Rudolf Steiner - Tod und Unsterblichkeit, München, 17.11.1911

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Rudolf Steiner

Tod und Unsterblichkeit München, 17. November 1911 Öffentlicher Vortrag

Wenn im Sinne der modernen Geisteswissenschaft, wie es hier schon mehrere Jahre hindurch geschehen ist, über die Fragen und Rätsel des Lebens gesprochen wird, dann ist es immer gut, jenes großen Mannes in der Entwicklungsgeschichte der Menschheit zu gedenken, nämlich des Kopernikus (1473–1543) und mancher anderen Männer, die in gleichem Sinne mit ihm an der Umwälzung des geistigen Lebens mitwirkten. Man muss sich dabei an dasjenige erinnern, woran man heutzutage nur [mehr / noch] selten denkt: Was es für einen denkenden Menschen der damaligen Zeit bedeuten musste, wenn ihm im wahrsten Sinne des Wortes der Boden unter den Füßen wankend, ja beweglich wurde: dass also die Erde nicht mehr inmitten der Welt stehe, sondern außerdem noch die Sonne als sich drehender Körper umkreise, während man an der früheren gegenteiligen Annahme mit allen Gedanken und Vorstellungen gehangen hatte. Kopernikus stellte nun die Weltanschauung auf, welche eine Umkehrung von all dem brachte, was bisher geglaubt wurde. Wie man also den Grundnerv seiner Ver1

kündigung allmählich aufnahm, so glaubte man früher an die Konstellation der sichtbaren Sternenwelt auf einer Mondschale, einer Sonnenschale, auf einzelnen Planetensphären bis zur siebten, der Fixsternsphäre. Außer dieser hielt man noch eine achte Sphäre für bestehend, die den Abschluss der Raumeswelt bewirken sollte. Das war es, was schon Giordano Bruno als irrtümlich erachtete, indem er sagte: Was das Auge als blaues Himmelsgewölbe zu sehen vermeine, das sei nichts anderes, als was durch die begrenzte Wahrnehmungsfähigkeit des Auges hervorgerufen erscheine. Zu denken seien vielmehr, statt solcher begrenzter Sphären, unbegrenzte Welten, also unendliche Fernen und unendlich viele Welten. Was aber kam da in mehrfacher Art zum Ausdruck? Von Kopernikus und Giordano Bruno und ihren Bekennern wurde durch solche Anschauungen darauf hingewiesen, dass nicht durch die Wahrnehmung der Sinne die Erkenntnis in ausschließlichem Maß gefördert werde, sondern dass man vom sinnlichen Resultat zu einer Anschauung übergehen müsse, die zunächst im übersinnlichen Element des Denkens ruhe. Aber damals hatten diese Geister, die übergegangen waren zu einer jenseits der handgreiflichen Beobachtung der Welt liegenden Anschauung, gegen viele Parteien zu kämpfen, die am Hergebrachten festhalten wollten und daher ablehnten, was, gegen den Sinn dieses, die neue Wissenschaft ihnen bieten konnte. Ähnlich verhält es sich 2


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