäßige
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Ergänzung mit England und Übersee eingestellt, daß sie heute kaum lebensfähig sind, wenn sie nicht einen ent sprechenden Ersatz auf dem europäischen Kontinent finden. Auch der Süden zeigt im abgeschwächten Maße noch eine gewisse Ergänzungsbedürftigkeit, deren Lösung jedoch in einer Ausweitung der wirtschaftlichen Einzugsgebiete in Afrika und im Vorderen Orient gefunden werden kann. D ie M i t t e E u r o p a s i s t a l s o n i c h t n u r geographisch und politisch, so n d e r n auch wirtschaftlich der n a tü r lic h e S c h w e r p u n k t K o n t i n e n t a l e u r o p a s . Ganz abgesehen davon, daß hier das industrielle Herz des Kontinents liegt, befinden sich sowohl güter- wie leistungsmäßig Produk tion und Verbrauch in einem stabilen Gleichgewicht, das diesen Raum zum idealen Mittler bei der notwendigen Neu ausrichtung der übrigen Teilräume werden läßt. Besonders günstig liegen dabei zunächst die Aussichten einer Zu sammenarbeit Mitteleuropas mit dem südosteuropäischen Teilraum, dessen Produktions- und Verbrauchsgrundlagen schon bisher weitgehend auf die Wirtschaftsstruktur der zentraleuropäischen Mitte eingestellt waren. Diese Zusammenfassung meines Überblicks über die Voraus setzungen und Größenordnungen des kontinentaleuropä ischen Großwirtschaftsraumes und seiner einzelnen Teil räume zeigt also, daß e i n e t r a g f ä h i g e G r u n d l age für die w i r t s c h a f t l i c h e N e u o r d n u n g in E u r o p a z u n ä c h s t h a u p t s ä c h l i c h in einem Z u s a m m e n w i r k e n des von G r o ß b r i ta n ni en und Übersee w e i t g e h e n d u n a b hängigen und g ü t e r w i r t s c h a f t l i c h s t a bilen m i t t e l - und s ü d o s t e u r o p ä i s c h e n R a u me s in G e m e i n s c h a f t m i t S ü d e u r o p a ge g eb e n ist, von d e r aus d a n n e i n v o r s i c h tiger Einbau der stark k r i s e n e m p f i n d -
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liehen nord- und w e steu ro p ä isch e n T e i l r ä u m e in di e n e u e O r d n u n g e r f o l g e n kann. Meine Damen und Herren, ich weiß, daß die Probleme der kontinentaleuropäischen Großraumwirtschaft so um fassend und vielseitig sind, daß sie Lai Rahmen einer Vor tragsstunde nur in ganz groben Umrissen angedeutet werden können. Wir könnten uns ebenso gut noch einige Stunden über die Rohstoffversorgung, die industriellen Standorte, die Verkehrs-, Kapital- und Geldprobleme unterhalten, ohne zu einem Ende zu kommen. Ich hoffe jedoch, daß es mir gelungen ist, Sie wenigstens mit den wichtigsten Grundfaktoren bekannt gemacht zu haben und daß ich Ihnen dabei vielleicht auch einen Eindruck von der Größe und Bedeutung, aber auch von den Schwierigkeiten der Aufgaben vermittelt habe, die Sie und uns alle in der Zukunft erwarten.
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EUROPÄISCHE ROHSTOFFPROBLEME Von Dr. B r u n o K i e s e w e t t e r In Europa hat die Wiege der Industrie gestanden, Europa ist als erster Erdteil zur Industrialisierung übergegangen und, können wir sagen, bis auf unsere Zeit führend darin gewesen. Von der Mitte des 18. bis zum Ende des 19. Jahr hunderts folgte eine maßgebende Erfindung der anderen: 1' Um 1750 Erfindung der Spinnmaschine, um 1769 Erfindung der Dampfmaschine, - um 1785 Erfindung des mechanischen Webstuhls, um 1807 Erstes Dampfschiff, üm 1814 Erste Lokomotive, tim 1833 Erfindung der Telegraphie, üm 1866 Erfindung der Dynamomaschine, um 1866 Erfindung des Fernsprechers, tun 1879 Erfindung der elektrischen Glühlampe, um 1897 Erfindung der drahtlosen Telegraphie. Die Industrialisierung ist aber ohne die Entwicklung der Technik nicht denkbar. Zur Durchführung der Industrialisie rung muß ein technisch durchgebildeter Stab führender Männer und eine technisch hochausgebildete Arbeiterschaft sowie ein großer Markt vorhanden sein. Diese Voraus setzungen werden von den kleineren Staaten, die der allgemeinen Tendenz folgend zur Industrialisierung über gehen, oft übersehen. Die Bedeutung der Technik für die industrielle Entwicklung war so gewaltig, daß sie heute sogar der Wirtschaft den Vorrang streitig zu machen sucht. 3
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Zweifellos ist eine sehr starke gegenseitige Beeinflussung zwischen Wirtschaft und Technik vorhanden. Das ersieht man schon daraus, daß der technische Fortschritt struktur bildend auf die Betriebs- und Unternehmungsformen der Wirtschaft gewirkt hat. In der Rohstoffwirtschaft ist das ganz offensichtlich. Der wachsende Rohstoffbedarf hat die Großbetriebsformen in der Rohstoffwirtschaft durchgesetzt, die wir heute als Plantagenwirtschaft kennen. Die technische Entwicklung hat aber überhaupt erst das Rohstoffproblem als solches entstehen lassen. Als es eine Technik in unserem modernen Sinne noch nicht gab, also vor etwa 300 Jahren, war die Zahl der wichtigen Bodenschätze außerordentlich gering. Nur wenige Metalle waren bekannt. Selbst vor etwas mehr als 100 Jahren, am Anfang des 19. Jahrhunderts, war die Mehrzahl der uns heute bekannten Rohstoffe unbekannt bzw. wertlos. Die Technik hat erst die Kenntnis der Roh stoffe und ihre Einsatzfähigkeit im Verwendungsbereich der Wirtschaft entdeckt und erweitert. Als Beispiel sei hier auf das Thomasverfahren bei der Stahlgewinnung hingewiesen, das 1879 erfunden wurde und die bis dahin wertlosen weil phosphorhaltigen Eisenerze, wie die Minette- und die Schwedenerze, zu einem begehrten Rohstoff gemacht hat. Als England wegen der Erschöpfung seiner eigenen phosphorarmen Eisenerze, die im Bessemerverfahren verarbeitet wurden, 1935 zum Thomasverfahren überging, stieg sein Interesse an den schwedischen Erzlieferungen über Narvik, Heute ist die Technik so entwickelt, daß die Rohstoffe nicht mehr ausreichen, daß neue synthetische Rohstoffe für den industriellen Verwendungsbereich geschaffen werden müssen und daß rein mengenmäßig sowohl die Förderung als auch die Neuschöpfung von Rohstoffen noch gar keinen Abschluß gefunden hat. Genügten im Jahre 1781 13 000 Ballen B a u m w o l l e , um die Webtechnik zu mechanisieren, so hat dieser Technisierungsprozeß und die mit der Bevölke
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rungsvermehrung verbundene Erweiterung des Absatz marktes heute dazu geführt, daß wir in der Welt etwa 30 Mill, Ballen Baumwolle verbrauchen. Während 1800 in der ganzen Welt nur 15 Mill. t S t e i n k o h l e gefördert wurden und noch 1850 der gesamte industrielle Apparat der Erde — Eisenbahnen gab es damals noch nicht — mit 75 Mill. t Steinkohle versorgt wurde, wurden 1913 und 1938 für die Bedürfnisse der Industrie und des Verkehrs in der Welt über 1,3 Mrd. t Steinkohle und außerdem M Mrd. t Braunkohle gefördert. 1800 betrug die E i s e n g e w i n n u n g auf der Welt 0,4 Mill. t, 1850: 4,2 Mill. t, 1870: 12,0 Mill. t, 1900: 40.9 Mill. t, 1913: 80,0 Mill. t, 1929: 98,6 Mill. t, 1937: 103.9 Mill. t, . 1870 wurden in der Welt an E i s e n e r z e n gefördert 30 Mill. t, 1913: 178 Mill. t, 1929: 202 Mill. t. Die Welt produktion von F l u ß s t a h l stieg von 0,7 Mill. t (1870) auf 76,5 Mill. t (1913) und 135,2 Mill. t (1937). Die Industrialisierung und damit verbunden die Tech nisierung der Arbeitsvorgänge begann mit der Erfindung der Dampfmaschine um 1769. Die Grundlage dafür war die Ver wertung der Brennstoffe. Die Länder mit Kohlenlager sind bis zum heutigen Tag die großen Industrieländer geblieben, zu denen die Rohstoffe strömen — und zwar die Rohstoffe jeder Art —, um dort verarbeitet zu werden. Die Indu strialisierung ist von England ausgegangen, das als Vorbild für andere Länder galt. Ihm folgte Deutschland und als drittes Land die Vereinigten Staaten von Nordamerika. Den Wettlauf in dieser Entwicklung geben sehr prägnant einige Zahlen wieder, die der Präsident des Instituts für Konjunk turforschung, Professor Wagemann, in seinem Buch „Struktur und Rhythmus der Weltwirtschaft“ gibt. Aus gehend vom Stand 1913 gleich 100 betrug im Jahre 1870 die Industrieproduktion Großbritanniens 43,8, die Deutsch3*
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Dr. Bruno Kiesewetter ' # ’ • •• ' lands 17,5 und die der Vereinigten Staaten 7,7. 30 Jahre später, 1900, betrugen die Zahlen entsprechend 78,8 — 64,7 — 54,2. Wiederum 10 Jahre später, 1910, waren Deutschland und die Vereinigten Staaten als Industrie staaten England gleichwertig geworden. Die Zahlen sind entsprechend 85,1 — 88,6 — 89,0. Das Verhältnis der ~ Staaten zueinander hatte sich vollkommen gewandelt. Ihre industrielle Erzeugung verhielt sich zu einander 1870 wie . 64 zu 25 zu 11, 1900 wie 40 zu 33 zu 27 und 1910 wie 32 zu 34 zu 34. Die Entwicklung Deutschlands zur industriellen Groß macht nach der politischen Einigung im Jahre 1870., also im Laufe von 40 Jahren, ist ganz ungeheuerlich gewesen. Sie ist aber nicht nur im Vergleich mit den anderen beiden Indu striestaaten zu betrachten, sondern hat ihre eigengewichtige Bedeutung. In dieser überaus starken industriellen Entwick lung Deutschlands liegt nämlich das Rohstoffproblem be gründet, das für Europa und die ganze Welt nach dem Weltkriege ganz neue Aufgaben stellte. Die Rohstoff situation Deutschlands ist entscheidend für das W e 11 rohstoffproblem, sie ist aber in noch größerem Maße be stimmend für das e u r o p ä i s c h e Rohstoffproblem ge worden. Diese Zusammenhänge sind früher nur von Wenigen klar erkannt worden. England und die angel sächsische Welt hat sie bewußt bagatellisiert. Die Folge der nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik, die Erreichung der Vollbeschäftigung in Deutschland, hat aber heute allen Menschen die Augen geöffnet, was die Aufgabe und die Unterhaltung eines so großen und vielseitigen Industrie körpers, wie es der deutsche ist, für die Rohstoffwirtschaft der Welt bedeutet. -
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Bei dem Entwicklungstempo, das die oben angeführteil Indexzahlen wiedergeben, mußte ein W ettlauf um die Roh stoffe der Welt, zum mindesten um die S i c h e r u n g des
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Rohstoffbezuges, zwischen den drei genannten großindustriellen Staaten einsetzen. Sehen wir einmal von den Vereinig ten Staaten ab, da sie außerhalb Europas liegen und außer dem einen in sich geschlossenen, fast autarken Wirtschafts raum bilden, der mit allen wichtigen Rohstoffen und Be triebsmitteln versehen ist, — dann mußte im Laufe der Entwicklung notwendigerweise eine Spannung zwischen den beiden anderen großen Industriestaaten, zwischen Deutschland und England, entstehen. England hatte in den vergangenen Jahrhunderten ein Empire aufgebaut und war um die Jahrhundertwende — man denke an den Buren* krieg — dazu übergegangen, auch die wertvollen Rohstoff stätten, die bis dahin noch nicht unter seiner Herrschaft standen, sich einzuverleiben. Aber immerhin bestand in der Zeit vor dem Weltkrieg ein sehr fein abgestimmtes Ver hältnis zwischen den großen Welthandelsländern, das wir allgemein als Weltwirtschaft bezeichnen oder bezeichnet haben. In diesem System waren die Staaten gleichberechtigt, das Privateigentum wurde geachtet und geschützt,- man . machte auch Deutschland als einer Industriemacht den Be sitz von Kolonien nicht streitig und kannte keine Bevorzug ten und Minderberechtigten in der Beteiligung an der Aus beutung der Weltrohstoffe. Die Währungsverhältnisse waren deshalb auch so geordnet, daß es Zahlungsschwierigkeiten nicht gab und somit jedem Land der Zutritt zu den Roh stoffen offenstand — ein Zustand, den man allgemein als „Offene Tür“ bezeichnet hat. Der endgültige Durchbruch Deutschlands zur Industrieweltmacht im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts bis 1910, der sich bereits 1900 ab zeichnete, hat jedoch damals schon England auf den Plan gerufen; denn nach 1900 begann die Einkreisungspolitik gegen Deutschland, die schließlich zum Weltkrieg führte. Der Weltkrieg selbst ist ein Kampf um Rohstoffe gewesen, und zwar ganz allgemein um d i e Rohstoffe i n d e r W e l t ,
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ein Kampf um den Platz an der Sonne, Während England sich aus seinem eigenen Weltreich mit Rohstoffen versorgen konnte, war Deutschland als rohstoffarmes Land auf die sogenannte „Weltwirtschaft“, den „Weltmarkt" angewiesen. Seit dem Weltkrieg ist die Rohstoffrage und das Wissen um die Bedeutung der Rohstoffe für das menschliche Leben ganz allgemein in das Bewußtsein der breiten Massen ein gegangen- Der Weltkrieg hat neben die wirtschaftliche Be deutung der Rohstoffe noch die militärische gesetzt. Welchen Anteil die Rohstoffe an den Güterbewegungen in der W elt wirtschaft haben, ersieht man aus einer Statistik Wage manns, der für das Jahr 1928 einen weltwirtschaftlichen Gesamtaußenhandelsinnsatz von rund 300 Mrd, RM, er rechnet, von dem ein Drittel, d. h, 100 Mrd, auf Rohstoffe und Halbwaren entfallen. Die Dimensionen der Entwick lung auf dem Gebiet der Rohstoffverwertung im 19, und 20, Jahrhundert sind im Vergleich zur Entwicklung der Erdbevölkerung kaum faßbar. Die Erdbevölkerung hat sich von 1800 bis heute etwa verdreifacht, die Kohlenförderung aber verhundertfacht, die Goldgewinnung ist auf das 120fache, die Eisengewinnung auf das 250 bis 300fache ge stiegen, Rohstoffe wie Erdöl, Zink, Nickel, Aluminium haben überhaupt erst im Laufe des 19. Jahrhunderts eine . Bedeutung gewonnen. Seit der Zeit des Weltkrieges hat die ganze W elt eine Angst um die Verknappung der eigenen Rohstoffe befallen. Diese Angst war geboren aus der Kohlen- und Erdölnot des Krieges und der Folgen der Blockade, die an ihren eigenen Urhebern nicht spurlos vorübergegangen ist. Die Neuordnung der politischen Verhältnisse in Europa und Übersee auf Grund des Versailler Diktates, die Zerstücke lung organisch zusammenhängender Staaten und W irt schaftsgebiete in Europa, die Schaffung von Haves und Havenots entsprang dieser Angst um Rohstoffe. Die inter
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nationalen, politischen und diplomatischen Kämpfe der Nachkriegszeit von der Genuakonferenz 1922 an waren in der Hauptsache Kämpfe um Erdöl, Kämpfe um die Mossulquellen. Die Politik der Vereinigten Staaten in Mittel- und Südamerika war auf Sicherung der Rohstoffbasis bedacht. 1920 war der alarmierende Bericht des US.-Geological Survey erschienen, der verkündete, daß alle Länder außer den Vereinigten Staaten von Amerika jährlich 200 Millionen Barrels öl verbrauchten, die Vereinigten Staaten aber selbst das Doppelte, nämlich 400 Mill. Barrels, und daß bei diesem Stande der Dinge die Ölquellen Amerikas in 18 Jahren ver siegen würden. Das wäre im Jahre 1938 gewesen. Die Kämpfe tun Kupfer und Zinn in den großen internationalen Kartellen, die Kämpfe um Kautschuk waren Lebensfragen für die Völker geworden. Noch im Jahre 1938 hat Amerika mit England unter Verleugnung aller von diesen Ländern propagierten Wirtschaftsgrundsätze das bekannte Tauschgeschäft Kautschuk gegen Bauwolle getätigt, um sich gegenseitig diese beiden Rohstoffe zu sichern. Die allgemeine Vorrats Wirtschaft aller Länder vor Beginn dieses Krieges läßt die Bedeutung der Rohstoffe für das Leben der Völker in einem besonders hellen Lichte erscheinen. Um Ihnen einmal die Abhängigkeit eines hochindustriali sierten Staates, der gleichzeit rohstoffarm ist, vor Augen zu führen, nehme ich als Beispiel die Lage Deutschlands. Englands Lage ist in dieser Hinsicht noch ungünstiger, wenn man nur die rein wirtschaftsstatistische Lage betrachtet und die machtpolitische Stellung Englands unberücksichtigt läßt. England steht aber außerhalb Europas, stand immer außerhalb Europas und wird nach Beendigung dieses Krieges auch außerhalb Europas bleiben. Bestimmend für das europäische Rohstoffproblem und damit für die rohstoff erzeugenden Staaten Europas war in erster Linie Deutsch land, Die europäischen Rohstoffprobleme sind nur von der
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wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands als Ausgangspunkt richtig zu verstehen. Deutschland war im Jahre 1870 noch ein Agrarland. Zwei Drittel seiner Bevölkerung wohnte auf dem Lande, d. h. in Gemeinden unter 2000 Einwohnern, während das andere Drittel in allen übrigen Gemeinden, d, h. Klein-, Mittel- und Großstädten wohnte. Deutschland • hätte damals überhaupt nur 8 Großstädte über 100 000 Ein wohner, Diese acht Großstädte beherbergten zusammen ‘ 2 Millionen Menschen, d. h. knapp halb soviel wie heute Berlin umfaßt. In 50 Jahren, in der Zeitspanne von 1875 bis 1925 etwa, kehrte sich das Verhältnis genau um. Heute .wohnt ein Drittel auf dem Lande und zwei Drittel in. den Städten, davon aber allein ein Drittel in den Großstädten,die — nur aufs Altreich bezogen — allein 20 Mill. Men- sehen, also das Zehnfache der Zahl von vor 50 Jahren um. fassen. Während früher der Schwerpunkt der deutschen Wirtschaft auf dem Agrargebiet lag, ist Deutschland in dieser kurzen Zeit zu einem Industrieland geworden,: d. h, genauer gesagt zu einem Industrie - E x p o r t land, denn 98 % seines Exportes sind Industriewaren. Um die wach sende Bevölkerung (1816: 25 Mill,, 1871: 41 Mill., 1914: 68 Mill.) auf dem kleinen unzulänglichen Raum zu erhalten,, - mußte Deutschland seinen Nahrungsmittelbedarf aus dem Ausland beziehen. Es war aber auch hinsichtlich des Ab satzes seiner Industriewaren auf die Kaufkraftentwicklung in der weiten Welt angewiesen und mußte, wenn es über haupt arbeiten und leben wollte, als Folge seiner Rohstoff- ~ 'arrnut außerdem noch die stets wachsenden Mengen seiner lebensnotwendigen Rohstoffe vom Ausland kaufen. In den ' 40 Jahren von 1872 bis zum Beginn des Weltkrieges 1914 stieg die deutsche Gesamteinfuhr an Nahrungs- und Genuß mitteln sowie Vieh von 872 Mill. Mark auf 3 Mrd. Mark, also auf das 3 ^ fache; die Einfuhr von Rohstoffen, in der gleichen Zeit von 1,7 Mrd. auf 5 Mrd. Mark, ebenfalls auf
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das dreifache. Der Druck der Rohstoffabhängigkeit wurde aber nach dem Weltkriege mit seinem Verlust wertvoller Rohstoffgebiete für Deutschland noch schärfer. Was das praktisch bedeutet, hat Grävell1) bewiesen, der errechnete, daß „bei einer Steigerung der industriellen Nettoproduktion um 10 Milliarden RM,, wovon ein Drittel auf Produktions güter, ein Drittel auf Verbrauchsgüter und ein Drittel auf ,den Straßen-, Kanal- und Brückenbau entfallen sollen, sich ein'Neubedarf an ausländischen Rohstoffen von rund 1050 bis 1200 Millionen RM. ergeben würden". Uber ein Zehntel der Nettoproduktionssteigerung muß also wieder für Roh stoffe an das Ausland abgegeben werden. Die deutsche Ein fuhr von Futtermitteln vor dem Weltkrieg betrug allein 7 Mill. t jährlich, während wir in den letzten sechs Jahren, von 1933 bis 1938, einen jährlichen Durchschnittsbedarf von etwas über 1 Mill, t hatten — eine Folge der autarkischen Maßnahmen der deutschen Reichsregierung. Sehr instruktiv für die Beurteilung der deutschen Abhängigkeit von rohstoffbesitzenden Ländern und Kontinenten ist die V e r t e i l u n g der Einfuhr, dis die charakteristische Ent wicklung in die Weite, d, h. vom europäischen Kontinent fort über die ganze Welt zeigt. Die deutsche Gesamteinfuhr (Nahrungsmittel und Rohstoffe) stieg von 1885 bis 1913 von 2,9 Mrd. Mark auf 10,8 Mrd., also um 7,9 Mrd. Mark. Während von dieser Einfuhr 1889 noch rund 79 %> aus Europa kamen, waren es 1913 nur 46 °/o. In der Einfuhr wurde also Deutschland in verstärktem Maße von Übersee abhängig, während es im Absatz seiner Exporterzeugnisse auf die kaufkräftigeren europäischen Staaten angewiesen blieb, denn der Europaanteil an der deutschen Ausfuhr ist in diesen 25 Jahren mit 77 % bzw. 76 %> gleichgeblieben. Während England, als Inselreich schon an und für sich ’t) Walter Grävell, Nationalwirtschaft, Großraumwirtschaft, Weltwirt-. Schaft im: Archiv für Rechts- u. Sozialphilosophie, Bd, 27 (1933/34) S. 105..
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auf die „ W e l t " hingewiesen, zu einer straffen Konzen. tration seiner wirtschaftlichen und politischen Kräfte ge schritten war und damit Deutschland gegenüber einen ge waltigen Vorteil besaß, h atte. Deutschland als Herzland Europas die natürlichste Grundlage seiner Existenz, den europäisch kontinentalen Raum, zu einem großen Teil als eigene Versorgungsbasis verloren und sozusagen auf Über see umgeschaltet. Das war solange nicht unmittelbar gefähr lich, als die Gleichberechtigung in der Weltwirtschaft ein selbstverständliches Axiom war und die finanzielle und wirtschaftliche Kontrolle der überseeischen Rohstoffstaaten in europäischen Händen lag. Nach der Loslösung der über seeischen Länder vom Industriemonopol Europas nach dem Weltkriege stellte sich für Kontinentaleuropa das Rohstoff■problem in voller Schärfe, während England der glückliche Besitzer fast aller wichtigen Grundstoffe in der Weltwirt schaft war. Kontinentaleuropa war also rohstoffwirtschaft lich der Gnade Englands und der Vereinigten Staaten von Nordamerika ausgeliefert, die nach dem Weltkrieg neben England als weltbeherrschender Faktor, und zwar mit dieser ausgesprochenen Zielsetzung, immer stärker hervor traten. Die Rolle, die Kontinentaleuropa in dieser so genannten „Weltwirtschaft” spielen sollte und die man ihm zugewiesen hatte, ist also nicht so sehr das Ergebnis geographisch-geologisch-natürlicher- Voraussetzungen ge wesen, als vielmehr das Produkt der planmäßig arbeitenden e n g l i s c h e n Weltpolitik mit dem Ziel der endgültigen Weltbeherrschung. Wie sieht im einzelnen das Rohstoffproblem für Europa aus?1] In Nahrungsmitteln wie G e t r e i d e , Z u c k e r *) Vgl, hierzu auch A Reithinger, Das wirtschaftliche Gesicht Europas, Stuttgart 1936, S, 44 ff, — Ferner Reithinger, Großbritannien — Kraft und Schwäche eines Weltreiches, Europäische Revue, Aprilheft 1941, — Die Zahlenangaben im Folgenden sind dem Statistischen Jahrbuch 1938 entnommen.
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usw. bestritt Kontinentaleuropa einschließlich Rußland 1933 über drei Viertel des eigenen Verbrauchs, in W e i z e n 81 %>, in M a i s 73 % in Z u c k e r 74 %>, An B u t t e r hatte es sogar einen Überschuß- Die Produktion Europas in ‘Nahrungsmitteln ist jedoch seit dem Jahr 1933 in allen Ländern derartig gestiegen, daß Europa heute schon im Notfall als weitgehend autark anzusehen ist, abgesehen von ö l h a l t i g e n P f l a n z e n wie Raps, Rübsen, Sojabohnen usw. sowie eiweißhaltigen Futtermitteln. Im Durchschnitt der Jahre 1936/38 hatte Kontinentaleuropa einen EinfuhrZuschuß in v. H. des Verbrauchs bei pflanzlichen Fetten von 27,0 v. H. und bei Kraftfuttermitteln von 86,8 v. H. 1933 noch nahm Kontinentaleuropa an Mais etwa ein Drittel der Weltausfuhr auf, an Ö l s a a t e n etwas mehr als die Hälfte, , an Ö l f r ü c h t e n über 60%>, an S o j a b o h n e n über 55 %>. Sojabohnen z. B. wurden 1933 vollständig aus Asien bezogen. Inzwischen sind Rumänien und andere Länder zum Anbau von Sojabohnen übergegangen, deren Erzeugung in einem für den Anfang immerhin beträchtlichen Umfang gestiegen ist. Zuchtversuche werden auch in Deutschland gemacht. Zur Zeit erntet der europäische Südosten in Ge treide und Kartoffeln noch 70 % weniger als Dänemark, Holland und Belgien; bei Fleisch, Milch und anderen land wirtschaftlichen Veredelungsprodukten liegt der Südosten weit hinter den Spitzenleistungen zurück, die vielfach um das Zehnfache höher liegen. Man kann ohne Übertreibung sagen, daß sich als Endziel eine Verdoppelung der landwirt schaftlichen Erzeugung Europas erreichen läßt. An Genuß mitteln wie K a k a o , K a f f e e und T e e ist Europa auf Übersee angewiesen. Nur der T a b a k verbrauch wird etwa zur Hälfte aus dem europäischen Raum gedeckt. In S t e i n k o h l e , K a l i , S c h w e f e l k i e s erzeugt Europa mehr, als es selbst verbraucht. In diesen Mineralien ist es führend in der Weltausfuhr. Was die Metalle anbelangt,
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so ist es in E i s e n e r z und A l u m i n i u m Selbst versorger. In Z i n k , in dem es rd. 60°/« der Weltausfuhr aufnahm, wurden inzwischen sehr große Fortschritte in der Produktion gemacht und die Versorgungslage wesentlich i verbessert. Die Mangelmetalle sind für Kontinentaleuropa' B l e i ( K u p f e r und Z i n n . In K a u t s c h u k ist Kon tinentaleuropa, soweit hier der Naturgummi in Frage kommt, ebenfalls von Übersee abhängig gewesen. Es nahm etwa ein Fünftel der Weltausfuhr auf. Die Aufnahme der Buna-Fabrikation, die heut nicht nur von Deutschland ' allein, sondern auch von Italien und Rußland betrieben wird, ist zwar schon in einem beträchtlichen Umfang vorgeschritten, sie reicht aber nicht aus, um Kontinentaleuropa als autark zu bezeichnen. ! In E r d ö l nahm Kontinentaleuropa 1933 noch' ein Fünftel der Weltausfuhr auf. Hier sieht die Lage allerdings wesentlich günstiger aus. Die Eigenerzeugung erreichte bereits 1937 etwas mehr als ein Drittel des Verbrauchs. Für Anfang 1936 wurden die Welterdölvorräte auf rund 4 Mrd. t geschätzt. Die Produktion des Jahres 1937 betrug rund 280 Mill. t, so daß unter Zugrundelegung dieser För derung die gesamten Erdölvorräte in der Welt eine Lebens dauer von 16 Jahren haben würden (bis etwa 1955). Von diesen Vorräten von 4066 Mill. t entfielen •, nach den damaligen Schätzungen auf Nordamerika 51 % = 2079 Mill. t, Südamerika 8,1 % = 329 Mill, t, Ozeanien (Nieder!, Indien, Borneo) 3,6 % = 144 Mill. t. Afrika mit 2,3 Mill. t ist kaum zu rechnen, während Asien mit 19,0 #/o = 769 Mill. t, und Europa mit 18,0% = 742 Mill. t ungefähr gleichstehen. Von den 742 Mill. t europäischer Erdölvorräte auf Grund der Schätzung von 1936 entfielen nach der Neuordnung der Grenzen mit Rußland im Osten im Jahre 1939 über 80% auf Rußland und 15% auf Rumänien. 1938 hatte Kontinentaleuropa einen Mineralöl'
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verbrauch von rd. 49 Mill. t, es produzierte aber nur 37 Mill. t, einschließlich des synthetischen Benzins in Deutschland und in Italien 39,3 Mill. t; rund 10 Mill. t mußte es also einführen. Kontinentaleuropa hat aber weit gehende Steigerungsmöglichkeiten der Ölproduktion: einmal in Rumänien, dessen Förderungsrückgang nach sachverstän digen Urteilen nicht auf eine Erschöpfung der Lagerstätten zurückzuführen ist, sondern auf die falsche Erdölpolitik des rumänischen Staates und die Investitionsunlust . des ' westeuropäischen Kapitals, Neben Rumänien steht als größter Erdölproduzent der Zukunft Rußland. Nach neuesten Schätzungen vom Jahre 1939 betragen die Welt vorräte nicht 4 Milliarden t, sondern rund 10 Milliarden t. Die Erdölvorräte Rußlands betragen danach nicht 600 Milli onen t, sondern 3 Milliarden t und machen damit 32 % der Weltvorräte aus. Das Zukunftsbild der Erdölversorgung verschiebt sich damit also wesentlich. Eine sichere und absolut gültige Beurteilung der Rohstoff lage ist überhaupt unmöglich, weil immer wieder neue Fundstätten entdeckt werden, andererseits aber auch die fortschreitende Technik immer wieder neue Methoden zur Aufspürung bisher unbekannter oder unzugänglicher Lager stätten entwickelt. Die wissenschaftliche, technische und industrielle Entwicklung der letzten sieben Jahre hat uns gezeigt, daß die alleinige Betrachtung der „natürlichen" t Rohstoffe, ihrer Fundstätten und deren Entwicklung zu ein seitig ist und die Yersorgungslage in einem ganz falschen Lichte erscheinen läßt. Das beweist die steigende Erzeugung von Kohlebenzin, die heut schon Europa in die Lage, ver setzt, die rein statistisch errechneten Fehlmengen durch das „synthetische“ Erzeugnis zu ersetzen, Dieser Rohstoffgrundlage steht die riesige i n d u strielle Leistungsfähigkeit K ontinental e u r o p a s gegenüber. Kontinentaleuropa (ohne England,
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aber einschließlich Rußland) hatte 1937 eine R o h e i s e n p r o d u k t i o n von 50 Mill. t, das sind 48 %> der Welt produktion, die R o h s t a h l g e w i n n u n g betrug 60 Mill. t, das sind 45 %> der Weltproduktion. Demgegenüber stand Nordamerika (Vereinigte Staaten von Amerika und Kanada) mit einem Anteil von 38 % an der Weltroheisengewinnung (39 Mill. t) und einem Anteil von 39 °/o an der Weltstahl produktion (53 Mill. t). Der E i s e n i n h a l t d e r E i s e n e r z f ö r d e r u n g der Welt betrug 1936 77,3 Mill. t. Davon entfielen 49 %> auf die kontinentaleuropäische Förderung, 33 °/o auf die nordamerikanische (USA., Neufundland, Kuba) und 2,5 %> auf die nordafrikanischen Eisenerze. Mit den nordafrikanischen würde also der Großraum Europa über die Hälfte der Welteisenförderung dem Eiseninhalt nach beherrschen. In K u p f e r hatte Kontinentaleuropa 1937 eine Hütten leistungskapazität von rd. 450 000 t, das sind rund 20 °/o der Welthüttenleistung. Der Kupfergehalt der Erze (ohne Cypern) betrug 234 000 t, so daß etwas mehr als die Hälfte der Verarbeitungsleistung in Kupfer aus europäischem Raum gedeckt werden konnte. In Z i n k ist Großdeutschland nach der Rückgliederung des oberschlesischen Gebiets Selbstversorger, nicht aber der Rest Kontinentaleuropas, Die großen Zinkverhüttungsländer liegen im Westen Europas (Belgien, Frankreich, Nieder lande und Norwegen) mit einer Hüttenleistung (1937) von 355 000 t. Sie haben aber keine eigene Erzbasis. Hinzu kommt Italien, das ehemalige Jugoslawien, Rumänien, . Spanien und Rußland mit 122 000 t. Die Hüttenleistung Kontinentaleuropas mit 754 000 t war 1937 mit 487 000 t oder 65 % aus eigener Erzbasis gedeckt. Der nordamerika nische Kontinent (USA., Kanada, Neufundland, ohne Me xico) zeigt hier gerade eine volle Autarkie (Hüttenleistung 780 000 t gegen eine Bergwerksleistung von 792 000 .t).
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In B 1e i betrug die Deckungsquote für Kontinentaleuropa rund 70 %, für Nordamerika (einschließlich Kanada und Neufundland, ohne Mexico) 71 %, In S t a h l h ä r t u n g s m e t a l l e n wie z. B. C h r o m war Kontinentaleuropa 1936 mit 48 % (513 000 t) an der Welterzförderung (1,070 Mill, t) beteiligt, die Vereinigten Staaten einschließlich Kuba aber nur mit 6,6 % (71 400 t). In der Weltförderung von W o l f r a m (24,746 Mill. kg) lag 1936 der Schwerpunkt mit 71 % (17,470 Mill. kg) in Asien, 5,8% (1,662 Mill. kg) entfielen auf Europa (ohne England), 9,6% (2,370 Mill. kg) auf Nordamerika (USA.) und 10,2 % (2,535 Mill, kg) auf Südamerika. Die a n t i m o n fördernden Länder waren 1936 China mit 51 %, Südamerika mit 13,4 %, Mexico mit 21 %, Konti nentaleuropa mit 8,5%, Nordamerika (USA.) dagegen nur mit knapp 2 % der Welterzeugung. K o b a l t wird überhaupt nicht in Europa gewonnen oder in ganz unzureichendem Maße, Nordamerika (Kanada) lieferte 1937 nur kleinere Mengen (282 000 kg), Birma 298 000 kg, aber den weitaus größten Anteil bestritt Afrika (BelgischKongo, Französisch-Marokko und Nordrhodesien) mit zu sammen 2,965 Mill. kg. Für K r y o l i t h ist das Monopol lieferland Grönland mit durchschnittlich 20—30 000 t pro Jahr. In diese Lücke der NE-Metalle haben sich aber heut schon weitgehend Legierungen bzw. neue Werkstoffe wie z. B. Preßstoffe sowie neue Verwendungsmethoden bereits bekannter Stoffe wie Glas eingeschoben. Der heutigen Technik und dem Stande der wissenschaftlichen Forschung ist es nicht mehr unmöglich, gewisse Gegebenheiten der Natur glattweg auszulöschen und zu ersetzen. , In Anbetracht der in vieler Hinsicht noch unzureichen den Unterlagen — die angegebenen Zahlen geben nur das Bild eines Jahres wieder — können für eine absolut sichere Beurteilung der europäischen Rohstoffsituation
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keine festen Anhaltspunkte gegeben werden. Nur un gefähre Umrisse werden sichtbar, die auf den überhaupt vergleichbaren Emzelgebiaten die Fundamente der euro päischen Großraumwirtschaft auch nicht wesentlich un günstiger erscheinen lassen als die der anderen Großräume. Bei einer bewußten und straffen Zusammenarbeit der europäischen Länder sind die autarken Versorgungs anteile auf den einzelnen Gebieten zweifellos wesentlich zu erhöhen, besonders durch Steigerung der Erzeugung in Südosteuropa. Hier ist vor allem das ehemalige Jugo slawien als zukunftsreiches Metalland zu nennen. Im Norden kommt Finnland in Betracht und im Osten beson ders Rußland. Sowjetrußland besaß innerhalb der Grenzen vor dem 22. Juni 1941 große Lagerstätten an Stahlhartungs metallen wie Nickel, Mangan, Titan, Wolfram und Vana dium. Allein an Manganeisenerz beherbergte es 73 °/o dar Weltvorräte und besaß damit praktisch ein Monopol, Es bestritt schon 1937 58 % der Weltförderung in diesen Erzen. Allerdings stieg in schnellem Tempo der Eigenverbrauch. 1913 blieben etwa 4 % der Jahresproduk tion von Manganerz in Rußland, 1936 waren es bereits 60°/o, Die Kupferlager der Sowjetunion werden auf über 6 Mill. t beziffert, einschließlich Sibirien sogar auf 10 Mill. t. In Sibirien sind in größerem Umfange Blei und Zink vorhanden. Insgesamt werden die Vorräte mit 4 Mill. t Blei und 9 Mill. t Zink angegeben. Europa hat noch große Reichtümer in seinem Boden, die es nach einer politischen Befriedung des Kontinents und Begründung einer neuen auf Zusammenarbeit gegründeten Wirtschaftsordnung nur zu heben gilt. Im allgemeinen werden die in einer engen solidarischen Zusammenarbeit liegenden Energien unterschätzt, wie die letzten sieben Jahre bewiesen haben. Die Aufgabe einer fortschreitenden Unabhängigmachung Europas ist aber ein Produktions-
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problem und stellt deshalb größere Anforderungen, — ja es fordert geradezu zur Gemeinschaftsarbeit heraus. Wagemann.hat errechnet, daß 1928 von einem Gesamt welthandelsumsatz von 278 Mrd. RM. allein 145 Mrd. RM. auf Europa, 71 Mrd. RM, auf Amerika und 62 Mrd. RM. auf die übrigen Erdteile entfallen. Zieht man von der europäischen Summe von 145 Mrd. RM. die intereuropä ischen Umsätze im Umfang von 60 °/o ab, so entfallen auf Europa als Kontinent immer noch 58 Mrd. RM. (aller dings unter Einbeziehung Englands). Europa ist zweifel los nicht so reich wie andere Erdteile, es hat aber gerade auf dem Gebiet der industriellen Rohstoffe noch größere Entwicklungsmöglichkeiten. So ist z. B. die Erzeugung von Leichtmetallen eine der Stärken Europas. Das an sich vorhandene Mißverhältnis zwischen der Rohstoffleistung dieses Kontinents und seiner Industriekapazität ist in den letzten zehn Jahren nicht nur durch weitere Ausbeutung '. der natürlichen Rohstoffvorkommen, sondern auch durch die Schöpfung ganz neuer Werkstoffe zu einem großen Teil überbrückt und damit die Rohstoffdecke Europas auf be stimmten Gebieten nicht unwesentlich vergrößert worden Als Beispiel sei hier eines der wichtigsten Verbrauchs gebiete, die Textilwirtschaft, erwähnt. Die ost- und nordosteuropäischen Länder sind die Hauptlieferanten von Flachs und Hanf. Der europäische Südosten tritt als Produzent von Hanf und Wolle stärker in den Vordergrund, während seine Flachs- und Baumwollkulturen noch in Entwicklung begriffen sind. Ost- und Nordeuropa sind die Lieferanten von Zellstoff, der Grund lage für die Kunstseide- und Zellwollerzeugung. W ährend Mittel- und Westeuropa die Produktionszentren für die europäische Textilwirtschaft abgeben, sind Nord- wie auch Südost- und Osteuropa die Absatzgebiete für die textilen Halb- und Fertigwaren. Die europäische Textilwirtschaft
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zeigt also einen starken Ergänzungscharakter, der eine dauerhafte Beschäftigung bei einer gegenseitigen Ab stimmung der Interessen garantiert. Es entsteht die Frage, in welchem Umfang Kontinentaleuropa rohstoffwirtschaitlich ohne Übersee auskommen kann. Vor zwei Jahrzehnten noch war Eüropa im Baumwollbezug ausschließlich auf das Ausland angewiesen. In keinem Lande Europas wurde B a u m w o l l e angebaut. Heute ist Rußland nicht nur Baumwollerzeuger, sondern auch Baumwollexporteur. Turkestan liefert heute bereits höhere Hektarerträge als die Vereinigten Staaten, Die Baumwollerzeugung Rußlands war 1937/38 schon doppelt so groß wie die Brasiliens und erreichte fast die Produk tion Britisch-Indiens. Ferner wird in Rumänien, Bulgarien, Griechenland, der Türkei, in Süditalien und Südspanien Baumwolle angepflanzt. Die gesamte Baumwollproduktion der europäischen Länder betrug 1937/38 907 000 t.' Das sind etwa 11 % der W elternte gewesen, die mit 8,3 Mill. t anzusetzen ist. Demgegenüber steht ein kontinentaleuropä ischer Baumwollverbrauch von 1,404 Mill. t, die rd. ein Viertel des Weltverbrauchs von 5,810 Mill. t darstellen. Demnach sind, auf den reinen kontinentalen Raum bezogen, 64 °/o des europäischen Baumwollverbrauchs ge deckt. Die fehlende Lücke von rd. 500 000 t hatte Europa auf der Grundlage der Zahlen von 1937 bereits weitgehend durch die Erzeugung von Zellwolle und Kunstseide ge schlossen. Die europäische Kunstseidenproduktion betrug 1937 173 000 t, die Produktion von Zellwolle 180 000 t, zu sammen also 353 000 t. Das heißt mit anderen W orten: die fehlende Rohstofflücke war bereits zu 70 % ausgefüllt. Dabei ist zu bedenken, daß die Erzeugungszahlen der synthetischen Textilfasern inzwischen längst überholt sind, da allein Deutschland seine Zellwollerzeugung seit 1937 mehr als verdoppelt hat. Selbst unter Berücksichtigung einer seit
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1937 eingetretenen Verbrauchssteigerung ist die europäische Rohstofferzeugung in Baumwolle, Zellwolle und Kunstseide in der Lage, den Bedarf zu befriedigen. Dabei ist der in geradezu stürmischem Tempo vorgetriebene Anbau von R oh baumwolle in Bulgarien, Griechenland und der Türkei neben Rumänien noch gar nicht mitberücksichtigt. In Bulgarien stieg von 1938 bis 1939 die Anbaufläche von 55 000 ha auf über 60 000 ha, so daß sich die Selbstversorgungsquote von 33 °/o (1937) jetzt auf rd. 50 % erhöht hat. In Griechenland stieg unter Führung des Nationalen Baum w ollm stitutes die Erzeugung von 3 083 t (1924) auf 14 600 t . (1938) und damit bis auf fast 90 % der Bedarfsdeckung unter w esent licher Verbesserung der Q ualität. Die Türkei ist ebenso wie Rußland bereits zu einem Baum w ollausfuhrland ge worden. Die türkische Anbaufläche betrug 1938 275 000 ha, ist jedoch nach eingehenden wissenschaftlichen U nter suchungen bis auf 1,6 Mill. ha erweiterungsfähig. D er Ernteertrag ist von 1936— 1938 von 51 000 t auf 66 000 t gestiegen. Bei einer inländischen V erarbeitungsquote von 30 %> übersteigt also die türkische Baumwollgewxnnung in beträchtlichem Ausmaß den Verbrauch. Nachdem in einigen dieser Länder die Eigenversorgung bereits erreicht ist, werden sie in den nächsten Jah ren als Baumwollexportländer eine steigende Bedeutung für die kontinental europäische Textilindustrie erhalten. Rechnet m an aber den gesamten Mittelmeerraum, d. h, die nordafrikanischen Gebiete (Algerien, Ägypten und den Britisch-ägyptischen Sudan) und Vorderasien (Syrien-Libanon und Irak) m it einer Produktion von 560 000 t hinzu, so ergibt sich eine der europäischen Textilindustrie zur Verfügung stehende Gesamtrohstoffmenge von 1,467 Mill. t Baumwolle, die fast in vollem Umfang für die Verarbeitung angesetzt w erden kann, da der Eigenverbrauch der nordafrikanischen und vorderasiatischen Länder gleich Null ist. U nter Ein4
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Beziehung der mediterranen Erzeugungsgebiete wäre also der europäische Verbrauch von 1,404 Mill, t mehr als voll ständig gedeckt, und zwar lediglich in dem Naturrohstoff Baumwolle ohne Einbeziehung der synthetischen Textil faserstoffe. Nicht ganz so günstig, allerdings auf der Grundlage des Jahres 1936 errechnet, deren Zahlen vollständig zur Ver fügung stehen, sind die Versorgungsverhältnisse in W o l l e . Kontinentaleuropa (ohne England, aber ein schließlich Rußland) hatte 1936 eine Rohwollerzeugung von 335 700 t, das sind 19,2 %> der Weltproduktion, von 1,747 Mill. t. Nimmt man nach allgemeinen fachmännischen Erfahrungssätzen eine Verarbeitungsmenge gewaschener Wolle in Höhe von 45°/o der Rohwolle an, so ergibt sich, eine Menge von 141 000 t. Gegenüber einem geschätzten europäischen Wollverbrauch von 430 000 t ist somit nur eine Deckungsquote von 33 °/o vorhanden. Die fehlenden zwei Drittel können in der Hauptsache nur durch eine E r weiterung der Reißwollindustrie und Intensivierung der Schafzucht in den Agrarländern zu einem Teil beschafft werden. Kontinentaleuropa hatte ohne England, das vor Spanien den größten Schafbestand auswies, aber ein schließlich der Türkei rd. 167 Mill. Schafe, in deren Zahl die UdSSR, (europäischer und asiatischer Teil, Grenzen vor dem 22. Juni 1941) mit 50 Mill. enthalten ist. Auf die Balkan länder einschließlich Türkei entfielen rd. 50 Mill. Stück. Die Erweiterung der Schafzucht in Südosteuropa und die Quali tätsverbesseruag der Wollfaser, die gegenwärtig nicht allen Fabrikationsansprüchen genügt, ist aber durchaus zu • erreichen, da die Schafhaltung in diesen Ländern heute noch vorwiegend der Milch- und Fleischerzeugung wegen betrieben wird. Zieht man in diese Betrachtung auch wieder Nordafrika und Vorderasien ein, so würde sich die nach der gleichen Methode errechnete Menge
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gewaschener W olle um 24 255 t erhöhen, so daß die Gesamtsumme (einschließlich des kon tin en taleu ro p äisch en Betrages von 141 000 t) m it 165 255 t auch n u r k n ap p 39 % (statt 33 %) des europäischen W ollV erbrauchs ergibt. D en kontinentaleuropäischen Schafbestand von 167 M ill. w ü rd e Vorderasien (Palästina, Syrien-Libanon, T ra n sjo rd a n ie n ) v um 2,676 Mill. und N ordafrika (Ä gypten, B ritisc h -äg y p tischer Sudan, A lgerien, Französisch-M arokko, T unesien, ' Libyen) um 24,782 MLill. verm ehren, d. h. um in sg esam t etwas mehr als 27 Mill. Stück oder um 16 °/o. D as d ü rfte trotz aller die W ollerzeugung fö rd ern d en M aßnahm en d e r J europäischen S taaten nicht ausreichen, um a lle A n sp rü c h e f zu befriedigen, so daß K ontinentaleuropa zu e tw a einem Drittel auf die Einfuhr südam erikanischer u n d sü d a frik a ■ nischer Wolle angewiesen bleibt. ' -. . ■’ 4j .' . *... • . In R o h s e i d e w ar E uropa (einschließlich d e r U d S S R .) - t /. 1935 nur mit 6,5®/« an der W eltgew innung b ete ilig t (3570 t ü gegen 54 804 t), 1936 betrug die R ohseidengew innung .>| Europas allein (ohne U dSSR.) bereits 3950 t. D ie S e id e n raupenzucht hat in d er Zwischenzeit w eitere große F o rtI schritte gemacht, und zw ar nicht n u r in den M itte lm e e rländem, sondern auch auf dem B alk an u n d in D eu tsch % . land. .
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' In F I a c h s und H a n f ist E u ro p a fü h ren d in d e r W e lt und imbedingt autark. Schon vor dem W e ltk rie g h a tte * Rußland (einschließlich der w eißrussischen G ebiete d es ehemaligen Polens und d er früheren R a n d staa te n , w elche die Hauptproduktionsgebiete darstellen) m it einem A n te il von 80 #/o an der W eltflachserzeugung ein p ra k tisc h e s Monopol. Dabei ist zu bedenken, daß a n d ere g ro ß e Textilländer wie z. B. D eutschland den F la c h sa n b a u gefördert und hierin eine Selbstversorgungsquote von 60 ®/o bis 70 °/« erreicht hatten, ganz abgesehen von den n e u en *T
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Flachskulturen des Balkans. In H a n f liegt die europä ische Erzeugungskapazität bei über 80% der Welternte. 'Allein Rußland lieferte 1937 mit rd. 150 000 t Hanffasern 40% der Welterzeugung. Wenn in L e i n s a a t auch Argentinien rund die Hälfte der W elternte mit 1,8 Mill. t stellt, so stand auch in diesem Erzeugnis Rußland mit 0,8 Mill. t oder 20 % der W elternte an zweiter Stelle, Auch in der Erzeugung von Hanf haben die Autarkieländer auf geholt. . ' Die immer weiter fortschreitende Stärkung der textilen Rohstoffbasis Europas ist von lebenswichtiger Bedeutung für den Kontinent, da dieser das größte i n d u s t r i e l l e V e r a r b e i t u n g s z e n t r u m innerhalb der W elttextil wirtschaftet bildet. Von den im Jahre 1937 ausgewiesenen 149,5 Mill. B a u m w o l l s p i n d e l n in der W elt waren allein 60% , d. h. 88,6 Mill. in Europa beheimatet. Ohne England mit 38,8 Mill. Spindeln oder 26 % des W elt bestandes entfallen auf Kontinentaleuropa mit 49,9 Mill. immer noch 33,5% oder ein Drittel. Bei B a u m w o l l w e b s t ü h l e n ist der prozentuale Anteil noch größer: Von 3,070 Mill, Stück entfielen 1936 1,742 Mill. (56,5%) auf Gesamteuropa und ohne England mit 0,505 Mill, (16,5%) allein 1,237 Mill. oder 40% des W eltbestandes auf Kontinentaleuropa. An F l a c h s s p i n d e l n befinden sich entsprechend der überragenden Bedeutung Europas als Flachsland 60% (1,9 Mill, Stück) und an L e i n e n w e b s t ü h l e n aus dem gleichen Grunde 7 3 % (0,103 Mill. Stück) des W eltbestandes in Kontinentaleuropa. Trotz der knappen Rohstoffdecke in S e i d e sind in Deutschland, Italien und Frankreich sogar rd. 110 000 Seidenwebstühle vorhanden, während die Vereinigten Staaten von Nordamerika als größtes Seidenverbrauchs land (Natur- und Kunstseide) nur 95 000 Stück besitzen.
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Europa treibt heute mit der Entwicklung der in ihm ruhenden produktiven Kräfte und der Mobilisierung seiner Erzeugungsreserven bewußt Autarkie, so wie die Ver einigten Staaten von Nordamerika es immer getan haben und wie es England in den Krisen) ahren durch Schaffung seines Ottawasystems zu tun versucht hat. Das autarkische Denken als ein integrierender Bestandteil jedes national bewußten Denkens hatte bereits mehr oder minder die einzelnen Länder erfaßt. Diese Autarkie, die alle rohstoff armen Länder treiben, ist aber kein ideologisches Hirn gespinst irgendeiner „Weltanschauung”, sondern ist nichts weiter als die Ablehnung der imperialistischen Ausbeu tungsmethoden der Weltkriegs„sieger”. Der A utarkie gedanke ist während des Weltkrieges geboren worden und war notwendig' das Ergebnis des Verfalls der „W eltwirt schaft”. Trotz des bewußten und konsequenten Strebens nach wirtschaftlicher Unabhängigkeit ist es aber klar, daß es "nicht eine völlige, absolute Selbstgenügsamkeit eines Landes gibt, die ohne jede wirtschaftliche Verbindung mit anderen Volkswirtschaften existieren könnte. Die von den meisten Ländern in mehr oder minder großem Umfang durchgeführte Autarkie auf dem Gebiete der Emährungswirtschaft, Rohstoffversorgung oder der Erzeugung von industriellen Fertigwaren ist in erster Linie eine politische Autarkie gewesen, — eine Notautarkie, die alle K räfte d e s, Landes für den Ernstfall zusammenfassen soll. Man hat das Autarkiestreben an sich als eine wirtschaftliche Widersinnigkeit hingestellt unter Hinweis auf die höheren Gestehungskosten der synthetischen Erzeugnisse im Ver gleich zu den billigeren natürlichen Rohstoffen auf dem „Weltmarkt". Wenn der Grundsatz der „billigsten” E r zeugung, d. h. der Erzeugung zu den niedrigsten Ge stehungskosten, durchgesetzt werden soll, dann muß zuvor eine Voraussetzung verwirklicht werden: der „W eltm arkt”
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in allen Erzeugnissen muß frei und allen unter gleichen Bedingungen zugänglich sein. Dieser W eltm arkt wurde aber von den „Sieger* Staaten und den unter ihrem Schutz stehenden internationalen K artellen und Konzernen be. . .. herrscht, hinter denen das internationale Finanzkapital mit ' seinen politischen Ambitionen stand. Durch diese gerade ~ auf dem W eltrohstoffm arkt errichtete internationale Kon* trolle ganz weniger Staaten, die zudem sich noch zu politischen Lebensgemeinschaften mit einseitiger welt- anschaulicher Tendenz zusammengeschlossen hatten, wurden die Kaufmöglichkeiten d e r „Havenots“ behindert und durch die handelspolitischen Methoden und Währungs m anipulationen derselben Länder auch die internationalen Zahlungsmöglichkeiten zerstört. Das Kostenproblem im Sinne der alten liberalen welt wirtschaftlichen Schule, welche die „absolut“ niedrigsten Kosten in der „W elt“ als das Erstrebenswerteste und das „W irtschaftlichste" verkündete, spielt heute, da man riesige Arbeiterheere beschäftigen muß, nicht mehr die Rolle, die man ihm bisher zuschrieb — zum mindesten - nicht das ausschließlich international ausgerichtete Kosten denken. Die Völker denken heute nicht mehr in internationalen Kostenvergleichen, wie es das Händlervolk der Eng länder tut, sondern in n a t i o n a l e n Kostenelementen, . d. h. in Produktion, Beschäftigung, Arbeit — und nicht in. kleinlichen Preisunterschieden, Da die Staaten heute für eine zahlreiche, stets wachsende erwerbstätige Bevölkerung zu sorgen haben, kommt es für sie nicht auf die Aus nutzung eines kleinen Kostenvorteils mit allen seinen Zu fälligkeiten an, sondern vor allem auf die S i c h e r h e i t der Rohstoffversorgung und damit auf die Dauerhaftigkeit der Beschäftigung. ' Ich sagte schon, daß nicht jedes einzelne Land für sich, - isoliert, zu einer völligen A utarkie gelangen kann aus den
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verschiedensten, z. T, sehr naheliegenden Gründen,. die in diesem Zusammenhang nicht erörtert werden können. Die Unvollkommenheit der in einem kleineren Raum, wie ihn eine Volkswirtschaft darstellt, vorhandenen Produktiv kräfte kann aber in mehr oder minder großem Umfang aus geglichen werden durch die Zusammenfassung mehrerer zusammengehöriger und sich gegenseitig ergänzender Volks wirtschaften in einem organisch zusammenhängenden wirt. schaftlichen „Großraum". Diese Form wirtschaftlicher Zu sammenarbeit bietet größere Möglichkeiten in der Abwehr der internationalen Blockade der W eltrohstoffmärkte durch einige wenige; Weltmächte. Die Vereinigten Staaten von Nordamerika haben immer in ihrer Geschichte sehr kon sequent autark gedacht. England ist trotz seines immensen Reichtums an Gütern dieser W elt in Ottawa an die Bildung eines großen, in sich geschlossenen W irtschaftsreiches ge gangen, als die übrige W elt den von England und der ge samten angelsächsischen W elt noch heute propagierten '„weltwirtschaftlichen” Idealen nachjagte. In Ostasien bildet das hochindustrialisierte, rohstoffarme und auf den Export angewiesene Japan seinen Lebensraum. i 1
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Und Europa? Europa will ebenfalls eine planvolle konti nentale Wirtschaft aufbauen mit Afrika als dem natürlichen Ergänzungsraum, um sich durch den systematischen A us bau seiner Rohstoffschätze die Grundlage für seine weiter verarbeitende Industrie und die darin beschäftigten Millionen Menschen zu schaffen. Diese europäische Groß raumwirtschaft ist aber auch nur eine Notautarkie, denn wir wissen sehr wohl, daß Europa an sich zwar nicht" so reich an gewissen Rohstoffen ist wie andere Erdteile, daß aber seine Rohstoffwirtschaft, wie schon gesagt, noch im großen Maße entwicklungsfähig ist, — ganz abgesehen von der synthetischen Rohstoffschöpfung, die gerade in Europa bereits sehr ansehnliche Erfolge aufzuweisen hat. / - / -r •
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Dr. Bruno Kiesewetter
D as europäische Rohstoffproblem ist jedoch ein Produk tions- und nicht in erster Linie ein Handelsproblem — wie es England und die anderen besitzenden Länder ansehen. D er C harakter d er N otautarkie als Ausdruck einer gemein sam en Besinnung der europäischen Völker auf die Inter essen ihrer Lebenssicherung ist aber wiederum kein Maß stab für die B eurteilung der weiteren Entwicklung. Diese N otautarkie ist nicht als letzte Zielsetzung anzusehen — als eine in sich abgeschlossene W irtschaft auf europäischer G rundlage. Die europäischen Leistungsenergien sind so groß, daß sie nach wie vor über den europäischen Großraum hinausstrahlen, so daß E uropa auch weiterhin Übersee braucht. Die Entw icklung und die Lebenshaltung soll ja nicht auf den Versorgungsmöglichkeiten aus dem europä ischen R aum stabilisiert werden. Das könnte in gewissen F ä lle n eine Reduzierung bedeuten. Im Gegenteil: die Lebenshaltung a l l e r europäischen Völker soll erhöht werden, und das ist gleichbedeutend mit dem Handelsver kehr m it den überseeischen Staaten. Die Organisierung des europäischen Großw irtschaftsraum es ist nur eine Vorstufe, D as europäische wie auch das internationale Rohstpffproblem ist nicht nur eine m aterielle, rein quantitative An gelegenheit, sondern es h a t diese Q uantitätssphäre, wenn ich einmal so sagen darf, längst überschritten und ist zum O rganisationsproblem auf breitester G rundlage geworden, E s ist d a s Kernproblem einer Neuordnung der Weltwirt schaft überhaupt.
GROSSRAUMBEDINGTE UMLAGERUNGEN IM EUROPÄISCHEN AUSSENHANDEL Von Dr, W a l t e r G r ä v e l l Die umwälzenden politischen Ereignisse, die wir seit rund 8 Jahren in Europa erleben und die in der kriegerischen Auseinandersetzung zwischen Deutschland und den West demokratien, d. h. im Grunde eigentlich nur England, Ihren vorläufigen Höhepunkt gefunden haben, können nur auf dem Hintergrund der europäischen Geschichte der letzten 4 Jahrhunderte, wenn nicht der letzten 1000 Jahre in ihrer ganzen Bedeutung und Tragweite gewürdigt werden. Denn wir sehen uns heute einer Entwicklung gegenüber, die sich als die Überwindung des 19. Jahrhunderts darstellt, das seinerseits wieder das Ergebnis des 18., 17. und 16. Jahr hunderts und der früheren Jahrhunderte gewesen st. Mit der Entdeckung Amerikas am Ausgang des 15. Jahr hunderts schließt das kontinentalpolitische Kapitel der Ge schichte Europas und beginnt die eigentliche Eroberung der Welt. Vier Jahrhunderte wurden gebraucht, tim schließlich den Zustand zu erreichen, der sich uns am Ende des 19. Jahrhunderts bot. Weltreiche waren inzwischen ent standen und vergangen: das spanische Reich, das hollän dische Reich, das französische Reich. Mit religiösen, kom merziellen und imperialen Zielen ist die Welt erobert worden, Bestand aber hatte erst das Reich Englands, das die Welt in ihrer Raumbedeutung begriff und den Raum dieser Welt seinen Lebensinteressen dienstbar machte, Erst Eng land eroberte wirklich die W elt in ihren Räumen. Selbst
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D t. W alter C rävell .
arm an Bodenschätzen und Erzeugungsmöglichkeiten, strebte es hinaus in die unerschlossenen Gebiete Asiens und Australiens, Amerikas und Afrikas, um sich diese als Be zugsquellen für Nahrungsmittel und Rohstoffe zu sichern. Nur so konnte England leben, wachsen und mächtig werden. Die übrigen europäischen Völker standen zwar, vor allem im 19. Jahrhundert, unter dem gleichen oder gar einem noch größeren biologischen Druck; auch sie konnten sich auf dem eigenen Raum nicht mehr ernähren und erhalten, auch sie mußten zur Versorgung aus Ubersee übergehen. Sie wären aber nicht wie England in der Lage, sich diese Versorgung politisch zu sichern. ' Deutschland gar überschritt die Raumgrenzen Europas erst., in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, also zu einer Zeit, da das britische W eltreich längst festgefügt war und unantastbar schien. Zudem war die W elt damals bereits fast ganz verteilt. Im wesentlichen standen nur in A frika noch freie Räume zur Verfügung, die Deutschland seinem Ver sorgungsbedürfnis unmittelbar zunutze machen konnte. Das war wenig genug und reichte nicht aus, um seine lebensnot wendigen Bedürfnisse zu befriedigen. Dieser Lage kam England geschickt entgegen. Es hatte" längst erkannt, daß ganz Europa wirtschaftlich auf die Welt angewiesen war. Hier fehlten Lebensmittel, d ort mangelte es- an Rohstoffen. Dieser lebenswichtige B edarf mußte gedeckt werden können. England gestattete dies. Allein, die Herrschaft Englands über die Quellen der Bedarfsdeckung durfte hierbei nicht verloren gehen oder auch 'nur geschmälert werden, Es m ußte also eine Synthese zwischen den Versorgungsansprüchen E uropas und dem unbedingten, auf Ewigkeit abgestellten englischen W eltm achtsanspruch gefunden werden. Zu diesem Zweck w urde d er Grundsatz der offenen Tür und d er G rundsatz d e r F re ih eit der Meere verkündet. B eide G rundsätze konnten v erk ü n d et werden,
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da sie weder den tatsächlichen Kolonialbesitz Englands a n tasteten noch die von England tatsächlich ausgeübte See herrschaft beeinträchtigten. Denn natürlich sollten die Grundsätze nur gelten, wenn die englische Seemacht ihre Aufrechterhaltung garantierte. Die Berechtigung des in te r nationalen Handels wurde dabei auf das Prinzip der inter- nationalen Arbeitsteilung gegründet, die O rdnung im zwischenstaatlichen W arenaustausch w urde dem Gesetz der komparativen Kosten unterworfen. Und dieser w irtschaft lich scheinbar vernünftige und wissenschaftlich scheinbar einwandfreie Weg, um zu den G ütern der E rde zu gelangen, wurde schließlich noch moralisch eingesäumt, indem jedem , Land das Recht auf allgemeine M eistbegünstigung in feier lichen Verträgen zugestanden wurde.
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. Wahrhaft satanisch ist dieses liberale A ußenhandels system ausgedacht, dessen wissenschaftliche G rundlagen zu widerlegen übrigens bis heute der W issenschaft nicht unwidersprochen gelungen ist. Und die ganze W elt hat sich diesem von englischen In te r essen diktierten W irtschaftssystem gebeugt. E nde .des 19. Jahrhunderts hatte England nich nur einen großen Teil der Welt unterjocht, womit es über ein W eltreich verfügte, . das in seinen Dominien, Kolonien und E influßsphären aus reichende Nahrungsmittel- und R ohstoffkapazitäten besaß, um das M utterland m it allem, was es brauchte, zu b eliefern ; England hatte außerdem, und das ist noch entscheidender als der Bestand und Umfang des britischen Reichs, E ngland hatte die Existenzgrundlagen E uropas in seiner Gewalt. Denn das englische W elthandelssystem w ar das V entil geworden, das den biologischen D ruck E uropas abfing. D. h. Europa war bei stärkster Bevölkerungsvermehrung in seiner wirtschaftlichen Bedarfsdeckung immer m ehr über seine räumlichen Grenzen hinaus gewachsen und h a tte dam it die Grundlagen seiner Existenz in überseeische Gebiete ver-
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lagert. Diese aber bzw. Ihre Zugangswege zu Europa war™ in der Hand Englands. P Das Verblüffende an diesem Vorgang war, daß die Völker Kontinentaleuropas und ihre Führer sich nicht bewußt waren oder wenigstens nicht bewußt werden wollten, in welch fatale, schicksalhafte Abhängigkeit sie sich wirt schaftlich und politisch begeben hatten. Sie haben diese Rückwirkungen einfach nicht empfunden. Im Gegenteil, der Zustand, der sich im Zeichen des Freihandels, der inter nationalen Arbeitsteilung und der allgemeinen Meist begünstigung herausgebildet hatte, wurde von ihnen für Freiheit gehalten, und zwar insbesondere auch von den jenigen europäischen Westrandstaaten, die, wie Spanien, Portugal, Frankreich und Holland durch England ihrer Weltreichstellung verlustig gegangen waren, wenn sie auch noch über mehr oder weniger weite Kolonialgebiete, vor allem in Afrika, verfügten. Diese Länder waren sich nicht bewußt, daß ihre ganze kolonialpolitische, also interkonti nentale Existenz nur im Rahmen des britischen Weltreichs Bestand hatte. Ihre wirtschaftliche und politische Freiheit hatte die Anerkennung der englischen Weltherrschaft zur Voraussetzung, sie stand gleichsam unter dem Schutz der englischen Flotte. Der ganze Welthandel Europas stand unter dem Schutz der englischen Kriegsflotte. Der gesamte Außenhandel Europas hatte sich damit britischen Not wendigkeiten unterworfen und britischen Gesetzen gebeugt. Der Handelsumsatz Kontinentaleuropas mit Übersee und Großbritannien belief sich im Jahr 1913 auf mehr als 31 Mrd. M. oder 46 °/o des gesamten kontinentaleuropäischen Außenhandels. Diese 31 Milliarden Mark waren das Faustpiand, das England in der Hand hielt und das ihm die Möglichkeit gab, Europas Freiheitswahn nicht zu stören. Deutschland hatte im Jahr 1913 eine Einfuhr aus Über see in Höhe von fast 5 Mrd. M„ das sind 46% seiner
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gesamten Einfuhr- Diese 46 %> fesselten Deutschland an die Welt. 53 Mill. M. oder 0,5 °/o der Gesamteinfuhr kamen aus den deutschen Kolonien. Aber selbst wenn es mehr gewesen wären, hätten sie im Grunde die wirtschaftliche Abhängig* keit Deutschlands von Übersee nicht verringert; denn den Weg zu den deutschen Kolonien beherrschte nicht Deutsch land, sondern England. Jeder Versuch eines europäischen Staates, sich der von England garantierten W irtschaftsfreiheit zu entledigen, d. h. sich der englischen W eltherrschaft zu entziehen, wurde von England unterdrückt. Das grandioseste Beispiel, der W elt krieg 1914/18, endigte bezeichnenderweise mit der Ver nichtung der deutschen Flotte und dem Raub der deutschen Kolonien. Die westlichen Randstaaten blieben als Tra banten Englands im Besitz ihrer Kolonien; Frankreich wurde es aber verwehrt, die letzten machtpolitischen Kon sequenzen aus seinem Sieg zu ziehen, wobei in diesem Zusammenhang dahingestellt bleiben kann, ob es dazu auf die Dauer überhaupt in der Lage gewesen wäre, und Italien, um es nicht zu einer Gefahr im Mittelmeer werden zu lassen, wurde um seine kolonialen Ansprüche trotz gegebener Versprechungen betrogen. Doch mehr noch: Deutschland wurde nicht nur auf Europa zurückgedrängt, sondern, indem es von einem Kranz fran zösischer Vasallenstaaten umgeben wurde, auf seinen eigenen nationalen Raum beschränkt. Und dieser wurde zudem noch verkleinert, indem wertvolle landwirtschaftliche Überschußgebiete und Rohstofflagerstätten vom alten Reich abgetrennt wurden. Andererseits hatte die Vereinigung der deutschen Länder außerhalb des Reichs mit dem M utter land selbstverständlich zu unterbleiben. Das Versorgungs bedürfnis Deutschlands, das setzt noch größer war als vor dem Kriege, wurde auf die Märkte, auf die „freien” W elt märkte verwiesen. Dort sollte es kaufen ki rnen, was es
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nötig hatte, sofern es über die dazu erforderlichen Devisen verfügte. Das alte Spiel nach den Regeln des Liberalismus konnte nun von neuem beginnen. Tatsächlich kaufte d an n . auch Deutschland wieder auf den Weltmärkten, was es brauchte. Und sofern ihm die Devisen dazu fehlten, borgte es sich diese. Und sie wurden zunächst geborgt. In den Jahren 1925/29 hat Deutschland für rd. 31 Mrd. RM, Ware aus Übersee bezogen und ist dafür fast 8 Mrd. RM. handels bilanzmäßig schuldig geblieben. Scheinbar erlebte also der Welthandel eine neue Blüte, sein Gesamtumsatz stieg bis auf fast 300 Mrd. RM. im Jahr an; der Grundsatz der allgemeinen Meistbegünstigung erfuhr eine herrliche Wiedergeburt, und das Gesetz der internationalen Arbeits teilung feierte in Monopolen und Monokulturen wahrhafte Triumphe. ' Die Struktur des Außenhandels Europas unterschied sich sowohl ländermäßig als auch warenmäßig nach dem Welt krieg nicht wesentlich von der vor dem Weltkrieg. Im Jahre 1928 bezog Kontinentaleuropa 40 °/o seines Außenhandels bedarfs aus Übersee, im Jahre 1913 waren' es 33 °/o gewesei Deutschlands Einfuhr kam 1928 zu 49 %> aus Übersee gegen 46°/o im Jahre 1913. Im Vordergrund standen dabei mehr oder weniger in beiden Jahren, wenn von gewissen durch den technischen Fortschritt bedingten Veränderungen abgesehen wird, die gleichen Waren, Nahrungsmittel sowohl als auch Rohstoffe. Europas Lebensgrundlagen waren erneut unter englischer Führung in die Welt hinaus verlagert, sie standen erneut unter dem Schutz der englischen Flotte. England schien gerettet, der Ewigkeitsanspruch seiner Machtherrschaft berechtigt. Allein — der wirtschaftliche und finanzielle Zusammen bruch der Weltwirtschaft, der Ausgang des Jahres 1929 seinen Anfang nahm, o‘, Jnbarte blitzartig, daß sich in der
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Welt doch Grundlegendes gegenüber 1914 geändert haben mußte. Die Automatik des Zahlungsbilanzausgleichs funk tionierte plötzlich nicht mehr, das Kreditsystem versagte, der Liberalismus als Wirtschaftssystem erwies sich als unfähig, die auf tretenden Probleme der politischen Zins zahlungen und der Befriedigung des europäischen W aren bedarfs zu lösen. In ständiger Wechselwirkung gingen Beschäftigung und Außenhandel zurück. England war offenbar der Lage nicht mehr gewachsen, es Vermochte der Schwierigkeiten seiner Weltwirtschaft nicht Herr zu werden. Kontinentaleuropa begann sich auf zulehnen, es wurde sich bewußt, daß die liberalen W irt schaf tsgrundsitze keine unantastbaren Gesetze darstellten. Sie schienen überwindbar, ja mehr noch, sie wurden als Instrument der britischen Machtpolitik erkannt, als welches sie in immer stärkeren Gegensatz zu den völkischen Kräften Europas gerieten. Allerdings bedurfte es noch der ganzen Schwere der Krisenjahre 1930 bis 1932, um endgültig eine Welt von Vorstellungen versinken zu lassen, die ein paar Jahrhunderte lang die weltwirtschaftlichen Beziehungen Europas bestimmt hatten. , Es war kein Zufall, daß Deutschland in dem Kampf gegen den Liberalismus und für eine Neuordnung der Weltwirt schaft führend voranging. Deutschland hatte von allen Nationen am schwersten an dem Abschluß des Weltkrieges, d. h. an dem widersinnigsten aller Friedensverträge, und än den Folgen der großen Weltwirtschaftskrise zu tragen gehabt. Mit seinen 135 Menschen auf den Quadratkilometer bei z. T. kargen Bodenverhältnissen, klimatisch benachteiligt und nur mit wenigen Rohstoffen in ausreichender Masse versehen, konnte Deutschland nicht leben. Es wollte aber leben, ja, es war gewillt, die gleichen Lebensansprüche zu stellen die für sich befriedigt zu sehen andere Nationen schon längst als selbstverständlich hinnahmen.
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Was Wunder, daß Deutschland aus den Erfahrungen, die es im Weltkrieg und in der großen Weltwirtschaftskrise der Nachkriegsjahre machen mußte, klarblickend die Folge rungen zog! Gewiß, diese Haltung war revolutionär, und sie wurde auch fast in der ganzen W elt zunächst als störend empfunden. Die Westdemokratien unter Führung Englands, das die drohende Gefahr sehr bald erkannte, begehrten auf und eröffneten den Kampf zur Verteidigung des Besitzes. Zu diesem Besitz gehörte auch das ganze Requisit des Frei handels, Aber Deutschland ging unbeirrt, wenn auch lang sam seinen Weg. Schritt für Schritt löste es sich von den Banden des Liberalismus und baute einen neuen Außen handel auf neuer Grundlage auf. An die Stelle des rein ökonomischen Prinzips der internationalen Arbeitsteilung setzte es das der vernünftigen Arbeitsteilung, an die Stelle der allgemeinen Meistbegünstigung den Grundsatz der Gegenseitigkeit und an die Stelle des Gesetzes der kom parativen Kosten den Anspruch auf soziale Gerechtigkeit. Die Herrschaft des Marktes als ordnende Macht wurde ver neint, indem das Wesen der Wirtschaft als Funktion des Volkes wieder erkannt wurde. Mit einem Wort, an Stelle des liberalistischen Außenhandelsprinzips proklamierte Deutschland ein völkisches Außenhandelsprinzip als die Grundlage seiner Außenhandelsbeziehungen. Wir werden gleich sehen, welche tiefgreifenden Folgen diese Wendung gehabt hat. Der entscheidende Unterschied zwischen beiden Ord nungsprinzipien des Außenhandels, dem liberalistischen und dem völkischen — Sie können auch sagen zwischen dem englischen und deutschen Prinzip — liegt wohl im folgen den: während das liberalistische Prinzip nur die ganze W elt als Raumfeld seiner Betätigung kennt, geht das völkische Außenhandelsprinzip von ganz bestimmten Raumvorstel lungen aus und beschränkt sich darauf, den Außenhandel
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in einem fest abgegrenzten Raum, dem Lebensraum der Nation, zu ordnen. Es ist gleichsam eine Besinnung auf den Raum vor sich gegangen, es ist die schicksalhafte Verbunden heit von Volk und Raum wieder erkannt worden, und sie ist zum Ausgangspunkt der Neuordnung des Außenhandels genommen worden, der damit wieder an die Lebensgesetze und Lebensnotwendigkeiten des Volkes gebunden wird. Die Lage für Deutschland ist doch die folgende: Deutschland kann auf die Zufuhr von Lebensmitteln und Rohstoffen aus dem Ausland nicht verzichten. Dieser Um stand verpflichtet in erster Linie zur Höchstanspannung der eigenen Kräfte. Die Vierjahrespläne und die Erzeugungs schlachten dienen der Aufgabe, auf eigenem Boden Höchst leistungen zur Versorgung von Volk und Wirtschaft zu erzielen. Hierauf beruhen erste Folgen für den Außen handel: jede Einfuhr, die die gewollte Erzeugung im Inland stört, hat zu unterbleiben. Ich sage gewollte Erzeugung; denn ich möchte anmerken, daß A rt und Umfang der inländischen Erzeugung zu verschiedenen Zeiten verschieden sein werden. Das Ziel der deutschen Wirtschaftspolitik ist nicht Selbstgenügsamkeit auf eigenem Boden, sondern größt mögliche Wohlfahrt, Nur eine Einschränkung gilt hierbei: die Sicherheit der Versorgung mit dem Nötigsten, und zwar sozial und wehrwirtschaftlich Nötigsten, muß zu jeder Zeit und in jeder Lage gewährleistet sein. Aber auch nur in diesem Rahmen besteht ein absoluter Zwang für die Aus richtung der Volkswirtschaft. Aber zweitens: der auch bei Höchstleistungen im Inland nicht zu deckende Bedarf an lebenswichtigen Gütern ist so im Ausland zu befriedigen, daß in keinen wie auch immer gearteten Krisenzeiten eine gefahrdrohende Unterbrechung eintreten kann, Dieses Erfordernis führt zu weiteren bedeut samen Folgen für den Außenhandel. Es führt zu einer Zwei teilung des Außenhandels, und zwar in den Versorgungs8*
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handel und den Handel mit entbehrlichen Gütern. Der Ver sorgungshandel ist der Außenhandel mit nicht entbehrlichen, mit lebensnotwendigen Gütern. Dieser Versorgungshandel hat, wenn er seine Aufgabe erfüllen soll, das Vorhanden sein eines Versorgungsraums, eines Lebensraums zur Voraussetzung. Hier stoßen wir auf den Raumgedanken, aut die Raumgebundenheit des völkischen Außenhandels prinzips. Und hier erhebt sich die Frage nach dem Ver sorgungsraum Deutschlands und weiter nach dem Ver sorgungsraum Europas. Der politische Kraftträger des neuen Europa ist die ^A.chse Berlin—Rom. Ihr Bestand erfordert die wirtschaft liche Unabhängigkeit Kontinentaleuropas. Das will sagen, daß die Völker Kontinentaleuropas eine wirtschaftliche. Einheit darstellen müssen. Auf diese Einheit ist die Wirt-, schaft jedes einzelnen Volkes auszurichten, und hieraus ergeben sich die Verpflichtungen für jede Volkswirtschaft. Diese Lage ist eine absolute Zwangslage, es gibt keine Wahl. Der Zwang, der hier vorliegt, darf jedoch nicht iaiX Unfreiheit verwechselt werden. Die Dinge liegen in W ahr heit ganz anders. In Wahrheit bedeutet das Anerkenntnis der wirtschaftlichen Einheit Europas die wirtschaftliche Freiheit der Völker Kontinentaleuropas. Die vermeintliche Freiheit der westlichen Randstaaten mit Kolonialbesitz beruhte ja auch nicht auf dem Recht zu freier Gestaltung ihres Lebens, sondern, wie ich bereits bemerkte, auf der Anerkenntnis des britischen Weltmonopols. Nur im Rahmen der britischen Weltherrschaft waren diese und andere Länder frei. Gerade der gegenwärtige Krieg führt ja auch dem hartnäckigsten Anhänger einer liberalistischen W irt schaftsauffassung die tatsächliche Unfreiheit dieser Länder gegenüber dem englischen Herrschaftsanspruch nachdrück lich vor Augen. Sie haben in Wirklichkeit kein Recht auf freie Gestaltung ihrer Wirtschaft gehabt, sie mußten sich
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einfügen in die wirtschaftliche Ordnung des britischen Welt reichs. Und nur der politischen Kunst der Maskierung Eng lands verdankten sie es, daß sie ihre Ketten in normalen Zeiten nicht zu spüren vermeinten. England ließ die Völker oder wenigstens deren regierende Schichten verdienen, solange es ihm nicht schadete. Und diese verwechselten die internationale Freizügigkeit von Mensch und Kapital mit Souveränität, Es ist vielleicht als der größte Erfolg der britischen Diplomatie anzusehen, der W elt das 19. Jahr hundert als das Jahrhundert der Freiheit vorgetäuscht zu haben. - ' Wahre Freiheit aber ist nicht von der Art: Und bist Du nicht willig, so brauch ich Gewalt; wahre Freiheit ist innere Verpflichtung. Heute handelt es sich um die Verpflichtung der europäischen Völker gegenüber dem Bestand Europas. Ihr Raum ist europäischer Raum, und als solcher hat er kein Recht, sich auf die Lebensbedürfnisse einer Kolonial macht einzustellen, die sich von Europa emanzipiert hat, für die Europa nur eine Summe von Kräften ist, die sich gegenseitig aufzuheben haben, und die jederzeit bereit ist, Europa zu opfern oder wenigstens entscheidend zu schwächen, wenn die Kräftebilanz nicht mehr ausgeglichen ist. - , ' ontinentaleuropa hat sich künftig als wirtschaftliche Einheit einzurichten. Dieses Gebot ist heute gleichsam der kategorische Imperativ für die Völker Europas. Das hat — sagen wir — Dänemark ebenso gut zur Kenntnis zu nehmen wie Frankreich oder Holland; und das hat Deutschland ebenso wie Rumänien und Griechenland zur Kenntnis zu nehmen; und das haben ebenso Italien, die Schweiz und Spanien zur Kenntnis zu nehmen. Alle europäischen Völker haben dies zur Kenntnis zu nehmen. Dieses Gebot macht nicht Halt vor den, „Großen“ und gilt nicht nur für die Kleinen”, wenn natürlich auch der Einfluß der verschieden
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großen Kräfte auf die Gestaltung der europäischen Groß raumwirtschaft verschieden sein wird. Es kann nicht wundemehmen, daß letzten Endes bestimmend für die Grundausrichtung der Wirtschaftsgemeinschaft die Kraft zentren Europas sein werden, d. h. die Achse Berlin—Rom. Deutschland ist also eigentlich nur der erste Exponent einer europäischen Wirtschaft, der deutsche Versorgungs raum ist damit in den europäischen Großwirtschaftsraum organisch eingebettet, daher auch nicht selbständig heraus zulösen. Man kann organische Einheiten nicht in lebens fähige Teile zerlegen. Der deutsche Außenhandel wird seiner Aufgabe nur im Rahmen einer kontinentaleuropä ischen Wirtschaftseinheit gerecht werden können. Die Existenz Deutschlands ist von der Einheit Kontinental europas nicht zu trennen. Das Ergebnis der wirtschaftlichen Neuordnung wird für Europa ein vierfaches sein: 1. es werden stabile und gesicherte W irtsch aftsverh ältn isse in jedem europäischen Land herrschen; 2. es wird einen gesunden A ußenhand elsverk eh r europäischen Länder untereinander geben;
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3. es wird ein Versorgungshandel übrig bleiben, der über die Grenzen Europas hinausgreift und 4. es wird Platz sein für einen blühenden Handel Europas N mit der übrigen Welt, und zwar in Waren, die entweder ihrer Natur nach entbehrlich sind oder auf deren Ver brauch in Krisenzeiten ohne Gefahr für den Bestand der Wirtschaftsgemeinschaft verzichtet werden kann. Zuvor ein paar Worte zu dem dritten Punkt, der hier besonders interessiert. Europa kann sich aus sich selbst heraus wirtschaftlich nicht restlos versorgen. Zwar wird bei geordneten Volkswirtschaften der gesamte Zuschußbedarf ' Europas unter gleichbleibenden Verhältnissen geringer sein,
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als er es zur Zeit ist oder vor dem Kriege war- Aber er wird bestehen. Die Diskrepanz zwischen Volk und Raum wird auch bei intensivster Bewirtschaftung und Ausnutzung des Bodens nicht zu beseitigen sein. Am geringsten noch ist der Zuschußbedarf an Nahrungsmitteln. Erheblich dagegen ist er bei Genußmitteln und Rohstoffen. Man kann eben nicht mehr Schätze aus dem Boden herausholen, als darin ver borgen sind. Außerdem ist Europa an sein Klima gebunden, es wird niemals Kaffee und Kakao, Tee und Gewürze, tropische Früchte, Kautschuk und Baumwolle hergeben. Kontinentaleuropa braucht also einen Ergänzungsraum, zumindest für den lebenswichtigen Bedarf, der im europä ischen Raum nicht gedeckt werden kann. Dieser Ergän zungsraum kann nicht schlechthin die übrige W elt sein. Dem Welthandel insgesamt fehlt vom europäischen Standpunkt aus das A ttribut der Sicherheit und Beständigkeit. Hier treten Vorderasien und Afrika In den europäischen Blick punkt. Das Mittelmeer bekommt eine neue Aufgabe. Es wird künftig nicht mehr die Trennungslinie von Kontinenten sein dürfen, sondern das Verbindungsstück. Das wirtschaftlich geeinte und organisierte Europa wird seine wirtschaftliche Ergänzung in Vorderasien und Afrika finden müssen, und diese Raume zusammen werden den einen der künftigen Großwirtschaftsräume bilden, die gegenwärtig gestaltet werden. W ir erleben heute die Gliederung der Welt in wirtschaft liche Großräume. Das ist keine willkürliche Entwicklung, die von irgend jemand, sagen wir von einem Nationalsozia listen, erdacht worden ist. Hier handelt es sich um die zwangsläufige Folgerung, die aus der Bevölkerungsentwick lung, der Entwicklung der Technik und der Vergebung der ^ W elt gezogen wird. Die immer weiter ansteigende Menschen zahl bei nicht mehr vorhandenen räumlichen Ausweichmöglichkeiten, wohl aber einem Streben nach stetiger Steige
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rung des Wohlstandes zwingt zu r Intensivierung der Ram». ausnutzung. Die W irtschaftsentfaltung dringt heute in die Tiefe und nicht mehr in die Weite. Das nützliche Neben einander bestimmen dabei die großen Nationen. Die Voraus setzung zur Erfüllung dieser Aufgabe ist das Vorhandensein festgefügter und wohlgeordneter Nationalwirtschaften. Daher sehen wir heute das Mühen um diese und sehen, wie alte handelspolitische und wirtschaftspolitische Auffassun gen, die der Bildung derartiger Nationalwirtschaften ent gegenstehen, über Bord geworfen werden und an deren Stelle' neue Auffassungen treten. Großwirtschaftsraum, das bedeutet nicht Zollunion, das bedeutet nicht politisches Aufgehen aller Staaten in einem Uberstaat, das bedeutet nicht Beherrschung des einen durch' den anderen. Großwirtschaftsraum bedeutet Aufeinander angewiesensein, gegenseitige Nutzbarmachung, nachbarliche Unterstützung, auf Fähigkeiten und Bedarf abgestimmte Entfaltung und Entwicklung; Großwirtschaftsraum bedeutet vor allem, daß für die Ausbeutung, sei es eines Agrar- oder Rohstoffstaates durch einen Industriestaat, sei es eines Kolonialstaates durch einen Kulturstaat, kein Platz mehr ist». Damit haben wir die Gesichtspunkte gewonnen, die den Außenhandel Europas künftig bestimmen werden. Ein Teil dieses Außenhandels ist der Handel der europäischen Länder untereinander, ein anderer Teil der darüber hinaus-, gehende Handel innerhalb des Großwirtschaftsraums Europa—Afrika, ein dritter Teil der europäische Übersee handel. Mit letzterem befaßt sich der Vortrag, den Sie heut’ in 8 Tagen hören werden. Der Überseehandel wird daher von mir nur insofern berührt, als ich mich im Rahmen meiner Aufgabe mit allgemein gültigen Gesichtspunkten zu befassen habe. Es wird niemanden, der meinen Ausführungen gefolgt ist überraschen, wenn ich jetzt sage, daß die auf} handeis'
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politische Zielsetzung Europas geradezu revolutionäre Um wälzungen und Umlagerungen zur Folge haben wird. Für Deutschland allerdings wird die künftige Entwicklung nur die Fortsetzung derjenigen sein, die vor ungefähr 9 Jahren eingeleitet worden ist und . die übrigens auch durch den Krieg keinen grundsätzlichen Umbruch erfahren hat. Wäre dies nämlich der Fall gewesen, dann wäre ja die Entwick lung falsch ausgerichtet gewesen. Denn sie hatte gerade zum Ziel, einen Außenhandel aufzubauen, der in Krisen- Und auch Kriegszeiten beständig ist. Im Gegenteil also, . der Krieg hat, was Deutschland anlangt, die begonnene Ent wicklung nur beschleunigt fortgesetzt. Auch wird für die Staaten, die bisher schon mit Deutschland in engen Außen- E handelsbeziehungen, wie z. B. die Südoststaaten Europas, gestanden haben, sich jetzt nur die Richtigkeit ihrer Grund haltung, zu der sie sich in den letzten Jahren bekannt haben, erweisen. Und in der T at ist deren Außenhandel,' der zum größten Teil schon, im Jahre 1938 zu beinahe 60°/o dem Warenaustausch .mit Deutschland diente, durch den Krieg. _nicht erschüttert worden, ja, er hat sogar eine gradlinige.'. Fortsetzung und z. T. beachtliche Ausdehnung erfahren. Um so einschneidender werden die Veränderungen bei den jenigen Ländern sein, die bisher in ihrem Außenhandel nur wenig oder jedensfalls nicht vorwiegend europaorientiert' gewesen sind. Das gilt vor allem für die Nordstaaten und • die westlichen Randstaaten. Bei den Nordstaaten z, B. belief sich der Anteil Deutschlands am Außenhandelsumsatz nur auf 25 %>, Diese Staaten werden eine grundsätzliche Um stellung vornehmen müssen, die sich ländermäßig und •warenmäßig stark auswirken wird. Es ist hierbei noch von besonderer Bedeutung, daß W est europa eine stark passive Außenhandelsbilanz zu eigen war. Den Ausgleich fand sie in dem Aktivposten der Kapital bilanz d. h. also in den Erträgen des überseeischen Kapitaln-
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besitzes. Soweit diese künftig nicht mehr eingehen sollten, erwächst daraus für Westeuropa ein Zwang zur Konsum einschränkung, der nur durch Exportsteigerung, d, h, durch Mehrarbeit behoben werden kann. Die übrigen Gebiete Europas, so bw. der Norden und der Südosten, befinden sich in günstigerer Lage, da für sie regionale Umlagerungen aus reichen werden, um sich den veränderten Verhältnissen anzupassen. Allerdings wird das nicht immer ohne krisen hafte Begleiterscheinungen vor sich gehen können. Die Umlagerungen, die der europäische Außenhandel, der sich innerhalb des Großwirtschaftsraums abspielt, erfahren wird, werden sich z, T, ausschließlich in der Sphäre des Handels abspielen. Wenn z. B. Rumänien früher Mineralöl in großem Umfang auch an England geliefert hat, so wird es künftig seinen Absatz wohl nahezu ausschließlich in Kontinentaleuropa finden, Oder, wenn früher Dänemark seine Butter und seinen Bakon nach England gesandt hat, so- wird es diese Waren künftig in Deutschland und in Belgien absetzen. Aber gerade dieses Beispiel lehrt, daß die Umlagerungen nicht auf die Sphäre des Handels beschränkt bleiben werden. Die Struktur des europäischen Außenhandels wird vielmehr künftig in ganz großem Um fang von den Änderungen abhängen, die in der Erzeugung der einzelnen Länder vor sich gehen werden. Die Wirtschaft- liehe Einheit Kontinentaleuropas bedingt die planmäßige Ausrichtung der Erzeugung von Agrarprodukten und der Gewinnung von Bodenschätzen auf die Bedürfnisse aller europäischen Länder, Im Vordergrund stehen hierbei die Zuschußbedürfnisse Deutschlands und Italiens. Anderer seits wird auch die industrielle Produktion eine allgemeine Ordnung nach ganz bestimmten Richtlinien erfahren. Wesentlich wird bei all dem sein, daß weder die Industrie staaten, also vor allem Deutschland, auf die Entfaltung aller seiner landwirtschaftlichen Erzeugungsmöglichkeiten zu
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verzichten brauchen, noch die Agrar- und Rohstoffländer in der vernünftigen Industrialisierung Ihrer Räume behindert werden. Die aufeinander angewiesenen Räume werden ihre Bedürfnisse und ihre Reichtümer an Bodenschätzen, Produk tionskapazitäten und Arbeitskräften überprüfen und diese geordnet in den Dienst der Bedarfsdeckung stellen. Boden schätze werden neu erschlossen werden, neue Kulturen werden angelegt werden, die Arbeitskräfte werden sinnvoll angesetzt werden, kurzum, es wird die Wirtschaft Europas in allen Teilen auf der Grundlage gegenseitiger Verpflich tung entwickelt und entfaltet werden. Es kann nicht die Aufgabe dieses Vortrages sein, im ein zelnen darzutun, welche Möglichkeiten für den europäischen Wirtschaftsausbau in den einzelnen Ländern gegeben sind, d. h. nachzuweisen, daß z. B. in Serbien die Erz förderung und besonders die Kupfergewinnung gesteigert werden kann, daß in Rumänien mehr Sojabohnen angebaut und mehr 5chafe gezüchtet werden können, daß in Ungarn mehr Mohnsamen und mehr Textilfasern gewonnen werden können, daß Schweden und Finnland mehr Holz liefern können, daß Deutschland mehr Kohle fördern wird, daß Dänemark seine Landwirtschaft mehr von der Viehzucht auf die Körnerwirtschaft umstellen muß, daß Bulgarien Südfrüchte kultivieren muß usw. usw. Jedes Land und jedes Produkt müßten hier eingehend untersucht werden, und diese Untersuchungen werden ja wohl heute an maßgeb licher Stelle bereits angestellt. Ich muß bitten, mir nur ein paar allgemeine Bemerkungen zu all diesen Fragen noch zu gestatten. 1. Der agrarische Südosten leidet seit Jahrzehnten unter einer relativen Übervölkerung. Der Lebensstandard der Menschen dieser Gebiete ist erschreckend tief. Diese Situation zwingt zu stärkster Intensivierung der Landwirt schaft und zu einer gewissen Industrialisierung. Die Aufgabe
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der-Intensivierung der Landwirtschaft kommt der Bedarfs* läge Deutschlands voll entgegen, wenn die Landwirtschaft sich insbesondere dem Ausbau ertragreicher Kulturen, wie dem Anbau von Ölpflanzen (Sojabohnen, Mohn, Sonnen blumen usw.), von Textilpflanzen (Hanf, Baumwolle und Flachs), sowie der Viehzucht und Obstkultur zuwendet. Die . Landwirtschaft wird außerdem den technischen und wissen schaftlichen Fortschritt Deutschlands zwecks Steigerung der Bodenerträge und Verringerung des Menscheneinsatzes sich zunutze machen müssen. Am Ende dieses Weges wird ein Ertrag stehen können, der Europa nahezu unabhängig vom Nahrungsmittelbezug aus Übersee macht. 2. Die Industrialisierung der Agrar- und Rohstoffgebiete muß ihre Grenze in den Absatzmöglichkeiten finden. Hier sind lokale, kontinentale und weltwirtschaftliche Möglich keiten zu unterscheiden. Es wird heute niemanden mehr geben, der einem Land das Recht bestreitet, sich die Indu strien aufzubauen, die der Befriedigung eines lokalen, d. h. gebietlich gebundenen Bedarfs dienen. So werden jedem Land Textil- und Schuhfabriken, Möbelwerkstätten, Glas hütten und andere Fabriken für die Herstellung von Massen bedarfsgütern zugebilligt werden können. Töricht dagegen wäre es, jedem Gebiet zu erlauben, etwa Walzwerksanlagen oder Starkstromanlagen zu erzeugen. Der W eltbedarf an diesen Anlagen ist zu gering, als daß sich jedes Land mit ihrer Erzeugung befassen könnte. Außerdem stellt hier die Erzeugung, wenn sie vollendet sein will, derartig hohe tech nische, finanzielle und kaufmännische Anforderungen, daß ihnen von allen Ländern, also insbesondere den kleineren, gleichzeitig gar nicht entsprochen werden könnte. Zwischen den beiden Extremen, dem lokalen Bedarf und dem welt wirtschaftlichen Bedarf, liegt eine Fülle von Zwischenstufen, die in Anpassung an die Fähigkeiten der Völker und die Eigenheiten von Klima und Boden zweckmäßig ausgefüllt '
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werden können. Hierbei wird jedes Land zu seinem Recht und damit Vorteil gelangen können. 3, Der natürliche wirtschaftliche Ergänzungsraum Europas sind Afrika und Vorderasien. Afrika ist ein noch völlig unerschlossener Kontinent. Bei planmäßiger Bewirtschaf tung und gesundem Einsatz der eingeborenen Arbeitskräfte wird dieser Kontinent in der Lage sein, einen großen Teil des europäischen Bedarfs an kolonialen Produkten zu decken. Aber allein schon durch Umlagerung seiner Aus fuhr kann Afrika viel zur Befriedigung des kontinental-' europäischen Bedarfs beitragen. Im Jahre 1938 gingen nur 12 % der gesamten afrikanischen Ausfuhr nach Deutsch land, dagegen fast 40 % nach England und Übersee. Frank reich war bereits mit 35% beteiligt. In einer größeren An zahl von Waren, so z. B. Kakao, pflanzlichen Ölen und Fetten, Wein, Sisal, Eisenerzen, Rohphosphaten, Chrom erzen und Gold, exportierte Afrika vor dem Kriege bereits mehr als der gesamte Zuschußbedarf Kontinentaleuropas , ausmachte. Und in vielen anderen Waren beliefen sich die Exporte auf mehr als 50% des europäischen Bedarfs-Und Vorderasien bietet ebenfalls große Möglichkeiten im' Rahmen einer europäischen Großraumwirtschaft. Im Jahre 1938 lieferte Vorderasien nur 22 % seiner Ausfuhrwaren . nach Deutschland; fast ebensoviel gingen nach England und rund 35 °/o nach nichteuropäischen Gebieten, Eines darf nicht übersehen werden: Die Einschaltung dieser weiten asiatischen und afrikanischen Gebiete in die große europäische Gemeinschaftswirtschaft erfordert Zeit, Menschen und Kapitalinvestitionen. Ein bißchen Geduld isri also schon nötig, um die großen Ziele zu erreichen, die hier der Wirtschaftspolitik gesetzt sind. 4 G roßw irtschaftsräum e sind grundsätzlich autark, d h. sie sin d in sich existenzfähig. D er A ußenhand el der G eb iete ‘eines Großwirtschaftsraum s untereinander kann im G runde
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Dr. Walter Grävell
nicht mehr als Welthandel bezeichnet werden, er ist gleich sam nationalisiert worden. Der Handel der Großräume untereinander, wobei ein Großraum nicht notwendigerweise als e i n Handelspartner aufzutreten braucht, sondern durchaus in seinen Einzelgebieten erscheinen kann, stellt dagegen den eigentlichen Welthandel der Zukunft dar. Er unterscheidet sich grundsätzlich von dem Außenhandel, den Ich den Versorgungshandel im Versorgungsraum, d. h, im Großwirtschaftsraum', bezeichnet habe. Denn dem Welt handel fehlt vor allem eines: er braucht machtpolitisch nicht gesichert zu werden. Er ist gleichsam die friedensmäßige Erscheinung des Außenhandels. Solange der überseeische Handel zugleich Versorgungshandel war, stellte er eine ständige Kriegsgefahr dar. Er gewährte nur den Ländern Sicherheit, die die Seewege beherrschten. Nur England konnte dank seiner Flotte die ganze Welt als seinen Ver sorgungsraum ansehen. Deutschland tat dies vor 1914 zwar praktisch auch, mußte aber im Krieg und später die Kon sequenzen spüren. Das schöne Prinzip der Freiheit der Meere bestand nämlich in Wirklichkeit gar nicht. Es konnte auch nicht bestehen. Denn es stand im Widerspruch zu dem Sicherheitsbedürfnis jeder Nation. Erst wenn der Kampf um die Lebensgrundlagen aus der Sphäre des Welthandels ausgeschaltet sein wird und ihm nur noch der Austausch entbehrlicher, wenn auch erwünschter Güter überlassen ist, die Versorgung der Völker mit allen notwendigen Waren dagegen in ihren Versorgungsräumen sichergestellt ist, erst dann wird sich der Grundsatz der Freiheit der Meere ver wirklichen lassen. Der Überseehandel wird daher künftig ein anderes Gesicht als bisher tragen. Seine Warenstruktur wird eine " andere sein und ebenso seine Ländergliederung, Das bedeutet aber nicht, daß sein Umfang geringer sein wird als früher. Im Gegenteil, nur in der Atmosphäre des Friedens
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jrann sich ein wahrer W elthandel entfalten. Diese Atmo sphäre des Friedens herzustellen, ist aber der Sinn der Neuordnung der W elt. Befriedete Nationen, befriedete Groß wirtschaftsräume, mit allem, was lebensnotwendig ist, ver sorgt: das ist das Ziel, dem das neue völkische Außen handelsprinzip dient. Und dieser Zustand ist dann die Grundlage für den neuen W elthandel, den W elthandel der Zukunft. Ihm sind dann auch gar keine Grenzen mehr gezogen, wie ja den Bedürfnissen der Menschen und der Erzeugung in industriellen Gütern praktisch keine Grenzen gesetzt sind. ' 5. Einer der hervorstechendsten Vorteile des auf Gegen seitigkeit aufgebauten W irtschaftsverkehrs soll in der Sicher heit des Absatzes beruhen. Nicht ein irgendwie und irgend wo beeinflußbarer, konjunkturellen Schwankungen unter worfener Markt, sondern fest abgrenzbare Bedürfnisse werden den Absatz bestimmen. In langfristigen Verträgen werden die Verpflichtungen festgelegt werden: auf der einen Seite Anbau-, Abbau- und Lieferverpflichtungen, auf der anderen Seite Abnahmeverpflichtungen. Gerade in der artigen Verträgen erweist sich der W ert des neuen Außen handelsprinzips. Der Außenhandel erhält dadurch auf beiden Seiten eine Stabilität, die Gewähr für Ordnung und ohlstand bietet. Der Bauer kann unbesorgt um den Ver kauf seines Ertrages sein Feld bestellen, der Bergmann und Industriearbeiter braucht nicht mehr die Arbeitslosigkeit zu fürchten, der Kaufmann und Industrielle ist nicht mehr von den Gefahren der Spekulation und Konjunktur bedroht. In die ruhigen und soliden Bahnen der Arbeit und des Fleißes ist das Wirtschaftsleben geleitet, dem Tüchtigen wird der gerechte Lohn zuteil. Mag sein, daß der eine oder andere diesen Zustand als beengend empfindet. Ich habe über diese Frage bereits einiges gesagt und möchte hier noch folgendes hinzufügen.
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Auch rein wirtschaftlich gesehen .kann die «fegen«*-* ' - Bindung von Ein- und Ausfuhr nicht als" Last unerwünschte Beschränkung der Handlungsfreiheit ’oder gar als Nachteil empfunden werden. Dem rumänischen Bauer z. B. muß es doch bedeutend angenehmer sein, seine Feld früchte Jahr für Jah r auf der Grundlage gegenseitiger Außenhandelsabmachungen zu guten und festen Preisan nach Deutschland liefern zu können, als im Zeichen eines liberalistischen Wirtschaftssystems lediglich die Aussicht zu haben, sie vielleicht auf dem W eltmarkt, noch dazu zu Preisen, die vorher nicht bekannt sind, abzusetzen oder auch nicht. Die Umlagerung des Außenhandels, d. h. die . Verlagerung von Weltmarktbeziehungen in die innere Handelssphäre eines Großwirtschaftsraumes, bedeutet also nicht nur Stetigkeit der Entwicklung, sie gibt vielmehr jedem einzelnen auch die Sicherheit seiner Existenz und begründet damit tatsächlich seine volle wirtschaftliche Freiheit. Und ■ dies, weil ja noch ein weiteres hinzukommt, nämlich schließ- lieh:,. _ V . ,-T r
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6. Das völkische Außenhandelssystem gibt, jedem gründ- v sätzlich das gleiche Recht auf Beteiligung am wirtschaft lichen und sozialen Aufstieg des gesamten wirtschaftlichen Großraums. Hier ist kein Platz mehr für Ausbeutung des einen durch der* anderen. Bewirkt wird dieser Erfolg dadurch, daß gerechte Preisrelationen zwichen den Aus tauschprodukten hergestellt werden. Wenn der Bauer Bauer, und der Bergmann Bergmann bleiben soll, so darf er nicht zu einem Menschen zweiter Klasse, zu einem Objekt der Ausbeutung herabgedrückt werden. Das gilt im Ausland ebenso wie im Inland. Wenn also z. B. Deutschland W ert darauf legt, daß es bestimmte lebenswichtige W aren stetig und dauernd aus anderen Teilen des wirtschaftlichen Großraums beziehen kann, und wenn sogar die Erzeugung dieser Teile neu auf den deutschen Bedarf ausgerichtet werden
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soll, so muß es Preise bieten, die die Arbeit lohnen, Preise, die es vorteilhaft erscheinen lassen, mit Deutschland im Austauschverkehr zu stehen. Aber nicht vorteilhaft im Sinne des Gesetzes der komparativen Kosten, sondern im Sinne des Anspruchs auf gleiche Lebenshaltung bei gleichen Leistungen, Gerade die Verweigerung des Rechts auf gleiche Lebenshaltung,' d. h. die Verdammung eines Landes zur Kolonie, will sagen zum Ausgebeutetwerden,' das war ja eines der unheilvollen Postulate des liberalistischen, will sagen englischen Außenhandelssystems, Das völkische, d. h deutsche Außenhandelssystem mißt mit anderem Maßstab; hier bestimmt nicht der W eltm arkt den Preis, sondern die Arbeit und der Anspruch auf soziale Gleichberechtigung, Die großen 1Imlagerungen, die in Ein- und Ausfuhr der europäischen Länder erfolgen müssen, sofern die Befrie digung der wirtschaftlichen Bedürfnisse Europas sicher gestellt sein soll, sind nur möglich, wenn die im Großwirtscliaftsraum geltenden Preisgesetze die Preise für die dann erforderliche. Erzeugung gerecht bestimmen lassen. Eine wichtige Voraussetzung für das zwischenstaatliche Zusammenwirken im Großwirtschaftsraum auf geordneter Ergänzungsgrundlage ist natürlich das Vorhandensein fester .Währungen, die im festen und gesunden Verhältnis zueinander stehen. Sie ermöglichen das Einhalten fester Preise und außerdem ein Zentralclearing, das die Aus zahlungen erleichtert und vor allem einen multilateralen Abrechnungsverkehr einzurichten gestattet. Denn selbstverständlich kann der Außenhandel im Großwirtschafts raum nicht von Land zu Land ausgeglichen sein; dagegen kann'sehr wohl die Summe der Zahlungsbilanzen im Groß-wirtschaftsraum sich im Gleichgewicht befinden, ja sie muß es eigentlich sogar- Würde allein die bilaterale Verrechnung zugelassen, so würde das eine Beengung darstellen, die eine volle Ausnutzung vorhandener Handelskapazitäten 'nicht'
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zuließe. Die produktionsmäßig möglichen Umlagerungen des Außenhandels würden in diesem Falle an Verrechnungs schwierigkeiten scheitern; das darf aber künftig nicht mehr der Fall sein. Durch die behandelten 6 Punkte ist zugleich der Rahmen gezogen, innerhalb dessen sich die tatsächliche Umlagerung des europäischen Außenhandels vollziehen wird. Es ist dies eine große Aufgabe. Jahrzehnte werden zu ihrer vollen Lösung nötig sein. Der Krieg allerdings beschleunigt die Umstellung außerordentlich. Vor allem bewirkt der Krieg verkehrsmäßig eine Zwangslage, die Verkehrseinrichtungen im Interesse der Umlagerung entstehen läßt,'die sonst nicht so schnell entstanden wären. Denn natürlich ist die Um lagerung des Außenhandels nicht nur ein Handelsvorgang und eine Erzeugungsplanung, sondern auch ein Beförde rungsproblem, Neue Verkehrswege müssen geschaffen, alte ausgebaut werden; die Verkehrsmittel müssen den neuen Handelsbeziehungen angepaßt werden. Der Eisenbahn und Binnenschiffahrt sind hierbei besonders große Aufgaben gestellt. Aber die ungeheure Kraft, die von einer geeinten, planmäßig ausgerichteten und nach gleichen Gesichts punkten geleiteten Großraumwirtschaft ausgeht, wird auch diese, wie alle anderen Aufgaben lösen, die mit der Um lagerung des Außenhandels verbunden sind. Und ist dann die Versorgung Europas mit den lebensnotwendigen Gütern sichergestellt, wird auch die Zeit gekommen sein, an den Ausbau des übrigen Außenhandels heranzugehen. Denn neben dem Versorgungshandel kann natürlich ein umfang reicher Welthandel bestehen; nur muß erst der Versorgungs handel geordnet sein, wenn der Welthandel blühen soll.
m o t o r is ie r u n g s - u n d s t r a s s e n b a u p r o b l e m e
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d e r g r o s s r a u m w ir t s c h a f t
Von P r o f . D r. K a r l K r ü g e r Während in der liberalistisch-kapitalistischen Wirtschaft der Äusfuhrdruck, sei es der Landwirtschafts- und Berg baubetriebe, sei es der Industrieorte und Länder, die Ver besserung der Verkehrswege und Verkehrsmittel erzwingt, wird im sozialistischen Staatswesen die Sorge der auf viele Jahrzehnte um das Gemeinwohl vorbedachten Behörden auf weitschauenden wirtschaftsgeographischen und sozialpolitischen Erwägungen begründete Verkehrs planungen zur T at werden lassen, um die gesamte Wirt schaftsentwicklung zu erleichtern. Allerdings finden wir auch in der vorsozialistischen Zeit zahlreiche Beispiele dafür, daß aus strategischen, verwaltungspolitischen und sogar spekulativ-privatwirtschaftlichen Gründen Verkehrs bauten der W irtschaft vorangingen, jedoch handelte es sich nur selten um bewußte Anwendung des Grundsatzes,'' durch die Transporterleichterungen zur wirtschaftlichen Leistungssteigerung anzureizen. Große Verkehrsbauten, aus welchen Gründen sie auch durchgeführt winden, haben jedoch zu allen Zeiten und in allen Erdteilen besondere politische und wirtschaftliche Auswirkungen erwiesen, Denken wir nur an die Reichs- < Straßenbauten der chinesischen Kaiser, an die Poststraßen der altpersischen Könige oder an das Wegnetz des römischen Imperium, das bis in die heutige Zeit für die Entwicklung mancher Gebiete mitbestimmend blieb. Welch große politische Bindekraft Verkehrswege zur 8*
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Auswirkung bringen können, lehrt uns das nordamerika nische Beispiel. Erst als die Trapper und Siedler der Ost gebiete unter Führung des heroischen Boone bis zum Mississippi-Missouri-System, jenem gewaltigsten Wasser straßensystem der Erde vorstießen, konnte' das weitere Vordringen in den Mittelwesten durch die Versorgung über die Binnenwasserwege erleichtert werden. Die später- an der Ostküste bis in den Fernen Westen vorgetriebenen Eisenbahnen, die teils den Wirtschaftsbedürfnissen ent gegenkamen, teils aber auch weitblickenden Spekulationen entsprachen, ermöglichten eine Festigung des Angelsachsentums in allen Teilen der Union. Die Wechselwirkung zwischen der Verkehrsbelebung auf den Eisenbahnen und den Wasserstraßen des Mississippi-Missouri ließ die seit Napoleons Abtretung von Louisiana geschwächten roma nischen Stellungen in den Südstaaten und ferner an der pazifischen Küste vollends bedeutungslos werden, da die Stoßkraft des jungen „Amerikanertums“, das ganz auf dem Konservativismus nordisch-germanischen Einwan erergeistes beruhte, kaum mehr durch ernste Verkehrshindernisse gehemmt wurde. Aus dieser Entwicklung vermag • man geradezu zu schließen, daß ohne die verbindenden Einflüsse der großen Wasserwege (zu denen noch die Binnenwasser straßen der Seen und später die Kanäle zu rechnen sind) der Eisenbahnbau verzögert worden wäre, und schließlich kaum die Oststaaten mit den Südstaaten und dem Westen zu einer politischen Einheit verschmolzen wären. Es wäre falsch, in dem nordamerikanischen Raum einen „Schmelz tiegel der Rassen“ sehen zu wollen; wenn wir von den wirt schaftlich bedingten soziologischen Spannungen besonders zwischen Ost und West absehen, ist es doch schon unver kennbar, wie sich in der Sprache „Provinzialismen“ heraus bilden: die verschiedene Sprechweise der New-Yorker, der Louisiana-Farmer, der Wyoming-Siedler und der Kalifor-
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nicr spiegelt die Eigenwilligkeit der N atur in den Einzelrätunen Amerikas wider. In der Tat- sind in Amerika bereits Stimmen laut geworden, die vorsorglich bessere Bindungen etwa zwischen Ost und West fordern, um den Gefahren des politischen Zerfalls rechtzeitig zu begegnen, obwohl ein Straßennetz von 5 Millionen Kilometern, 35 Millionen Kraftwagen und zahlreiche Fluglinien neben den Eisenbahnen den Zusam menhalt zu sichern scheinen. Betrachten wir jedoch das Straßennetz näher, so muß man zugestehen, daß in der näheren Umgebung der großen Städte die Ausfallstraßen großzügig und für stärksten Stoßverkehr ausgebaut sind, daß jedoch die Überlandstraßen nach unseren europä ischen Begriffen meist nicht diese Bezeichnung verdienen. Manche ,,ocean to ocean highways“ lassen erhebliche Zweifel an ihrer wirtschaftlichen und politischen Binde kraft aufkommen. Hier kommt nun zum Ausdruck, daß die amerikanische Verkehrsplanung durchaus liberalistischkapitalistisch bis in die neueste Zeit geblieben ist: daß die v erkehrsbauten e r s t. durch den Ausfuhrdruck erzwungen wurden; .es ist von untergeordneter Bedeutung, daß dieser Druck durch die Vertreter des Tourismus am energischsten zur Geltung gebracht worden ist, ist doch Nordamerika das Eldorado der Autotouristen, was am deutlichsten da d u rch illustriert wird, daß im Weizenland Kanada wert mäßig der Tourismus die Weizenerzeugung übersteigt. Es darf jedoch nicht übersehen werden, daß das wirt schaftliche Expansionsbestreben der USA., das gerade von den Briten so oft als imperialistisch Eingestellt wurde,-trotzalledem die kontinentale. Planung bis nach Süd amerika zu fördern trachtete. Auf den Panamerikanischen Konferenzen wurde nach Ablösung der Eisenbahnpläne ständig das Projekt des „Panamerican Highway“ von Alaska durch Kanada (das zum Ausbau Anleihen erhielt),
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USA., Mexiko und die mittelamerikanischen Staaten bis zum Panamakanal, ferner durch Südamerika bis Südchile einerseits und über die Anden nach Argentinien-Brasilien andererseits bearbeitet. Der Zweck war, durch eine für Kraftwagen befahrbare Straße — wenn sie auch auf weite Strecken technisch nur als höchst einfache Erdstraße aus gestaltet werden kann — ein wirtschaftliches und politisches Bindemittel zu schaffen. Mag die Straße noch so schlecht sein, sie hilft das Gefühl der Zusammengehörig keit zwischen den beiden Zwillingskontinenten zu stärken. Allerdings wird deswegen die Straße von manchen süd amerikanischen Kreisen keineswegs begrüßt, für die es z. B. eine Genugtuung war, daß die Simon-Bolivar-Straße von Venezuela durch Kolumbien nach Ekuador und Peru den Panamerican Highway entscheidend anzapft, zumal die Verbindung durch das ungesunde und im Gelände schwierige Uraba bis Panama nicht hergerichtet wurde. Die politische Bedeutung von Autoverbindungen ist früh zeitig auch von England und Frankreich erkannt worden. In der englischen Fachpresse wurde immer wieder mit Genugtuung darauf hingewiesen, wenn ein Teilstück der C-to-C, des Cape to Cairo Motor Road verbessert wurde. Auch hier allerdings im allgemeinen nur eine mehr oder weniger befestigte Erdstraße, die auf vielen Abschnitten nicht einmal „Allwetterstraße" genannt werden kann. Übrigens ist der .„Great North Road" im Zuge dieser KapKairo Straße das einzige Straßenstück, auf dem die Man datsbehörden nennenswerte Arbeit geleistet .haben; auf allen übrigen Straßen in Deutsch-Ost wurde nur Stück- . werk geliefert, das bei weitem nicht den Pflichten der Mandatsregierüng entspricht. (Zu erwähnen ist, daß die Belgier im Kongogebiet ebenfalls eine „Kap-KairoPlanung" einschalteten, wobei die Leistungen Belgiens im kolonialen Straßenbau denen der Engländer sich als über-
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legen zeigten.) Im großen und ganzen ist jedoch die als Bindemittel für die britischen Randländer des Indischen Ozeans gedachte Kap-Kairo-Straße nicht einmal tou ristisch zur Geltung gelangt, da die Baufortschritte allzu schleppend waren. Überall hemmten die Einflüsse der Eisenbahnkreise, die dank ihrer Kapitalmacht parlamen tarisch bedeutungsvoll sind und die in steter Sorge um die oft aus spekulativ-kaufmännischen Erwägungen ge planten und gebauten Schienenwege wie im M utterland auch in der Union von Südafrika und in den Protektoraten und Kolonien schweben, die Bauvorhaben der Straßenbau behörden, die von den Kraftwagenbesitzem und deren Verbänden nur selten wirkungsvoll gestützt werden können. . Frankreich hat in Nordafrika anerkennenswerte Ver kehrsleistungen, vor allem auch im neuzeitlichen Straßen bau, vollbracht. Die Entwicklung von regelmäßigen Kraft■ahrlinien durch die Sahara wurde von den Militärkreisen gefördert, am bekanntesten ist die Verbindung von Algier nach Gao (Nigerknie) und weiter an die Autobusstrecken, die in Ostwest-Richtung von Dakar bis zum Tschadsee und zum Kongo eingerichtet waren, und andere, die von diesen Linien südwärts bis an die Küste abzweigten. In der Sahara handelt es sich jedoch nur um abgesteckte Wüsten pfade, die unbefestigt sind (Algier—Dakar, Algier—Niger, Algier—Tschadsee), jedoch einige Benzinstationen aufweisen. In frz. Westafrika und frz. Mittelafrika herrscht die verbesserte Erdstraße vor, die jedoch hin und wieder sogar Asphaltdecken aufweist. Wenn nun auch ein großer Teil dieser Straßen und „Autopfade wirtschaftlichen Er fordernissen entspricht, so kommt den Transsahara-Ver bindungen vorerst nur die Bedeutung zu, politisch ver bindend zwischen dem Mutterland bzw. Nordafrika und den westafrikanischen Besitzungen zu wirken; dieses
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Moment wird gestützt durch die Fluglinien, die wirtschaft lich, verwaltungstechnisch und militärisch bedeutungs voller sind als Autobuslinien. Überdies ist nunmehr der Bau der Transsahara-Bahn begonnen worden. . Das Mutterland Frankreich war stets in der glücklichen Lage, die Verkehrsverbindungen zwischen allen Einzel gebieten und Departements leicht herstellen zu können. Vor allem war die Verbindung der Flüsse Frankreichs untereinander durch Kanalbauten verhältnismäßig einfach und wurde frühzeitig in Angriff genommen. Der Binnen schiffahrt wird stets als Hauptträgerin regelmäßigen und schweren Lastenverkehrs zumal in einem Lande nicht allzulanger Vereisungszeiten eine ganz besondere Ver kehrsrolle zufallen. Es ist deshalb kein Zufall, daß gerade in Frankreich die Binnenschiffahrt den innerfranzösischen. Warenaustausch sowie damit die wirtschaftliche und geistige Verbundenheit der französischen Landschaft hat sichern helfen. Wenn auch Karl der Große, der übrigens auch eine Kanalverbindung zwischen Main (Rezat) und Donau. (Altmühl) 793 angeordnet hatte, die Schiffahrts und Landstraßenverbindungen seines Reiches gefördert Hatte, so nimmt die entscheidende Entwicklung erst unter dem großen Colbert ihren Ausgang. Kanalbaupläne wurden in die Tat umgesetzt und Landstraßen gebaut, von denen manche sich übrigens an die alten römischen Bauten an lehnten. Die Routes Royales, die damals unter Ludwig XIV. und den folgenden Königen durch die umsichtige Planung ■ der französischen „Ingenieurgeographen" entstanden, wiesen bereits Napoleon den Weg, der in dem Ausbau der Straßen netze nicht nur militärische Hilfsmittel sah, sondern die Grundlage für den Zusammenhalt des von ihm ins Auge - gefaßten geeinten Europa. Der Entwicklung der Binnenwasserstraßen und der Land w ege in Frankreich ist es weitgehend zuzuschreiben, daß
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der Binnenverkehr sich derart entwickelte, daß der Trieb auf das Meer im Franzosen gering blieb. Trotz einzelner, zum Teil sprachlich bedingter partikularistischer Erschei nungen fühlten sich die Franzosen in fast selbstgenüg samer Verbundenheit innerlich abgesättigt, obwohl sie oft genug durch führende Einzelpersönlichkeiten immer wieder zu imperialistischer Expansion aufgestachelt wurden. Erst später — seit 1830 — setzte die Kolonisation über das Mittelmeer ein, die sonst so nahe gelegen hätte (obwohl einzelne Ausdehnungsbestrebungen in Amerika, Indien usw. lange vordem bezeichnet werden können). Aber auch in Frankreich'können wir (jedoch nicht so deutlich wie in England) erkennen, daß der Wirtschaftsweg' .erst vom Interessenten erkämpft werden muß; in der Planung herrschen allerdings militärische und verwaltungs technische Gesichtspunkte vor, die oft großzügig zur Geltung gebracht werden, In England ist man dagegen in der Tradition geradliniger Römerstraßen und enger, um die unregelmäßigen Grenzraine und -hecken der Privat besitzungen sich windenden Wege (die aber oft vorzüglich befestigt sind) stecken geblieben. Straßendurchbrüche er folgten nur nach langen Kämpfen, ein Netz von motorways (Autobahnen) blieb auf dem Papier, Im Gegensatz zu Frankreich hat Deutschland stets unter den trennenden geographischen Hindernissen vor allem seiner Mittelgebirge zu leiden gehabt. Die Flüsse fließen indie- Nordsee und Ostsee, ohne dadurch leichte Quer verbindungen zu bieten, die an sich nur über das Meer möglich waren. Der Landverkehr beschränkte sich lange Zeit auf die Urstromtäler, während nur einsame Handelspfade zu den Wasserstraßen des Donausystems hinüberführten. Wenn auch germanische Siedler gleicher Rasse den ganzen Deutschen Raum besiedelten, kam es nicht zur Entwicklung eines verbindenden Volksbewußtseins. Auch die großartigen
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Handels- und Wirtschaftsorganisationen der deutsche» Hanse mit ihren verfeinerten und eindringlichen sozialen und kulturellen Auswirkungen, die fast in ganz Europa spürbar wurden, hat nicht den geographisch bedingten Par tikularismus der deutschen Stämme wenigstens wirtschaft lich zu überwinden vermocht. Trotz zahlreicher politischer und geistiger Bestrebungen, ein einiges Deutschland zu schaffen, schien alle Hoffnung vergebens zu sein. Als Fried rich List in der Eisenbahn das verbindende Mittel erkannte und den Begriff der verkehrstechnisch unterbauten Raum wirtschaft schuf, scheiterte er vor .allem an der Besorgnis eines traditionsgebundenen Metternich und der Ängstlich keit kleiner deutscher Fürsten. Aber die Technik, die durch den Schienenweg und die Lokomotive Schritt für Schritt alle geographischen Hindernise überwand, erwies sich doch als wirksamer als politischer Provinzgeist in den Kleinstaaten, Die Schaffenslust zahlloser technisch befähigter Köpfe trieb den Eisenbahnbau voran — man vergaß List, aber wirkte fast in seinem Sinne. Und die Eisenbahn trug entscheidend dazu bei, daß die sonst nur durch kümmerliche Landstraßen —seit Napoleon allerdings erheblich verbessert — verbunde nen deutschenLandschaften einander nähergebracht wurden. Gelang es nicht, den Partikularismus zu beseitigen, so wurde doch wenigstens politisch ein Deutsches Reich geschal ten. Die Produktionskraft der deutschen Länder entwickelte sich infolge der großindustriellen Verarbeitung vor allem von' Eisen und Kohle in überraschendem Maße, so daß immer neue Eisenbahnlinien erbaut wurden. Erfreulicher weise war durch den Geist altpreußischer Ordnungs tradition die Sorge um das Gemeinwohl stets derart lebendig, daß nicht wie in England der Verkehrsweg immer zäh erkämpft werden mußte; oft kamen die Behörden den Wünschen der Wirtschaft großzügig entgegen, ohne daß der neue Schienenweg erst erzwungen werden mußte.
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p je Eisenbahnbegeisterung war in Deutschland jedoch derart groß, daß man die Binnenwasserstraßen in weiten Kreisen als überholt ansah. Es ist nur ein besonderes Verdienst einzelner Verkehrspolitiker, dennoch den Bau von Kanälen — vor allem des Mittellandkanals — be trieben zu haben. Für die regelmäßige Beförderung schwerer und umfangreicher Lasten — man denke nur an Kohlentransporte — ist trotz mehrmonatiger Vereisung der Binnenwasserweg oft wirtschaftlicher als die Eisen bahn. Wie segensreich hätte sich ein bis an die Oder ver längerter Mittellandkanal oder gar ein leistungsfähiger Rhein-Main-Donau-Kanal im W eltkrieg ausgewirkt — ab gesehen davon, daß in Friedenszeiten durch die ständigen Wasserfrachten auch politische Bindungskräfte belebt worden wären. Die Überlegenheit der Eisenbahn hat jedoch in Deutsch land auf lange Zeit hinaus den Straßenbau gehemmt. Gewiß, man konnte vor dem Weltkrieg nicht die möglichen Fortschritte des Kraftverkehrs Voraussagen — obwohl auch weitschauende Urteile gefällt worden waren. Während des Weltkriegs zerstörte der eisenbereifte Verkehr noch das bestehende, für Gespannverkehr berechnete Straßen netz derart, daß das durch Versailles verarmte Deutsch land auf etwa ein Jahrzehnt außer Stande war, mehr als Flickarbeit zu leisten. Es ist hoch anzurechnen, was einzelne Baubeamte mit geringsten Geldmitteln als Not standsarbeiten geleistet haben. Aber bald tauchte die B e-. sorgnis auf, ob nicht der Eisenbahn durch die ständigen Straßenverbesserungen und infolgedessen durch die rasche Zunahme von Personen- und vor allem Lastkraftwagen nicht wieder gutzumachende Schäden erwachsen würden. Der Kampf „Schiene gegen Straße“ wurde wie in anderen Ländern recht energisch geführt, obwohl in Deutschland das Reichsverkehrsministerium ausgleichend zu wirken suchte.
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P rof. D r. K a r l K r ü g e r
Es war eine erlösende Tat des Führers, als er die Planung eines Netzes von fast 7000 km’ Reichsautobahnen verkündete, deren Gesamtdurchführung in die Hand eines Straßenbaufachmannes, des Generalinspektors für das . deutsche Straßenwesen Dr, Todt gelegt wurde; die Bau ausführung oblag zunächst einer Tochtergesellschaft der Deutschen Reichsbahn, wodurch einmal die Bauerfahrungen der Reichsbahningenieure nutzbar gemacht, andererseits aber die leitenden Männer der Eisenbahnverwaltung ver anlaßt wurden, im Interesse des Straßenverkehrs weiter zudenken und somit den sachlich allergünstigten Ausgleich zwischen Schiene und Straße zu finden, zumal die Reichs bahn sogar reichsbahneigene Kraftfahrlinien auf den Reichsautobahnen betreiben sollte, •; ■ ’ . Das Bedeutsamste an dem Werk des Führers ist jedoch, daß das Netz von Reichsautobahnen — also den gemäß dem heütigen Stand der Technik auch für sehr hohe Ge schwindigkeiten sichersten Straßen, die eine außerordent liche große Zahl von Kraftwagen ohne Überfüllung auf nehmen können — besser als die Eisenbahnen geeignet sein wird, die deutschen Stämme und Landschafte einander näher zu bringen. Wir müssen gleichzeitig daran denken, daß der Führer durch die Schaffung des Volks wagens jedem einzelnen Deutschen es ermöglichen wird, als Besitzer eines eigenen Wagens Reisen in die nahen und fernen Gaue durchzuführen, somit also ihm vorher fremde Landschaften kennenzulernen und in enge Fühlung mit allen deutschen Stämmen zu kommen. Die Reichsautobahn, deren heute geplante Netzlänge von über 20 000 km sicher noch keine Endzahl ist, berührt alle deutschen Landschaften, ferner erreicht sie über kurze Zubringerstraßen zahlreiche Orte, die vordem in großer ' Eisenbahnferne lagen. Der Anschluß an das Landstraßen netz, das ebenfalls ausgebaut wird, erfolgt durch zahl-
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r iche Zufahrten, wodurch eine weitgehende Benutzung der Autobahnen für Vergnügungs-, Berufs- und Last-, wagenfahrten gewährleistet erscheint. Die Vorzüge des Haus-zu-Haus-Verkehrs und des Fabrik-Markt-Verkehrs können weitgehend ausgenutzt werden. Insofern ist also die verbindende Wirkung des Kraft wagens politisch, sozial und wirtschaftlich im Reich un gleich größer als die der Eisenbahn. W ir können also sagen, daß die Überwindung der geographischen Hinder nisse zwar durch die Eisenbahn gelungen ist, obwohl die Wirkung der Mittelgebirge auf die Streckenführung noch sehr deutlich bleibt, daß dies jedoch noch wirksamer durch die Autobahn erreicht wird ;— die mit Rücksicht auf die Schönheit der Landschaft absichtlich oft durch schwieriges Gelände geführt wird. Es schafft sogar erst die Autobahn in Verbindung mit dem übriger* Landstraßennetz dis Vor aussetzung dafür, daß die deutschen Stämme sich auf die Dauer als gleichberechtigte Glieder des durch neuzeit lichen Verkehr eng und unlösbar zusammengeführten großdeutschen Volkes fühlen. Die niedrigen Reise- und Frachttarife der Eisenbahnen haben zwar in dieser Hin sicht weit günstigere Bedingungen als im Zeitalter der Postkutsche geschaffen, aber trotzdem vermag die Eisen bahn niemals das zu erfüllen, was in Friedenszeiien der Kraftwagen — der Volkswagen und der Lieferwagen — erreichen wird. . D ie E isenbahn wird aber trotzdem ihre B edeutung im : P ersonenverkehr und im Güterverkehr, vor allem in der. V erfrachtung, schwerer M assengüter, behalten, zum al w enn sie noch w eiter als bisher in vorbildlicher W e ise für d ie Bequem lichkeit der Fahrgäste und die sch n elle A b fertigung und Auslieferung der G üter sorgt; e s sei aber erw ähnt, daß gerade die W ettbew erbsgefahren durch deri K raftwagenverkehr zu wichtigen N euordnungen geführt
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haben- Die Beschleunigung von Schnell- und Güterzügen dank der Verstärkung der Strecken und nicht zuletzt durch den Einsatz motorisierter Loks ist gerade in den letzten Jahren besonders energisch betrieben worden. Die Tatsache der Vertiefung der Beziehungen der deut schen Stämme untereinander ließe an sich die Frage der Baukosten und der Wirtschaftlichkeit von Autobahnen und Reichsstraßen fast gegenstandslos erscheinen. Wir können aber um so zuversichtlicher an diese Probleme herangehen, als in einem sozialistischen Staatswesen nicht nach den Interessen von Einzelpersonen und Einzelgruppen das Gesamturteil gefällt zu werden braucht, wie es unter dem parlamentaristischen System üblich gewesen wäre, sondern es erfolgten Entscheidungen zum Wohle der Gemeinschaft auf Generationen. Betrachten wir einmal die Betriebskosten eines Autos, die neben dem Kraftstoffverbrauch auch Gummireifen, Schmierstoffe, Wagenverschleiß usw. umfassen, zur Be urteilung der Transportkosten, so werden diese Kosten auf den ebenen Autobahnen, auf denen mit gleichmäßiger Ge schwindigkeit gefahren werden kann, an sich bereits gesenkt. Im Einzelfall erscheinen die Kosten dem Wagen besitzer als wirtschaftlich gerechtfertigt (sonst würde er sich kaum einen Wagen halten), in der Gesamtheit er reichen die Kosten aber Werte, hinter denen die Baukosten auch kostspieliger Autobahnstrecken gering erscheinen. Nur zur Verdeutlichung dieser Zahlen wollen wir an nehmen, daß auf nur 20 000 km Reichsautobahnen an jedem Punkt täglich 1000 Kraftwagen verkehren — 500 Wagen täglich in jeder Richtung sind für Friedens zeiten ein sehr geringer Durchschnitt —, von denen der einzelne Motor auf je 100 km durchschnittlich 6 bis 18 RM. Kraftstoff verbraucht: dementsprechend kommen wir auf die Tagessumme von 1 200 000 Millionen RM,; da die Auto-
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bahnen für viele Generationen berechnet sind, wollen wir nur zur Verdeutlichung der Wirtschaftlichkeit die Kal kulation auf ein Jahrhundert aufstellen, die dann bei Ein setzung äußerst geringer W erte also allein für den Kraft stoffverbrauch die Summe von über 4 0 M i l l i a r d e n RM. ergibt, setzen wir ferner den Schmierstoffverbrauch und anteilmäßig den Wagenverschleiß ein, kommen wir vielleicht auf 1 2 0 Milliarden — also ein Vielfaches der Baukosten. Könnten wir weiterhin die W erte berück sichtigen, die sich aus der Belebung der Wirtschaft durch die besseren Straßen- und Verkehrsverhältnisse ergeben, so würde auch die Gegenrechnung eines (für Verkehrs bauten an sich nur im kapitalistischen Staatswesen ver tretbaren) hohen Zinsdienstes die Rentabilität des groß zügigsten Straßenbaues durchaus rechtfertigen. Aber auch bei genauer, der heutigen Zeit angepaßten und üblichen Rentenrechnung wird die Wirtschaftlichkeit des RAB.Baues bewiesen. W ir können sogar folgern, daß jeder. Staat, der einen seinem Volkstum natürlich entsprechen den konstruktiven Sozialismus (im Gegensatz zum an organischen destruktiven Marxismus) vertritt, in der Pla nung wirtschaftsgeographisch vernünftiger Verkehrsbauten, die die Erzeugung und den Umlauf von Gütern (ebenso wie den sozialpolitisch wünschenswerten „Tourismus ) fördern, kaum großzügig genug sein kann. Auch an dieser Stelle sei betont, daß die Organisation der Planung und des Baues der deutschen Reichsautobahn, besonders das geradezu fahrplanmäßige Zusammenarbeiten der Menschen und Maschinen auf den Baustellen und damit die sonst nie erreichten erstaunlich raschen Baufortschritte, ferner aber die soziale Fürsorge für die Gefolgschaften und vieles andere durchaus erstmalig und einmalig ist. Die Bauleistungen Deutschlands werden die übrigen Staaten Europas weiterhin anreizen, dem deutschen Beispiel zu
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folgen; in' der Tat können wir zahlreiche Auslands planungen gleicher A rt verfolgen. Deutschland war sich seiner Mittellage im Herzen Europas wohl bewußt und hat in seiner Reichsautobahnplanung die Anschluß möglichkeiten nach West und Ost, nach Nord und Süd berücksichtigt. Es soll jedoch auch nicht das große Beispiel der Auto straßen des Duce vergessen werden und weiterhin auch nicht die Tatsache, daß die Alliance Internationale de Tourisme und die Association Internationale des Auto mobile-Clubs Reconnus ein europäisches Fernstraßennetz zu planen versuchten, von denen die Fernstraße 1 unter dem Schlagwort London—Istanbul von den Anlieger staaten Belgien, Deutschland, Österreich, Ungarn, Jugo slawien, Rumänien (Abzweigung nach Bukarest—Kon stanza), Bulgarien und der Türkei eifrig im Bau gefördert wurde. Hier sei nun eingeschaltet, daß die englische Presse mit Rücksicht auf die politische Bedeutung interna lionaler Verkehrsbauten gerade diese Straße London Istanbul mis ihren künftigen Anschlüssen Kairo—Kap und Haifa Indien propagierte! ' ~ Im beginnenden Zeitalter der Großraumwirtschaftem in dem sich die nach einer Wehrfreiheit sichernde ,,Wehr. - autarkie” strebenden Volkswirtschaften gemäß den natür lichen Großräumen der Erde zusammenzuschließen suchen, werden Kontinentalplanungen besonders bedeutsam. Seit die Weltwirtschaft mit ihrem Grundsatz der Arbeitsteilung der Völker zusammenbrach, erscheint der Zusammenschluß , der Volkswirtschaften zum Ausbau von Großraum wirt schaften, deren Gütererzeugung, Güterabsatz, Währungs. wesen usw. planvoll aufeinander abgestimmt wird, so daß ein hoh^r Grad, von Krisenfestigkeit erreicht wird (der \ durch das nomadisierende Kapital in der Weltwirtschaft
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alter Ordnung ständig verhindert wurde), durchaus natür lich und berechtigt. Der W arenaustausch der Großwirt schaftsräume würde dann eine W eltwirtschaft neuer Ord nung wiederum von hoher Krisenfestigkeit ergeben. Die Zusammenarbeit der Volkswirtschaften in einer Großraumwirtschaft würde um so erfolgreicher sein, je weitschauender und wirtschaftsgeographisch umsichtiger Verkehrsplanungen verwirklicht werden, die als die Vor aussetzungen jeder Wirtschaftsintensivierung zu gelten haben, die Verkehrsbauten werden aber auch dann um so tatkräftiger durchgeführt werden, je stärker die Regie rungen mit dem Verantwortungsbewußtsein eines natür lichen Sozialismus durchdrungen sind. Die Fortschritte dieser konstruktiven Sozialismen gerade in Europa geben Gewähr dafür, daß Europa, das den afrikanischen Erdteil als seinen Ergänzungsraum weiterhin beansprucht, in Zukunft die Grundsätze sozialistischer Autoritätskolonisation ausschlaggebend anwenden wird, die vorbildlich in den deutschen und italienischen Besitzungen zur Auswirkung gelangen und dadurch Ihre Überlegenheit gegenüber liberalistisch-kapitalistischer Aus beutungskolonisation beweisen werden. Dieser Gesichtspunkt wird logischerweise gerade in einer großzügigen Verkehrsplanung zum Ausdruck kommen, die fraglos nicht durch Kolonialgrenzen eingeengt zu werden braucht, sondern kontinentale Ausmaße annehmen wird. Übrigens kann gerade Deutschland mit Genugtuung ver zeichnen, daß seine alten Kolonialbeamten auch schon in der Vorkriegszeit die Verkehrsplanungen nach den Be langen des Gemeinwohls der betreffenden Kolonien auf weite Sicht durchgeführt haben. Die Bedeutung, die der Kraftwagen auch in unent wickelten Gebieten gewonnen hat, wird auch in Afrika den Straßenbau in den Vordergrund rücken, was bereits die < 7
. Prot. Dr. Karl Krüger italienische Autoritärkolonisation in Lybien und Ostafrika / ^ . beweist. Zweifellos werden bald neuzeitliche Transkon tinentalstraßen auch den schwarzen Erdteil durchziehen, ' sei es vom Mittelmeer südwärts oder vom Indik zum / Atlantik, nur daß ihr technischer Ausbauzustand die bis\ . herigen, bereits erwähnten „Vorbilder" überragen wird.
Neben der Straßenplanung wird der Ausbau der BinneriWasserstraßen als Träger intensivierter Großraumwirtschaft besondere Aufmerksamkeit verdienen. Wir erwähnten, daß in Deutschland die Fortschritte im Ausbau der Binnen. . Wasserstraßen gering blieben. Doch im nationalsozialisti■ . scheu Deutschland ist auch hier eine Änderung eingetretei. ’‘ die ebenfalls nicht ohne Rückwirkung auf die Nachbar- . länder blieb. Regulierungs- und Kanalisationsarbeiten sind tatkräftig in Angriff genommen worden, die auch mit zahl- > ■; v reichen neuen Kanalbauten im Einklang stehen. Bisherige r • Öerlnge Fasstmgsvermögen, die sehr häufig höchstens nur ; .den Verkehr von 2 0 0 -Tonnen-Kähnen erlaubten, werden schrittweise erhöht,'wenn auch nicht immer der Schiffsgröße Z' - ' v o n 1350 Tonnen wie auf dem Rhein und den Großkanälen > ös ö • ; entsprochen werden kann. Die Zusammenarbeit der euro’ s., ,, i . 1 ' ö,'' päischen Völker wird vor allem durch die Verkehrsver' ' besserungen Nutzen ziehen, die durch die Schaffung eines ■ großen leistungsfähigen Binnenschiffahrtssystems erreicht .; '• ■; wird, das von der französischen Atlantikküste und Mittel. meerküste den Rhein querend einerseits zum Mittelland;• ; kanal über Weser, Elbe, Oder hinweg ostwärts führt und ' Verbindungen mit den im eifrigen Ausbau befindlichen östlichen Wasserstraßen schafft, andererseits sowohl vom Rhein-Main als auch vom Bodensee aus zum Donausystem • '■ führen wird, das seinerseits Verbindung mit Elbe, Oder und • Weichsel und somit ebenfalls mit dem osteuropäischen Netz ö; .y. erhalten wird. Die Schwierigkeiten des Donauausbaues werden überwunden werden, ..
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Nun ist zu berücksichtigen, daß durch die Einführung besonderer Schiffstypen mit schwächeren Bug- und Heck wellen die Motorisierung der Binnenschiffahrt gefördert werden kann, wodurch die Leistung der Schiffe erheblich gesteigert wird. Auch ist die Entwicklung seetüchtiger Binnenschiffe keineswegs abgeschlossen, die in vielen Fällen das Umschlagen an Küstenplätzen überflüssig machen kann. ,, , ' . , ' Angesichts der zu erwartenden Zunahme des motorisier ten Schienen-, Straßen- und Binnenschiffahrtsverkehrs, der weiterhin noch eine folgerichtige Zunahme des Seeverkehrs zur Seite geht, ist die Frage berechtigt, ob Europa im Stande sein wird, die notwendigen Kraft- und Schmierstoff mengen Jahr für Jahr aufzubringen. Die Antwort kann durchaus bejahend sein. Die Steigerung der Ölausbeute aus •den mittel- und osteuropäischen Ölfeldern ist zu erwarten; der Gewinnung von Kraftstoffen aus, Kohlen ist angesichts der reichen deutschen Vorkommen an Braun- und Steinkohlen keine Grenzen gezogen, ferner harren zahlreiche ölschieferlager der Ausbeutung, darüber hinaus ist die Gewinnung von Kohlenwasserstoffen aus Pflanzen besonders im afrikanischen Ergänzungsraum un schwer zu bewerkstelligen; in Afrika, das — vorerst — , noch als arm an Erdölen zu gelten hat, wird noch mehr als, in Europa der Holzgasgenerator eine Rolle spielen. Die Zusammenarbeit der europäischen Volkswirtschaften ,in der europäisch-afrikanischen Kontinentalplanung wird, keine Verknappung der Kraft- und Schmierstoffe befürchten lassen, zumal die „Kontinentale Weltwirtschaft“ 1) den zu sätzlichen Bezug von Erdölerzeugnissen aus anderen W irt-, schafts-Kontinenten gestatten wird. Dieser Begriff wurde treffend von Dr. E. Staritz geprägt! vgl. Economic Continentalism des Verfassers in „Rundsch. D. Technik",' 3. 7. 1939.
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100 Prof. Dr': Karl Krüger \ * *•' Immerhin muß berücksichtigt werden, -daß die in , Ost asien unter japanischer Führung im Gange befindliche kontinentale Aufbauarbeit, ferner die Ansätze zu großraum wirtschaftlicher Intensivierung in Südamerika und Indien die Nachfrage nach Kraftstoffen in der ganzen W elt erhöhen werden. Eine besonders lebhafte Motorisierung haben wir im • Ostraum und seinem sibirischen Ergänzungs raum zu erwarten. Aber je intensiver die Gesamt wirtschaft in den Großräumen der Erde werden ‘wird, desto’ erfreulicher werden die Rückwirkungen auf die Technisierung der einzelnen Großraumwirtschaft sein. Überall wird erkannt, daß die Verkehrsplanung mit dem Wirtschaftsausbau Hand in . Hand, wenn nicht sogar ihm voraufgehen soll; je stärker die Motorisierung, desto intensiver der Güteraustausch — doch dem Ausmaß« der Motorisierung sind heute noch nirgendwo erreichbare Schranken gesetzt. ; . < .
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DfE VERKEHRSTRÄGER GROSSDEUTSCHLANDS VOR NEUEN AUFGABEN IN DER EUROPÄISCHEN . > g r o s s r a u m w ir t s c h a f t Von Dr. W a l t e r S c h m i d t •‘ ;
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Kapitel 1 Einleitung
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Es .ist das Schicksal unserer Generation, mitten hinein gestellt zu sein in eine unerhört große Wende der Geschichte und des Völkerlebens, und unter dem Donner der Kanonen, der nun schon über Jahr und Tag die W elt und unser aller Herzen erfüllt, laufen wir fast Gefahr, zu vergessen, daß das Weltengeschehen unserer Zeit auch jenseits der kriege rischen Auseinandersetzungen uns deutschen Menschen und allen anderen Völkern Europas Aufgaben von ungeheurer Tragweite stellt." ' . * Die welthistorischen Ereignisse der letzten vier Jahre — der Anschluß Österreichs und die Angliederung des Sudetengaues an das Deutsche Reich, das Entstehen eines selbständigen slowakischen Staates, die Errichtung des Protektorates Böhmen und Mähren, die Rückkehr des Memellandes und sodann als Folge glänzender deutscher Waffentaten der Untergang Polens mit der Wiedereingliede rung alten deutschen Siedlungslandes in das Deutsche Reich, die Rückgliederung Lothringens und Luxemburgs', J des Elsaß, der Kreise Eüpen und Malmedy und. die Be freiung der Untersteiermark und Süd-Kärntens vom serbi-' sehen Joch, — sie. alle haben das Gesicht der Landkarte Europas von Grund auf umgestaltet. In den großdeutschen \ »
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Machtbereich einbezogen ist auch das Generalgouvernement dessen Name seit Mitte des Jahres 1940 nicht mehr den Zu satz führt: „für die besetzten polnischen Gebiete". Ohne zwar unmittelbar Glied des Reiches zu sein, steht es doch für alle Zeiten unter deutscher Führung und Verwaltung und ist ein Stück des deutschen Lebensraumes gewordeii. Auch der Schiedsspruch der Achsenmächte über die Ge bietsabtretungen Rumäniens an Ungarn, der Übergang wei terer rumänischer Gebiete an Bulgarien, der Zerfall Jugor slawiens und Griechenlands ist für das Leben unseres Kon tinents und damit auch unseres deutschen Volkes politisch und wirtschaftlich von Bedeutung. Noch völlig unabsehbar aber sind die wirtschaftlichen und die politischen Folgen des unerhörten Geschehens, dessen Zeugen und Mitgestalter wir alle sind, des Zusammenbruchs der Sowjetunion unter den Schlägen des deutschen Schwertes. Die Stunde der Ge burt des Großdeutschen Reiches hat geschlagen. Aber das Schicksal hat entschieden, daß sich das deutsche Volk eine natürliche und in der Dynamik des Weltgeschehens unauf haltsame Entwicklung wiederum wie so oft in seiner Ge schichte mit Blut und Eisen erkämpfen muß. „ Große politische Ereignisse weisen zwangsläufig auch der Wirtschaft Neuaufgaben von ungeheurer Tragweite zu. Wenn die V e r k e h r s m i t t e l den Blutkreislauf der Wirtschaft in Gang zu halten haben, so müssen den ,Vei;f. kehrsträgem Großdeutschlands, .insbesondere der" Deut schen Reichsbahn, aus dieser Neugestaltung der Landkarte Europas Aufgaben von gewaltigem Ausmaße zugewachsen, sein. Ihre Lösung ist zweifellos eine der wichtigsten Voraus setzungen für die wirtschaftliche Sicherung des deutschen Lebensraumes und damit für den Bestand des Großdeut schen Reiches. - . . .• . ' Aber hier liegt auch einer der Ausgangspunkte für jenen Umbruch der. W irtschaft im europäischen Raume, d en
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wir vom Boden unserer nationalsozialistischen W irtschafts auffassung aus anstreben. Nicht um irgendwelche mehr oder minder bedeutende Grenzberichtigungen zu erzwingen, h a t' das deutsche Volk das Schwert gezogen. Es kämpft in diesem Kriege vor allem auch um die Schaffung der politischen Grundlagen für die planvolle Zusammenfassung der nationalen Wirtschaften Europas in einer kontinentalen Wirtschaftsgemeinschaft, in der die mittel- und osteuropä ischen Völker, durch gleiche Lebensnotwendigkeiten auf einander angewiesen und nunmehr befreit von der wirt schaftlichen Bevormundung durch eine entscheidend nach britischen. Interessen geprägte Welthandelspolitik, sich mit allen Kräften ihres Bodens und ihres Volkstums gegen seitig ergänzen und zu Hilfe kommen, um sich durch gesteigerte Zusammenarbeit neue Entfaltungsmöglichkeiten zu geben. Diese Zielsetzung aber hat auch eine neue europä ische Verkehrsstruktur geboren. Aus ihrem gleichen geopolitischen Schicksal erwächst den Völkern Mittel-, und Osteuropas ein neuer Verkehrskreislauf, der berufen ist, Europa aus dem Wirrwarr der bisherigen liberalistischen Verkehrswirtschaft herauszuführen. 1 ; . . Und so greifen wir hier aus der Fülle der treibenden Kräfte und der Zielsetzungen dieses Weltgeschehens d i e neue’ mitteleuropäische V e r k e h r s i de.e heraus und lassen das Auge über die Vielfalt der immer wieder neuen Verkehrsaufgaben schweifen, die der Flügel schlag der Weltgeschichte in den letzten Jahren ans m Großverkehrsträgern, insbesondere den Eisenbahnen,' aber auch der Binnen- und der Seeschiffahrt, gestellt hat.. D a F l u g z e u g und K r a f t w a g e n das Schw er-: ;e w ich t ihrer Betätigung abseits d e s zw isch en staatlich en tm d d es M assengüter-Verkehrs finden w erd en . w ir sie bei d ie se r Erörterung ausscheiden dürfen. A ber noch nach z w e i . anderen Seiten sei die - B e g t e n z u n g d e s T h e m a s
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klargestellt. Es soll auch nicht der Zweck dieser Betrach tung sein, die Größe der b e t r i e b s o r g a n i s a t o r i s c h e n Leistungen darzulegen, die sich namentlich für die Reichsbahn zwangsläufig immer wieder im Ablauf der geschichtlichen Ereignisse ergeben haben. Der mehrfach wiederholte Aufmarsch unserer gewaltigen deutschen Wehr macht, die Verschiedenartigkeit der neu angegliederten Eisenbahnnetze, die Tatsache, daß sie nach ihrer ganzen Anlage auf nunmehr überholte Zweckbestimmungen aus gerichtet waren, die Zerstörung der Schienenwege auf den Kriegsschauplätzen im Osten, Norden und Westen usw., die Räumungs- und Rückführungszüge für unsere Volks genossen in Westdeutschland, die Umsiedlung von Millionen Volksdeutscher aus dem Osten und Südosten Europas, die kriegsbedingten Transportaufgaben allein für Kohle und Erd öl, der Wehrmachts- und der Arbeiterurlauberverkehr haben an die deutschen Eisenbahnen Anforderungen gestellt, wie sie in der hundertjährigen Geschichte des Eisenbahnwesens wohl noch nie an eine Eisenbahnverwaltung herangetreien sind. Sie des näheren zu würdigen, ist hier aber nicht der Raum. Auch d i e r e i n i n n e r d e u t s c h e n k r i e g s wirtschaftlichen V e r k e h r s a u f g a b e n der D e u t s c h e n R e i c h s b a h n sollen hier grundsätzlich unerörtert bleiben. Den G e g e n s t a n d u n s e r e r B e trachtung sollen vielmehr nur die g e w a l tigen Neuaufgaben bilden, die den d e u t schen Großverkehr st r ägern zugefallen s i n d , so o f t s i c h mi t d e r A u s w e i t u n g d e r politischen Grenzen D e u ts c h la n d s auch neue Verkehrsströme neue Wege suchten. Ehe wir nun, der historischen Aufeinanderfolge der Ereignisse nachgehend, die Entwicklung dieser neuen Ver kehrsaufgaben betrachten, ist es nützlich, einen Blick auf die durch die Notwendigkeiten des Krieges nur noch klarer
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hervorgehobene ’ a l l g e m e i n e Verkehrslage G r o ß d e u t s c h l a n d s zu werfen. Deutschland verfügt dank seiner Lage im Herzen Europas über ein weites Hinterland, das sich fast bis in den fernen Osten erstreckt und dessen Verkehrsverbindungen mit Deutschland ganz überwiegend auf dem Landwege liegen. Die durch den Krieg bedingte fast völlige. Ausschaltung des überseeischen Schiffsverkehrs hat daher die Aufgaben und die wirtschaft lichen Möglichkeiten des innerkontinentalen L a n d t r a n s portes noch erheblich ausgeweitet. Eisenbahn und Binnen schiffahrt sehen sich vor bisher unbekannten neuen Auf gaben. " Diese U m s c h a l t u n g d e r V e r k e h r s s t r ö m e mag zunächst auch eine unmittelbare Folge der Kriegslage' sein, aber die planvolle Steigerung des Güteraustauschs zwischen Deutschland und den Ländern Südost- und O st-, europas liegt doch im Zuge einer schon vor Kriegsausbruch bewußt eingeleiteten und auf w e i t e Sicht berechneten großzügigen Wirtschafts- und Verkehrsplanung. Der Aus-' tausch großer Güterströme zwischen Deutschland und , diesen Ländern ist nicht bloß eine notgeborene Behelfs maßnahme. mit einer auf den Krieg beschränkten Lebens-, dauer, sondern seiner Natur nach eine durchaus stetige Erscheinung,’ Er kann deshalb die bestehenden Verkehrs wege auf weite Sicht ständig befruchten, ja er wird darüber hinaus auch die Entwicklung neuer Verkehrswege recht- \ fertigen. Der planvolle Ausbau der Donau und ihr geplanter. Anschluß an das’ deutsche Stromnetz durch Kanäle zum Rhein, zur Elbe und zur Oder zeigen die große Richtung .» an, in der diese Pläne sich schon seit Jahren bewegen. E s ist klar, daß schon die außenpolitische E ntw icklung der J ahre 1938/39, die Deutschlands S tellu n g im Donauraum gew altig herausgehoben hat, diesen Bestrebungen allerstärk sten Auftrieb geben mußte. tNun ist aber die L eistungsfähig-
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keit'der Donau durch den Zwang natürlicher Gewalten — Stromschnellen, Hoch- und Niedrigwasser, Eisgang — beschränkt und wird immer beschränkt bleiben. Die Pariser Zeitung „L'Intransigeant" hat im Dezember 1939 die Unzu verlässigkeit der Donau geradezu als einen ausschlaggeben den Faktor für die Kriegsaussichten unserer Gegner ber zeichnet und das Donaueis als „neuen Bundesgenossen Frankreichs* begrüßt, dessen Eintreffen wichtiger sei als eine gewonnene Schlacht. Der französische Generalstab wird den Wert dieses Bundesgenossen vermutlich nicht ganz so hoch eingeschätzt haben. Er wird sich auch erinnert haben, daß es im Weltkriege dem deutschen Feldeisenbahn chef im Zusammenwirken mit der K. K. Zentraltransport leitung beispielsweise gelungen ist, den Mittelmächten nach der Mißernte von 1915 innerhalb weniger Monate allein über die Donau 1% Millionen Tonnen Lebens- und Futter mittel zuzuführen. Immerhin werden im Oonauverkehr unter allen Umständen Behinderungen durch Eisgang, Hoch- oder. Niedrigwasser in Rechnung zu stellen sein, und sodann ist ja auch der Anschluß der Donau an das übrige deutsche Stromnetz noch an keiner Stelle vollzogen oder auch nur. innerhalb der nächsten Jahre durchführbar. So fällt die Hauptlast dieser Entwicklung zweifellos, mindestens auf Jahre hinaus, den deutschen Eisenbahnen zu, in deren Netz ein großer Teil der neuen Verkehrsströme in beiden Rich tungen zusammenfließen muß, gleichgültig, ob sie sich jenseits unserer Grenzen auch auf dem Schienenwege oder auf der Donau bewegen. Daß es deutscher Tatkraft — wie schon vor einem Vierteljahrhundert im Weltkriege-—gleich wohl auch diesmal wieder gelingen wird, daneben auch die Leistungsfähigkeit der Donauschiffahrt von Monat zu Monat weiter zu steigern, braucht um so weniger bezweifelt zu . werden, als heute Deutschlands Stellung als Donauufers taat . und sein Einfluß bei den Donauschiffahrtsgesellschaf teil gegenüber dem Weltkriege wesentlich stärker gefestigt ist.
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Was die Eisenbahnen anlangt, so ist es wohl dabei selbst verständlich, daß für die reibungslose Bewältigung dieser ungeheuren Neuaufgaben eine umfassende E r n e u e r u n g u n d V e r m e h r u n g d e s F a h r z e u g p a r k s und an zahllosen Stellen des Netzes — mehr oder weniger auch für die Öffentlichkeit sichtbar — ein A u s b a u d e r ' S c h i e n e n w e g e u n d d e r A n l a g e n in den betrieb lichen Brennpunkten des Netzes notwendig sein wird, zumal der Mangel an Menschen und an Eisen der Reichsbahn hierin schon seit Jahren eine übermäßige Zurückhaltung aufgezwungen hat. Aber die entscheidenden Voraussetzungen und Mittel zur Lösung dieser neuen Verkehrsaufgaben werden dennoch weniger in einem weit ausgreifenden Ausbauprogramm für die Eisenbahnen Deutschlands und des europäischen Großwirtschaftsraumes zu finden sein, als in der planvollen Nutzung des v o r h a n d e n e n Apparates, insbesondere in einer zielbewußten H a n d h a b u n g d e r E i s e n b a h n t a r i f p o l i t i k . Durch die Neugestaltung der Landkarte Europas auf. völlig veränderte Grundlagen gestellt, sieht sich die Tarifpolitik der Eisen bahnen vor der Aufgabe, den gesteigerten Warenaustausch des europäischen Wirtschaftsgroßraumes durch Verbilligung der Transporte und durch Vereinfachung des Tarifwesens zu erleichtern und ihn auf die verschiedenen zur Verfügung stehenden Großverkehrsträger nach dem Gesetz der Zweck mäßigkeit aufzuteilen. Hängt doch von der Höhe der Eisen-' bahnfrachten nicht bloß der Absatzradius und manchmal sogar überhaupt die Absatzfähigkeit eines Erzeugnisses, sondern entscheidend auch die Neigung der Verfrachter ab, dort, wo mehrere Wege zur Wahl stehen, auch Binnen- Und Seeschiffahrt in die Verkehrsbedienung einzuschalten. M it jeder Ausweitung der G renzen G roßdeutschlands ist nun aber auch immer w ieder ein hochentw ickeltes, vielfältig, gegliedertes. ; W irtschaftsgebiet aus allen seinen . seit
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mindestens Jahrzehnten gewachsenen wirtschaftlichen Ver-' flechtungen herausgerissen und in den großen deutschen Wirtschaftskörper eingefügt worden; Der politische Macht spruch hätte zwangsläufig, wie wir das ja in Ost- und West oberschlesien nach dem Weltkriege eindringlich am eigenen Leibe haben kennenlernen könjien, zu schweren wirtschaft lichen Erschütterungen führen müssen, wenn nicht eine planvolle Wirtschaftspolitik der Reichsregierung solche Erschütterungen zu verhüten oder doch zu dämpfen bestrebt gewesen wäre. Die beiden nächstliegenden Mittel dazu, Z o l l t a r i f und W ä h r u n g s a u s g l e i c h , standen aber leider für diesen Zweck immer nur zeitlich beschränkt, zur Verfügung, um wenigstens in einer kurzen Übergangs- \ zeit Ausverkauf oder Niederkonkurrenzierung des neu hinzugekommenen Wirtschaftsgebietes zu verhüten. Ihre/ langdauemde Anwendung hätte sich nicht mit dem Be- , streben vereinbaren lassen, die neuen Reichsteile so rasch als möglich in das Großdeutsche Reich einzugliedern. Auch G e b i e t s s c h u t z a b k o m m e n innerhalb bestimmter;. Wirtschaftszweige erwiesen sich in vielen Fällen nicht aismöglich oder nicht als zweckmäßig. So fielen für den Aus gleich der Wettbewerbsverhältnisse zwischen der altreichsdeutschen Wirtschaft und der Wirtschaft .der neu hinzu gekommenen Gebiete der E i s e n b a h n t a r i f p o l i t i k vielfältige und wichtige Aufgaben zu, wie ja auch zu ^ Friedenszeiten in einer auf gemeinwirtschaftliche Interessen ausgerichteten Wirtschaft die Eisenbahntarifpolitik immer eines der unentbehrlichsten und wirkungsvollsten Instru mente einer planvollen staatlichen Wirtschaftslenkung ist. Der Einsatz eisenbahntarifarischer Maßnahmen zur w irt schaftlichen Gleichschaltung der neu erworbenen Gebiete mit dem Altreich vollzog sich aber jeweils unter ganz anderen wirtschaftlichen Voraussetzungen. Zunächst spielte der vom Reiche im Rahmen seiner allgemeinen wirtschafts-
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. . *" ■' - ' , politischen Zielsetzungen jedesmal besonders festgelegte Umrechnungskurs der Reichsmark zu. der bisherigen G e bietswährung (ö. Schilling, Tschechenkrone, Lit, Zloty usw.) eine bedeutsame Rolle. Sodann fand die Reichsbahn in den ängegliederten Landesteilen immer wieder ein Tarif System, das von dem ihrigen grundlegend abwich, und ein T arif niveau, d. h. eine durchschnittliche Höhe der F rach t belastung, vor, die entweder, wie in Österreich,, erheblich , höher lag als im‘Altreich' oder, wie in der Tschechoslowakei, im Memelgebiet und Polen, im großen Durchschnitt niedriger war. Daraus ergab sich zunächst die Notwendig keit zahlreicher, auf eine gewisse Übergangszeit befristeter '.Eisenbahn-Tarifmaßnahmen im Personen- wie im Güteryerkehr. Sie alle zielten darauf ab, der W irtschaft des an gegliederten Gebietes bei der Umstellung auf veränderte "Lohn- und Preisverhältnisse, auf neue Bezugs- und Absatz gebiete zu helfen und gleichzeitig ihre Einschmelzung in das Altreich in dem politisch und wirtschaftlich jeweils erwünschten Maße zu beschleunigen. Ihre Betrachtung im einzelnen würde hier leider zu weit führen Für alle neu hinzugetretenen Gebiete aber wirkte sich infolge ihrer Grenzlage die stark abfallende Staffelung des Reichsbahn-” tarifs. auf die weiten Entfernungen als eine tarifarische Wohltat aus, die den großen wirtschaftlichen xEingliede rungsvorgang wesentlich erleichtert hat. Ferner wurden diese Gebiete grundsätzlich in den Geltungsbereich der Im A lt reich bestehenden allgemeinen Ausnahmetarife einbezogen •,und, den Bedürfnissen ihrer Wirtschaft entsprechend, als\ bald auch mit eigenen Ausnahmetarifen für den Bezug gewisser Rohstoffe und den Absatz bestimmter Erzeugnisse ‘ ausgestattet. Andererseits hat der aus *den politischen Ereignissen folgende Fortfall gewisser Wettbewerbswege auch eine starke Umwälzung in den zwischenstaatlichen Wettbewerbsverhältnissen mit sich gebracht und viele von
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der Reichsbahn, in ihrem eignen Interesse oder zu Gunsten der deutschen Seehäfen gewährten Tarifermäßigungen ent behrlich gemacht. Aber wie die Wirtschaft selber, so ist auch die ihr planvoll dienstbare Eisenbahntarifpolitik in steter Entwicklung begriffen, und deshalb zeichnen sich gerade auch für sie am Horizont des politischen Geschehens immer wieder neue Aufgaben ab. So erschließt sich uns ein recht abwechslungsreiches Bild verkehrspolitischer Aufgaben, wenn wir den Werdegang des Großdeutschen Reiches in den , letzten 4 Jahren aus dem Blickwinkel seiner Großverkehrs•träger heraus einmal flüchtig an unserm geistigen Auge vorüberziehen lassen. Kapitel 2 D er A n s c h l u ß Ö s t e r r e i c h s L’Anschluß c'est la guerre, hatten 20 Jahre lang die Versailler Feindbundstaaten der Welt verkündet. Wenn dennoch keiner von ihnen den Versuch gemacht hat, die* Entwicklung aufzuhalten, als im März 1938 mit dem An schluß Österreichs an das Großdeutsche Reich dieser Traum der Besten der deutschen Nation mit einem' Schlage Ver wirklicht wurde, so verdankte die Welt das damals wohl entscheidend der klaren zustimmenden Haltung Mussolinis, In dieser Stunde bestand die Achse Berlin—Rom ihre erste Feuerprobe, und der Verkehrsfachmann wird sich in diesem Zusammenhang besonders gern erinnern, daß Italien mit seiner Zustimmung auch recht schwerwiegende eigene ver kehrspolitische Interessen einem größeren weltpolitischen •7’ ' Gedanken untergeordnet hat. 7,; v T r i e s t , der Seehafen der 1918 zerfallenen österreichisch-ungarischen Donaumonarchie, kämpfte, durch die Friedensschlüsse von Trianon und St. Germain des ', staatlichen Zusammenhangs mit seinem natürlichen Hinter lande - beraubt, im italienischen Staatsverbände einen »
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schweren Kamp! um sein Dasein. Zu seinen wichtigsten, altangestammten Einzugsgebieten aber rechnete es die österreichischen Bundesländer. Was die A u s f u h r aus der Ostm ark über den Hafen Triest anlangt, so ist in der T at nach dem Anschluß ein recht beträchtlicher Rückgang eingetreten, der aber übrigens keineswegs auf eine Abwanderung über andere Ausfuhrwege oder gar auf einen Rückgang der Erzeugung zurückzuführen, ist, sondern ausweislich der Verkehrsstatistik allein in einem verstärkten Inlandsabsatz seine Erklärung findet. Sein Schwergewicht liegt beim H o l z e x p o r t , sodann aber bei dem früher mengenmäßig auch sehr zu Buche schlagenden Triestiner E x p o r t an Magnesit, Papier,C e l l u l o s e u n d E i s e n w a r e n , aus den österreichi schen Bundesländern. Dagegen hat sich die E i n f u h r über Triest nach den ehemals österreichischen Verkehrsbezirken auch nach dem Anschluß sogar recht günstig entwickelt. Im Rückgang der Ausfuhr aber wie in der gewaltigen Steigerung der Einfuhr über Triest zeigt sich sinnfällig der wirtschaftliche Segen,-den Österreich aus dem Anschluß ans Reich erfahren hat,. Zweifellos wird, auf weite Sicht gesehen, auch der. Hafen Triest von dieser wirtschaftlichen Erschließung des österreichischen Raumes höchsten Nutzen ziehen und im Zuge dieser Entwicklung mit Leichtigkeit das Maß von Verkehrsrückgang verschmerzen können, das ihm durch die strukturell bedingte Umleitung bedeutsamer Verkehrsströme nach dem großdeutschen Binnenmärkte entstehen wird. ' Alsbald nach der staatsrechtlichen Neugestaltung setzten ■nun deutsch-italienische Regierungs- und Eisenbahnverhandlur en mit, dem Ziele ein, durch entsprechende Eisen bahntarifmaßnahmen alle diese Interessen auszugleicheni, und auch für die Zukunft ist ein solcher Meinungsaustausch laufend in Aussicht genommen. Er vollzieht sich im Rahmen
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, Österreich war weitgehend auf Kohleneinfuhr aus deutschen, politischen und tschechischen Gruben angewiesen und damit einer recht unbequemen Vorbelastung seines Devisenhaushalts. ausgesetzt gewesen. Nun konnten die polnischen Bezüge weitgehend gedrosselt und auf die anderen bisherigen Großlieferer an der Ruhr und der Saar und in den beiden, schlesischen Revieren umgelegt werden. Aber auch damit fielen der Reichsbahn, in gewissem Um fange auch, der Donau, beachtliche Mehrtransporte, zu, zumal nunmehr auch der Beförderungsweg der s c h l e s i s c h e n Kohle nur noch nach rein gesamtdeutschen Interessen be stimmt , wurde. Das aber bedeutete damals insbesondere Ausschaltung der tschechischen Bahnen von diesen ihnen an sich geographisch zufallenden Durchfuhrtransporten. Der Mehrweg von 855 km über Reichsbahnstrecken in Sachsen und Bayern*) war zwar für die Reichsbahn, zumal im Zeichen ihrer ungeheuren Transportaufgaben für Westwall und Ührerbauten, eine recht unbequeme Zusatzbelastung, Übrigens auch ein sehr schlechtes Geschäft, denn er durfte natürlich nicht teurer werden als der so viel kürzere Weg durch die Tschecho-Slowakei, aber er half dafür der deut schen Wirtschaft auf Kosten der tschecho-slowakischen Staatsfinanzen beträchtliche Devisen sparen. : :,v Die Auflösung der -Tschecho-Slowakei hat dann die Kohle aller schlesischen Reviere wieder dem natür lichen kürzesten Weg. über Lundenburg zugewiesen. Da nun aber die 'Fracht unter Ausschaltung des tschechi' sehen Tarifbar emes durchgehend nach den billigen deut-, sehen Langstreckenfrachtsätzen berechnet wurde, so wurde damit polnische, Sudeten« und Altreichskohle plötzlich sehr viel billiger in Österreich als je zuvor, die Ruhrkohle bei spielweise um 1,17 RM. je Tonne. Das war für die kohlenv e r b r a u c h e n d e österreichische Wirtschaft im ganzen 4
• • *j Gleiwitz—Wien über Oderberg 370 km, über Passau 1225 km.
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' y*t • zwar sehr angenehm, die österreichischen Kohlenreviere ,vselber aber konnten ihre Produktion jetzt plötzlich auf dem österreichischen Markte gar nicht mehr absetzen, denn sie hätten ja nun in ihren Preisen ab Werk mit einem Male . um soviel her unter gehen müssen, als die anderen Reviere infolge, der Frachterspamis ihre Preise ermäßigen konnten. Wir haben da ein recht einleuchtendes Beispiel für'die in der Öffentlichkeit kaum gewürdigte Tatsache, daß eine Frachtermäßigung keineswegs immer und für alle Betei ligten ein Segen sein muß! Auch hier konnte Hilfe wiederum nur von der Reichsbahn kommen. Sie gewährte der in ost märkischen Gruben geförderten Kohle auf 350 km im Umkreis in ihrem ureigenen Absatzgebiet einen besonders billigen Nahtarif, der den Frachtvorsprung der anderen Reviere an nähernd ausgleicht. Als erstes deutsches Kohlenrevier hat schon vor Jahren aus ähnlicher Lage heraus der sächsische , Steinkohlenbergbau dieselbe Vergünstigung erhalten, und die y* Zwickauer und Lugau-Oelsnitzer Kohle wäre ohne den ihr von der Reichsbahn gewährten, übrigens n o c h stärker ermäßigten, Nahtarif längst vom Markte verschwunden. * r ‘ Die Frage der Kohlenversorgung unserer Ostmark enthält • übrigens auch noch in einer anderen Hinsicht ein Verkehrs problem, das erst die Ausweitung der deutschen Grenzen im Osten hat reifen lassen. Bisher hat die Ostmark, wie jetzt der oberschlesische Bergbau feststellt, nur 300 000 t r,aus Westoberschlesien, dagegen 800 000 t von polnischen und 800 000 t von Ruhr- oder Saar-Zechen bezogen. Es ist zu verstehen, daß die schlesische Kohle vom Standpunkt ihrer Absatzinteressen aus für später eine möglichst weit gehende .Umlegung der Ruhr- und Saar-Bezüge auf schle * sische Gruben wünscht, die dem Hauptverbrauchsplatz ■Wien ja um 6—700 km näher liegen. Die Deutsche Reichs bahn freilici) wird in diesen Wettstreit der Reviere wohl kaum > ' ‘‘ durch Tarifmaßnahmen eingreifen können, sondern die » *t i
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Regelung dem Reichskohlenkommissar überlassen müssen, zumal die westdeutsche Kohle nach Wien natürlich eine begehrte Talfracht der Donau und für gewisse Zwecke, z. B. als Hüttenkoks, auch durch schlesische Kohle sortenmäßig nicht voll zu ersetzen ist. Aus der Neugestaltung der Landkarte Europas erwachsen nun aber besonders auch der D o n a u s c h i f f a h r t groß' zügige Neuaufgaben für die Verkehrsbedienung im mittel europäischen Verkehr, und damit haben sich auch dem Platze Wi e n a l s H a f e n f ü r d e n D o n a u u m s c h l a g ungeahnte Möglichkeiten eröffnet. W ir dürfen davon hier zunächst eine auf weitere Sicht gedachte Wirtschaftsplanung erwähnen, bei der wahrscheinlich auch die Eisenbahntarif politik weitgehend wird eingeschaltet werden müssen. Für den planmäßigen Warenaustausch Großdeutschlands mit dem Südosten Europas in beiden Richtungen ist Wien der von der Natur vorbezelchnete Umschlags- und Veredelungsplatz. Vor der Eingliederung der Ostmark in das roß deutsche Reich bezog Deutschland seine Rohstoffe aus den Südoststaaten wegen der billigeren Fracht zum großen Teil auf dem Seeweg. Heute und auch für die Zukunft ist dafür die Bedeutung der Donau und des direkten Bahn weges gewaltig gestiegen. Deshalb weisen Wiener Wirt schaftskreise nun auf die Rolle hin, die Hamburg nicht bloß als Umschlaghafen, sondern vor allem auch als Handels und Stapelplatz und als S i t z g e w a l t i g e r V e r e d e l u n g s i n d u s t r i e n für über See eingeführte Roh stoffe bisher in der deutschen Ein- und Ausfuhr gespielt hat, und sie sehen Wien selber für die Zukunft zu einer ähn lichen Stellung im Handelsverkehr mit den Südoststaaten berufen — „Wien, das Hamburg des Südostens“, „Wien, die führende Handelsstadt der europäischen Mitte!“. Wenn es gelingt, für die aus dem Südosten eingeführten landwirt schaftlichen Urerzeugnisse in Wien geeignete Veredelungs8*
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betriebe einzurichten, z. B. Mühlen und Pressereien für öisaaten, Anlagen für das Bleichen von Nüssen, das Reinigen und Sacken von Hülsenfrüchten, Schlachthäuser, Bakon- und Fleischkonservenfabriken, und dann die Einfuhrgüter des Donaubeckens von hier aus als Halb- oder Fertigfabrikate in alle Teile des Großdeutschen Reiches weiterzuleiten, so läßt sich aus einer solchen Entwicklung sowohl für den direkten Bahnweg wie für eine Beförderung, unter Ein schaltung der Donau eine mengenmäßige Entlastung und eine Herabsetzung der Frachtkosten erhoffen. Auch für die Einfuhr aus Rußland könnte dieser Handelsweg dann sehr wohl in Betracht kommen und dieselben Vorteile bieten. Falls diese Pläne reifen, wird an die Deutsche Reichsbahn, und nächst ihr an die Donauschiffahrt, voraussichtlich der Wunsch herantreten, durch eine entsprechende Aüsnahmetarifpolitik die Schaffung von Veredelungsindustriers im Wiener Becken zu begünstigen. v : Um die Betrachtung der verkehrspolitischen Ent wicklung in der Ostmark damit vorläufig abzuschließen, sei endlich in diesem Zusammenhänge noch ein kurzer Nachruf auch dem ,, ö s t e r r e i c h i s c h - d e u t s c h e n E i s e n b a h n k r i e g e " gewidmet, der mit der Ein gliederung der Österreichischen Bundesbahnen in das Netz der Deutschen Reichsbahn nun endgültig zu Grabe getragen worden ist. Vom eignen finanziellen Interesse aus konnte es der Deutschen Reichsbahn im Verkehr mit' dem Donauraume früher gleichgültig sein, ob sie an der Reichsgrenze ihre Transporte an die benachbarten Österreichischen Bundesbahnen oder an die Donau abgab. Dasselbe galt natürlich auch für die Gegenrichtung, Passau und Regensburg waren gewissermaßen die Schwarze-MeerHäten Deutschlands und der Bayerische Lloyd auf der Donau •der lange Arm der Deutschen Reichsbahn und unserer deut- ‘ sehen Seehäfen nach dem Südosten hin. So schaltete die :
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Verkehrsträger vor neuen Aufgaben
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Reichsbahn durch frachtgünstige Zu- und Ablauftarif e für Regenöburg und Passau in den Verkehr Mittel- und Südost europas mit Deutschland und Übersee weitgehend auch die Donau ein. Die Österreichischen Bundesbahnen aber sahen darin eine Maßnahme, die ihnen im Verkehr mit Österreich selber und vor allem mit darüber hinaus ,gelegenen Ländern beträchtliche Transporte entzog; Das war zwar sicherlich nicht der Zweck, jedenfalls aber doch eine der Wirkungen unserer Donautarifpolitik. Aber Österreich hatte einen recht beachtlichen Gegentrumpf in der Hand konnten doch die. österreichischen Bundesbahnen durch frachtliche Begünsti gung des langen, weit nach Westen vorstoßenden ArlbergWeges wirkungsvoll Transporte im Ost-West-Verkehr, mamentlich von und nach, der Schweiz, Frankreich und Belgien, von dom über Reichsbahnstrecken führenden ^kürzeren ege ablenken und damit ihre Bundesbahnfinan; z;en jefruchten. Heute sind die Donau u n d der A r' berg gtoßdeutsche Verkehrswege, und ihr Spiel im Wettbewerb der beiden Nachbarbahnen gehört einer nahen und doch im Bewußtsein unseres Volkes schon fast vergessener! Ver-, gangenheit an, die noch kein Großdeutschland kannte, • Kapitel 3 • -V ' ‘ ■D e r Z e r f a l l d e r T s c h e c h o - S l o w a k e i Noch ehe die verkehrspolitische Aufbauarbeit in der Ost-- mark oder wenigstens die betriebsorganisatorischen und. verkehrlichen Maßnahmen der Deutschen Reichsbahn zur Eingliederung des ostmärkischen Eisenbahnnetzes auch nur zu einem vorläufigen Abschluß hatten kommen können, marschierten deutsche Soldatenstiefel von Norden und Süden, von Osten und Westen über die Grenzen des am Fluche seiner Versailler Zweckbestimmung von innen heraus zer brochenen Benesch-Staates ein und befreiten den Sudeten^ • gäu und Südmähren von zwanzigjähriger Frem dherrschaft.
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Auch diese Entwicklung aber stellte die Verkehrsträger Großdeutschlands wieder vor eine Fülle neuer Aufgaben. Im böhmisch-mährischen Raume lag die Hauptlinien führung des Eisenbahnnetzes ursprünglich in der Nord-SüdRichtung. Alle größeren Eisenbahnlinien führten nach Wien als Hauptstadt der österreichisch-ungarischen Donau monarchie. Der tschechische Staat dagegen begünstigte aus außenpolitischen Gründen auch in der Wirtschaft die OstWest-Richtung. Ihm kam es auf eine möglichst enge Ver flechtung mit der Kiemen Entente — also mit Rumänien und Südslawien — und sodann mit der Sowjetunion und mit Frankreich an. Er bevorzugte also die Entwicklung der Eisenbahnen im südlichen Böhmen und Mähren und die große Ost-West-Verbindung durch die Slowakei. Die Eisen bahnen im Sudetengau fanden dagegen sein Interesse nicht, obwohl doch gerade dort die höchstentwickelte Industrie und gewerbliche Wirtschaft seines ganzen Staatsgebietes lag. Das Deutsche Reich wurde zwar durch den Zwang der geopc tischen Tatsachen sein weitaus bedeutendster Außen handelspartner und blieb es in der Folge auch trotz aller politischen Hemmungen, aber das Eisenbahnnetz der sudetendeutschen Randgebiete war im Benesch-Staat allein auf dessen p o l i t i s c h e Bedürfnisse ausgerichtet. Die neue Grenze, die die . Münchener Vereinbarungen durch den böhmisch-mährischen Raum zogen, zerschnitt nun ein bis dahin durch Zollmauern fest zusammengehaltenes Wirtschaftsgebiet, dessen an Deutschland fallende Teile jetzt plötzlich abgeschnitten waren von ihren bisherigen Bezugs- und Absatzgebieten und sich mit ihren Rohstoffen und ihren F ertigfabrikaten weitgehend umstellen mußten auf die völlig andersartigen Verhältnisse des Altreichs. Aber auch für so manche Industrie des Altreichs brachte wie s. Z. schon der Anschluß Österreichs jetzt wiederum die Angliederung des Sudetenlandes eine weitgehende Um-
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■’ "i " ' . t • • ' * ‘ 4 ■%Die Verkehrsträger vor neuen Aufgaben 119 ? . * "• " ‘ ' . % " ; *' . schichtung ihres Rohstoffbezugs ‘oder ihrer Wettbewerbsv •; verhältnise au! in- und ausländischen Märkten- Um diese ,M‘ Umschaltung zu verhüten oder um sie zu erleichtern, riefen e { die entgegengesetzten Interessentengruppen naturgemäß mit v‘ in erster Linie die Hilfe des Eisenbahiltarifes an- Hatten — * um nur zWei Beispiele herauszugreifen — deutsches Kaolin und deutscher Ton bisher besondere Ausnahmetarife ge nossen, um sich auf dem Inlandsmarkte gegen höherwertige ■ Kaoline und Tone aus Böhmen behaupten zu können, so ' verloren diese tarifpolitischen Begünstigungen grundsätzlich 1 {‘ • ihren Sinn, nachdem die böhmischen Kaolin- und Tongruben , * • größtenteils an Deutschland gefallen waren. Andererseits ;■* • riefen die altreichsdeutschen Rohstoffe nun um so lauter t nach eisenbahntariflichem Schutz, als sie sich durch die i böhmische Konkurrenz jetzt nach Wegfall von Zoll und Devisenerschwernissen nur noch stärker gefährdet sahen Gleichwohl verfielen diese Tarife nach Abwägung des Für und Wider und im Einvernehmen mit der zuständigen Wirti ,, 1 schaftsgruppe nunmehr der Aufhebung. ^janz neue Aufgaben und Möglichkeiten als Verkehrs trägerin im groß deutscher Raume erwuchsen durch die An -*i gliederung des Sudetengaues aber auch der E lb e. -Früher ein internationalisierter Strom, dessen Schiffahrt, auch so- r weit sie unter deutscher Flagge fuhr, kapitalmäßig stark . auslandsgebunden war, wurde nunmehr die Elbe von der Quelle bis zur Mündung ein rein deutscher Strom- Wasser wirtschaftlich und verkehrspolitisch, zumal nach der Er richtung des Protektorats Böhmen-Mähren, voll unter deut schen Einfluß gestellt, konnte sie jetzt insbesondere auch , dem neu aufblühenden Verkehr zwischen Sudetengau und, Altreich planmäßig dienstbar gemacht werden. Diese Wand lung ging auch an der Tarifpolitikider Deutschen Reichs-: v *i « bahn nicht spurlos vorüber- Bisher hatte die Reichsbahn es mit guten Gründen abgelehnt, namentlich den Hamburger > ? i ff
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Seehafenverkehr, den sie — besonders auch im Interesse • . der stark exportorientierten sächsischen Industrie — immer > \j mit billigen Aus- und Einfuhrtarifen auf dem reinen Bahn wege gepflegt hatte, durch verbilligte Zulauffrachten in ' ■* stärkerem Maße an die Elbschiffahrt abzugeben und, sei es für binnendeutschen oder für Überseeverkehr, die Elb,_ Umschlagtarife aus der Zeit des preußisch-sächsischen . ' Eisenbahnkrieges ■wieder aufleben zu lassen. Nun aber ver schloß sich die Reichsbahn nicht der Notwendigkeit* für die V . . Elbumschlagsplätze im Sudetengau diesen Grundsatz zu verlassen. Gewisse, auf den Wasserweg besonders an• ' . gewiesene Wirtschaftszweige erhielten verbilligte Zu- öder ' . Ablauf frachten nach und von Elbhäfen' für ihrer? Rohstoff-' ■ bezug oder den Absatz ihrer Erzeugnisse im Altreich und - .. , : ’ '• in Übersee, z. B. für Kaolin und Ton, Eisenröhren, Glas-, ‘ . c und Porzellanwaren usw. Auch darüber hinaus wird sich ■' der Elbstrom von einer verständnisvollen Zusammenarbeit , zwischen Reichsbahn und Binnenschiffahrt eine große Veiri - ,. kehrsbelebtmg erhoffen dürfen. Wenn freilich die Inter- ... essenten im Talverkehr noch mit beträchtlichen Möglich-: .keiten für den Absatz böhmischer Braunkohle in Nord deutschland glauben rechnen zu dürfen, so sollten sie doch _ wohl für die Zeit nach Wiederkehr normaler Verhältnisse* , -den Preisdruck der ostelbischen Braunkohle, der schlesischen.. ■ Reviere und der über den Mittellandkanal gleichfalls frächtgünstig konkurrierenden.Ruhrkohle stärker in Rechnung stel len. Überdies aber wird die im Ausbau begriffene großzügige : örtliche Verwertung der Kohle im Sudetengau selber auch zu einer sehr weitgehenden zusätzlichen Inanspruchnahme ? der Förderkapazität der böhmischen Braunkohle führen, ' ' l ■i ' . .Die den Elbumschlagsplätzen gewährten Eisenbahn-, ■:, • , : frachtermäßigungen haben übrigens alsbald die Oderschiff- : , fahrt veranlaßt, dieselben Begünstigungen auch für den ' ri ; . - Umschlag von und nach der Oder zu fordern. Sie begründete ;>?' .* -
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ihr Verlangen mit der Behauptung, daß diese Verschiebung der Frachtenlage ihre Interessen im Sudetengau und im Protektorat geschädigt habe. W ir sehen auch hier wieder ein Beispiel dafür, wieviel Rücksichten die Eisenbahntarif politik auf die vielfältigen Verflechtungen des Wirtschafts lebens nehmen muß. Verkehrspolitisch gesehen war eine der augenfälligsten Folgen aus der Auflösung der Tschecho-Slowakei eine starke V e r s c h i e b u n g d e r W e 11 b e w e r b s v e r h ä 11nisse der drei großen m it t e l e u r o p ä i s c h e n H a f e n g r u p p e n — deutsche, adriatische und polnische*) Häfen — im Raume des ehemaligen tschecho-slowakischen Staates. Bis dahin war die Tschecho-Slowakei in der beneidenswerten Lage gewesen, diese drei Hafengruppen, deren jede natürlich einen möglichst großen Anteil an der recht bedeutenden überseeischen Ein- und Ausfuhr dieses . hochentwickelten Wirtschaftsgebietes erstrebte, gegeneinan der ausspielen zu können. Tschechisches Malz und tsche chischer Zucker nach den skandinavischen Ländern waren sowohl für Stettin und seinen Zubringerstrom, die Oder, wie für Danzig und Gdingen begehrte Ladung. In Pilsen suchten bei den Skodawerken und der Urquellbräuerei die Triestiner und die Hamburger Frachtenwerber sich gegen seitig aus dem Geschäft zu drängen. Die Erze der Wittkowitzer Schwerindustrie waren altangestammter Besitzstand > des Stettiner Hafens und von j eher dringend begehrte Berg fracht für die Oder, aber, auch Danzig und Gdingen boten ihnen, gestützt auf die Dumpingfrachten der polnischen Kohlenmagistrale, günstige Transport- und Spesensätzei Um die Baumwollieferungen aus Amerika an die bedeu tende tschecho-slowakische Textilindustrie aber rissen sich die Baumwollbörsen und die ,Speditionsfirmen in Bremen und in Gdingen. \ ■ *) Gdingen und — wenn auct in der Rolle des Aschenbrödels — Danzig.
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Der Kampf um die Frachten wurde im wesentlichen auf dem Rücken der Deutschen Reichsbahn ausgetragen. Die Stellungnahme 'der Tschecho-slowakischen Staatsbahnen1 entschied letzten Endes der Rechenstift. W ährend für die Verkehrsbeteiligung der a d r i a t i s c h e n Häfen die schon erwähnten „Zweckverbands"-Vereinbarungen beständen, hatten die Polen jede gütliche Einigung über die Verkehrs-, ansprüche ihrer Häfen immer abgelehnt. So fiel hier der Reichsbahn insbesondere die Aufgabe zu, durch billige Durchfuhrfrachten auf dem reinen Bahnwege oder durch' besondere Umschlagstarife zugunsten d e r' Oderschiffahrt die deutschen Seehäfen im Wettbewerb gegen die polnischen anzugskräftiger zu machen. Da die Polen bei der Förderung ihres Nationalhafens Gdingen keine Rücksicht auf Wirt-- * Schädlichkeit kannten, war das nicht immer eine leichte Aufgabe. So war. es nur durch weitgehende Frachtermäßi gungen der Reichsbahn möglich, tschechische Ausfuhr erzeugnisse für Skandinavien auf dem Bahnwege, gegebenen falls unter Einschaltung der Oder, dem Hafen Stettin oder, dem deutschen Fährverkehr Saßnitz—Trelleborg gegen den '. Gdinger Wettbewerb zu erhalten. ► Jetzt, mit dem Zerfall der Tschecho-Slowakei, änderteil sich die Verhältnisse grundlegend zugunsten Deutschi ähds. Insbesondere konnte die tschechische Staatsbahn praktisch kaum mehr durch ihre Tarifpolitik Einfluß auf den Beförde rungsweg nehmen. Im Sudetengau war sie ganz aus geschaltet, in ihrem restlichen Staatsgebiete aber verblieben ihr zumeist nur so kurze Beförderungsstrecken, daß sie' nicht mehr genügend Tarif kraft hatte, um durch wesent liche Frachtermäßigungen den Weg von und nach den pol nischen Häfen zu begünstigen. Der Verkehrszuwachs für , die Reichsbahn und die deutschen Seehäfen, aber auch fürdie Schiffahrt auf Elbe und Oder, war um so bedeutender, als der internationale Verkehr in der Folgezeit schob seit
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dem Frühjahr 1939 Gdingen und Danzig wegen drohender Kriegsgefahr mehr und mehr zu meiden suchte. Wesent lichen Verkehrsgewinn konnte namentlich der Stettiner ■ Hafen für sich buchen. Ihm fiel nunmehr im Verkehr mit dem ehemaligen tschecho-slowakischen Staatsgebiet u n d . -dritten Ländern gar mancher Verkehr zu, den bis dahin die tschechische Eisenbahnpolitik aus politischen ■,oder finanzwirtschaftlichen Gründen den polnischen Häfen oder der Elbe zugeführt hätte. . . ' Übrigens halben die Polen ihre verkehrspolitischen Machtpositionen im Protektorat und in der Slowakei keineswegs kampflos geräumt. Das Machtwort, das die .deutschen Kanonen in Polen gesprochen haben, hat zwar ' auch diese Auseinandersetzung mit abgeschlossen, aber die Druckmittel, die die Polen z. B. der Slowakei gegenüber' angewendet haben, um ihr-die Abgabe slowakischen Ver kehrsaufkommens an die deutschen Häfen unmöglich zu machen, sind für unsere Betrachtungen doch nicht ohne Interesse. Polen hat den Slowakischen Staatsbahnen zuerst mit der planmäßigen Umleitung seines Durchfuhrverkehrs durch die Slowakei, insbesondere seiner großen Kohlen lieferungen nach Ungarn und Jugoslawien gedroht, eine *. Maßnahme, , die bei der geographischen Lage und der - geringen' Industrialisierung des. Jungen Staates die Wirt schaftlichkeit seiner Bahnen und damit seine"gesamten. . ' Staatsfinanzen sehr schwer getroffen hätte. Sodann aber kündigten die Polen für den Fall der Umlegung slowa kischen* Verkehrs von polnischen Eisenbahnen, Wasser straß en und Seehäfen auf deutsche einfach die Einstellung- • a lle r. Kohlenlieferungen an die Slowakei an, und da aus Deutschland and dem Protektorat Kohlen damals nicht' . zu* bekommen waren,* hätte diese Drohung, schon^ alleingenügt, die Slowaken den polnischen Wünschen willfährig
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.zu machen, wäre nicht das Rad des Zeitgeschehens auch darüber sehr bald hinweggegangen. _\ * ' ‘ Natürlich war aber die Reichsbahn durch den Wegfall ' ' des polnischen Wettbewerbs nun noch nicht sogleich in die Lage versetzt, ihre Frachten im Verkehr mit. dem" ehe' maligen tschecho-slowakischen Staatsgebiete entsprechend zu erhöhen, denn als gemeinwirtschaftlich ausgerichtetes Unternehmen mußte sie auf die eingefahrene Frachtenlage Rücksicht nehmen, um nicht die betroffene, zum größten . Teile ja auch deutsch gewordene Industrie in ihren Produk tionskosten untragbar zu benachteiligen. Immerhin wird die ’• Deutsche Reichsbahn wohl einmal daran denken müssen, das durch den polnischen Wettbewerb heruntergewirt- i schäftete Frachtniveau im Südostraum bis zu einem gewissen, für die betroffene Wirtschaft und für die deut, sehen Seehäfen noch tragbaren Grade zu heben, nachdem jetzt der Wettbewerb außerdeutscher . Bahnwege weg gefallen ist. Die Notwendigkeit einer solchen Erwägung kann sich nach Rückkehr normaler Verhältnisse u. U. auch ; aus der gebotener! Rücksichtnahme auf die Lebensinter.. essen der Donauschiffahrt ergeben. " ~ Das Auseinanderfallen der Tschecho-Slowakei machte die _ deutschen Eisenbahnen aber auch zu Partnern und Interessenten einer Verkehrslenkung, die die tschechischen Staatsbahnen bis dahin e n t g e g e n den Reichsbahninter essen betrieben hatten, und zwar der eisenbahntariflichen Aneinanderschaltung von Donau und Elbe. 1: Seit 1933 besteht ein durchgehender Eisenbahn-Schiff1 ’ fahrts-Gütertarif („Edu”) für den gebrochenen E l b e E i s e n b a h n - D o n a u - V e r k e h r . Der, Tarif begünr stigte diesen Weg durch billige direkte, also auch die Elb frachten und Elbumschlagskosten umfassende, Frachtsätze zwischen den ehemaligen tschecho-slowakischen Donau.. . häfen Preßburg und Komarom einerseits und den Schiffs-
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platzen Hamburg. Magdeburg und Dresden andererseits mit Umschlag vom oder zum Elbekahn in den ehemaligen tschecho-slowakischen Elbumschlagsplätzen. Er kam also zwar dem Hafen Hamburg und nächst der tschechischen in gewissem Umfang auch der deutschen Elbschiffahrt zu Gute, entzog diese Transporte aber der Reichsbahn und gleichzeitig auch den deutschen Donauhäfen. Nach der politischen Umwälzung vom Oktober 1938 ,hat das Ver kehrsministerium Prag den wieder ungarisch gewordenen Hafen Komarom sowie die sudetendeutschen Elbumschlag plätze aus., dem Tarif gestrichen, seine Eisenbahnfracht ermäßigungen also nur noch im Verkehr zwischen Preßburg und den im Protektorat liegenden Elbhäfen Melnik und Holleschowitz zur Verfügung gestellt. Dagegen schaltete sich nunmehr die Reichsbahn mit Sonderfrachtsätzen zu gunsten aer sudetendeutschen Elbumschlagsplätze in den, Verkehr ein und behob damit eine Schädigung, die Laube .und Rosawitz im Zuge ihrer Loslösung aus dem tschecho slowakischen Staatsverbande erlitten hatten. , . . Der Elbschiffahrt kam es dabei vor allem auf das Ge treide an, das aus den sudeuropäischen Ländern im Durch gang durch Deutschland über Hamburg ausgeführt wird. Diese Transporte waren, soweit sie nicht auf dem direkten , Bahnwege nach, Stettin gelaufen waren, bei der bisherigen Tariflage auf der Donau bis Regensburg und von dort-mit der Bah < nach Hamburg gegangen. Jetzt aber sorgte der Eisenbahntarif für ihre teilweise Umlegung nach der Elbe, und da Regensburg *und seine Abfuhrwege schon seit dem Anschluß Österreichs überlastet waren, war dieser' Ver-T • kehrsverlust für die altreichsdeutschen Donauhäfen durch aus tragbar. Allerdings wurden damit nicht bloß'deutsche Elbhäfen und Elbreedereien, sondern auch die Eisenbahnen des Protektorats und der Slowakei sowie der slowakische' Donauhafen Preßburg'an einem Verkehr beteiligt,, den sie
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früher*nicht gesehen hatten. Aber ihre Einschaltung war nur ein Ausfluß der engen politischen und wirtschaftlichen Be ziehungen des Reiches zum Protektorat Böhmen und Mähren und zur Slowakei. Die Reichsbahn aber hatte dabei den ihr z. Z. recht willkommenen Vorteil einer wesentlichen Ab kürzung ihrer Wagenläufe und der Einschaltung auch der slowakischen Güterwagenbestände im Ablaufe von Preßburg. Im Zuge der weiteren Entwicklung erwirkte die Reichs bahn dann durch Verhandlungen mit den Schiffahrtsgesell schaften auf Elbe und Donau, mit den Protektoratsbahnen und den Slowakischen Staatsbahnen ferner, daß nunmehr auch d e r H a f e n W i e n i n d e n E l b e - D o n a u T a r i f e i n b e z o g e n wurde und stattete ihn mit er mäßigten Frachtsätzen nach und von den Oberelbhaien aus. Damit aber beteiligte sie Wien nun auch an der Be dienung des Elbstromgebiets und des Hamburger Orts- und Überseeverkehrs auf dem Elbwege. , , • Der so von der Reichsbahn begünstigte doppelt * gebrochene V e r k e h r ü b e r E l b e - D o n a u k ü r z t d e n S e e w e g H a m b u r g —- S c h w a r z e s ' M e e r • v o n 9 0 0 0 a u f 3 0 0 0 k m a b und ist überdies im Kriege der immittelbaren feindlichen Einwirkung entzogen. Er nimmt damit die Vorteile des in fernerer Zukunft geplan ten Elbe-Donau-Kanals ’— Frachtverbilligung und Ent lastung de;r Reichsbahn — bereits vorweg. Aber nach Rück kehr normaler Verhältnisse wird er selbstverständlich den Seeweg über Gibraltar ebensowenig aus der Bedienung des Verkehrs mit dem Schwarzen Meere ’ausschalten können, wie dereinst der fertige Kanal. _ Angesichts der engen -wirtschaftlichen Verflechtungen ■ des Protektorats mit dem'Altreich wurde, dem Verkehrs-, bedürfnis entsprechend, zum 1.' Januar 1940 d a s d e u t s c h e F r a c h t r e c h t ,’ d. h. die deutsche Eisenbahn. verkehrsordnüng, insoweit auch auf das Protektoratsgebiet
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ausgedehnt, daß der Verkehr von und nach dem Protek torate und durch das Protektoratsgebiet hindurch sich nun mehr auf deutschen Frachtbrief, nach den deutschen Haftungsbestimmungen usw. abwickeln kann. Aber auch für die F r a c h t b e r e c h n u n g gelten angesichts der ständig fortschreitenden Einschmelzung der Wirtschaft des Protektorates in das gesamte deutsche Wirtschaftsleben seit dem Jahreswechsel 1940/41 grundsätzlich nun auch die deutschen Frachtsätze und Tarifentfernungen; Es ist in diesem Zusammenhang nicht ohne Interesse, daß die Durchschnittsentfemungen, auf die die Böhmischi Mährischen Bahnen (BMB.) ihre Güter verfrachten, nur wenig geringer sind als die bei der Deutschen Reichsbahn sich ergebenden, obwohl das Protektorat noch nicht den zehnten 1eil der Altreichsfläche einnimmt. Das erklärt sich aber einmal aus der Tatsache, daß das Protektorat dank seiner Lage inmitten, des großdeutschen Raumes und damit auch im Mittelpunkte Europas einen beträchtlichen und seit der Eingliederung ins Reich noch ständig steigen den Durchgangsverkehr zu bewältigen hat und sodann aus dem starken Wechsel verkehr der vier in- Böhmen und n Mähren erkennbaren besonderen Wirtschaftszentren Prag, _ Brünn, Mährisch-Ostraü und Pilsen, von denen drei durch* aus. exzentrisch im Raume liegen. Da in der gewerblichen Wirtschaft des Protektorates die sogenannten landwirt schaftlichen Industrien besonders stark vertreten sind, er geben sich in gewissen Zeitabschnitten, insbesondere im , Herbstverkehr, für die Eisenbahnen gewaltige Spitzen leistungen, die große Reserven an rollendem Material not wendig machen. / . So werden die BMB„ obwohl ihre Anlagen und ihr Fahr zeugpark für den eigenen Bedarf des Protektorates viel leicht z. Z. noch ausreichen, doch angesichts '• der ihnen ständig zuwachsenden neuen Aufgaben sich bald vor die
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Notwendigkeit weitgehender Investitionen gestellt sehen. Das gilt'besonders für den Ausbau der durch ,das Protek torat führenden kürzesten Verbindungen von Wien nach Berlin und nach Schlesien. D ie T ä r i f p o l i t i k d e r B ö h m i s c h - M ä h r i s c h e n B a h n e n (BMB.) wird grundsätzlich auf die .Einfügung der tschechischen Wirtschaft in "das groß deutsche Wirtschaftsleben Bedacht nehmen müssen, wie sich aus der durch die politische Entwicklung geschaffenen Schicksalsverbundenheit entsprechende Verpflichtungen auch für die Reichsbahn ergeben. Aufgabe d e r. deutschen Tarifhoheit im Protektorat wird es sein, hier ausrichtend und fördernd einzuwirken. Die enge wirtschaftliche Verflechtung des Protektorates mit dem übrigen Reiche stellt natürlich sowohl die Reichs bahn wie die Böhmisch-Mährischen Bahnen (BMB.) vor vielfältige, tarifpolitische Einzelaufgaben. Bei ' der Be schränkung des hier verfügbaren Raumes mag wenigstens eine herausgegriffen sein, die zugleich anschaulich die Ein satzmöglichkeiten des Eisenbahntarifs erkennen läßt. Die Landwirtschaft des Protektorates verbraucht je Hek tar durchschnittlich nur 5 kg Kali, während der Bauer in Ländern mit intensiver Landwirtschaft wie Deutschland, Holland oder Belgien dem Boden 20—30 kg Kali je Hektar zu . geben pflegt. Um nun den Ernteertrag des böhmisch mährischen Raumes.an Getreide, Rüben und Kartoffeln aui das notwendige Maß zu steigern, sollte der Kaliverbrauch der dortigen Landwirtschaft vom Jahre 1940 ab verdoppelt, später verfünffacht werden. Zu diesem Zwecke sind die deutschen Kalipreise franko Protektorat um 30 %> gesenkt worden, wozu auch die Reichsbahn durch einen Ausnahme tarif mit 30% Frachtnachlaß und die Böhmisch-Mährischen Bahnen durch teilweise Übernahme von Ausfällen bei der Frachtverteilung das Ihrige; beigetragen haben. Welch
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starke zusätzliche Verkehrsbelastung übrigens der Reichs
bahn schon aus einer solchen Einzelmaßnahme zu erwach sen pflegt, ergibt sich allein aus der einfachen Erwägung, daß sie bereits im Frühjahr 1940 zu diesem Zwecke 18 000 t, also über 20 ganze Kali-Güterzüge mehr als im Vorjahr, nach dem Protektoratsgebiete h at fahren müssen, , Die Errichtung des Protektorates- Böhmen und Mähren im M ärz'1939 hat aber nicht nur einem gewaltig-gesteiger ten Schienenverkehr, im und durch .'den böhmisch-mäh tischen Raum den Weg frei gemacht, sondern sie hat auch der Binnenschiffahrt und dem Kraftwagen in diesem Lande eine großzügige Zukunftsentwicklung vorgezeichnet. In dieser Erkenntnis hat die .Protektoratsregierung am B a u v o n R e i c h s a u t o b a h n e n und an der P l a n u n g d e s . D o n a u - O d e r - K a n a l s .bereits tatkräftig mit Hand angelegt.'.'" ~ : •: Im Zugt.; der Lostrennung deutschsprachiger Gebietsteile von der Tschecho-Slowakei hatte übrigens auch Polen s. Z. gewisse territoriale Annexionen durchsetzen können, unter denen namentlich d i e E i n v e r l e i b u n g d e s E i s e n b a h n k n o t e n p u n k t e s O d e r b e r g in das pol’ n i s c h e S t a a t s g e b i e t für Deutschland Verkehrs: politisch außerordentlich unbequem war. Wurde doch Polen dadurch nicht nur zum Anlieger des Oder-DonauKanals, sondern auch Durchgangsland für große Teile des deutschen Verkehrs mit der Ostmark, Ungarn, Rumänien üsw. Damit aber ergab sich beispielsweise besonders auch ' für die polnischen Häfen eine bequeme Möglichkeit zur Handelsspionage gegen den Stettiner und Hamburger Hafenverkehr mit diesen Ländern, und der Verkehrsfach mann weiß es deshalb dem Soldaten besonders zu danken, j o j ein polnischen Staate selber auch dieser Spuk &um n ach Jahresfrist in ein Nichts zerfallen ist, "
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Dr. Walter Schmidt Kapitel 4 D ie H e i m k e h r d e s M e m e 1 g e b i e t e s
Bildeten beim Anschluß Österreichs und bei der Ein gliederung des Sudetengaues Verkehrsprobleme immerhin nur einen — freilich wichtigen — Teilausschnitt aus der Fülle der wirtschaftlichen Hoffnungen und Wünsche, mit denen die neugewonnenen Gebiete ihren Einzug in das Groß deutsche Reich hielten, so waren die bei der Heimkehr des Memellandes auf tretenden volkswirtschaftlichen Tages förderungen nahezu ausschließlich Verkehrsfragen. Die memelländische Landwirtschaft fand nach ihrer Befreiung von dem lastenden Preisdruck der litauischen Agrar produkte und nach der Niederreißung der absatzhemmen den Zollschranken auf der Tilsiter Memelbrücke mit Leich tigkeit den Anschluß an den großdeutschen Markt. Da gegen lagen alle Voraussetzungen für ein Wiederaufblühen der das industrielle Gesicht des Memellandes in erster Linie bestimmenden Sägewerksindustrie auf verkehrlichem Gebiete. Der kleine litauische Staat hatte den gewaltigen Sägewerken rund um das Memeler Hafenbecken, die deut scher Untemehmergeist vor dem Weltkriege dort geschaffen hatte, weder die Holzgrundlage der russischen Wälder, noch den großen und aufnahmefähigen Absatzmarkt Deutschlands bieten können, auf denen einst ihre Blüte und der Aufschwung des Verkehrs imMemeler Hafen beruht hatte, Während das Zarenreich mit den W äldern um Augustowo und Wilna das Haupteinzugsgebiet für das Rundholz der Memeler Sägewerke und der Memelstrom für sie ein lei stungsfähiger und billiger Zubringer gewesen war, hatten nach dem Weltkriege die Polen diese Rundholzausfuhr nach dem litauisch gewordenen Memel planmäßig ab gedrosselt, Als Folge der politischen Spannung zwischen beiden Staaten wegen der Ansprüche Litauens auf das
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Wilnagebiet war bekanntlich jeder unmittelbare Eisenbahn verkehr zwischen ihnen bis 1938 durch Abreißen des Schienenstranges beiderseits der grünen Grenze unmöglich gemacht und jeder grenzüberschreitende Flößereiverkehr auf dem Memelstrom gewaltsam unterbunden worden. Dazu kam das Bestreben Polens, sein Rundholz im eignen Lande zu verarbeiten und über eigne Häfen auszuführen. So war es kein Wunder, daß bei der Rückgliederung des Memel gebietes die Memeler Sägewerksindustrie und mit ihr der Memeler Hafenverkehr sehr schwer darniederlag. Nach der Heimkehr ins Reich haben die M e m e l e r S ä g e w e r k e ihre Absatzsorgen nun wohl für alle Zeiten begraben können, denn, durch keine Zollschranken mehr behindert, erschließen Eisenbahn, Küsten- und Seeschiffahrt ihnen die ganze Weite des schnittholzhungrigen deutschen Marktes. Aber auch ihre Rohstoffnot hat sich inzwischen durch den Zusammenbruch Polens bereits grundlegend geändert. Wie in der Zeit vor dem ersten Weltkriege fließt ihnen wieder auf neu hergestellten Schienensträngen und auf dem von seinen Fesseln befreiten Memelstrom aus den W äldern um Augustowo, im Suwalki-Zipfel und um Wilna hochwertiges Rundholz aus den alten Einzugsgebieten in die Gatter. Auch der S e e h a f e n M e m e l i s t damit auf dem besten Wege, seine alte Verkehrsbedeutung wiederzugewinnen. Schon jetzt bietet ihm diese Entwicklung einen Ausgleich für den durch den Krieg bedingten Wegfall der nicht un beträchtlichen litauischen Lebensmittelausfuhr nach Eng land. Mit deren Wiederaufleben wird allerdings auch nach Kriegsende nicht mehr zu rechnen sein. Sodann hat sich der Hafen Königsberg mit dem Gedanken vertraut gemacht, einen Teil seines bisherigen Verkehrs an Memel abgeben 6111 müssen. Weiteren Verkehrszuwachs hat Memel 1939
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aus dem d e u t s c h - s osw j e t i s c h e n W i r t s c h a f t s a b k o m m e n erfahren Dessen Abmachungen sind nun freilich hinfällig-geworden und Zukunftsprognosen heute zweifellos noch verfrüht. Immerhin können' Transporte aus dem russischen Raum nunmehr Memel erreichen, ohne wie früher ein drittes Transitland zu berühren und dadurch dem Versender einen Devisenaufwand für Transit frachten zu verursachen. Aus dieser Tatsache darf Memel auch die Hoffnung ableiten, künftig wieder stärker in die russische Holzausfuhr eingeschaltet zu werden, zumal so lange jeweils die Häfen am Weißen Meer sowie Riga und 1 Leningrad vereist sind. Dabei werden allerdings unsere Sägewerke und Seehäfen in Ostpreußen und mit ihnen die Eisenbahnen angesichts des jahrzehntelang stark über steigerten Holzeinschlags in den westrussischen und bal tischen Gebieten künftig nicht mehr mit einer ebenso großen russischen Holzausfuhr wie vor dem Weltkriege rechnen können. , *■ Ein gewisse Überschneidung der Interessen - zwi- , sehen den Seehäfen Memel und Königsberg wir . sich in diesem Rahmen vielleicht nicht immer ganz vermeiden lassen, aber sie wird für keinen der beiden Häfen jemals zur Lebensfrage -werden, zumal sich gerade im Russengeschäft die historisch bedingte Scheidung — Getreide und Hülsenfrüchte für Königsberg, Holz für Memel — auch für die künftige Entwicklung zwangsläufig wieder ergeben wird. Darüber hinaus aber dürfte Memel infolge seiner exzentrischen geographischen Lage im großdeutschen Raume kaum ernstlich als W ett bewerber gegen die übrigen deutscheil Ostseehäfen auf den Plan treten und so der deutschen Verkehrspolitik weit,' weniger Probleme stellen, als der mit der Zerschlagung Polens ins Deutsche Reich heimgekehrte Hafen Danzig.
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Kapitel 5 D e r Z u s a m m e n b r u c h -P o l e n s Keine der weltgeschichtlichen Veränderungen der letzten beiden Jahre hat sich gerade' auf verkehrspolitischem Ge biete so einschneidend und so vielfältig ausgewirkt wie die Einbeziehung bisher polnischer Gebiete ins Reich und die Errichtung eines Generalgouvernements Polen, das Deutsch land auf annähernd tausend K ilom eter. eine unmittelbare Grenzberührung mit Rußland, der „Ur oft der sozialistischen Sowjetrepubliken'”, vermittelt hat. Der machtvolle Sieg der deutschen Waffen hat für die Verkehrsträger Großdeutschlands auch hier eine solche Fülle von Neuaufgaben aus gelöst, daß wir sie in diesem weitergespannten Rahmen nur in ganz großen Zügen werden streifen können. Am augenfälligsten wird dem Betrachter der neuen Land karte Europas wohl der W e g f a l l d e s d u r c h d e n Ver sailler D ik tatfrie d en , geschaffenen s o ge n a n n t e n p o l n i s c h e n Korridors er scheinen. Diese politisch imerträgliche Zerreißung -des Hoheitsgebietes einer Großmacht war natürlich auch verkehrlich gesehen auf die Dauer eine Unmöglichkeit. Aber während dieser Zustand den Kraftwagen- und den Binnen wasserstraßenverkehr aufs stärkste beeinträchtigte, be deutete er für die Reichsbahn weniger eine verkehrliche, als eine betriebliche und finanzielle Belastung, Der Pariser Staatsvertrag vom Jahre 1921 hatte den Polen die Aufgabe zugesprochen, die deutschen Ostpreußenzüge mit polnischen Maschinen und >polnischem Personal durch das Korridor gebiet hindurchzufahren und hatte Deutschland verpflichtet, den Polnischen Staatsbahnen dafür Fracht- und Fahrpreis' anteile nach den polnischen Tarifen zuzuscheiden. Für die Polen war das ein betrieblich denkbar einfaches, zudem aber überaus gewinnbringendes Geschäft, mit dem sie z. B, in dem Normaljahr 1936 nicht weniger als 36 Millionen RM.
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.Frachteinnahmen in fremder Währung verdient haben. Den deutschen Reisenden oder Verfrachter dagegen berührten diese polnischen Ansprüche nicht. Er zahlte für die ganze Strecke nach dem durchgerechneten deutschen Tarif an die Reichsbahn und überließ es ihr, daraus die Polnischen Bahnen bezahlt zu machen. Im Güterverkehr genoß er dabei den Vorteil der vertikalen Staffel, d. h. des eingangs schon er wähnten Entfemungsrabatts, den der deutsche Tarif vor sieht, während der Reichsbahn infolgedessen nach der Aus scheidung des polnischen Frachtanteils in der Regel nur recht mäßige Sätze verblieben. So hat der Sieg der deut schen Waffen zwar die Reichsbahn in ihre alten Betriebs und Verkehrsaufgaben wieder eingesetzt, dagegen für die Eisenbahnbenutzer in geldlicher Hinsicht nicht viel ge ändert. Die deutsche Devisenwirtschaft aber wurde von einer recht beträchtlichen laufenden Belastung und das deutsche Verkehrsleben von dem Druck der mancherlei Unbequemlichkeiten befreit, die ihm aus der zur Devisen ersparung weitgehend durchgeführten Verkehrsverlagerung auf den Seeweg und aus den zeitweiligen Sperrmaßnahmen der Polen für den Korridorverkehr erwachsen waren. Auch für denVerkehr zwischen Schlesien und Ostpreußen ergaben sich durch den Wegfall des polnischen Korridors gewisse Entfemungskürzungen und auch I rachtverbilligungen, soweit diese nicht schon von jeher im Interesse der von der Versailler Grenzziehung schwer betroffenen ost deutschen Wirtschaft durch Ausnahmetarife der Deutschen Reichsbahn vorweggenommen worden waren. Sehr viel einschneidender für Wirtschaft und Verkehr wirkte sich dagegen schon die Auslöschung der widernatür lichen Grenze aus, mit der die Willkür der Versailler Feindbundstaaten nach dem Weltkrieg und den Polenauf ständen das große oberschlesische Revier zu fast 2/s an Polen verschenkt hatte. Der W e g f a l l d e r G r e n z e
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z w i s c h e n d e n b e i d e n O b e r s c h l e s i e n er weiterte vor allem schlagartig das Einzugsgebiet des Oder stromes und des Hafens Stettin, denen die polnisch-franzö sische Kohlenbahn nach Gdingen insbesondere den bedeu tenden Verkehr Ostoberschlesiens und des Karwiner Beckens entzogen hatte. Das eisenbahntarifarische Bild er fuhr dagegen auch hier keine wesentliche Änderung, da sich die Deutsche Reichsbahn schon seit dem im Jahre 1922 zwischen Deutschland und Polen abgeschlossenen G e n f e r A b k o m m e n ü b e r O b e r s c h l e s i e n planmäßig be müht hatte, durch Tarifmaßnahmen im Interesse nament lich der westoberschlesischen Wirtschaft die Wirkungen der Grenzziehung “wenigstens auf dem Verkehrsgebiet nach Möglichkeit auszugleichen. Aber mengenmäßig erlebte der Verkehr des Altreichs mit Ostoberschlesien nunmehr natür lich auch auf der Schiene eine gewaltige Steigerung. v
In der Vielfalt der Ausblicke und Neuaufgaben, die die Zerschlagung Polens den Verkehrsträgern Großdeutsch' lands eröffnete, standen aber wiederum Fragen der S e e h a f e n p o l i t i k stark im Vordergründe. Die Häfen des früheren polnischen Zollgebiets, D a n z i g und der vom pol nischen Staate geschaffene und mit allen Mitteln geförderte nationale Seehafen G d i n g e n , hatten bis dahin an der seewärtigen Ein- und Ausfuhr- Deutschlands keinen Anteil gehabt, auf dritten Märkten aber waren sie als erbitterte Wettbewerber unserer deutschen Seehäfen auf getreten. W ir sind ihnen in dieser Rolle in unsem Betrachtungen ' schon mehrfach begegnet. Es wäre reizvoll, in diesem Zu sammenhänge auch über den verzweifelten Daseinskampf zu berichten, den dabei Danzig zwei Jahrzehnte lang gegen seinen Nebenbuhler Gdingen hat kämpfen müssen, und in dessen Verlauf die alte Hansestadt vom reichen Handels hafen zu einem von Jahr zu Jahr mehr verarmenden Speditionshafen für Massengüter herabgesunken ist. Leb-
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haftes Interesse würden zweifellos auch die harten An strengungen finden, d ie . die deutscher Seehäfen und im Bunde mit ihnen die Deutsche Reichsbahn gemacht haben, um den deutschen Häfen auch einen Anteil an der Ver kehrsbedienung des polnischen Staatsgebietes, z. B, um der Bremer Baumwollbörse und dem . Bremer Hafen die Rohstoffbelieferung der Lodzer Textilindustrie, zu erhalten. Aber die .Beschränkung des hier verfügbaren Raumes nötigt uns, den Blick nur auf Gegenwart und Zukunft zu lenken./. ' , , •’ Daß' in der V e r k e h r s ä u f t e i l u n g z w i s c h e n D a n z i g u n 4 G o t e n h a f e n polnisches Unrecht wieder gutgemacht werden wird, ist selbstverständlich. Voraus sichtlich wird Gotenhafen zum Reichskriegshafen ent wickelt werden, aber ein großes Hafenbecken mit moder nen Kränen, Kippern usw, wird für den Kohlenumschlag von der Kohlenmagistrale her, besonders im Versand nach Skandinavien und in der Gegenrichtung für den Erzverkehr nach Großoberschlesien, erhalten bleiben. Damit dürften die Aufgaben und die Interessen der beiden Häfen ohne weitere verkehrspolitische Maßnahmen klar gegeneinander abgeraint sein. Dem früheren unfruchtbaren Wettbewerb — dessen rein politische Hintergründe ja jetzt gegenstandslos geworden sind — soll auch die Errichtung einer g e m e i n s a m e n H a f e n g e s e l l s c h a f t ein Ende setzen. Die Tarifpolitik der Reichsbahn wird natürlich bestrebt sein,. in erster Linie wieder- dem z, Zt, zweifellos noch besonders schutzbedürftigen Seehafen Danzig den h o c h w e r t i g e n Verkehr zuzuführen und Gotenhafen im wesentlichen bloß .zur Entlastung für Massengüter heranzuziehen. Erst die weitere Entwicklung wird lehren, ob die von den Polen in Gotenhafen geschaffenen modernen Einrichtungen für Um schlag und Veredelung hochwertigen Stückgut- und La, dungsverkehrs; z, B. Kühlhäuser, Ölmühlen, - Baumwoll-
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Speicher usw., für die Dauer völlig ungenutzt bleiben wer den. Neben Danzig haben auch Stettin, Hamburg, Lübeck und vor allem für den wichtigen Baumwollverkehr Bremen schon mit mehr oder minder großem Nachdruck Erb ansprüche auf den Gdinger Verkehr angemeldet und auch die Deutsche Reichsbahn zu deren Unterstützung durch entsprechende Gestaltung ihrer, Seehafentarife auf den Plan gerufen, ' ?■■ Nun werden Danzig und Gotenhafen für die Ein- und Ausfuhr Deutschlands und dritter Länder nach und nach in die deutschen und die zwischenstaatlichen Seehafen* ausnahmetarife einbezogen und damit den übrigen deut schen Häfen gleichgestellt. Mit diesem Vorzug ist aller dings auch gleichzeitig insofern ein gewisser: Nachteil ver bunden, als natürlich die besonderen Frachtbegünstigungen wegfallen müssen, die ihnen Polen gewährt hatte, um damit, seine Häfen um jeden Preis in die Lage zu versetzen, Ver*kehr der deutschen und der..adriatischen Seehäfen an sich zu .. • * ziehen. ■ * . >
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Auf weite Sicht wird die Verkehrspolitik des Reiches doch wohl dahin gehen müssen, daß Stettin —- der große Speditionshafen vorzugsweise für Massengut — in erster Linie .. als Wasserstraßen-Umschlagshafen arbeiten wird, während die auf der ehedem polnisch-französischen Kohlenmagistrale mit der Eisenbahn der Küste zurollende Ausfuhrkohle das Hauptumschlagsgut im ausgehenden Ver kehr - für Danzig und Gotenhafen abgeben soll. Die Schaffung des neu ins Leben gerufenen, alle Reviere um: fassenden oberschlesischen Kohlensyndikats wird-vielleicht dazu beitragen können, die Kohlenverfrachtung über die Ostsee planmäßig so aufzuteilen, daß gewisse ostoberschle- ’ sische Gebiete nur über Danzig—Gotenhafen-und gewisse westoberschlesische nur über Stettin Umschlagen. ■
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Der Wegfall des polnischen Staates als Transitland und die künftige stärkere wirtschaftliche Verflechtung Deutschlands mit dem russischen Raum eröffnet dem Hafen Danzig aber auch die Aussicht, d a s T o r a n d e r Os t s ee für die t r a n s k o n t i n e n t a l e K a n a l v e r b i n d u n g v o m S c h w a r z e n M e e r e h e r über Dnjepr—Bug—Weichsel zu werden, die die von den Polen so vernachlässigte Weichsel wieder in das große deutsche Stromnetz einschaltet. Vor Kriegsausbruch war ihr Aus bau beiderseits der deutsch-sowjetischen Interessengrenze bereits mit Nachdruck in Angriff genommen worden. Frei lich darf die verkehrspolitische Bedeutung dieser Wasser straße auch nicht überschätzt werden. Sie arbeitet unter klimatischen Verhältnissen, bei denen man für 5 Monate des Jahres mit Vereisung und deshalb auch schon einige Wochen vor und nach der Kälteperiode mit Kahnraum mangel rechnen muß. Sodann aber wird sie wohl vorwiegend nur dem Verkehr ihrer Anliegergebiete und kaum in großem Umfang auch einem vom Schwarzen Meer ausgehenden oder dort endenden Verkehr dienen können. Die Ausschaltung des polnischen Seehafenwettbewerbs und die Einfügung der Danzig-Gotenhafener Hafengemein schaft in den Kranz der deutschen Seehäfen macht nun aber auch eine Neuaufteilung des Verkehrs unter diese und aus diesem Grunde also eine Neugestaltung der Seehafentarife der Deutschen Reichsbahn notwendig. Da die Bin dungen, denen die deutsche Seehafentarifpolitik aus den mehrfach erwähnten Zweckverbandsvereinbarungen unter liegt, sich nur auf den Überseeverkehr beziehen, die Durch fuhr von und nach den Ostseeländern dagegen nicht be rühren, so wird die notwendige e i s e n b a h n t a r i f a r i s c h e N e u a u f t e i l u n g des V e r k e h r s a u f di e d e u t s c h e n S e e h ä f e n vielleicht zweckmäßig von Sonderregelungen für den Ostseeländer- und den Über-
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Seeverkehr auszugehen haben. Die Einflußnahme des Eisen bahntarifs auf die Verkehrslenkung vollzieht sich in der Form der Festsetzung gewisser Spannen in den Frachten für die verschiedenen Seehäfen, Dabei bezeichnen die Häfen, die wie Stettin zu den (hier hauptsächlich in Betracht kommenden) Südoststaaten geographisch günstig liegen, die Berücksichtigung der w i r k l i c h e n Entfernungsunter schiede bei der Frachtbemessung als die natürliche Lösung, Dagegen halten andere Häfen irgendwelche künstlich festgesetzten Spannen zum gerechten Ausgleich zwischen den Verkehrsansprüchen der verschiedenen Häfen und zur Verhütung einer zweifellos unerwünschten Zersplitterung des Überseeverkehrs für erforderlich. Wenn im Übersee verkehr von Hamburg als Basishafen ausgegangen wird, so muß für den Ostseeverkehr Stettin der notwendige Aus gangspunkt sein. Wichtig ist daher vor allem die Regelung des Spannenverhältnisscs zwischen d i e s e n ' beiden Häfen.' W ird diese Spanne zu niedrig festgelegt, so be deutet die damit verbundene verhältnismäßige Fracht verteuerung für die Ostseehäfen deren Benachteiligung oder vielleicht sogar ihre Ausschaltung im Überseeverkehr. Diese Folge wird naturgemäß inbesondere von Danzig bekämpft, das verständlicherweise wenig Neigung, zeigt, das Erbe seines alten Nebenbuhlers G d i n g e n nun an Hamburg und Bremen herauszugeben. Weniger schwierig wird ~die R e g e l u n g d e s S p a n n e n v e r h ä l t n i s s e s . d e r O s t s e e h ä f e n' u n t e r e i n a n d e r sein. Wenn freilich bei der Gestaltung der Frachten allein der Entfemungsunterschied zugrunde gelegt würde, so würden auch im Ostseeverkehr Lübeck und Danzig gegenüber Stettin in den Hintergrund treten müssen. Bei der Frachtbemessung kann aber z. B. ganz all gemein doch auch die Tatsache nicht ganz außer Betracht bleiben, daß für die Anzugskraft eines Seehafens nicht bloß
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die Höhe seiner Zu- und Ablaufsfrachten, sondern auch seine sogenannten Facilitäten,’ d. h. seine technische Lei stungsfähigkeit und die Verkehrsmöglichkeiten ausschlag, gebend sind, die er zu bieten vermag. Wie schon bei der Auflösung der Tschecho-Slowakei, so hat auch beim Zerfall Polens auf dem Verkehrsgebiete der Donau-Umschlags-Hafen Wien aus dem politischen Geschehen Nutzen ziehen können. Die pol nischen Bahnen hatten im Zusammenwirken mit den tsche chischen durch Dumpingtarife von und nach Preßburg nicht bloß den Handel des polnischen Staatsgebietes selbst mit dem Donauraume, sondern auch einen Teil des Durchgangs verkehrs der südosteuropäischen Staaten von und nach den Ostseeländern von den Donauhäfen Regensburg und Wien auf Preßburg und von den deutschen Ostseehäfen auf die polnischen Häfen abgezogen und mit dieser Tarifpolitik auch das Frachtniveau der deutschen Seehafenverkehre . weit heruntergewirtschaftet. Nun aber schuf die Reichs bahn für diesen Verkehr der im Südosten an Deutschland angrenzenden Staaten einen n e u e n - D o n a u - U m schlagstarif für den d i r e k te n E i s e n b a h n ve rkehr nach und von d e u t s c h e n O s t s e e h ä f e n und nahm in ihn zunächst nur Frachtsätze für Wien auf, tim diesem Platz die ihm gebührende Vorzugs stellung als Umschlagsplatz für den Südosten wiederzugewinnen. Damit fiel Wien schlagartig eine ganz neue Ver mittlerrolle auch für diese Verkehrsströme zu. . V Dem slowakischen H a f e n P r e ß b u r g verblieb aus geographischen Gründen der Kohlenverkehr des nun ja auch an Deutschland gefallenen Teschener und Karwiner Reviers nach Süden und Südosten, und überdies wuchsen ihm zusätzlich etwa 200 000 t Kohle dieser Reviere für Jugoslawien zu, die bisher über Danzig/Gdingen nach den
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adriatischen Häfen Susak und Split, Fiume und Triest ge fahren worden waren. Angesichts der engen Wirt schaftsbeziehungen zwischen dem Reiche und der Slowakei ist durch entsprechende Frachtbemessung in dem neuen deutsch-slowakischen Donauumschlagstarif dem Hafen Preßburg auch ein besonderes Einzugsgebiet im Altreich und im Protektorat zugeteilt worden, und sodann begün stigt, der -deutsch-böhmisch-mährisch-slowakische Seehafen tarif Preßburg auch in der Ein- und Ausfuhr über die deut schen Ostseehäfen. Die Zukunft wird lehren, ob nicht auch sonst Preßburg noch aus außenpolitischen Rücksichten oder zur Entlastung von Wien mit Sonderfrachtsätzen wird aus-; . gestattet werde» müssen. Wie. schon 1939 die. Elbe, so wurde nunmehr nach dein Wegfall des polnischen Wettbewerbsweges über Gdingen auch die Oder durch einen beide Ströme verbindenden und auch ' die Oderfrachten einschließenden Od e . r D o n a u - U m s c h 1a g s t a r i f - d e r „ D e u t s c h e n R e i c h s b a h n („Odu") eisenbahntarifarisch' an das Stromsystem der Donau angeschlossen. Der Tarif —- Vor läufer des geplanten Donau-Oder-Kanals — verbilligt den auf der Donau ankommenden Verkehr aus den östlichen Ländern im Umschlag über Wien oder Preßburg und die Oderumschlagsplätze Cosel und Breslau durch Fracht ermäßigungen der Deutschen Reichsbahn. Entsprechende Maßnahmen sind für die Gegenrichtung ergriffen worden. Der Häfen -Stettin ruft nach dieser Hilfe der Reichsbahn um so lauter, als er glaubt, durch den von der Reichsbahn gewährten neuen E l b e - Donau-Tarif schon 'umfangreiche Getreide- und Mehltransporte für Skandinavien, die früher • aus Ungarn und Rumänien mit der Bahn über Stettin ge-. laufen' seien, an Hamburg verloren zu haben. Auch dieses Beispiel zeigt übrigens wieder, wie sorgfältig Eisenbahn tarifermäßigungen abgewogen werden müssen, damit sie
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nicht störend in das Gleichgewicht der wirtschaftlichen Kräfte und Interessen eingreifen. In ihrer großen Linie läßt d i e D o n a u t a r i f p o l i t i k d e r R e i c h s b a h n die Absicht erkennen, durch eine entsprechende Gestaltung der Eisenbahngütertarife den für Nordseehäfen bestimmten Donau verkehr von und nach Übersee grundsätzlich über Regensburg und Passau oder den im Ausbau zu hoher Leistungsfähigkeit begriffenen Hafen Linz, den Verkehr mit Skandinavien und dem Balti kum dagegen vorzugsweise über den Donauumschlagsplatz Wien — gegebenenfalls auch Preßburg — und die deutschen Ostseehäfen zu leiten. Dieser Gedanke findet auch die Billigung der Donauschiffahrt. Seine volle Verwirklichung ist allerdings während des Krieges naturgemäß noch nicht möglich. Alle diese T a r i f b e g ü n s ti g u n g e n sind Wegbereiter einer künftigen V erk eh rs w ir t s c h a f t , die die E i n z u g s g e b i e t e der großen d e u t s c h e n S t r o m s y s t e m e zu einem gewaltigen einheitlichen W irtschafts g e b i e t e z u s a m m e n s c h l i e ß e n w i l l . Sie dienen zugleich den Zweck, die deutschen Binnenwasserstraßen möglichst weitgehend zur Entlastung der Reichsbahn nutz bar zu machen. Ihr künftiges Schicksal ist heute auf lange Sicht noch nicht vorauszusehen. Es wird von der weiteren Entwicklung abhängig sein. Die geschichtliche Tat der Wiedereingliederung alten deutschen Siedlungslandes im Osten in das Reich wird aber auch sonst den Verkehrsträgern Großdeutschlands eine Fülle neuer Aufgaben zuweisen. Um ihnen gerecht werden zu können, werden nicht bloß die Wasserwege, sondern auch das Schienennetz dieses zukunftsträchtigen Raumes eines weitgehenden Ausbaus bedürfen. Er ist, getragen von der Tatkraft des Dritten Reiches, bereits in vollem Gange.
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Aber auch dem Eisenbahntarif eröffnen sich gewaltige Möglichkeiten zur F ö r d e r u n g d e r O s t p o l i t i k d u r c h e i n e p l a n v o l l e V e r b e s s e r u n g des S t a n d o r t k l i m a s d e r W i r t s c h a f t auf diesem durch den völkischen Kampf der Jahrhunderte geheiligten Boden. Ihnen in weiser Abwägung wirtschaftlicher und staatspolitischer Notwendigkeiten gerecht zu werden, wird auf Jahre hinaus eine der wichtigsten und reizvollsten Auf gaben der Verkehrspolitik der Deutschen Reichsbahn sein. Kapitel 6 D ie G r e n z v e r s c h i e b u n g e n i m W e s t e n und Süden des Reiches Wenn wir sodann auch noch mit einem kurzen Blick die A u s w i r k u n g e n d e r k r i e g e r i s c h e n E r eignisse jenseits unserer Westgrenzen auf die deutschen Großverkehrsträger betrachten wollen, so dürfen wir zunächst feststellen, daß die staatsrechtlich bereits vollzogene Rückführung der Kreise Eupen, Mal medy und Moresnet die deutschen Großverkehrsträger im wesentlichen zunächst nur vor Aufgaben von örtlicher Be deutung gestellt hat. Das Elsaß und Lothringen dagegen liegen überaus verkehrsgünstig um den S c h n i t t p u n k t großer V e r k e h r s s t r ö m e in der Nor dS ü d - u n d i n d e r O s t - W e s t - R i c h t u n g . Die Wiederangliederung dieser Gebiete an das Reich wird daher sowohl dem Schienenverkehr insbesondere ihres sehr dich ten Eisenbahnnetzes wie auch dem Rheinumschlaghafen Straßburg einen starken Auftrieb geben, zumal da beide nun auch für die Wirtschaft des benachbarten rheinischen Raumes sehr viel besser ausgenutzt werden können als bisher. Auch der durch das Versailler Diktat zwar nicht abgerissene,- aber doch stark verminderte Wirtschaftsaus-
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tausch dieser Provinzen mit „dem Reiche wird natürlich einen großen Aufschwung erleben. Als Massengüter fallen dabei der Schiene die lothringische Minette nach den Hoch öfen an Saar und Ruhr und gewisse Hüttenerzeugnisse, und 1 in der Gegenrichtung erhebliche Mengen von Hüttenkoks zu, •Transporte, die mit der zu erwartenden immer engeren Verflechtung des lothringischen Eisenreviers mit dem rheinisch-westfälischen zweifellos auch den alten Streit um die M o s e l k a n a l i s i e r u n g werden wieder aufleben lassen. Auch die Frage eines Ausbaus des son stigen linksrheinischen Kanalsystems mit dem Ziele, für eine fernere Zukunft die Binnenschiffahrt stärker in den Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen zwischen dem Alt-, reich und diesen Gebieten sowie zwischen Großdeutschland,' Frankreich und dem Mittelmeerraume einzuschalten, wird damit unter anderen Voraussetzungen erneut aufzurollen sein. ;/ . ■~ Die e l s ä s s i s c h e L a n d w i r t s c h a f t , der es in der Franzosenzeit an Absatzmöglichkeiten gefehlt hat, wird in Deutschland einen aufnahmefähigen und lohnen- den Markt finden und unschwer in die bevorzugte Schnell bedienung einzubeziehen sein, die die badischen ‘Gemüseund Obstanbaugebiete durch Güterschnellzüge'mit 65 km Stundengeschwindigkeit mit Berlin und anderen Hauptäbsatzmärkten verbindet. Vor allem wird aber auch der elsässiche K a l i b e r g b a u der Reichsbahn und bald auch der Rheinschiffahrt erhebliche Transportaufgaben stellen, ' zumal das hochwertige elsässische Kali mit 22 °/o Reinheit bei dem deutschen Kalireichtum wohl vor allem auch für die Überseeausfuhr in Frage kommen wird. Über die verkehrspolitischen Auswirkungen der Grenz verschiebungen und die Bildung neuer Staaten zu sprechen, die im Zuge der selbstmörderischen Politik der ehemaligen jugoslawischen Regierung eingetreten sind oder sich viel
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leicht auch noch vollziehen werden, erscheint heute noch verfrüht, zumal wenn hier die Entwicklung der Dinge etwa noch nicht abgeschlossen sein sollte. Die Gebietserweite rungen, die Großdeutschland dabei durch die B e f r e i u n g d e r U n t e r s t e i e r m a r k und von T e i l e n d e r K r a i n erfahren hat, lenken aber jedenfalls das Auge des Verkehrsfachmannes‘auf. die interessante Tatsache, daß damit nun das ;Reich und die .Deutsche Reichsbahn auch am natürlichen Einzugsgebiet des Hafens Triest und an den Zufahrtswegen dorthin sehr viel stärker^ beteiligt sind als früher. Ob und welche "Folgerungen sich aus dieser Tat sache für die deutsche Seehafenpolitik ergeben werden, läßt sich freilich vorerst noch nicht übersehen. , Nach "der Ausweitung der deutschen Grenzen und im," Zeichen des wirtschaftlichen Großraumgedankens sieht- sich die Verkehrspolitik des Reiches und seiner Großverkehrsträger endlich auch auf dem wirtschaftlich so ungeheuer wichtigen Gebiete der K o h l e n f r a c h t e n a u f S c h i e n e ' u n d W a s s e r s t r a ß e vor sehr ein schneidenden grundsätzlichen Umstellungen. Werden sich doch aus der weitgehenden Zusammenfassung der konti nentalen Kohlenförderung in deutscher Hand im Interesse einer volkswirtschaftlich gesunden Absatzregelung im euro päischen Großraume zwangsläufig ganz neue Aufgaben für die Kohlentarifpolitik der Verkehrsträger Großdeutsch lands ergeben müssen, .Sie näher zu umreißen, ist heute indessen noch nicht an der Zeit. Einen Ausblick von sehr weittragender Bedeutung eröffnet sodann-der Hinweis, daß in einer künftigen europä ischen Großraumwirtschaft d a s W e t t b e w e r b s v e r h ä l t n i s d e r R h e i n m ü n d u n g s h ä f e n (sog? West: häfen, Rotterdam und Amsterdam) z u d e n d e u t s c h e n N o r d s e e h ä f e n mit anderen Augen anzusehen sein dürfte als bisher. Auch hier werden die politischen Tat-
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Sachen, die das Schwert geschaffen hat, die deutsche Ver kehrspolitik, insbesondere die Seehafentarifpolitik der Reichsbahn, die in diesem Kampfe immer als Bundes genossin der deutschen Seehäfen auf den Plan gerufen worden ist, vor neue Auffassungen und Aufgaben stellen. Vielleicht wird aber gerade an diesen Beispielen der Welt sinnfällig werden, daß deutsche Großraumpolitik nicht wirtschaftliche Versklavung unserer Nachbarvölker, sondern neuen, größeren Wohlstand für ein glücklicheres Europa bedeutet.1 Kapitel 7 Schlußbetrachtung • Schon unsere-Erörterung der Neuaufgaben, die die Zer schlagung Polens den Verkehrsträgern Großdeutschlands -gestellt hat, hat uns mitten hineingeführt in d i e v e r kehrspolitischen Auswirkungen dieses K r i e g e s . Ihre nähere Betrachtung würde freilich über den Rahmen unseres Themas hiaausgehen Aber in einer Stunde, da der eherne Mund der Kanonen das deutsche Schicksal für die nächsten Jahrhunderte entscheidet, sind unser aller Gedanken viel zu sehr von dieser kriegerischen Auseinandersetzung erfüllt, als daß wir unsere Darlegungen abschließen könnten, ohne zuletzt wenigstens einen kurzen Ausblick auch nach diesem Gebiete getan zu haben. Der zwischenstaatliche Güterverkehr auf der Schiene, der durch den Krieg wohl am stärksten gesteigert worden ist, ist der K o h l e n v e r k e h r n a c h I t a l i e n . Er be läuft sich auf durchschnittlich 1 Million Tonnen im Monat und wird, wie auch die Tagespresse berichtet, in täglich 65 Güterzügen bewegt. Früher ging die deutsche Kohle zum großen Teile auf dem Seewege oder bis Basel auf der Rheinwasserstraße nach Italien.
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Daß dieser Verkehr aus politischen und militärischen Gründen unter allen Umständen gesichert sein muß, bedarf keiner weiteren Hervorhebung. Der bedeutende ItaliaExport der großoberschlesischen Reviere — 2/s der Gesamt mengen — wickelt sich über Tarvls oder über Rosenbach ab, während Brenner, Gotthard und Lötschberg grundsätzlich für Ruhr und Saarkohle freigehalten werden. Von den täg lich dafür erforderlichen etwa 2000 Wagen stellen einen Teil die Italienischen Staatsbahnen selbst zur Verfügung. Angesichts der großen betrieblichen und wagendienstlichen Schwierigkeiten dieser Aufgabe haben ausländische Fach leute ihre restlose Lösung zunächst für unmöglich gehalten. Daß sie trotzdem gelungen ist, wird für alle Zeiten ein Ruhmesblatt in der Geschichte der deutschen Eisenbahnen bleiben. Von hoher Bedeutung, zumal nach der Besetzung Däne marks und Norwegens durch deutsche Streitkräfte, ist so dann die deutsche K o h l e n a u s f u h r n a c h S k a n d i n a v i e n . Sie liegt gleichfalls heute ganz überwiegend auf der Schiene und den anschließenden Fährverbindungen und wird, wenn Deutschland zu den bisherigen deutschen und polnischen Exportmengen auch nur etwa zwei Drittel der früheren englischen und holländischen Kohlenausfuhr nach Skandinavien zusätzlich übernimmt, an Umfang den deutschen Kohlenexport nach Italien erreichen. Hier wird es Aufgabe einer vernünftigen Verkehrsplanung sein, einen möglichst großen Teil dieser Transporte der Oder und dann in Stettin der Seeschiffahrt zuzuführen, wozu allerdings auch eine Senkung der Oder fr achten kaum zu umgehen sein wird. Dabei wird die Kohle freilich den Nachteil eines zweimaligen Umschlags (vom Wagen zum Oderkahn und vom Oderkahn zum Seeschiff) in Kauf nehmen müssen. In großem Umfang soll, wie schon berichtet, bis auf weiteres auch Danzig-Gotenhafen unter Ausnutzung der Kohlenmagistrale
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in diesen Verkehr eingeschaltet werden. Hier' liegt aber auch für Gegenwart und Zukunft sine zusätzliche Aufgabe der zwangsläufig durch den Krieg besonders betroffenen deutschen Nordseehäfen. ' ^ Natürlich sind heute auch noch andere europäische Länder, die früher ausschließlich englische Kohle oder allenfalls Ruhrkohle auf dem Seewege bezogen haben, auf die Belieferung mit deutscher Kohle unter Benutzung des reinen Bahnweges angewiesen. . . _ "< V . Anforderungen höchsten Ausmaßes stellt auch der E r d ö l v e r k e h r a u s R u m ä n i e n an die deutschen Großverkehrsträger, Rücksichten auf • die Landesvertei digung verbieten hier nähere Angaben darüber. Aber e's .ist-ja selbstverständlich, daß die Bedürfnisse der Kriegfüh rung Wichtigkeit, Umfang und Eilbedürftigkeit dieses Ver kehrs ganz außerordentlich gesteigert haben. Die derzeitige Sperrung des östlichen Mittelmeeres durch die Engländer hat nun dazu geführt, daß seit dem Kriegseintritt Italiens auch die gewaltigen Erdölbezüge d i e s e s Landes aus , Rumänien, die früher von Constanza über See gelaufen sind, restlos d e r S c h i e n e :ufallen. So hat sich der Erdölverkehi -heute zu einer gewaltigen betrieblichen und organisatorischen Aufgabe für alle beteiligten Eisenbahn verwaltungen ausgewachsen. Daneben ist jedoch auch eine erhebliche Steigerung des Erdölverkehrs a u f d e r D o n a u eingetreten, nachdem es gelungen ist, der Donau durch transporttechnische Sondermaßnahmen der Deutschen Reichsbahn von Elbe und Rhein her zusätzlichen Tank schiffsraum zuzuführen, Über all die großen Verkehrsprobleme zu sprechen, die der W a r e n a u s t a u s c h m i t d e m r u s s i s c h e n R a u m e dereinst nach dem Kriege den Verkehrsträgern Europas stellen wird,.ist wohl zur Stunde noch verfrüht und
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würde auch den Rahmen sprengen, der uns hier gezogen ist. Wenn das deutsche Schwert erst einmal die Weltgefahr des Bolschewismus vollends zerschlagen und damit zugleich die Bahn freigemacht haben wird für den Aufbau des groß europäischen Lebensraumes unserer Rasse, werden sich damit für alle Verkehrsträger Großdeutschlands Aufgaben von ungeheurem Ausmaße eröffnen. Der Kriegsausbruch mit der Sowjetunion hat hier einen s. Z. durch die deutsch-sowjetischen Wirtschaftsabkommen vom Herbst 1939 eingeleiteten neuen Verkehrsaufschwung unterbrochen, dem zwar die gesunde und darum dauerhafte politische Grundlage fehlte, der aber immerhin doch die ungeheuren Möglichkeiten des Güteraustauschs mit diesem Raume erkennen ließ und der beispielsweise auch die staat lichen s o w j e t i s c h e n S c h i f f a h r t s l i n i e n — Sovtorgflot und Morflot — bereits w der veranlaßt hatte, von und nach Stettin regelmäßige Dienste einzurichten. Die Rolle, die dabei ferner — heben anderen Kanalplänen — die große transkontinentale K a n a l v e r b i n d u n g z w i s c h e n S c h w a r z e m Meer und . Ostsee über Dnjepr—Bug—Weichsei zu spielen berufen sein wird, haben wir in unseren Betrachtungen schon im Zusammen hang mit den künftigen Aufgaben und Möglichkeiten des Ha«ans_ Danzig_gestreift. Der voraussehbare Verkehrsauf schwung, namentlich für die Massentransporte in der OstWest-Richtung. hat aber auch schon das eisenbahnfachliche Schrifttum zu großzügigen Planungen für eine viergleisige F e r n - S c h n e l l b a h n zwischen Deutschland und der Ukraine angeregt, J)en Verkehr auf dem Schienenwege wird dabei allein schon der Wegfall eines Devisenfrachten verschlingenden Transitlandes, wie es Polen war, erheblich zu befruchten geeignet sein. Daß aber der Schienenverkehr unter besonde ren Umständen selbst über ganze E rdteile hinweggreifen
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kann, lehrt auch wieder die Entwicklung gerade der letzten Jahre: Bis zum Ausbruch des russischen Krieges hat Deutschland gewaltige Mengen B a u m w o l l e a u s T u r -. kestan und S o j a p r o d u k t e aus M a n d s c h u k u o a u f d e m S c h i e n e n w e g e bezogen. Es ist in diesem Zusammenhang auch immerhin nicht uninteressant, daß schon mehrfach die japanische Presse den G e d a n ken eines zwei- o de r gar v i e r g l e i s i g e n Ausbaues der E i s e n b a h n von M a n d s c h u kuodurchSibiriennachMoskauundBerlin zur Erörterung gestellt hat, weil dieser Schienenstrang als Hauptschlagader eines Kontinentalblocks dereinst vielleicht von ähnlicher Bedeutung werden könne, wie der Suezkanal für das Britische Empire, Was dem Sehenden schon die Vorkriegsentwicklung ge zeigt hat, haben sinnfällig für uns alle die Lehren des Krieges bewiesen: E u r o p a b r a u c h t e i n ,s t a r k e s i n n e r e u r o p ä i s c h e s V e r k e h r s n e t z , wenn sich seine Teile wirklich gegenseitig wirtschaftlich befruchten „ sollen. Die S e e s c h i f f a h r t wird ungeachtet ihrer Ver luste durch den Krieg nicht nur in altem Umfange auf erstehen, sondern auch von einer Steigerung des inner europäischen Wirtschaftsverkehrs Nutzen ziehen. Aber auch für den in weitere Räume ausgreifenden See verkehr werden sich künftig der deutschen Flagge und der gesamten Seehafenwirtschaft ganz neue Möglich keiten eröffnen. Die L o n d o n e r S c h i f f a h r t s b ö r s e j die im Oktober 1940 ihre Pforten geschlossen hat, wird nach dem Kriege einen großen Teil ihrer Aufgaben abtreten müssen an ein neues Arbeitszentrum für die Lenkung und Verteilung der Überseetransportaufgaben von einem d e u t schen Seehafen aus. Vor allem wird aber der deutschen Seeschiffahrt wohl allein durch den Güteraustausch mit
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neuen Kolonialgebieten eine solche Fülle neuer Aufgaben Zuwachsen, daß andere, ihr bisher ertragsmäßig wichtige Verkehre künftig für sie zurücktreten können und müssen. Europäische Verkehrspolitik aber kann heute nur noch im Ausblick auf das große schicksalhafte Geschehen ge macht werden, das seit dem Wiedererwachen Deutsch lands über Europa waltet und nahezu alle Völker und Räume der Erde in seinen Bann zieht. Mit der ganzen Wehrkraft des deutschen Volkes steht auch die deutsche Verkehrspolitik in diesem Ringen mit in vorder ster Front und, wenn einmal die Waffen ruhen werden, wird sie auch mit an erster Stelle dazu berufen sein, die Bahn freizumachen für eine neue Zusammenarbeit der Völker in einem reicheren, glücklicheren Europa.
VERÖFFENTLICHUNGEN DES DEUTSCHEN AUSLANDS WISSENSCHAFTLICHEN INSTITUTS
Herausgegeben von Prof. Dr. F, A. Six Band 6; Der Westfälische Friede von 1648. Deutsche Textausgabe der Friedensverträge von ■ Munster und Osnabrück.
Herausg. r. Prof. Dr. F. A. Six. 3. Auflage. 1942. 137 Seiten. Brosch. RM. 4.50.
Band 7: Beiträge zur Entstehungs geschichte des euro päischen Liberalismus. Von Dr. Kurt Haneke. 1942. 173 Seiten, brosch. RM. 4.80
.Band
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Band 10: Autoritäre Staatsgestaltung in der französischen Demokratie. Mit einem Vergleich zu entsprechenden Erscheinungen in anderen demokratischen Ländern. Von Dr. Hans Ulrich Reiche. 1941. 100 Seiten, broschiert RM. 4.50
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