RUDOLF STEINER RAFFAELS MISSION IM LICHTE DER WISSENSCHAFT VOM GEISTE Berlin, 30. Januar 1913
Raffael gehört zu denjenigen Gestalten der menschlichen Geistesgeschichte, welche wie ein Stern auftauchen, die einfach da sind, so dass man das Gefühl hat, sie kommen aus unbestimmten Untergründen der geistigen Entwicklung der Menschheit plötzlich herauf und verschwinden dann wieder, nachdem sie durch gewaltige Schöpfungen ihre Wesenheit in diese Geistesgeschichte der Menschheit eingegraben haben. Bei genauerem Zusehen stellt sich allerdings dem forschenden Blicke heraus: eine solche menschliche Wesenheit, von der man erst angenommen hat, dass sie wie ein Stern aufglänzt und wieder verschwindet, fügt sich in das ganze menschliche Geistesleben wie ein Glied in einen großen Organismus ein. Dieses Gefühl hat man insbesondere bei Raffael. Herman Grimm, der bedeutsame Kunstbetrachter, von dem ich das letztemal hier sprechen durfte, hat versucht, Raffaels Wirkung, Raffaels Ruhm durch die Zeiten zu verfolgen, die auf Raffaels eigenes Zeitalter gefolgt sind, bis in unsere Tage herein. Er konnte zeigen, dass dasjenige, was Raffael geschaffen hat, nach seinem Tode fortwirkte wie ein Lebendiges, dass ein einheitlicher Strom geistigen Werdens vom Leben Raffaels bis über seinen Tod hin fortgeht und sich eben bis in unsere Tage hereinzieht. Hat Herman Grimm so gezeigt, wie die nachfolgende Menschheitsentwickelung hinüberlebt über Raffaels Schaffen, so möchte man auf der andern Seite, der geistigen Geschichtsbetrachtung gegenüber, sagen: auch die vorhergehenden Zeiten können einem aus dem oder jenem den Eindruck geben, als ob sie doch in einer gewissen Beziehung schon so hinwiesen auf den erst später in die Weltentwickelung hineintretenden Raf-