Faktor Sport

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24 [ Flutlicht ] Faktor Sport

„Von Masche ist keine Rede“ Bei Netzer/Delling fragte man sich immer, ob das Sticheln vor der Kamera Masche sei oder nicht. Wie ist das bei Ihnen? Dirk Thiele: Sicher rappelt es manchmal im Karton – das ist mit Sicherheit echt. Aber eins ist auch gewiss: Man macht das nicht 20 Jahre, wenn die Chemie nicht stimmt. Wir sind Partner, ja Freunde geworden, und wenn das echt ist, dann kann man dem anderen auch mal etwas mit auf den Weg geben. Masche? Nein. So ein klein wenig Schauspielerei ist mal dabei, aber bitte nicht aufgesetzt. Sigi Heinrich: Aus meiner Sicht haben wir uns vor 20 oder vor zehn Jahren wesentlich mehr genervt. Jetzt hat sich das eingespielt. Wir sind Freunde geworden, aber es bleibt ein Rest verschiedener Auffassungen. Deshalb ist von Masche keine Rede. Es gibt speziell bei Großveranstaltungen Situationen, da wäre vermutlich sogar ein Betriebspsychologe überfordert. Das ist starkes Gewitter, das sich verzieht, und für das wir das Mikrofon ebenso wenig ausmachen wie in netten Situationen. Wir lassen den Zuschauer an unseren Anschauungen und Sticheleien teilhaben. Das polarisiert, aber wir können uns ausleben. Für mich ist das sehr wichtig, auch wenn wir damit einen Teil unserer Persönlichkeit preisgeben und das mitunter ziemlich viel Kraft kostet. Wir wollen unsere Zuschauer ja emotional einbinden.

Wie haben die sozialen Medien und die Tatsache, dass Sie öffentliche Figuren sind, ihren Job verändert? Sie, Herr Heinrich, führen zum Beispiel einen Blog. Heinrich: Die Reaktionen auf das, was wir sagen, was ich in meinem Blog schreibe, sind spontaner, schneller – und schneller jenseits aller Geschmacksgrenzen. Die Hemmschwelle ist niedriger geworden, um nicht zu sagen, es ist keine mehr vorhanden. Das ist ein schwieriger Lernprozess für mich gewesen und ruft manchmal immer noch Unverständnis hervor. Als öffentliche Figur betrachte ich mich eigentlich nicht, das sind eher die „berühmten“ Kollegen der nationalen Medien. Im Grunde können wir ruhig arbeiten. Den Blog zu führen macht im Übrigen unheimlich Spaß, weil es viel Recherche benötigt, viel Lesearbeit.

Herr Thiele, das lockere Rezitieren von Redensarten ist Ihr Markenzeichen, die Meinung des Publikums dazu geteilt. Können oder wollen Sie nicht anders? Thiele: Ich kann und will nicht anders.

Außerdem sind der überwiegende Teil der Sprüche Eigengeburten. Und ich weiß, dass ich polarisiere. Das ist seit 20 Jahren so. Glattgebügelte Hosen stehen auch nicht jedem. Meistens kann der Zuschauer doch wählen, und das ist gut so.

Bei Großereignissen wie in London treten Sie in Konkurrenz zu ARD und ZDF. Ärgert man sich darüber, dass dort dann mehr Menschen zuschauen, obwohl Sie der Leichtathletik-Sender sind? Thiele: Wir kommen doch nicht vom Mond. Wir wissen, wir sind ein Spartensender. Der Durchschnittszuschauer „verirrt“ sich nicht so oft, der kennt nur zehn Kanäle. Die Qualität oder der Ruf der Kommentatoren macht sicher etwas aus, aber Berge versetzen kann er nicht. Das ist schon in Ordnung: Wir werden wahrgenommen und sind für die Öffentlich-Rechtlichen eine Konkurrenz. Wenn wir ihnen zehn Prozent abnehmen, registrieren sie das schon. Heinrich: Das sehe ich ganz entspannt. Auch SRG, ORF oder RAI für Südtirol wären da Konkurrenten. Ich ärgere mich nie, dass diese nationalen Sender mehr Menschen erreichen. Das ist normal, weil sie intensiv „ihre“ Athleten begleiten, während wir deutschsprachig, aber international ausgerichtet sind. ARD und ZDF sind Teil der Geschichte dieses Landes. Wir sind Teil der Geschichte Europas.

Wie tief sind Sie im Thema? Müssen Sie noch groß recherchieren vor einem Event? Thiele: Natürlich. Auf den Mittel- und Langstrecken ist die Fluktuation enorm. Wenn ich ehrlich bin, gibt es einige ostafrikanische Athleten, die ich noch gar nicht kenne. Manche tanzen nur einen Sommer - dann kommen die nächsten, und die sind keinen Deut schlechter. Ob das gut ist für die Leichtathletik, sei dahingestellt. Heinrich: Wir haben ja die Hallen-WM übertragen und im deutschen Programmfenster die Deutschen Hallen-Meisterschaften - und zwar live. Wir sind also drin, es vergeht kaum ein Tag, an dem wir uns nicht mit Leichtathletik beschäftigen. Trotzdem muss man immer von vorn anfangen, weil es jedes Mal neue interessante Aktive gibt. Die Arbeit passiert ja nicht im Stadion, sondern lange davor, und wir haben keine „Zuträger“, müssen alles selbst machen, was aber unheimlich Spaß macht. Jeden Tag zu übertragen ist einfach super. Diese Freiheit hätten wir woanders nicht. Das ist jeden Aufwand wert.]

Credit: Eurosport

INTERVIEW: NICOLAS RICHTER

Sie schätzen und sie kabbeln sich: Dirk Thiele und Sigi Heinrich bilden seit zwei Jahrzehnten das LeichtathletikDoppel auf Eurosport. Im Interview sprechen sie über Chemie, Gewitter und glattgebügelte Hosen.


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