RUDOLF STEINER KRANKHEIT UND HEILUNG Berlin, 3. März 1910
Aus den Vorträgen, welche ich in diesem Winter hier habe halten dürfen, ging wohl denjenigen, welche mehr oder weniger ständige Zuhörer waren, mit Deutlichkeit hervor, dass es sich in diesem Vortragszyklus um eine Reihe von einschneidenden Seelenfragen handelte. Von dem Gesichtspunkte einer Seelenfrage soll auch die heutige Darstellung gegeben sein, die Darstellung über das Wesen von Krankheit und das Wesen von Heilung. Was vom Gesichtspunkte der Geisteswissenschaft über die entsprechenden Tatsachen des Lebens zu sagen ist, insofern sie bloß physische Ausdrücke geistiger Ursachen sind, das wurde in früheren Vorträgen - zum Beispiel in dem Vortrage «Wie begreift man Krankheit und Tod?», über den «Krankheitswahn» und das «Gesundheitsfieber» - hier auseinandergesetzt. Heute soll es sich um wesentlich tiefere Fragen in der Erkenntnis von Krankheit und Heilung handeln. Krankheit, Heilung oder wohl auch der tödliche Ausgang dieser oder jener Krankheit greifen ja tief in das Menschenleben ein. Und wenn wir uns nach den ganzen Vorbedingungen, nach den geistigen Untergründen der Dinge, die unseren Betrachtungen hier zugrunde liegen, immer wieder gefragt haben, so dürfen wir wohl auch gegenüber diesen einschneidenden Tatsachen und Erlebnissen des menschlichen Daseins nach den geistigen Ursachen fragen. Mit andern Worten, wir dürfen die Frage aufwerfen: Was hat die Geisteswissenschaft zu diesen Erlebnissen zu sagen? Da werden wir allerdings wieder einmal tief hineinschauen müssen in den ganzen Sinn der Entwickelung dieses menschlichen Lebens, um uns klar zu werden, wie in den normalen Gang der Entwickelung des Menschen sich hineinstellen können