Themenschwerpunkt „Vielfalt und Jugendarbeit“
Autorinnen / Autoren Dr. Simon Burtscher, Soziologe bei „okay. zusammen leben – Projektstelle für Zuwanderung und Integration“ in Vorarlberg, Schwerpunkte „Bildung und Integration“ Seite 04-06
Univ. Doz. Dr. Wolfgang Weber, Universitätsdozent am Institut für Zeitgeschichte an der Uni Innsbruck, Akad. Politischer Bildner, Leiter des Verwaltungsarchivs in Bregenz Seite 20-21
Dr.in Renate Huber, Historikerin/ Kulturwissenschaftlerin mit Schwerpunkt Eigen- und Fremdwahrnehmung/interkulturelle Kompetenz, div. Lehrtätigkeiten Seite 13-15
Hilal Iscakar-Kati, Geschäftsführerin der Offenen Jugendarbeit Hohenems Seite 22-24
Impressum Medieninhaber, Herausgeber: koje - Koordinationsbüro für Offene Jugendarbeit und Entwicklung, Bregenz und aha - Tipps & Infos für junge Leute, Dornbirn | Redaktionsleitung: Sabine Liebentritt Redaktionsteam: Margit Diem, Roland Marent, Michael Rauch redaktion@jugend-diskurs.at | Lektorat: Margit Diem | Gestaltung & Illustrationen: chilidesign.at | Druck: Hugo Mayer GmbH, Dornbirn Finanzierung: Land Vorarlberg - Jugend Diskurs kostenlos bestellen: abo@jugend-diskurs.at
Im Diskurs haben Menschen als AutorInnen Gelegenheit, ihre Interpretationen von Zahlen und Fakten sowie persönliche Meinungen und Haltungen als redaktionellen Beitrag darzustellen. Hinweis: Allgemeine männliche Bezeichnungen im Diskurs inkludieren die weibliche Form.
Warum „Käsknöpfle“ mit türkischem Mokka ned »ghörig« sind
Die ersten Worte 04-06
– zur Bedeutung unsichtbarer Zugehörigkeitsgrenzen für AußenseiterInnen migrantischer Herkunft
jung sein ...
Interviews mit jungen Menschen
Diskurs stellt Fragen zur Diskussion Statements von Danica V. und Toni J.
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Ein Stückchen Heimat zwischen Partizipation und Integration Let’s talk about integration!
Oder: Was sind die Herausforderungen an das System Schule?
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Inhalt Kommentare
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Jugend- und Integrationspolitik
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Möglichkeiten demokratiepolitischer Bildung in der Migrationsarbeit
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Interkulturelle Jugendarbeit und Offene Jugendarbeit
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„Kulturelle Vielfalt ist eher Europas Reichtum denn sein Problem“
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von Sabine Liebentritt und Attila Dincer
Europäische Initiativen zum interkulturellen Dialog
Wo ich verstehe und wo ich verstanden werde ...
Interkulturelle Aspekte in der verbandlichen Jugendarbeit
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Aus der Jugendarbeit
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Jugendmedien stellen sich vor
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Ein starkes Netzwerk mit einer neuen Geschäftsführerin, „Tanz die Toleranz“– Projekt der youngCaritas.at, aha-Workshop „Hier steht’s schwarz auf weiß“ Proton – das freie RADIO
Fragen macht glücklich … Antworten machen glücklich … Haben Sie Fragen? Trauen Sie sich zu fragen? Wollen Sie Antworten finden? Oder erwarten Sie keine Antworten, sondern wollen Sie einfach, dass alles so ist, dass es keine Fragen aufwirft und auch keiner Antworten bedarf? Beispiel: Geglückte Integration … Eine Frage? Eine Antwort? Eine Metapher? Eine Absurdität? Ein Mythos? Eine Vision? Ein Paradoxon? Oder einfach die Abstraktion eines Wunsches, einer Sehnsucht oder einer Erwartung? Ob wir Antworten haben? Lesen Sie selber und finden Sie Ihre Fragezeichen, aber auch Facetten und Blitzlichter von Antwortangeboten rund um das bunte Thema „Integration, Migration und interkulturelle Jugendarbeit“. Wir wünschen erkenntnisreiche Augenblicke. Sabine Liebentritt, Margit Diem, Roland Marent und Michael Rauch
Warum „Käsknöpfle“ mit türkischem Mokka
ned »ghörig« sind 1
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– zur Bedeutung unsichtbarer Zugehörigkeitsgrenzen für AußenseiterInnen migrantischer Herkunft
Erläuterung: der sozialen Norm entsprechend, anständig, zulässig; »zu einem/einer Vorarlberger/Vorarlbergerin gehörig«; 2 Burtscher, Simon (2009): Zuwandern_aufsteigen_dazugehören. Etablierungsprozesse von Eingewanderten. Reihe: transblick, Band 4. Innsbruck-Wien-Bozen: Studien Verlag. 1
In meiner Studie über Etablierungsprozesse von Eingewanderten in Vorarlberg2 zeigt sich, dass sich bildungserfolgreiche AufsteigerInnen türkischer Herkunft oft als »gute Mischung« aus der Herkunftskultur ihrer Eltern und der Kultur der Mehrheitsgesellschaft sehen. Ein bildliches Beispiel dieser »guten Mischung« lieferte mir Tarık. Er erzählte mir, wie er in der Türkei als österreichischer Türke, in Deutschland als Österreicher und in Vorarlberg als Türke behandelt wird. Auf die Frage, als was er sich selbst sehe, antwortete er, dass er ein Mensch sei, der nach den »Käsknöpfle« einen türkischen Mokka trinke, weil das die »Käsknöpfle« verdauen helfe. Das traditionelle Vorarlberger Gericht »Käsknöpfle« bezeichnet er als seine Lieblingsspeise. Der für die Einheimischen typische »Verdauungsschnaps« nach den »Käsknöpfle« wird aber bei ihm durch den türkischen Mokka ersetzt. Er verwendet auch den Ausdruck »Austrotürke«. Mit dieser Bezeichnung und seiner Erzählung bringt er zum Ausdruck, dass er sich nicht klar ist, zu welcher Wir-Gruppe er gehört und dass er von beiden Kulturen und Wir-Gruppen geprägt wurde.
Familiäre Herkunft entscheidet über Zugehörigkeit zu etablierten Einheimischen Wie es zu diesen neuen, gemischten „Wir-Identitäten“ im Zuge des Etablierungsprozesses kommt, kann mit dem EtabliertenAußenseiter-Modell erläutert werden. In der Etablierten-Außenseiter-Figuration in Vorarlberg entscheidet das Merkmal »Herkunft der Familie« und die damit verbundene WirGruppenzugehörigkeit über die Unterscheidung in Etablierte und AußenseiterInnen. Dieses Merkmal ist besonders prägend, da es nicht gewählt oder erworben werden kann, sondern mit der Geburt verliehen wird. Es handelt sich also um eine kategoriale negative Klassifikation, die die AußenseiterInnen aufgrund nicht wählbarer Merkmale abwertet und folglich eine Veränderung nur unter der
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Bedingung des Wandels des Literaturtipps Interdependenzmusters und Elias, Norbert/Scotson, John einer Machtumverteilung zuL. (1993): Etablierte und lässt. Solche kategoriale KlasAußenseiter. Frankfurt a. sifikationen beruhen auf der M.: Suhrkamp. Vorstellung, dass bestimmte Laub Coser, Rose/Coser, LeAkteurInnen keine soziale wis A.: Soziale Rollen und Soziale Strukturen. BiblioWertschätzung verdienen. thek sozialwissenschaftliWie von mir untersuchte cher Emigranten, Bd. 5, 1. Fallbeispiele zeigen, sind Aufl., Graz – Wien: Nausner auch die sozial aufgestiege& Nausner. nen und sozial, strukturell, Neckel, Sighard/Sutterlüty, Ferdinand (2005): Negative kognitiv und identifikativ Klassifikationen. Konflikte eingegliederten PionierInum die symbolische Ordnen der zweiten Generation nung sozialer Ungleichnoch vom Außenseiterstaheit. In: Heitmeyer, Wilhelm/Imbusch, Peter (Hg.): tus aufgrund ihrer Herkunft Integrationspotentiale einer betroffen und erfahren im modernen Gesellschaft. VS Alltag Statusunsicherheit, Verlag für SozialwissenschafAusgrenzungen und Diskriten. 409-428. minierungen. Hier geboren zu sein, die lokale Kultur und ihre Werte zu leben, einheimische FreundInnen zu haben, über eine gute Ausbildung und einen guten Job zu verfügen und Vorarlberger Dialekt zu sprechen führen also nicht zur Zugehörigkeit zur Wir-Gruppe der etablierten Einheimischen. In der Mehrheitsgesellschaft wird Assimilation und auch Integration noch immer überwiegend als Anpassung und Eingliederung verstanden. Die Integrationsdebatte wird durch die Vorstellung einer homogenen Mehrheitsbevölkerung geprägt, die in dieser Form nicht existiert. Was »ghörig« ist und was nicht, wird in Vorarlberg von der machtstärkeren Gruppe der Einheimischen definiert. Die starke Gruppenkohäsion als WirGruppe der »VorarlbergerInnen« und die damit verbundene soziale Kontrolle dient den etablierten Einheimischen zur Aufrechterhaltung ihrer Machtüberlegenheit.
Außenseiterpositionen sind mit Rollenkonflikten verbunden Jugendliche mit Migrationshintergrund sind in ihrem Verhältnis zur Mehrheitsgesellschaft von diesen Machtungleichheiten doppelt betroffen. Sie befinden sich in einer doppelten Außenseiterposition. Sie sind sowohl als Jugendliche als auch
Zuwandern_aufsteigen_ dazugehören.
In seinem Buch behandelt Simon Burtscher eine Kernfrage der Integrationsforschung an einem exemplarischen Fall: Das österreichische Bundesland Vorarlberg gilt seit Jahrzehnten als Einwanderungsland. Am Beispiel dieses Bundeslandes untersucht er in seiner Studie, ob und wie sich Personen mit Migrationshintergrund in der Mehrheitsgesellschaft etablieren. Die Analyse zeigt, dass Akkulturation, Anpassung und sozialer Aufstieg der Zugewanderten nicht automatisch zu Zugehörigkeit zur Mehrheitsgesellschaft führen. Das Buch ist unter folgenden Angaben im Buchhandel erhältlich: Simon Burtscher: Zuwandern_aufsteigen_dazugehören. Etablierungsprozesse von Eingewanderten. Reihe: transblick, Band 4, Innsbruck-Wien-Bozen 2008, Studien Verlag, ISBN 978-37065-4632-4.
Rollenkomplexität als Ressource für individuelle Entwicklung Für Jugendliche mit Migrationshintergrund ist ihr täglicher Kontakt mit unterschiedlichen Bezugsgruppen in der Einwanderer- und der Mehrheitsgesellschaft mit einer erhöhten Rollenkomplexität verbunden. Aufgrund ihres Außenseiterstatus ist diese Rollenkomplexität gleichzeitig eine Eigenschaft und Bedingung ihres Etablierungsprozesses in der Mehrheitsgesellschaft. Der Etablierungsprozess ist deshalb mit Abgrenzungen von Rollenerwartungen und einer Distanz zur Herkunftskultur als auch der Kultur der Mehrheitsgesellschaft verbunden. Das Leben zwischen verschiedenen Bezugsgruppen kann somit zur Ressource für die individuelle Entwicklung werden, die sich in Form einer gemischten Identität, die Identitätsmerkmale verschiedener Bezugsgruppen integriert, bemerkbar macht.
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als Personen mit Migrationshintergrund in einer machtschwächeren Position. Sowohl mit der sozialen Zuschreibung »Jugendliche« als auch mit der als »Person mit Migrationshintergrund« sind Rollen und Rollenerwartungen von Seiten der etablierten Mehrheitsgesellschaft verbunden, die mit ihren eigenen Rollenbildern und Erwartungen in Konflikt stehen können und sich in Form von Rollenkonflikten bemerkbar machen. Jugendliche spüren, dass ihre eigene Rollendefinition und die ihrer Wir-Gruppe, wie z. B. einer bestimmten Jugendkulturgruppe, sich nicht mit den Erwartungen an ihre Rolle durch ihre InteraktionspartnerInnen in anderen Bezugsgruppen, wie z. B. LehrerInnen oder Eltern, decken. Sie geraten daher in einen inneren Konflikt mit sich selbst und ihrer Wir-Gruppe oder in einen äußeren Konflikt mit ihren InteraktionspartnerInnen in anderen Bezugsgruppen.
Dass diese Position zwischen den beiden Bezugsgruppen nicht als negativ empfunden werden muss und zur Ressource für individuelle Entwicklung werden kann, veranschaulicht das folgende Zitat aus einer Rede von Tansel Terzio˘ glu anlässlich der 3 Buchpräsentation »2gethere« im Pförtnerhaus in Feldkirch: »Zwischen zwei Stühlen, im Niemandsland zwischen den Kulturen, … so hört sich seit meiner Jugend das Klagelied auf meine und die nachfolgenden Generationen an. Ich habe mich immer geweigert, dies als einen negativen Aspekt meines Lebens zu sehen. Ich fühle mich nicht identitätslos oder verloren. Ich habe mir meine eigene Identität geschaffen. Ich bin ein Rosinenpicker, der sich das Beste aus beiden Kulturen herausnimmt. Es erfüllt mich mit Freude und Genugtuung, dass mein potenzieller kultureller Horizont viel weiter ist, als wenn ich nur Österreicher oder nur Türke wäre. Das ist nur möglich, weil ich als jemand zwischen den Stühlen Zugang zu beiden Kulturen habe. Das Leben zwischen den Stühlen ist für mich kein Handicap, sondern ein Privileg.«4 Dementsprechend wünscht er sich auch nicht, Vorarlberger oder Türke zu sein, sondern hofft: »dass es irgendwann einmal normal ist, Österreicher mit türkischer Herkunft zu sein, zu der man ohne Wenn und Aber stehen kann.«5 Dann wären auch »Käsknöpfle« mit türkischem Mokka »ghörig«. Dr. Simon Burtscher
2gethere. Interkulturelle Jugendarbeit in Vorarlberg. Hg: »koje – Koordinationsbüro für Offene Jugendarbeit und Entwicklung« (Dachverband für Offene Jugendarbeit) und »okay. zusammen leben/Projektstelle für Zuwanderung und Integration«. Hohenems: Bucher Verlag. 2 Die Rede von Tansel Terzio˘glu ist unter www.okay-line.at im Bereich »Projektträger«, (»Doku: Veranstaltungen, Buch- und Projektpräsentation:« »2gethere«) herunterladbar. 3 Ebenda 1
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jung sein ... Interviews mit jungen Menschen
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Julian, 21 Jahre, Abendmatura Für mich ist ein Ausländer kein Ausländer mehr, wenn er mit uns hier lebt und sich integrieren will. In der Hauptschule gab es einen großen Anteil an Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Diskriminierung stand an der Tagesordnung. Verbale und körperliche Gewalt gingen nicht nur von den „Vorarlbergern“ aus, sondern häufig auch von der anderen Seite. Für mich fängt Ausländerhass schon dann an, wenn man Menschen verbietet, ihre Religion und Feiertage auszuüben.
Murat, 15 Jahre, Hauptschule Wenn man sich in seinem Herzen zuhause fühlt, dann ist man kein Ausländer mehr. Ja, ich habe schon Erfahrungen mit Diskriminierung gemacht, es war beleidigend und ich fühlte mich verletzt. Es war ein schlechtes Gefühl.
Rassismus sollte niemals gerechtfertigt sein, weil jeder gleich viel wert ist, egal, welcher Religion oder Rasse er angehört.
stevenmarx
Clara, 17 Jahre, Gymnasium Wir sind im Grunde alle Ausländer! Jeder Mensch ist LEGAL und sollte nicht aufgrund der Religion, Haut-, Augen- oder Haarfarbe verurteilt werden. Wenn man in einem „fremden“ Land lebt, ist es vorteilhaft, wenn man die Sprache lernt, dann ist vieles einfacher. Ich höre immer wieder von Schlägereien unter Jugendgruppen, doch selber habe ich noch keine miterlebt. Diskriminierung oder Mobbing ist nicht nur bei Ausländern ein Thema, sondern auch bei anderen „Randgruppen“. Z. B. werden auch Schüler, die keine Markenklamotten tragen oder Frauen diskriminiert!
stevenmarx
Hakan, 18 Jahre, Lehrling Man ist kein Ausländer mehr, wenn man sich als Inländer fühlt. Ich fühle mich schlecht, wenn man mich als Ausländer bezeichnet. Ich habe schon erlebt, wenn ich in meiner Muttersprache rede, dass sich Menschen darüber
aufregen. Ich kann meinen Glauben und Bräuche hier in Vorarlberg gut ausleben. Ich habe auch keine Probleme mit der Suche nach einer Lehrstelle gehabt, ich wurde gleich behandelt wie jeder andere Mensch!
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stevenmarx
Magdalena, 16 Jahre, Gymnasium Man ist kein Ausländer mehr, wenn man sich in dem Land, in dem man lebt, zuhause fühlt. Aus Erzählungen weiß ich, dass es für türkische Österreicher schwer ist, in Lokale wie z. B. in die Blaue Sau (Disko) zu kommen, weil es schon Vorfälle mit anderen türkischen Gruppen gegeben haben soll. Meiner Meinung nach ist Rassismus nie gerechtfertigt. Ich finde, dass
es keine Person verdient hat, dass man schlecht über sie redet, bevor man sie kennt! Für mich ist es wichtig, in jeder Situation möglichst vorurteilslos zu reagieren.
stevenmarx
Olli, 15 Jahre, Gymnasium Diskriminierung ist eigentlich eine Verachtung der Menschenrechte! Jeder Mensch hat das Recht, in dem Land, in dem er will, so zu leben, wie er will. Jeder Mensch
kann selber entscheiden, welche Religion er ausleben möchte und sollte auch die Möglichkeit dazu haben, all die Bräuche feiern zu können. Ich habe bereits selber die Erfahrung gemacht, wie es sich anfühlt, aufgrund der Sprache ausgegrenzt zu werden. Frei sein sollte kein Luxus sein!!!
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Firat, 15 Jahre, Polytechnischer Lehrgang Wenn man akzeptiert wird, wie man ist, ist man kein Ausländer mehr. Egal, von wo man kommt, wie man aussieht und welche Sprache man spricht! Ich wurde respektlos von einzelnen Lehrpersonen behandelt, indem man mich als „typischer Türk“ bezeichnet hat. Ich habe keine Angst, eine Lehrstelle zu finden, denn ich werde eine
Stelle bei meinem Vater im Geschäft bekommen. Ich bin froh, dass wir hier in Vorarlberg Moscheen haben, da wir dort die Tradition weiterleben können.
stevenmarx
Burak, 15 Jahre, Polytechnischer Lehrgang Ich fühle mich als Ausländer hier in Österreich, da ich aus der Türkei komme, eine andere Muttersprache habe. Ich mag die Türkei lieber, doch hier in Österreich fühle ich mich sicherer. Hier habe ich mehr berufliche Möglichkeiten und die Menschen sind freundlicher.
Ich werde nervös, wenn ich daran denke, eine Lehrstelle zu finden, denn ich glaube, dass ich es als Ausländer schwieriger habe. Öfters höre ich auch von Gleichaltrigen, dass ich zurück in die Türkei soll, dahin von wo ich komme, aber da bin ich auch ein Ausländer!!!
Diskurs stellt Fragen zur Diskussion
Statements zu ausgewählten Fragestellungen Hier ist auch Ihr Standpunkt gefragt: Welche Position und Haltung haben Sie bei diesen Fragen? Teilen Sie Diskurs Ihre persönliche Sichtweise mit unter redaktion@jugend-diskurs.at
1. Integration und Heimatgefühl gehen Hand in Hand: Was ist für Sie „HEIMAT“? Ist Österreich Ihre „HEIMAT“? In welchen Situationen sind Sie „AusländerIn“ bzw. fühlen Sie sich als „AusländerIn“?
1. Heimat ist für mich der Ort, wo ich mich wohl fühle und
Großmutter Danica V. 59 Jahre, geboren in Kroatien, in Österreich seit 1969 Einwanderungsgrund: Arbeit Hobbies: Spazieren, Schwimmen Man könnte mich mit folgenden Worten beschreiben: lebenslustig, humorvoll, gutmütig, hilfsbereit Ich mag/mir ist wichtig: Gesundheit, Familie, finanzielle Sicherheit, Kaffee trinken mit Freundinnen, mit meinen Enkeln was unternehmen, Computer spielen
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Wenn eine Generation dazwischen liegt: Wie sehen eine Großmutter und ihr Enkelsohn diese/ihre persönliche Situation rund um die Integrationsdiskussion? Wenn es nicht um vermeintliche „fachliche“ bzw. „fachspezifische“ und politische Zugänge geht, auf was richtet sich der Fokus dann? Sicher, mit Antworten auf diese Fragen könnten wir mehr als nur eine Ausgabe des Magazins füllen, denn es gibt sie nicht: DIE Sichtweise. Es kann nicht nur eine Sichtweise geben, wenn man den Mensch und seine Wahrnehmung in den Mittelpunkt rückt, entfaltet sich ein Kaleidoskop von Eindrücken und Empfindungen. Zwei solcher Eindrücke geben wir hier wieder.
gerne bin. Österreich ist meine Heimat, weil meine ganze Familie hier lebt und ich hier viele, mir wichtige Freunde habe. Und mein Heimatgefühl hängt sicherlich damit zusammen, dass ich schon seit 40 Jahren hier wohne, lebe, arbeite. Österreich ist mein Lebensmittelpunkt. Wenn ich mich allerdings mit Behörden unterhalten muss, fühle ich mich schon als Ausländerin, weil ich die deutsche Sprache nicht so gut kann und ich vieles nicht so gut verstehen kann. Da gehöre ich dann irgendwie nicht mehr dazu. Sonst fällt mir nichts ein, wo ich mich in Österreich nicht wohl fühle, da es mir bei allem gut geht.
Enkel Toni J. 15 Jahre, Schüler am Gymnasium In Österreich geboren als Sohn von: Ivan und „Gogi“ Hobbies: Fußball spielen, ausgehen, Computer spielen Man könnte mich mit folgenden Worten beschreiben: hilfsbereit, freundlich, ein bisschen frech Ich mag/mir ist wichtig: Familie, Freunde, Schule, gute Klamotten, Musik, Computer spielen
1. Heimat ist für mich ein Land, in dem man sich wohl fühlt, wo ich gerne bin, wo ich lebe, wo ich sagen kann: Das ist mein zu Hause. Österreich ist für mich meine Heimat, da ich hier geboren bin und ich mich wohl fühle. Ich habe hier viele Freunde, außerdem kann ich hier viel unternehmen. Ich habe schulisch und beruflich viele Möglichkeiten. Das ist mir wichtig. Ich fühle mich nicht als Ausländer, da ich hier seit 15 Jahren – also schon mein ganzes Leben – lebe. Ich bin Österreicher und man gab mir bisher nie das Gefühl, dass ich Ausländer bin.
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2. Sprache als Kommunikationsmittel verbindet, schafft Identifikation und ist Ausdruck von Individualität. Wie wichtig ist Sprache für Sie und weshalb?
3. Schlagwort: „geglückte Integration“ – Wie und wodurch ist Integration lebbar? Was brauchen Menschen – insbesondere Jugendliche – die vielleicht noch nicht ihren Platz gefunden haben, um in Österreich „dazuzugehören“ und dabei glücklich zu sein?
2. Sprache ist sehr wichtig. Ich konnte die deutsche Sprache
3. Ich denke, damit Integration funktioniert, braucht es die
aber leider nicht so gut lernen, da ich früher nicht die Möglichkeit dazu hatte, es richtig zu lernen. Wichtig ist Sprache und sich ausdrücken zu können für die Integration, für das Gefühl, „dazuzugehören“, da man alles verstehen kann und damit sehr selbstständig sein kann.
Möglichkeit, sich ausdrücken und somit sich einbringen zu können, also eine „gemeinsame“ Sprache. Aber das allein reicht nicht. Ebenso wichtig sind eine gute Arbeit, die man gerne tut, gute Freunde, die eigene Familie, aber auch das Wissen, dass etwas mir „gehört“ (Eigentum). Junge Menschen, die auf der Suche sind, brauchen Sicherheit. Ich denke, sie brauchen einen guten Job und viel Unterstützung durch die Schule und durch die Eltern und Verständnis von Seiten der ganzen Gesellschaft.
2. Sprache ist sehr wichtig. Wenn ich nicht Deutsch sprechen könnte, könnte ich mich ja nicht mit anderen verständigen und ich könnte kaum Freunde finden hier in Österreich. Es wäre einfach alles schwieriger für mich, wenn ich mir vorstelle, nicht Deutsch sprechen zu können. Aber ich kann es ja, deshalb weiß ich nicht wirklich, wie es wäre, wenn nicht. Mir ist es wichtig, dass ich Deutsch spreche. Aber genauso wichtig finde ich, dass meine Eltern mit mir noch Kroatisch sprechen. Das finde ich sehr gut, da es doch einen Bezug zu meiner ursprünglichen Heimat darstellt und herstellt. Denn auch wenn ich Österreicher bin, habe ich dennoch meine Wurzeln in Kroatien.
3. Ich finde Integration ist lebbar durch eine Gleichberechtigung aller Nationen bzw. Nationalitäten oder Herkunftsländer. Wichtig ist, wo man lebt und dennoch soll das seinen Platz haben, woher man kommt. Dennoch geht es um ein Loslösen von konservativen Traditionen. Es geht um ein Leben im Hier und Heute. Aber natürlich geht es auch darum, wie viel man selber für seine Integration tut. Glücklich sein kann man als junger Mensch durch ´ne gute Lehrstelle, Vereine und Eltern, die einen fördern und unterstützen. Multikulturelle Freundschaften und dass man nicht alle in eine Schublade wirft, das bedeutet für mich geglückte Integration.
Ein Stückchen Heimat
zwischen Partizipation und Integration
Im Oktober 2008 fanden sich in Bregenz Verantwortliche und PraktikerInnen der Jugendarbeit zum Forum 20:08 zusammen – einer Fachtagung der Österreichischen und Südtiroler Jugendarbeit. Dabei wagte man sich an einen Begriff heran, der stark emotionalisiert, mitunter auch ideologisiert
wird. Heimat verspricht zudem, einen Platz in der Gesellschaft zugesprochen zu bekommen, also Integration zu erfahren.
machwerk
Beate Mitzscherlich, Professorin, Hochschule Zwickau Heimat ist in erster Linie ein sozialer Raum, in dem man in seiner Eigenart akzeptiert wird, Zugehörigkeit und Anerkennung erfährt. Die MitarbeiterInnen der Offenen
Jugendarbeit leisten viel bei der Beheimatung von Jugendlichen: indem sie Räume bereitstellen, in denen Jugendliche sich treffen und etwas selbst gestalten können. Vor allem aber dann, wenn sie selbst als Menschen, MentorInnen, AnsprechpartnerInnen zur Verfügung stehen, auf Jugendliche zugehen und sich auf deren Welterfahrung einlassen.
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Michael Peer, Geschäftsführer Südtiroler Jugendring Durch Jugendbeteiligung entsteht eine Riesenchance, Heimatgefühl von Jugendlichen mit Migrationshintergrund zu entwickeln. Es geht darum, das Gemeinsame der Kulturen herauszustreichen, etwas zu schaffen, das für alle dienlich ist. Durch Beteiligung wird Demokratie erlebt und erfahren. Wichtig ist
es jedoch für JugendarbeiterInnen, sich im Vorfeld schon mit den Aspekten von Integration (z. B. durch Kulturmediation) auseinanderzusetzen.
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DSA Oliver Mössinger, Leiter der Abteilung für Jugend und Integration im Amt der Stadt Bludenz Es geht auch darum, in der Aufnahmegesellschaft Bewusstsein und Sensibilisierung über die Form des Umgangs mit dem Thema Integration zu erlangen. Hier entstehen Fragen, wie zum Beispiel: „Sind wir gastfreundlich?“, „Öffnen wir die Tür?“, „Gibt es Arbeitsplätze für Menschen mit Migrationsgeschichte in der Kommune?“, „Wie viele MigrantInnen finden sich in den Vereinen?“ usw.
Wir bemühen uns in Bludenz, möglichst ganzheitlich an die Thematik Integration heranzugehen. Konkret arbeiten wir derzeit mit Eltern von Kindern und Jugendlichen, um Zugänge für ihre Kinder in die Aufnahmegesellschaft zu schaffen. Wir müssen Vertrauen aufbauen, Bewusstsein schaffen und Ängste abbauen – auf beiden Seiten. Die Interviews führte Martina Eisendle
Let’s talk about
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integration!
Oder: Was sind die Herausforderungen an das System Schule?
Wer Pech hat, hat auch keine Chance Der Einkommensbericht zeigt: Am unteren Ende der Gehälterskala wird es hart (Der Standard, 30.12.2008) Süleyman (17), arbeitslos, Schläger (Der Standard, 20./21.12.2008) In diesen jüngst erschienen Zeitungsartikeln geht es um die Verknüpfung zweier zentraler gesellschaftspolitischer Themen: AusländerInnen und Migration einerseits und der Schulbildung in Österreich (und ihren etwaigen Versäumnissen) andererseits. Im vom Rechnungshof präsentierten Einkommensbericht identifiziert Conrad Seidl „eine wachsende Gruppe, die keine Chance hat, sich irgendwie hinaufzuarbeiten: Junge, in der Pubertät schlecht motivierte Burschen (oft, aber nicht immer, mit
Migrationshintergrund) fallen zurück – was sie an Bildung versäumen, können sie kaum je wieder aufholen“. Hans Rauscher spricht in seinem wohl bewusst provokant betitelten Kommentar von der Schwierigkeit des adäquaten Umgangs mit dem Themenfeld „Gewalttätigkeiten ausländischer Jugendlicher“ in der (Medien)Öffentlichkeit, welches er am Fall jener türkischen Burschen festmacht, die kurz vor Weihnachten in Wien eine Mittelschulklasse überfielen und ihren Lehrer blutig schlugen. Seinem Plädoyer, das ’Ausländerproblem’ realistischer anzugehen „und sei es aus dem einzigen Grund, weil dieses ’Ausländerproblem’ für viele Jung- und Erstwähler diesmal der Hauptgrund war, der Strache-FPÖ die Stimme zu geben“ folgt die Aufforderung: „Die Politik muss ein Angebot zu besserer Bildung etc. machen – aber es muss auch die Bereitschaft steigen, es anzunehmen.“
Chancen und Dialog gegen Defizite und Vorurteile Auf den ersten Blick scheinen mit diesen beiden Einträgen die großen Herausforderungen an die Schule bereits umrissen zu sein, nämlich: Einerseits sollen die spätestens seit Pisa bekannten Bildungsdefizite so genannter ’bildungsferner’ Schichten, denen Menschen mit Migrationshintergrund überproporti-
Fischer Sandra/youthphotos.eu
onal oft angehören, durch das System Schule ausgeglichen und damit die Lebenschancen aller angehoben werden. Zum anderen sollen alle Heranwachsenden noch nachhaltiger mit den Maximen von Humanismus und Aufklärung, die in der Formulierung der Menschenrechte ihren Ausdruck fanden, vertraut gemacht werden. Diskurs und Dialog sollen als solides Fundament gegenüber Vorurteilen – wie sie etwa bei Ausländerfeindlichkeit immer wieder strapaziert werden – und gegenüber Gewalt – wie sie etwa patriarchalischen Gesellschaftssystemen eingeschrieben sein kann – etabliert werden.
Der Schulalltag Neben diesen ’großen’ Würfen, die auch durch eine Reform der Schulpolitik vorangetrieben werden könnten, sind es aber gerade die ’kleinen’ Herausforderungen des Schulalltags, die uns immer wieder mit dem Thema Integration konfrontieren, weshalb ich hier fragmentarisch Beispiele aus meiner eigenen Unterrichtstätigkeit einbringen werde. Wie kann man etwa im Geschichteunterricht den SchülerInnen die im historischen Gedächtnis als wichtig verankerte Belagerung Wiens durch die „Türken“ im Jahre 1683 unvoreingenommen vermitteln, wenn dieses geschichtliche Ereignis in den gängigen österreichischen Geschichtsbüchern als „2. Türkenkrieg“ Eingang findet? Sobald türkische Jugendliche in der Klasse sitzen, entspannt sich an dieser Stelle fast immer ein Wortwechsel über die quasi ’historisch belegte’ kriegerische Natur der jeweils anderen Gruppe. Reicht es hier dem entgegenzusetzen, dass die Osmanen uns damals das Kipferl und den Kaffee mitgebracht und unserer Kultur vererbt haben? Oder bietet das für beide Seiten zu wenig identifikatorisches Potential?
„Wer bin ich?“ Die „Entwicklung von ’Selbstbewusstheit’ und Identität als lebenslanger Prozess“ ist eines der vier Leitthemen auch des Ethikunterrichts. Nun ist es für mitten in der Pubertät steckende Heranwachsende bereits prinzipiell sehr schwierig, die Frage „Wer bin ich?“ zu beantworten. Nicht selten wird bei einem entsprechenden Arbeitsauftrag
beim Nachbarn, bei der Nachbarin nachgeschaut, wer er/sie denn eigentlich ist. Das entspricht wohl dem starken Bedürfnis dieser Altersgruppe nach einem Aufgehen in der Gruppe, nach Identität durch Gleichheit. Um wie viel komplizierter mag es nun für Jugendliche mit Migrationshintergrund sein, eine solche ’Selbstbewusstheit’ im Spannungsfeld zwischen den verschiedenen Kulturen zu entwickeln?
Umfassende Sprachkompetenz Auch der Fremdsprachenunterricht bietet sich als Integrationsmotor an, wenn es in der Vermittlung nicht so sehr um das 1:1-Übersetzen eines Wortes, einer Struktur zurück in die Muttersprache, sondern um das Begreifen ihrer tieferen Bedeutungen geht. Anders ausgedrückt, das Essentielle ist nicht etwa so sehr das Wissen um die wörtliche Übersetzung von Frühstück selbst. Es ist weit mehr das Verständnis von unterschiedlichen realen Praktiken, die sich um diesen Begriff herum in den verschiedenen Ländern und Sprachen etabliert haben.
Homogen trifft heterogen Nun nehme ich jedoch seitens der LehrerInnen ein mehrheitlich eher geringes Bewusstsein für die Integrationsthematik insgesamt wahr – insbesondere dann, wenn es um Themenbereiche abseits der auch medial und politisch im Fokus stehenden islamisch(-türkischen) Migration in Österreich bzw. in Vorarlberg geht. Dies mag u. a. darin begründet sein, dass die Lehrerschaft im Gegensatz zur Diversität bzw. zur Heterogenität der SchülerInnen durch auffallend hohe Homogenität in Bezug auf So-
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On the move again … Daher sollte vielleicht nicht nur in die Schiene der ’Individualisierung’ der SchülerInnen investiert werden – beispielsweise durch gezieltes Empowerment gerade auch der Jugendlichen aus anderen Herkunftsländern als auch durch die Ermunterung aller SchülerInnen, an diversen Mobilitätsprogrammen wie Leonardo teilzunehmen. Warum sollen nicht etwa auch für LehrerInnen Sabbaticals begünstigt werden, die mit Praktikumsstellen in vollkommen anderen Berufsfeldern verbunden sind? Warum können nicht Modelle entwickelt werden, die den Jobtausch für ein, zwei Wochen ermöglichen, wie das in Projekten zwischen Sozial- und Wirtschaftsbereich bereits praktiziert wird? Sollte nicht das Ziel sein, einer Ausdünnung der Diversität an den Schulen entgegenzuwirken, sondern ganz im Gegenteil für möglichst große Vielfalt sowohl unter den SchülerInnen als auch unter den Lehrenden zu sorgen, um die heranwachsende Jugend auch bestmöglich auf die Herausforderungen einer zunehmend globalisierten Welt vorzubereiten? Dr.in Renate Huber
Der Schulalltag aus Sicht eines jugendlichen Flüchtlings Name: Ali Qanbari Alter: 17 Herkunft: Afghanistan
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zialisation, Ausbildungs- und Berufswege und damit auch Lebensrealitäten geprägt ist. Überspitzt formuliert könnte man auch von ’Monokulturen’ des Lehrkörpers sprechen, die umso hervorstechender sind, je mehr der Schultyp im klassischen Bildungskanon verankert ist: in Volks- und Hauptschulen mehr als in Polytechnischen und Berufsschulen, in den Gymnasien deutlich stärker als in berufsbildenden mittleren und höheren Schulen.
Wie erlebst du den Schulalltag hier in Vorarlberg? Ich mache einen externen Hauptschulabschluss und da hab ich an drei Tagen die Woche je zwei Stunden Unterricht. Ich bin in Afghanistan nie in die Schule gegangen, ich habe keinen Vergleich zwischen Schule in Vorarlberg und in Afghanistan. Ich gehe sehr gerne in die Schule, lernen macht mir Spaß. Was gefällt dir gut? Was könnte man verbessern? Was würdest du dir wünschen? In dieser Form des Unterrichts, wo wir nur sehr wenig Stunden haben, müssen wir uns sehr viel selbst erarbeiten und lernen. Ich persönlich hätte gerne mehr Zeit mit dem Lehrer, damit wir den Stoff gemeinsam durchgehen können. Leider bin ich für den Regelschulunterricht schon zu alt, deshalb kann ich keine Hauptschule besuchen. Was ist dir in Bezug auf die Schule wichtig? Ich glaube, das Wichtigste ist, dass man selber Lust hat zu lernen, dann macht es Spaß und dann schafft man es auch. Wichtig sind auch die Lehrer, die brauchen mit nichtdeutschsprachigen Schülern mehr Geduld als bei einheimischen Schülern. Was ist schwierig für dich? Schwierig ist für mich natürlich das sprachliche Verständnis. Ich denke, mittlerweile verstehe ich 80 % vom Gesprochenen während des Unterrichts. Früher hatte ich noch viel mehr Mühe, ich konnte Rechungen oft deswegen nicht lösen, weil ich die Aufgabenstellung nicht verstand. Mittlerweile geht es schon recht gut, ich frage oft nach, wenn ich etwas sprachlich nicht verstehe. Am schwierigsten für mich ist natürlich Deutsch. Also diese Sprache ist wirklich schwer! Manchmal bringe ich deutsche, englische und persische Wörter durcheinander. Was bedeutet Vorarlberg für dich? Vorarlberg ist ein schönes, sehr kleines Land. Ich fühle mich wohl in Vorarlberg und bleibe gerne hier, bis mein Asylverfahren abgeschlossen ist. In Vorarlberg sind die Menschen sehr nett. Trotzdem würde ich am liebsten in einer größeren Stadt wohnen, z. B. in Wien. Was bedeutet „Heimat“ für dich? Heimat ist für mich Afghanistan. In Afghanistan sind meine Wurzeln und ich bin immer noch sehr verbunden mit diesem Land. Ein bisschen neue Heimat empfinde ich nun in Österreich. Heimat ist auch dort, wo Menschen sind, die ich mag. Das ist im Moment in Vorarlberg.
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Das Interview führte Sabine Jenny, Mitarbeiterin in der Caritas Flüchtlings- und Migrantenhilfe
Verwunderliche Zufälle Wundern erwünscht Kein Wunder – aber man könnte sich doch wundern … wenn Ahmet Öztürk, 16 Jahre, am Dienstag auf eine Stellenausschreibung für eine Lehrstelle bei der Firma anruft (wohlgemerkt: er spricht wie ein „richtiger“ Vorarlberger, hat keinen Akzent und eine gepflegte Ausdrucksweise), sich da mit seinem Namen meldet und sich nach der ausgeschriebenen Stelle erkundigt und ihm gesagt, wird dass die Stelle leider schon besetzt wurde. Sie wundern sich nicht?
Geglückte Integration – Soll Integration glücklich machen oder ermöglicht Integration nur ein reibungsloseres Funktionieren von Gegebenheiten und Interaktionsmechanismen, die als wichtig und erstrebenswert gelten, weil sie irgendwann einmal als solche definiert wurden?
Und wenn ich Ihnen sage, dass Ahmet dann (weil er seinen Eindruck bestätigt wissen will) eine Stunde später bei derselben Firma anruft und sich als Mathias Hofer vorstellt und für Donnerstag einen Termin für ein Vorstellungsgespräch bekommt. – Was sagen Sie nun? Und was glauben Sie, wenn Ahmets Name nun aber Pierre Montereux oder James Gordon Miller oder Fabio Francesco wäre, was wäre dann geschehen? Sie merken, worauf ich hinaus will? Richtig: Es scheint sie zu geben, die „guten“ AusländerInnen1 Und mit ihnen das Dilemma eindimensionaler Bewertungskategorien: gut ODER schlecht fleißig ODER faul richtig ODER falsch Dazwischen gibt es nichts – auch keine Menschen. Aber das ist ja alles nur ein Zufall, oder? Und Zufälle sind keine Wunder. Wundern dürfen Sie sich dennoch. Mag.a Sabine Liebentritt Der Ausdruck „Menschen mit Migrationsgeschichte“ ist besser dazu geeignet, die Realität abzubilden bzw. zu beschreiben. In der allgemeinen Wahrnehmung bleibt es aber vielfach bei dem Begriff „AusländerInnen“. Ebenso spannend wie das WARUM in diesem Zusammenhang, ist die Frage nach dem WIE LANGE? Ab wann ist ein Ausländer/eine Ausländerin kein Ausländer/keine Ausländerin mehr? Was meinen Sie? 1
Glückliches Leben – Wer soll durch Integration glücklich werden, das Individuum oder ein Kollektiv?
Individualität versus Kollektiv – Wenn das kollektive Glück über dem individuellen Glück steht, warum sollte sich dann ein Individuum bemühen, das Kollektiv glücklich zu machen? Wo ist der eigene, individuelle (Lust-)Gewinn dabei? Oder ist eine altruistische Grundhaltung die Grundvoraussetzung, um sich integrieren lassen zu können?
17 Die Systemtheorie besagt: Ein fremdes Element in einem bestehenden System hat zwei Möglichkeiten: Es lässt sich integrieren und wird vom System absorbiert (und in gewisser Weise dadurch in seiner Individualität eliminiert), oder es ist stark und störrisch und beginnt das System zu verändern – Tja, was kann das für die Integrationsthematik bedeuten?
Kommentare Worum geht es schlussendlich? Um Menschen oder um das Bewerten von Menschen? Um das Mensch-Sein oder um das Funktionieren von Menschen? Um Menschlichkeit oder um Recht, Ordnung und das Bestätigen von Vorurteilen (im Gegensatz zum Hinterfragen derselben)?
Migration, Integration und Jugendarbeit Allzu oft scheint das Thema Integration von Migrantenjugendlichen nur eine Aufgabe der Jugendarbeit zu sein. Die Politik glaubt wohl, dass sie schon Deutsch können und daher sich der Rest von selbst ergeben wird. Dabei wissen die ExpertInnen und sollten die so genannten ExpertInnen auch wissen, dass in den Sonderschulen, Jugendgefängnissen und (Drogen)-Entziehungsanstalten signifikant mehr Migrantenjugendliche zugegen sind und die Selbstmordrate weitaus höher ist als bei den Erwachsenen. Und das, obwohl die meisten Jugendhäuser vorzügliche (Migranten-)Jugendarbeit machen. Wieso also klappt vor allem die Integration der türkischstämmigen Jugendlichen nach 45 Jahren immer noch nicht bis kaum? Weil es immer noch auf der einen Seite soziale und strukturelle Diskriminierung gibt und auf der anderen Seite noch Eltern, die ihren Kindern in den eigenen vier Wänden eine alte Heimat vorspielen, die es nicht einmal mehr im hintersten Anatolien gibt. Solange wir die Migration und Integration nicht als Querschnittsmaterie und Chance sehen, sondern als Gefahr und die Jugendarbeit stiefmütterlich behandeln, wird es keine Identitätsbildung zur neuen Heimat geben und somit keinen Frieden in und unter den Jugendlichen. Attila Dincer Diversity Manager Coach, Mediator, Trainer www.dincer.li
Belara Zupan
Jugend- und
Integrationspolitik
Wo sind Jugend- und Integrationspolitik zu verorten? Handelt es sich um Querschnittsthemen? Wo ist die Schnittmenge? Definition und Verortung Eine einheitliche Definition von Jugendpolitik gibt es in Österreich nicht. Das Online-Jugendportal jugendinfo.at meint, dass die österreichische Jugendpolitik durch ihre Ziele, Absichten und Wege beschrieben wird. Jugendpolitik wird in Österreich als Querschnittsmaterie verstanden, die nicht einem einzigen Ressort zugeordnet wird, wenn auch immer ein Ministerium explizit für jugendpolitische Belange zuständig ist. Primär fällt die außerschulische Jugendarbeit in den Kompetenzbereich der Bundesländer.
Integrationspolitik zwischen Nichtbeachtung und Regierungswünschen Während für die Jugendpolitik de facto auf Länder- wie auch auf Bundesebene Ressorts zur Verfügung stehen, ist dies bei der Integrationspolitik nicht der Fall. Zwar gab es bereits Rufe nach einem Integrationsstaatssekretariat, Integration wird aber lediglich punktuell auf regionaler Ebene institutionalisiert. Es stellt sich im Falle der Integrationspolitik die Frage, was überhaupt unter „Integration“ verstanden wird. Integration wird alltagssprachlich meist in zweierlei Hinsicht verwendet: Integration von einerseits AusländerInnen und andererseits Menschen mit Behinderung mit dem Ziel, dass diese zu voll akzeptierten Mitgliedern der Gesellschaft und nicht ausgegrenzt werden. Die Kategorie der Menschen mit Behinderung ist hier nicht unser Thema. De facto geht es bei den AusländerInnen aber nicht nur um Menschen mit nichtösterreichischem Pass, die neu zugewandert sind. Es geht oft auch um solche, die hier leben, die eine österreichische Staatsbürgerschaft besitzen, vielleicht sogar hier geboren sind und
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neuen Regierungsprogramm als Querschnittsmaterie und „gesamtgesellschaftliche Aufgabe“ definiert. Die österreichische Bundesregierung hat dabei angekündigt, mit verschiedenen Ressorts, den Ländern und Gemeinden sowie der Zivilgesellschaft einen Nationalen Aktionsplan für Integration zu erarbeiten, um „die österreichweite Zusammenarbeit für erfolgreiche Integrationsmaßnahmen“ zu strukturieren und zu optimieren. Diesem Verständnis entsprechend werden Menschen mit Migrationshintergrund unter verschiedenen Thematiken angesprochen – wie etwa bei Frauenförderung, Arbeitsmarkt, Spracherwerb, Pädagogik etc.
Querschnittsmaterie trifft Querschnittsmaterie Eine Veränderung des gesellschaftlichen Bewusstseins ist notwendig, um zu begreifen, dass Identitäten sich ständig neu definieren, sich stets im Übergang befinden und deswegen nicht starr sind und auch multiple Kollektivbezüge aufweisen (Hybridität) . Daraus ergibt sich eine Vielzahl an Handlungsmöglichkeiten für die außerschulische Jugendarbeit. Entsprechend der Aufgabenbereiche der Jugendpolitik sollen an dieser Stelle – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – potentielle Querschnittsthemen mit dem Bereich der Integrationspolitik aufgezeigt werden. Jugendarbeit hat zum Ziel, Jugendliche zu informieren. Bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund gilt es dabei, Wege zu finden, diese in ihrem Lebensumfeld entsprechend ihrer Lebensumstände und Bedürfnisse anzusprechen. Im Mittelpunkt von Jugendarbeit steht ebenso die Einbindung von Jugendlichen in Entscheidungsprozesse. Auch hier gilt es, in der Jugendarbeit auf die spezifischen In-
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Migrationshintergrund aufweisen. In der öffentlichen Wahrnehmung werden Menschen mit Merkmalen, die nicht der Mehrheitsgesellschaft entsprechen, wie etwa nichtdeutschen Namen, dunkler Hautfarbe, Kopftuch etc. oftmals nicht als der österreichischen Mehrheitsgesellschaft zugehörig wahrgenommen. Der Migrationshintergrund, mit dem andere Sprachen, Kulturen und Religionen verbunden sind, scheint hier ausschlaggebend zu sein, d.h. nicht immer die reale Fremdheit allein, sondern mitunter die konstruierte Fremdheit. Dementsprechend findet sich im neuen Regierungsprogramm auch der Hinweis darauf, dass etwa ArbeitnehmerInnen mit Migrationshintergrund durch Fortführung der Integrationsoffensive des AMS weiterhin gestärkt werden sollen. Integration (von MigrantInnen) wird im
teressen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund sensibilisiert zu sein. Forschungen über deren spezifische Problemlagen, Hürden im Leben, Interessen und Ambitionen sind notwendig, um diese Zielgruppe entsprechend anzusprechen. Bei der Eingliederung junger Menschen mit Migrationshintergrund in das öffentliche Leben sollte zusätzlich darauf geachtet werden, dass diese durch ihre oftmalige Traditionslosigkeit und Nichtverankerung in der Gesellschaft besonderer Hilfsmaßnahmen bedürfen. Lajali Abu Zahra Vorstandsmitglied der Muslimischen Jugend Österreich E: lajali.abuzahra@mjoe.at
machwerk
Möglichkeiten demokratiepolitischer Bildung
in der Migrationsarbeit In Österreich leben rund eine Million Menschen mit Migrationshintergrund. Hinsichtlich zentraler bürgerlicher und politischer Rechte sind sie mit den sieben Millionen österreichischen Staatsbürger/innen gleichgestellt. So können sie etwa ungehindert Meinungs- und Religionsfreiheit sowie Versammlungs- und Vereinsfreiheit für ihre Anliegen in Anspruch nehmen. Sie tun das auch, wie eine für den 11. Januar 2009 in Bregenz durch die Österreichische Islamische Föderation angemeldete und durchgeführte Demonstration für ein Ende der israelischen Militärintervention in Gaza mit rund 4.000 Teilnehmer/innen zeigte.
Das Recht zu wählen Öffentliche Meinungskundgebungen sind eine Möglichkeit, Demokratie (mit) zu gestalten. Eine andere ist das Wahlrecht. Von diesem ist das Gros der Menschen mit Migrationshintergrund in Österreich jedoch ausgeschlossen. Denn das aktive und passive Wahlrecht ist an die Staatsbürgerschaft geknüpft. Dieser weitestgehende Ausschluss von einer essentiellen Partizipationsmöglichkeit beim Gestalten der österreichischen Demokratie ist deswegen bedauerlich, weil drei von vier Migrant/inn/en
im Zuge einer sozialwissenschaftlichen Studie 2002 erklärten, sich an Wahlen zum Landtag oder Gemeinderat beteiligen zu wollen, wenn sie denn das Recht dazu hätten. Unter jenen, welchen die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen wurde, übten allerdings lediglich 48 Prozent tatsächlich das Wahlrecht auch aus. Jeder Zehnte tat das nicht, weil er angeblich nicht wusste, dass mit der Verleihung der Staatsbürgerschaft auch das Recht zu wählen einhergeht. Das zeigt, dass demokratiepolitische Bildung bei natura-
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Politische Partizipation von Ausländer/innen Sprecher/innen der muslimischen Bevölkerung in Österreich haben das erkannt. In der sog. Wiener Erklärung der zweiten europäischen Imame-Konferenz vom 8. April 2006 forderten die Teilnehmer/innen von ihren Moscheegemeinden, mehr Wissen über die gesellschaftlichen Entwicklungen und
Strukturen in ihren Aufenthaltsländern zu vermitteln. Sie verwiesen auf die Vereinbarkeit des Islam mit den Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit und des demokratischen Pluralismus; und sie forderten die Musliminnen und Muslime dazu auf, sich aktiv an der österreichischen Demokratie zu beteiligen. Das ist etwa über die Ausübung des Wahlrechts oder durch ein Engagement in Elternvereinen und in Arbeitnehmer/innenvertretungen möglich. Einige taten das 2006 bereits. In einer vom Vorarlberger Marcello Jenny 2002 verfassten Studie über die politische Partizipation von Ausländer/innen in Wien gaben z. B. acht Prozent der Befragten an, sich in Elternvereinen zu engagieren, je sechs Prozent waren in Gewerkschaften und Sozialorganisationen aktiv und je drei Prozent in Umwelt- und Fraueninitiativen.
Jugend als interkulturelle Vermittlerin Die Wiener Erklärung adressierte auch die muslimische Jugend, der sie die Funktion der Brückenbauerin zusprach. Denn sie ist aufgrund ihrer Zweisprachigkeit und ihrer doppelten Sozialisation durch das Herkunfts- und Ankunftsland für die Funktion der interkulturellen Vermittlerin prädestiniert, so die Imame-Konferenz von 2006. Sie versteht etwa die oft als eurozentristisch verunglimpften universell geltenden Menschenrechte in ihrem kulturellen Kontext und es ist ihr daher im alltäglichen Lebensvollzug möglich, diese angeblich europäische Tradition mit der islamischen Tradition zu verbinden. Die 2003 gegründete „Muslimische Jugend Österreich“ tut das ebenso wie die 2005 aus ihren Reihen heraus gegründete Frauen- und Mädchenorganisation „Junge Musliminnen Österreichs“ oder die seit 2004 aktiven „Muslimische Pfadfinder/innen Österreich“. Über Camps, Reisen oder Seminare vermitteln diese Organisationen die Realität einer gemeinsamen gleichbe-
rechtigten islamischen UND österreichischen Identität. Das von den Jungen Musliminnen seit 2005 durchgeführte www.projektfatima. at etwa qualifiziert muslimische Österreicherinnen in den Bereichen Teamleitung, Projektmanagement, Rhetorik und Demokratiepolitische Bildung. Es unterscheidet sich damit inhaltlich wenig von vergleichbaren Projekten anderer religiöser oder parteipolitischer Jugendorganisationen – so wie sich muslimische Österreicher/ innen eben auch wenig von evangelischen, katholischen, konservativen, grünen oder sozialdemokratischen Österreicher/innen unterscheiden. Eine moderne Demokratiepolitische Bildung wird daher auf solche Gemeinsamkeiten verweisen und sie zu einem Kennzeichen ihres Curriculums machen. Dr. Wolfgang Weber
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lisierten Österreicher/innen ebenso wie bei jenen, die es von Geburt an sind, doch stärker als bisher vermutet auf kognitive Inhalte reflektieren sollte. Das faktische Wissen über bürgerliche und politische Grundrechte und die daraus für den/die einzelne/n abzuleitenden Rechte, aber auch Pflichten, müssen den Kern bilden, um den sich eine moderne demokratiepolitische Bildung gruppiert.
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Interkulturelle Jugendarbeit und
Offene Jugendarbeit
• Jugendliche mit Migrationshintergrund sind lauter … • Jugendliche mit Migrationshintergrund sind gewalttätiger … • Jugendliche mit Migrationshintergrund sind frecher … • Jugendliche mit Migrationshintergrund lassen anderen Jugendlichen keinen Platz im Jugendhaus … • Jugendliche mit Migrationshintergrund reden in ihrer eigenen Sprache … • Jugendliche mit Migrationshintergrund wollen immer nur ihre eigene Musik hören … • Jugendliche mit Migrationshintergrund leben ihre eigene Kultur hier … • Jugendliche mit Migrationshintergrund hassen ÖsterreicherInnen … • Jugendliche mit Migrationshintergrund sind sind sind … ein Problem … Das sind einige Meinungen, die auch in Vorarlberg über Jugendliche mit Migrationshintergrund kursieren, auch in der Jugendarbeit: Jugendliche mit Migrationshintergrund sind an-
ders – sie gelten nicht als ÖsterreicherInnen. Jugendliche mit Migrationshintergrund – ein Problem? Das sagt man natürlich nicht öffentlich, aber denken darf man es ja, oder? Aber was genau ist das „Problem“? Eine drängende Frage und ein Rätsel, für das eine Lösung gefunden werden muss.
Offen und lernfähig Die Offene Jugendarbeit in Vorarlberg hat sich dieser Herausforderung gewidmet und daraus einen eigenen Fachbereich und eine Zielgruppe für die Offene Jugendarbeit abgeleitet. Ein Fachbereich, in dem es viel zu lernen gibt und der auch jederzeit zur Weiterentwicklung offen steht. Es ist viel geschehen: Es wurden Jugendhäuser nur für Jugendliche mit Migrationshintergrund eröffnet, es wurden eigene Arbeitsgruppen gegründet, es wurden Weiterbildungen angeboten, und es wurde auch ein Fachbuch („2gethere“1) mit Beiträgen von JugendarbeiterInnen und Fachpersonen veröffentlicht. In Vorarlberg wurde und wird von Seiten der Jugendarbeit sehr viel für Integration und Interkulturalität geplant und um-
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Erhältlich bei der koje, zu bestellen unter office@koje.at
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Erfahrungshorizonte und Erfahrungsspielräume Wichtig ist es, allen Jugendlichen in Vorarlberg, egal welcher Herkunft, die Möglichkeit zu geben, verschiedene Kulturen zu erfahren und sich auch mit diesen auseinanderzusetzen. Dafür braucht es vor allem engagierte JugendarbeiterInnen, die den Jugendlichen solche Angebote näher bringen und ihnen damit auch Chancen geben, gegenüber anderen Kulturen und Menschen offener zu werden. JugendarbeiterInnen, die die Kultur von Jugendlichen mit Migrationshintergrund kennenlernen und diesen Jugendlichen die Gelegenheit geben, sich
und ihre eigene Welt vorzustellen, haben bessere Chancen, erfolgreich mit ihnen zu arbeiten.
Alltägliches Diese Arbeit ist bisher oft dadurch geschehen, dass man für die so genannten „Jugendlichen mit Migrationshintergrund“ getrennte Räume geschaffen hat – im physischen Sinn wie im organisatorischen und thematischen. Segregation jedoch kann und wird für diese Arbeit keine Unterstützung sein und auch langfristig keine Verbesserung bringen! Interkulturelle Jugendarbeit bedeutet nicht nur, mit Jugendlichen mit Migrationshintergrund zu arbeiten, sondern alle Jugendlichen, unabhängig von der Herkunft, in interkulturelle Projekte und in den Alltagsbetrieb einzubinden. Interkulturelle Jugendarbeit kann nur durch das Erreichen aller Jugendlichen umgesetzt werden – nur dann hat diese Arbeit auch eine Aussicht auf Erfolg.
Der Individualität eine Heimat geben Jugendliche, die in Österreich auf die Welt gekommen sind, aber doch nicht richtig hierher gehören; Jugendliche, die zuhause eine ganz andere Kultur erleben und lernen, aber draußen mit der Mehrheitskultur des Zuwanderungslandes klarkommen müssen – sie werden immer Schwierigkeiten haben. Jugendliche, die mit einer ganz anderen Muttersprache
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gesetzt. Die Interkulturelle Jugendarbeit, die aus diesen Erfahrungen entstanden ist, ist zu einem fixen Bestandteil der OJA geworden, sie wird von allen Jugendhäusern mitgetragen und weiter ausgebaut. Soviel zur fachlichen Situation in Vorarlberg. Auch in Europa ist das Thema aktuell: Die Interkulturelle Jugendarbeit wird durch finanzielle Förderungen von Projekten und durch Weiterbildungsangebote für JugendarbeiterInnen stark unterstützt.
Manuela Preuß – Jugendarbeiterin Lauterach: Im Rahmen der Offenen Jugendarbeit finden sich zahlreiche Möglichkeiten, interkulturell zu arbeiten. Wir arbeiten mit MigrantInnen der 2. und 3. Generation – für Integration, gegen Ausgrenzung und gegen Rassismus. Die Jugendlichen kommen freiwillig in den Jugendtreff und wollen hier lediglich eine stressfreie Freizeit ohne Leistungsdruck verbringen. Durch gezielte Aktionen – wie Offene Sportangebote oder Tischfußballturniere – bringen wir die Jugendlichen auf einer anderen Interessensebene zusammen. Teamdenken wird in den Vordergrund gestellt. Plötzlich geht es nicht mehr darum, ob Ali oder Markus das Tor geschossen hat, wichtig ist, dass es ein Tor für die Mannschaft gab.
Gelebte interkulturelle Jugendarbeit Offene Jugendarbeit arbeitet methodisch, ohne den Menschen in den Hintergrund zu stellen und sie arbeitet personenbezogen, ohne die Methoden und das Fachwissen in den Hintergrund zu stellen. Die daraus resultierenden Erfahrungen von erfolgreichen Projekten können in dem Fachbuch „2gethere“ nachgelesen werden. Die Offene Jugendarbeit hat mit diesem Buch eine Zwischenbilanz gezogen und gezeigt, wie sich die Interkulturelle Jugendarbeit weiterentwickelt hat. Die zukünftigen Möglichkeiten der Interkulturellen Jugendarbeit lassen sich noch gar nicht absehen – wenn sie mutig und ohne Gartenzäune zwischen „unseren“ Jugendlichen und denen „mit Migrationshintergrund“ in Angriff genommen werden. Hilal Iscakar-Kati
„Mit saftigen Pflaumen gefülltes Kalbsfilet …“ Ein Film über Jugendarbeit, Herzblut, Vielfalt, Integration und Respekt Von Februar bis Mai 2008 haben sich junge Menschen aus Ghana, Kroatien, Thailand, Irak, Senegal, Tunesien, Italien, Kosova, der Türkei und anderen Ländern im Basler Jugendtreffpunkt Dreirosen zusammengefunden, um im Rahmen des Projekts „Dreirosen Gala-Dinner – ein Jugendtreffpunkt kocht für Europa“ zu zeigen, was alles in ihnen steckt. Sie haben sich in mehreren Teams organisiert, um sich intensiv auf einen perfekten Abend mit kulinarischen Köstlichkeiten und einem bunten Kulturprogramm vorzubereiten: auf ein Gala-Dinner für Prominente. Die ungewohnten Gruppenkonstellationen führten zu neuen Begegnungen, zur Auseinandersetzung mit Berührungsängsten und Vorurteilen, zur Thematisierung von Identität, Rassismus, Gesundheit oder der eigenen Zukunftsplanung. Das professionelle Filmteam von VisualBridges begleitete die jungen Leute und die engagierten JugendarbeiterInnen über vier Monate hinweg mit viel Einfühlungsvermögen. Wird das Vorhaben gelingen? Halten alle durch? Wie werden die Promis reagieren? Antworten sie überhaupt auf die Einladung? Mit unglaublich viel Energie und Durchhaltevermögen brachten sie ihr ehrgeiziges Vorhaben schließlich zu einem guten Ende und ernteten von allen Seiten Bewunderung und viel Lob. Der Film zeigt, welche Anforderungen ein „Mit saftigen Pflaumen gefülltes Kalbsfilet“ an alle Beteiligten stellt und er illustriert zugleich das gerne übersehene Engagement von Jugendlichen. Der Film dokumentiert die Monate des Projekts ganz ungeschminkt; die Handlungen und Äußerungen der Jugendlichen erreichen dadurch die ZuschauerInnen unmittelbar. Sichtbar wird die gelebte Vielfalt in einem Jugendtreffpunkt, der dort tagtäglich geleistete Beitrag zur Integration sowie die Bedeutung, die Offene Jugendarbeit für die Sozialisation vieler junger Menschen hat. Der etwa achtzigminütige Dokumentarfilm eignet sich hervorragend, um (nicht nur) mit einem jugendlichen Publikum in Diskussion zu treten. Nicht zuletzt regt der Film zur Nachahmung an; er gibt Einblicke ins konkrete Vorgehen bei solch einem Projekt, in dem Jugendliche motiviert und mit ihren Ideen und Anliegen ernst genommen werden! Albrecht Schönbucher
Weitere Infos und Filmbestellung (Preis: €18,– plus Versand): www.dreirosen.ch bzw. E: dreirosen@bfa-bs.ch
Dreirosen
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aufwachsen, aber vor deren Haustür Hochdeutsch oder ein Dialekt gesprochen wird, werden immer das Problem haben, ein Heimatgefühl zu entwickeln. Kein Heimatgefühl zu haben, aber das Leben hier zu verbringen, wird immer ein Dilemma mit sich bringen. Die Orte der Jugendarbeit wurden deshalb für viele dieser Jugendlichen zu einer Heimat, weil sie hier auf Möglichkeiten, Angebote und Verständnis stoßen, die sie ein wenig aus ihrem Alltag herausholen und ihnen Hoffnung, Idealismus und Ideen mitgeben, das Leben besser zu bewältigen. Das theoretische Wissen über Interkulturelle Jugendarbeit kann man sich aus vielen Büchern herauslesen. Man kann Methoden erlernen, die die Arbeit erleichtern. Es ist aber auch wichtig, die einzelnen Individuen kennenzulernen – erst dieses Gesamtpaket wird den Jugendlichen das Gefühl geben, als Person geschätzt zu werden und interessant zu sein.
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„Kulturelle Vielfalt
ist eher Europas Reichtum denn sein Problem“ 1 Europäische Initiativen zum interkulturellen Dialog
Bei einer EU-weiten Umfrage zum Thema interkultureller Dialog im November 2007 beantworteten 75 % der befragten ÖsterreicherInnen – und damit im EU-Schnitt überdurchschnittlich viele – die Frage „Hatten Sie in der letzten Woche Kontakt mit Menschen aus einem anderen Land, einer anderen Religion, einer anderen Kultur?“ mit „Ja“. Mit 63 % ebenfalls überdurchschnittlich hoch war allerdings auch der Prozentsatz derer, die diesen Kontakt als „zufällig“ – Begegnungen auf der Straße oder beim Einkaufen – beschrieben2.
EU-Kommissar Ján Figel’ in einer Rede bei der Konferenz Diversity als Chance in Berlin, Dezember 2007 2 Flash Eurobarometer Nr. 217, 13. – 17. November 2007 3 www.dialogue2008.eu 4 Europarat, Weißbuch zum Interkulturellen Dialog: Gleichberechtigt in Würde zusammenleben, Straßburg, 7. Mai 2008 1
Assimilation – Multikulturalismus – Interkultureller Dialog Diese in ganz Europa zu beobachtende Diskrepanz zwischen der durch Globalisierung und Migrationsbewegungen wachsenden kultu-
rellen Vielfalt einerseits und dem vielerorts noch niedrig entwickelten gleichberechtigten Kontakt zwischen den Kulturen andererseits zu verringern ist das Ziel mehrerer Initiativen, die 2008 auf europäischer Ebene gestartet wurden. Schlüsselelement bei diesen Initiativen ist der „Dialog“. So erklärte die EUKommission das Jahr 2008 zum „Europäischen Jahr des Interkulturellen Dialogs“3 und der Europarat veröffentlichte im Mai 2008 ein „Weißbuch zum Interkulturellen Dialog“4. Darin wird der Dialog
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als Ausdruck eines Paradigmenwechsels in der Integrationspolitik beschrieben: „Die herkömmlichen Herangehensweisen des Umgangs mit der kulturellen Vielfalt werden den Gesellschaften nicht mehr gerecht, weil diese ein bisher ungeahntes Maß an Vielfalt erleben und sich ständig weiterentwickeln. (Es zeigt sich,) dass sich der bislang bevorzugte politische Ansatz, der sich unter dem Begriff ‚Multikulturalismus‘ subsumieren lässt, als ungeeignet erwiesen hat. Gleichwohl scheint es auch nicht wünschenswert, zu den Zeiten zurückzukehren, als Assimilation noch einen hohen Stellenwert einnahm. Eine neue Strategie – die Strategie für den interkulturellen Dialog – ist erforderlich, um Inklusionsgesellschaften zu realisieren.“5 Dieser Dialog versteht sich als „Prozess des offenen und respektvollen Meinungsaustausches von Einzelpersonen und Gruppen unterschiedlicher ethnischer, kultureller, religiöser und sprachlicher Herkunft und Traditionen in einem Geist von gegenseitigem Verständnis und Respekt. (...) Ziel des interkulturellen Dialogs ist es, die verschiedenen Zugangs- und Sichtweisen der Welt besser verständlich
zu machen, Zusammenarbeit und Teilhabe (bzw. die Entscheidungsfreiheit) zu stärken, es den Menschen zu gestatten, sich zu entwickeln und zu verändern, und Toleranz und Achtung des anderen zu fördern.“6
Interkultureller Dialog als neue politische Gestaltungsaufgabe Der interkulturelle Dialog und damit die Förderung des sozialen Zusammenhalts in den europäischen Gesellschaften, die von wachsender, wenn auch historisch unterschiedlich ausgebildeter, kultureller Vielfalt geprägt sind, wird in vielen Ländern als neue politische Gestaltungsaufgabe angesehen, wie eine im Herbst 2007 durchgeführte Studie des Europäischen Instituts für vergleichende Kulturforschung feststellt7. Die Studie zeigt aber auch auf, dass es in Europa auf staatlicher Ebene nur wenige Beispiele für umfassende Strategien zur Koordination und Förderung des interkulturellen Dialogs gibt. Aktiver in der Entwicklung interkultureller Politikkonzepte sind regionale und lokale EntscheidungsträgerInnen und Initiativen aus der Zivilgesellschaft (z. B. Jugend-8 und Sportorganisationen, kirchliche Einrichtungen). Hauptansatzpunkte sind die Bereiche Bildung, Kultur, Sport und Jugend.
Hauptzielgruppe Jugendliche Daraus lässt sich ableiten, dass Jugendliche eine Hauptzielgruppe integrationsfördernder Konzepte und Maßnahmen sind – eine „anspruchsvolle Zielgruppe“9, wie die AutorInnen der Studie „Sharing Diversity“ befinden: Die „third culture kids“ – MigrantInnen der zweiten und dritten Generation – sind
ebenda S. 9 ebenda S. 20 7 „Sharing Diversity: Kulturelle Vielfalt gemeinsam leben. Nationale Konzepte zum ‚Interkulturellen Dialog‘ in Europa“, Bonn: Europäisches Institut für vergleichende Kulturforschung, 2008 8 Integrationsprojekte der Offenen Jugendarbeit Vorarlberg finden sich beispielsweise
in der Publikation 2gethere – Interkulturelle Jugendarbeit in Vorarlberg, herausgegeben von koje – Koordinationsbüro für Offene Jugendarbeit und Entwicklung und okay.zusammen leben – Projektstelle für Zuwanderung und Integration in Vorarlberg, beschrieben. 9 „Sharing Diversity“, S. 11 10 vgl. ebenda S. 11 11 ebenda S. 11
die am stärksten wachsende gemischtkulturelle Gruppe10 in Europa: „Multiple, hybride Identitäten und Verflechtungen sind die Norm und werden den Dialog- und Kommunikationsprozess in der Zukunft prägen.“11 Jugendliche sind es auch, die mehr als andere Altersgruppen der Meinung sind, dass
sie vom Kontakt mit anderen Kulturen profitieren.12 Trotzdem gibt es auch in der Jugendpolitik in Europa nur wenige nationale Ansätze für ein umfassendes Konzept zur Förderung des interkulturellen Dialogs.
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Laura Rue/youthphotos.eu
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Flash Eurobarometer Nr. 217, 13. – 17. November 2007 13 Informationen zum Programm finden sich auf der Website der österreichischen Nationalagentur www.jugendinaktion.at. In Vorarlberg informiert das aha – Tipps & Infos über das Programm und unterstützt Jugendliche und Jugendorganisationen bei der Antragstellung: www.aha.or.at 14 „Sharing Diversity“, S. 14 12
Andere Kulturen hautnah erleben Hier setzt die EU Initiativen: Neben Kooperationsprojekten mit dem Europarat und Initiativen wie die Kampagne „alle anders – alle gleich“ sind vor allem die EU-Mobilitätsprogramme zu nennen, insbesondere das Programm JUGEND IN AKTION13, mit dem interkulturelle Projekte in der außerschulischen Jugendarbeit unterstützt werden. Es ermöglicht Jugendlichen und in der Jugendarbeit Tätigen im „real life“-Austausch bei Jugendbegegnungen, Initiativen, Freiwilligendienstprojekten und Weiterbildungsmaßnahmen andere Kulturen authentisch kennenzulernen, sich bewusst mit der eigenen Kultur auseinanderzusetzen und die Bereicherung durch die kulturelle Vielfalt „hautnah“ zu erfahren. Das Programm ermöglicht es also, Räume gemeinsam zu erfahren – „sharing spaces“: Die AutorInnen der Sharing-Diversity-Studie sehen darin die wichtigste Voraussetzung für interkulturellen Dialog: „Wichtig sind gemeinsam genutzte Räume (...), in denen man sich über Ideen, Erfahrungen und Glaubensüberzeugungen respektvoll austauschen kann und interaktive Kommunikation sich frei entfalten kann. Bei Konflikten könnten sich die Beteiligten z. B. darauf verständigen, die jeweils andere Meinung zu respektieren. Dies könnte zu einem tieferen Verständnis unterschiedlicher Ansichten und Verhaltensweisen führen, ebenso
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zu neuen kreativen Prozessen und Ausdrucksformen.“14 – Nicht von ungefähr folgt auf das „Jahr des Interkulturellen Dialogs“ 2009 das „Europäische Jahr der Kreativität und Innovation“. Mag.a Veronika Drexel, Internationale Projekte im aha – Tipps & Infos für junge Leute, Koordinatorin des EU-Programms
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Wo ich verstehe
und wo ich verstanden werde ...
Interkulturelle Aspekte in der verbandlichen Jugendarbeit
Jugendorganisationen sind entsprechend ihrem Selbstverständnis darauf ausgerichtet, die Interessen von Kindern und Jugendlichen in der Gesellschaft und gegenüber EntscheidungsträgerInnen zu vertreten und ihnen Möglichkeiten einer selbstbestimmten und selbstorganisierten Praxis zur Verfügung zu stellen. Kinder und Jugendliche mit Zuwanderungsgeschichte sind ein wesentliches Potential unserer Gesellschaft und prägen die Entwicklung unseres Landes auch angesichts der demografischen Entwicklung in vielfältiger Weise. Gleichzeitig muss festgestellt werden, dass sie vielfach nur begrenzte Teilhabe am wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Leben erfahren. Die Aufgabe der Integration von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund als Vermittlung von Zugangschancen ist daher eine der zentralen Herausforderungen für die Gesellschaft und im Besonderen für die Jugendorganisationen.
Heimat ist da, wo ich verstehe und wo ich verstanden werde: Karl Jaspers (1883-1969), deutscher Philosoph
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Doch was heißt das im Konkreten? Obwohl verschiedene Studien ein generelles Interesse von Jugendlichen mit Migrationshintergrund an der Partizipation in Vereinen belegen und immer wieder solche Jugendliche mitmachen, werden sie von den Angeboten der Vereine – mit Ausnahme der Fußballklubs – immer noch deutlich weniger erreicht als „einheimische“ Jugendliche.
Warum ist das so? Die spezifischen Arbeitsaufträge, Leitbilder und Zieldefinitionen vieler Jugendorganisationen basieren auf Brauchtum, Traditionen, örtlichen Gegebenheiten und einem bestimmten Spektrum von Kultur. Inhalte aus den Bereichen Religion, Alpinwesen oder Landwirtschaft ziehen Jugendliche mit Migrationshintergrund nicht oder nur wenig an, weil es ihrer Kultur, ihrem Brauchtum fremd ist. Das kann als ein Teil der geringen Beteiligung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund in Vereinen gesehen werden. Ein anderer Teil – und der kann Handlungsbedarf signalisieren – ist der oftmals noch in den Kinderschuhen befindliche Prozess
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Welche Konsequenzen gilt es aus diesen Einsichten zu ziehen? • Erkennen der aktuellen Situation In einem ersten Schritt geht es darum, die Kontextbedingungen zu erfassen. Wir haben es mit einer kulturell pluralisierten Einwanderungsgesellschaft zu tun, in der oftmals Diskriminierung und soziale Ungleichheiten vorherrschen. Außerdem sind die Identitäten und Positionsbestimmungen bei Jugendlichen sehr individuell. • Prozesse des interkulturellen Lernens anbieten Wenn ich mir der eigenen Identität und Selbstwahrnehmung bewusst bin, kann ich durch eine entsprechende Rollendistanz für andere Kulturen sensibel werden und meine eigenen Ansichten und Handlungsmuster in den interkulturellen Kontext einordnen. Ich entwickle so die Fähigkeit, mich in die Erlebnis- und Sichtweisen anderer Personen hineinzuversetzen. Somit kann ein Prozess eingeleitet werden, der Gemeinsamkeiten und Annäherungen herstellt, genauso aber Unterschiede wahrnimmt und akzeptiert. • Ziele/Leitbild überdenken Auf diesem Fundament aufbauend kann eine Organisation überlegen, welche Zielsetzungen sie mit der Arbeit verfolgt. Auch hier gibt es – resultierend aus den oben genannten Gründen und Ein-
sichten – zwei Möglichkeiten. Ich kann im Spektrum der interkulturellen Arbeit mit Jugendlichen in meiner Organisation die geringe Partizipation von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund aus den angeführten Gründen annehmen und das Ziel verfolgen, den „einheimischen“ Kindern und Jugendlichen einen Zugang zu anderen Kulturen zu eröffnen und so Integration in anderen Lebensbereichen (Schule, Arbeitsplatz, …) anbahnen und fördern. Ein anderer Schritt kann sein, dass eine Organisation als klares Ziel formuliert, mehr Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund als aktive Mitglieder in ihrem Verein zu haben und so gegenseitiges Erleben von interkulturellen Aspekten zu ermöglichen. Eine Wertung dieser Möglichkeiten erscheint wenig zielführend. Welche Möglichkeiten für eine Organisation stimmig und durchführbar sind, hängt sicher auch von ihrer Orientierung ab. Es soll um Gedanken der Integration und nicht der Assimilation gehen. • Good-Practice-Modelle dokumentieren Durch eine Darstellung durchgeführter Angebote und Projekte kann eine sinnvolle Vernetzung unter den Jugendorganisationen stattfinden und eine gewisse Hemmschwelle überwunden werden, sich mit dieser Thematik auseinanderzusetzen. Hierzu könnte der Landesjugendbeirat Raum bieten (zum Beispiel auf der geplanten Homepage!). In diesem Sinn ist klar, dass interkulturelle Arbeit als gleichgestelltes Ziel für „einheimische“ Jugendliche wie für Jugendliche mit Migrationshintergrund gesehen wird. Interkulturelle Arbeit soll ein gesamtgesellschaftliches Anliegen sein, das mir und dir und dir und dir und … hilft zu verstehen und verstanden zu werden. Carmen Willi Vorsitzende Landesjugendbeirat
Lenart Schneider/youthphotos.eu
der interkulturellen Öffnung. Es geht darum, interkulturelles Lernen als Querschnittsaufgabe in der Jugendorganisation zu integrieren. Somit ist der interkulturelle Aspekt Teil der Angebote, der Fortbildungen, der Personalentwicklung, des Leitbildes und der Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen.
Aus der Jugendarbeit Stark vernetzt Ein starkes Netzwerk mit einer neuen Geschäftsführerin Mit Jänner 2009 übernimmt Regina Sams eine abwechslungsreiche Herausforderung: die Geschäftsführung des Dachverbands für Offene Jugendarbeit in Vorarlberg (koje). Getragen von einer bunten Gemeinschaft von JugendarbeiterInnen, unterstützt und begleitet durch ein kompetentes Team und inspiriert von eigenen Ideen beginnt ein neuer Lebensabschnitt für eine junge Frau.
Wer ist diese Regina Sams? Alter: 31 Jahre - Wohnort: Dornbirn - Ausbildung: Studium der Psychologie - Beruflicher Werdegang: Erwachsenenbildung in Tirol und Öffentlichkeitsarbeit bzw. Projektarbeit bei der Vorarlberger Landesinitiative „Kinder in die Mitte“
Aber was sagt das über den Menschen aus? Vielleicht sollte Regina Sams doch selber zu Wort kommen: „Meine Freizeit verbringe ich in der Natur (z. B. Skitouren, Wandern, …). Ich treffe mich gerne mit Freundinnen und Freunden zum Beispiel zu einer gemütlichen „Jassrunde“ und zu einem guten Buch – einem Krimi (denn ich mag’s gerne spannend und herausfordernd) sage ich nicht „nein“. Ich freue mich auf eine tolle Zeit bei der koje, in der ich meinen Beitrag für die Jugendarbeit in Vorarlberg leisten kann, die vielseitigen Herausforderungen im Sinne der JugendarbeiterInnen und Jugendlichen angehen werde und unter dem Fokus einer konstruktiven Weiterentwicklung der Offenen Jugendarbeit meine Potentiale zum Nutzen aller Beteiligten einbringen, entfalten und manchmal vielleicht auch erst entdecken werde. Ich freu mich auf die Zusammenarbeit mit DIR!“ E: regina.sams@koje.at www.koje.at
„Tanz die Toleranz“ – Projekt der youngCaritas.at „Tanz die Toleranz“ ist ein Stück gelebte Integration und zeigt, wie einfach ein Miteinander der verschiedenen Kulturen gelebt werden kann. Jugendliche unterschiedlicher Nationalität tanzen gemeinsam, setzen sich mit den Lebensformen unterschiedlicher Kulturen auseinander und präsentieren das Ergebnis vor Publikum. Dadurch wird das Selbstbewusstsein gestärkt, Ängste und Blockaden vor dem Anderen werden abgebaut, Verständnis und Miteinander aufgebaut. Kontakt für interessierte Jugendliche bzw. Lehrpersonen, Jugendzentren, etc.: youngCaritas.at, Margaritha Matt, T: 05522/200-1065, E: margaritha.matt@caritas.at
„Hier steht‘s schwarz auf weiß“ aha-Workshop für Jugendliche Alles glauben, was in der Zeitung steht? Lieber nicht! Aber das Lesen ganz einstellen gilt auch nicht. Bei diesem Workshop lernen Jugendliche zu bewerten, was in der Zeitung steht. Thomas Matt – Journalist – zeigt, was Texte und Bilder aussagen. Die TeilnehmerInnen werfen einen Blick in den Redaktionsalltag, schauen Zeitungen aus aller Welt an und werden selbst zum Redakteur/zur Redakteurin. Termin: 26. Februar 2009, 17.30 – 19.30 Uhr Ort: Vismut, Dornbirn Anmeldung: E: aha@aha.or.at Themen und Termine weiterer Workshops im Rahmen des Projektes „Jugend & Politik“ sind unter www.aha.or.at abrufbar!
Proton – das freie Radio
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Proton – das freie RADIO – „Mach mit!“
Ein wichtiger Grundsatz der freien Radios und somit auch von Proton – das freie Radio ist es, einen offenen Zugang zu gewähren und speziell Menschen zu unterstützen, die erschwert Zugang zu öffentlichen Medien haben. Dazu gehören vor allem in öffentlich rechtlichen und privat kommerziellen Medien unterrepräsentierte Gruppen wie Frauen, MigrantInnen, Kinder, Jugendliche, SeniorInnen usw.
Meinungsvielfalt ist gefragt!
Spiel deine Musik im Radio. Sprich über Themen, die dich interessieren. Jugendliche machen Radio – Mach mit! Proton – das freie Radio proton@radioproton.at Dr. Anton-Schneider-Straße 11/1 6850 Dornbirn T: 05572/210777-10 www.radioproton.at
Uns ist es ein Anliegen, genau diesen Gruppierungen die Möglichkeit anzubieten, ihre Stimmen, Meinungen, Interessen, Musik, Themen öffentlich zu machen, sie „on air“ zu bringen. Wir unterstützen Meinungsvielfalt und die freie Meinungsäußerung im Radio. Proton – das freie Radio versteht sich als Medium der hier lebenden Personen, BürgerInnen, ohne Unterscheidungen in der Auswahl der SendungsmacherInnen
in Bezug auf Geschlecht, sexueller Orientierung, Herkunft, Abstammung, Ethnie, Religion und politischer Anschauung, körperlicher und geistiger Fähigkeiten, Sprache, Alter oder sonstigen Zugehörigkeiten zu machen.
Multikulturelle Programmgestaltung Proton – das freie Radio vermittelt den SendungsmacherInnen Medienkompetenz und ist somit auch ein Bildungsradio, das Kenntnisse und Fertigkeiten an Laien und BürgerInnen vermittelt, im technischen als auch Moderations-Bereich, in redaktionellen und medienrechtlichen Bereichen. Ebenso hat Proton – das freie Radio als alternatives, unkommerzielles Radio die Aufgabe, Informationen zu veröffentlichen und im Programm zu berücksichtigen, die in kommerziellen Mainstream-Medien nicht berücksichtigt werden. Dies im Sinne der Unterstützung von Meinungsvielfalt und einem demokratischen Umgang mit Meinungsäußerungen. Proton – das freie Radio ist bemüht, im Sinne der Vielfalt und multikulturellen Gestaltung des Programms jegliche fremdsprachigen Sendungen im Programmschema zu berücksichtigen und nach Möglichkeit zu fördern.
Öffentliche Plattform Wir versuchen, lokale (junge) Bands zu fördern und ihnen eine öffentliche Plattform für Auftritte zu bieten. Unter anderem spielen wir auch lizenzfreie Musik und natürlich auch fremdsprachige Musik in den jeweiligen Sendungen.
Ausgabe 09 Februar 2009
DVR 0662321
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Auf den Punkt gebracht.